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Allgemeine Zeitung. Nr. 164. Augsburg, 12. Juni 1840.

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fast allemal einen wohlhabenden deutschen Freier einem noch so reichen russischen vor. Auch die deutschen Mütter sehen es nicht gern, wenn ihre Söhne russische Mädchen freien, und halten viel darauf, daß sie unter den Töchtern des Landes wählen. Doch sind die Heirathen zwischen deutschen Männern und russischen Frauen bei weitem häufiger, als die zwischen deutschen Frauen und russischen Männern, vermuthlich weil die Frau sich doch immer mehr ganz und gar in die Hand des Mannes gibt, und der Mann, selbst wenn er arm ist, doch aus andern Gründen immer mehr Herr bleibt.

Demnach kann man im Ganzen annehmen, daß der gewichtigste und wohlhabende Hauptstamm der Deutschen vorläufig noch deutsch bleibt, indem sich wohlhabendes Deutsches immer mit wohlhabenden Deutschen verbindet, und daß im Ganzen mehr oder weniger nur die Auswanderer, die jüngeren Söhne, die ärmsten Töchter vom Stamm abfallen und zu den Russen übergehen. Auch ist zu bemerken, daß diese Art von Russificirung durch Heirathen nur mehr unter dem Adel des Landes stattfindet, während manche Classen der Gesellschaft gar nicht davon berührt werden, z. B. die deutschen Kaufleute in Riga, Reval u. s. w., die deutschen Prediger auf dem Lande.

In diesen Ständen kommen fast gar keine Verheirathungen mit Russen vor, und sie bewahren daher treu das Lutherthum und die deutsche Nationalität. Endlich auch ist noch zu bemerken, daß die Russen selber, sowohl die eigentlichen, ursprünglichen Nationalrussen, als die umgetauften Deutsch-Russen die Ostseeprovinzen gar nicht lieben und daher gewöhnlich ihren Sitz nicht in ihnen aufschlagen. Sie sehen sich hier nicht nur durch die höhere geistige Bildung und Aufklärung der Deutschen überflügelt, sondern sie fühlen sich auch wegen mancher ihnen lächerlichen oder ärgerlichen Eigenheiten des deutschen Charakters hier nicht heimisch. Daher sie diese Provinzen lieber meiden und sich wo möglich in Rußland ansässig machen. Ihre baltischen Güter gehen dann gewöhnlich wieder durch Ankauf oder auf sonstige Weise an ihre deutschen Verwandten über. Die Provinzen stoßen demnach alles russisch gewordene Deutsche mehr aus ihren Gränzen hinaus, als daß sie es sich incorporirten.

Um alle die immer mehr und mehr sich häufenden Collisions- und Berührungsfälle zwischen der lutherischen und griechischen Kirche zu behandeln und die Interessen der letztern zu überwachen, hat die russische Regierung seit einigen Jahren einen eigenen Bischof für die Ostseeprovinzen in Riga installirt und dadurch der ganzen immer wachsenden Gemeinde der baltischen Russen Oberhaupt und Einheit gegeben. Die Installirung dieses Bischofs war für die Deutschen ein Gegenstand nicht geringen Alarms und großer Befürchtungen. Die russische Ostseekirche steht nun der lutherischen organisirt und gereinigt gegenüber. Die Bedrängung des Lutherthums von dieser Seite gibt zu interessanten Parallelen Anlaß mit der Bedrängung von einer andern Seite, mit der versuchten Installirung eines päpstlichen Bischofs für die nordseeischen unter den Protestanten verstreuten Katholiken in Hamburg etc.

Um demnach nur Alles noch einmal zusammenzufassen, so scheint sich als Resultat herauszustellen: Das Lutherthum gewinnt in Rußland nirgends etwas gegen das Griechenthum, auch nicht gegen irgend eine andere christliche oder nichtchristliche Religionspartei. Es verliert bloß gegen das Griechenthum und zwar mehr und immer mehr und auf eine bestimmt und sicher fortschreitende Weise. Doch ersetzt es zum Theil diese Verluste durch deutsche Einwanderer von außen und auf andere Weise, und scheint daher nur langsam seinem Untergange entgegenzugehen, so daß während der Zeit noch oft andere Weltereignisse eintreten können, die es retten.

Holländische Ansichten.

II.

Die Verantwortlichkeit der Minister, von der Regierung im letzten Augenblick zugestanden, hat das Budget für 1840 gesichert. Der bloße Name schon mag als ein großes Opfer von Seite des Königs angesehen werden. Daß aber der Entwurf in seiner ersten Gestalt bereits als eine Bürgschaft für die Sache gewirkt hat, beweist, wie gegründet die früher ausgesprochene Erwartung war, "die Generalstaaten würden sich mit einem Minimum von Zugeständnissen begnügen." Der Hauptgrund und gemeinschaftliche Mittelpunkt aller Oppositionen war von Anfang an die Finanzfrage: Aufdeckung der gegenwärtigen Lage, Sparsamkeit und Oeffentlichkeit für die Zukunft. Man sah keinen andern Weg, gegen die persönliche Regierung, die nun einmal gerade hier im Besitz ist, den Proceß einzuleiten, als durch die verlangte formelle Bürgschaft der Gegenzeichnung. Also stellte man die Verantwortlichkeit der Minister mit der Finanzbeschwerde auf eine Linie. Der König hat gewählt und die erstere vorgezogen. Wenn nun dieser Entschluß, bei der bekannten Abneigung und Beharrlichkeit des Monarchen, Vielen unerwartet kam, so ist doch zu bedenken, welcher Unterschied ist zwischen der solidarischen Verantwortlichkeit eines politisch gleichgesinnten Ministerraths, den der König aus der Majorität zweier Häuser zu wählen hätte - und der hier gebotenen administrativen Contrasignatur der einzelnen "Häupter ministerieller Departemente", von denen jeder nur in seinem Bureau für die "Mitwirkung" zu den Verordnungen, für die Verletzung und Vernachlässigung der Gesetze haften soll. Der Zusatz in dem jetzt verbesserten Entwurf, "daß über Anklagen gegen die Minister der hohe Rath der Niederlande zu entscheiden hat", also der höchste Gerichtshof, nicht ein politischer Körper, läßt jenen Unterschied erst noch deutlicher fühlen.

Wer im Auslande von diesen Anstalten gegen die Minister zum erstenmal reden hörte, der könnte wohl glauben, es handle sich hier davon, einen mächtigen, sehr verhaßten Minister zu verdrängen oder zu fesseln. Weit entfernt. Die Minister sind fast alle persönlich ganz wohl geduldet, und fast jeder hat irgend ein anerkanntes Verdienst; sie fühlen sich auch, so zu sagen, ganz außer dem Spiel. Wenigstens haben sie die heftigen Ausdrücke der Sectionen: "man sey zu oft getäuscht worden; man könne Versprechungen nicht mehr trauen" - Ausdrücke, die bereits zur parlamentarischen Etikette geworden sind, gerade so hingenommen, als kämen dieselben bekanntermaßen nicht ihnen zu. Also nicht der Person der Minister gilt in der Regel die Opposition, sondern ihrem Lebensprincip, nicht ihrer Macht, sondern ihrer Unmacht. - Der vorgelegte Entwurf ist freilich an sich ein unschädliches Werk. Allein so ungenügend er auch in der zweiten Gestalt erscheinen mag, so ist die Regierung doch nun einmal auf den Gegenstand eingegangen, und damit hat sie die bevorstehende Verfassungsrevision auf ein breites, noch unübersehbares Feld politischer Discussion übertragen. Denn die Verantwortlichkeit der Minister ist doch die Spitze für alle repräsentativen Fragen, die Probe auf alle constitutionellen Rechenexempel. Wie Frankreich und Schweden beweisen, ist der Grad und die Art der persönlichen Regierung gerade jetzt eine Frage der Tagesordnung in allen constitutionellen Ländern, die nicht etwa, wie die deutschen Bundesstaaten,

fast allemal einen wohlhabenden deutschen Freier einem noch so reichen russischen vor. Auch die deutschen Mütter sehen es nicht gern, wenn ihre Söhne russische Mädchen freien, und halten viel darauf, daß sie unter den Töchtern des Landes wählen. Doch sind die Heirathen zwischen deutschen Männern und russischen Frauen bei weitem häufiger, als die zwischen deutschen Frauen und russischen Männern, vermuthlich weil die Frau sich doch immer mehr ganz und gar in die Hand des Mannes gibt, und der Mann, selbst wenn er arm ist, doch aus andern Gründen immer mehr Herr bleibt.

Demnach kann man im Ganzen annehmen, daß der gewichtigste und wohlhabende Hauptstamm der Deutschen vorläufig noch deutsch bleibt, indem sich wohlhabendes Deutsches immer mit wohlhabenden Deutschen verbindet, und daß im Ganzen mehr oder weniger nur die Auswanderer, die jüngeren Söhne, die ärmsten Töchter vom Stamm abfallen und zu den Russen übergehen. Auch ist zu bemerken, daß diese Art von Russificirung durch Heirathen nur mehr unter dem Adel des Landes stattfindet, während manche Classen der Gesellschaft gar nicht davon berührt werden, z. B. die deutschen Kaufleute in Riga, Reval u. s. w., die deutschen Prediger auf dem Lande.

In diesen Ständen kommen fast gar keine Verheirathungen mit Russen vor, und sie bewahren daher treu das Lutherthum und die deutsche Nationalität. Endlich auch ist noch zu bemerken, daß die Russen selber, sowohl die eigentlichen, ursprünglichen Nationalrussen, als die umgetauften Deutsch-Russen die Ostseeprovinzen gar nicht lieben und daher gewöhnlich ihren Sitz nicht in ihnen aufschlagen. Sie sehen sich hier nicht nur durch die höhere geistige Bildung und Aufklärung der Deutschen überflügelt, sondern sie fühlen sich auch wegen mancher ihnen lächerlichen oder ärgerlichen Eigenheiten des deutschen Charakters hier nicht heimisch. Daher sie diese Provinzen lieber meiden und sich wo möglich in Rußland ansässig machen. Ihre baltischen Güter gehen dann gewöhnlich wieder durch Ankauf oder auf sonstige Weise an ihre deutschen Verwandten über. Die Provinzen stoßen demnach alles russisch gewordene Deutsche mehr aus ihren Gränzen hinaus, als daß sie es sich incorporirten.

Um alle die immer mehr und mehr sich häufenden Collisions- und Berührungsfälle zwischen der lutherischen und griechischen Kirche zu behandeln und die Interessen der letztern zu überwachen, hat die russische Regierung seit einigen Jahren einen eigenen Bischof für die Ostseeprovinzen in Riga installirt und dadurch der ganzen immer wachsenden Gemeinde der baltischen Russen Oberhaupt und Einheit gegeben. Die Installirung dieses Bischofs war für die Deutschen ein Gegenstand nicht geringen Alarms und großer Befürchtungen. Die russische Ostseekirche steht nun der lutherischen organisirt und gereinigt gegenüber. Die Bedrängung des Lutherthums von dieser Seite gibt zu interessanten Parallelen Anlaß mit der Bedrängung von einer andern Seite, mit der versuchten Installirung eines päpstlichen Bischofs für die nordseeischen unter den Protestanten verstreuten Katholiken in Hamburg etc.

Um demnach nur Alles noch einmal zusammenzufassen, so scheint sich als Resultat herauszustellen: Das Lutherthum gewinnt in Rußland nirgends etwas gegen das Griechenthum, auch nicht gegen irgend eine andere christliche oder nichtchristliche Religionspartei. Es verliert bloß gegen das Griechenthum und zwar mehr und immer mehr und auf eine bestimmt und sicher fortschreitende Weise. Doch ersetzt es zum Theil diese Verluste durch deutsche Einwanderer von außen und auf andere Weise, und scheint daher nur langsam seinem Untergange entgegenzugehen, so daß während der Zeit noch oft andere Weltereignisse eintreten können, die es retten.

Holländische Ansichten.

II.

Die Verantwortlichkeit der Minister, von der Regierung im letzten Augenblick zugestanden, hat das Budget für 1840 gesichert. Der bloße Name schon mag als ein großes Opfer von Seite des Königs angesehen werden. Daß aber der Entwurf in seiner ersten Gestalt bereits als eine Bürgschaft für die Sache gewirkt hat, beweist, wie gegründet die früher ausgesprochene Erwartung war, „die Generalstaaten würden sich mit einem Minimum von Zugeständnissen begnügen.“ Der Hauptgrund und gemeinschaftliche Mittelpunkt aller Oppositionen war von Anfang an die Finanzfrage: Aufdeckung der gegenwärtigen Lage, Sparsamkeit und Oeffentlichkeit für die Zukunft. Man sah keinen andern Weg, gegen die persönliche Regierung, die nun einmal gerade hier im Besitz ist, den Proceß einzuleiten, als durch die verlangte formelle Bürgschaft der Gegenzeichnung. Also stellte man die Verantwortlichkeit der Minister mit der Finanzbeschwerde auf eine Linie. Der König hat gewählt und die erstere vorgezogen. Wenn nun dieser Entschluß, bei der bekannten Abneigung und Beharrlichkeit des Monarchen, Vielen unerwartet kam, so ist doch zu bedenken, welcher Unterschied ist zwischen der solidarischen Verantwortlichkeit eines politisch gleichgesinnten Ministerraths, den der König aus der Majorität zweier Häuser zu wählen hätte – und der hier gebotenen administrativen Contrasignatur der einzelnen „Häupter ministerieller Departemente“, von denen jeder nur in seinem Bureau für die „Mitwirkung“ zu den Verordnungen, für die Verletzung und Vernachlässigung der Gesetze haften soll. Der Zusatz in dem jetzt verbesserten Entwurf, „daß über Anklagen gegen die Minister der hohe Rath der Niederlande zu entscheiden hat“, also der höchste Gerichtshof, nicht ein politischer Körper, läßt jenen Unterschied erst noch deutlicher fühlen.

Wer im Auslande von diesen Anstalten gegen die Minister zum erstenmal reden hörte, der könnte wohl glauben, es handle sich hier davon, einen mächtigen, sehr verhaßten Minister zu verdrängen oder zu fesseln. Weit entfernt. Die Minister sind fast alle persönlich ganz wohl geduldet, und fast jeder hat irgend ein anerkanntes Verdienst; sie fühlen sich auch, so zu sagen, ganz außer dem Spiel. Wenigstens haben sie die heftigen Ausdrücke der Sectionen: „man sey zu oft getäuscht worden; man könne Versprechungen nicht mehr trauen“ – Ausdrücke, die bereits zur parlamentarischen Etikette geworden sind, gerade so hingenommen, als kämen dieselben bekanntermaßen nicht ihnen zu. Also nicht der Person der Minister gilt in der Regel die Opposition, sondern ihrem Lebensprincip, nicht ihrer Macht, sondern ihrer Unmacht. – Der vorgelegte Entwurf ist freilich an sich ein unschädliches Werk. Allein so ungenügend er auch in der zweiten Gestalt erscheinen mag, so ist die Regierung doch nun einmal auf den Gegenstand eingegangen, und damit hat sie die bevorstehende Verfassungsrevision auf ein breites, noch unübersehbares Feld politischer Discussion übertragen. Denn die Verantwortlichkeit der Minister ist doch die Spitze für alle repräsentativen Fragen, die Probe auf alle constitutionellen Rechenexempel. Wie Frankreich und Schweden beweisen, ist der Grad und die Art der persönlichen Regierung gerade jetzt eine Frage der Tagesordnung in allen constitutionellen Ländern, die nicht etwa, wie die deutschen Bundesstaaten,

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fast allemal einen wohlhabenden deutschen Freier einem noch so reichen russischen vor. Auch die deutschen Mütter sehen es nicht gern, wenn ihre Söhne russische Mädchen freien, und halten viel darauf, daß sie unter den Töchtern des Landes wählen. Doch sind die Heirathen zwischen deutschen Männern und russischen Frauen bei weitem häufiger, als die zwischen deutschen Frauen und russischen Männern, vermuthlich weil die Frau sich doch immer mehr ganz und gar in die Hand des Mannes gibt, und der Mann, selbst wenn er arm ist, doch aus andern Gründen immer mehr Herr bleibt.</p><lb/>
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[1307/0011] fast allemal einen wohlhabenden deutschen Freier einem noch so reichen russischen vor. Auch die deutschen Mütter sehen es nicht gern, wenn ihre Söhne russische Mädchen freien, und halten viel darauf, daß sie unter den Töchtern des Landes wählen. Doch sind die Heirathen zwischen deutschen Männern und russischen Frauen bei weitem häufiger, als die zwischen deutschen Frauen und russischen Männern, vermuthlich weil die Frau sich doch immer mehr ganz und gar in die Hand des Mannes gibt, und der Mann, selbst wenn er arm ist, doch aus andern Gründen immer mehr Herr bleibt. Demnach kann man im Ganzen annehmen, daß der gewichtigste und wohlhabende Hauptstamm der Deutschen vorläufig noch deutsch bleibt, indem sich wohlhabendes Deutsches immer mit wohlhabenden Deutschen verbindet, und daß im Ganzen mehr oder weniger nur die Auswanderer, die jüngeren Söhne, die ärmsten Töchter vom Stamm abfallen und zu den Russen übergehen. Auch ist zu bemerken, daß diese Art von Russificirung durch Heirathen nur mehr unter dem Adel des Landes stattfindet, während manche Classen der Gesellschaft gar nicht davon berührt werden, z. B. die deutschen Kaufleute in Riga, Reval u. s. w., die deutschen Prediger auf dem Lande. In diesen Ständen kommen fast gar keine Verheirathungen mit Russen vor, und sie bewahren daher treu das Lutherthum und die deutsche Nationalität. Endlich auch ist noch zu bemerken, daß die Russen selber, sowohl die eigentlichen, ursprünglichen Nationalrussen, als die umgetauften Deutsch-Russen die Ostseeprovinzen gar nicht lieben und daher gewöhnlich ihren Sitz nicht in ihnen aufschlagen. Sie sehen sich hier nicht nur durch die höhere geistige Bildung und Aufklärung der Deutschen überflügelt, sondern sie fühlen sich auch wegen mancher ihnen lächerlichen oder ärgerlichen Eigenheiten des deutschen Charakters hier nicht heimisch. Daher sie diese Provinzen lieber meiden und sich wo möglich in Rußland ansässig machen. Ihre baltischen Güter gehen dann gewöhnlich wieder durch Ankauf oder auf sonstige Weise an ihre deutschen Verwandten über. Die Provinzen stoßen demnach alles russisch gewordene Deutsche mehr aus ihren Gränzen hinaus, als daß sie es sich incorporirten. Um alle die immer mehr und mehr sich häufenden Collisions- und Berührungsfälle zwischen der lutherischen und griechischen Kirche zu behandeln und die Interessen der letztern zu überwachen, hat die russische Regierung seit einigen Jahren einen eigenen Bischof für die Ostseeprovinzen in Riga installirt und dadurch der ganzen immer wachsenden Gemeinde der baltischen Russen Oberhaupt und Einheit gegeben. Die Installirung dieses Bischofs war für die Deutschen ein Gegenstand nicht geringen Alarms und großer Befürchtungen. Die russische Ostseekirche steht nun der lutherischen organisirt und gereinigt gegenüber. Die Bedrängung des Lutherthums von dieser Seite gibt zu interessanten Parallelen Anlaß mit der Bedrängung von einer andern Seite, mit der versuchten Installirung eines päpstlichen Bischofs für die nordseeischen unter den Protestanten verstreuten Katholiken in Hamburg etc. Um demnach nur Alles noch einmal zusammenzufassen, so scheint sich als Resultat herauszustellen: Das Lutherthum gewinnt in Rußland nirgends etwas gegen das Griechenthum, auch nicht gegen irgend eine andere christliche oder nichtchristliche Religionspartei. Es verliert bloß gegen das Griechenthum und zwar mehr und immer mehr und auf eine bestimmt und sicher fortschreitende Weise. Doch ersetzt es zum Theil diese Verluste durch deutsche Einwanderer von außen und auf andere Weise, und scheint daher nur langsam seinem Untergange entgegenzugehen, so daß während der Zeit noch oft andere Weltereignisse eintreten können, die es retten. Holländische Ansichten. II. Die Verantwortlichkeit der Minister, von der Regierung im letzten Augenblick zugestanden, hat das Budget für 1840 gesichert. Der bloße Name schon mag als ein großes Opfer von Seite des Königs angesehen werden. Daß aber der Entwurf in seiner ersten Gestalt bereits als eine Bürgschaft für die Sache gewirkt hat, beweist, wie gegründet die früher ausgesprochene Erwartung war, „die Generalstaaten würden sich mit einem Minimum von Zugeständnissen begnügen.“ Der Hauptgrund und gemeinschaftliche Mittelpunkt aller Oppositionen war von Anfang an die Finanzfrage: Aufdeckung der gegenwärtigen Lage, Sparsamkeit und Oeffentlichkeit für die Zukunft. Man sah keinen andern Weg, gegen die persönliche Regierung, die nun einmal gerade hier im Besitz ist, den Proceß einzuleiten, als durch die verlangte formelle Bürgschaft der Gegenzeichnung. Also stellte man die Verantwortlichkeit der Minister mit der Finanzbeschwerde auf eine Linie. Der König hat gewählt und die erstere vorgezogen. Wenn nun dieser Entschluß, bei der bekannten Abneigung und Beharrlichkeit des Monarchen, Vielen unerwartet kam, so ist doch zu bedenken, welcher Unterschied ist zwischen der solidarischen Verantwortlichkeit eines politisch gleichgesinnten Ministerraths, den der König aus der Majorität zweier Häuser zu wählen hätte – und der hier gebotenen administrativen Contrasignatur der einzelnen „Häupter ministerieller Departemente“, von denen jeder nur in seinem Bureau für die „Mitwirkung“ zu den Verordnungen, für die Verletzung und Vernachlässigung der Gesetze haften soll. Der Zusatz in dem jetzt verbesserten Entwurf, „daß über Anklagen gegen die Minister der hohe Rath der Niederlande zu entscheiden hat“, also der höchste Gerichtshof, nicht ein politischer Körper, läßt jenen Unterschied erst noch deutlicher fühlen. Wer im Auslande von diesen Anstalten gegen die Minister zum erstenmal reden hörte, der könnte wohl glauben, es handle sich hier davon, einen mächtigen, sehr verhaßten Minister zu verdrängen oder zu fesseln. Weit entfernt. Die Minister sind fast alle persönlich ganz wohl geduldet, und fast jeder hat irgend ein anerkanntes Verdienst; sie fühlen sich auch, so zu sagen, ganz außer dem Spiel. Wenigstens haben sie die heftigen Ausdrücke der Sectionen: „man sey zu oft getäuscht worden; man könne Versprechungen nicht mehr trauen“ – Ausdrücke, die bereits zur parlamentarischen Etikette geworden sind, gerade so hingenommen, als kämen dieselben bekanntermaßen nicht ihnen zu. Also nicht der Person der Minister gilt in der Regel die Opposition, sondern ihrem Lebensprincip, nicht ihrer Macht, sondern ihrer Unmacht. – Der vorgelegte Entwurf ist freilich an sich ein unschädliches Werk. Allein so ungenügend er auch in der zweiten Gestalt erscheinen mag, so ist die Regierung doch nun einmal auf den Gegenstand eingegangen, und damit hat sie die bevorstehende Verfassungsrevision auf ein breites, noch unübersehbares Feld politischer Discussion übertragen. Denn die Verantwortlichkeit der Minister ist doch die Spitze für alle repräsentativen Fragen, die Probe auf alle constitutionellen Rechenexempel. Wie Frankreich und Schweden beweisen, ist der Grad und die Art der persönlichen Regierung gerade jetzt eine Frage der Tagesordnung in allen constitutionellen Ländern, die nicht etwa, wie die deutschen Bundesstaaten,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 164. Augsburg, 12. Juni 1840, S. 1307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_164_18400612/11>, abgerufen am 27.04.2024.