Allgemeine Zeitung. Nr. 165. Augsburg, 13. Juni 1840.Die deutschen Publicisten und die "europäische Pentarchie." *) Ein Jahr ist noch kaum verflossen, seitdem uns die Leipziger Buchhändlermesse die europäische Pentarchie gebracht. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug diese Schrift inmitten allgemeiner Sicherheit und fröhlichen Gewühles in die deutschen Gauen herein, und verkündete, mit einer neuen politischen Ordnung Europa's, Dringlichkeit und Bedarf nähern Aneinanderschließens der germanischen Mittelstaaten - unter slavischer Protection - zu Wahrung und Schirm gegen Gefahren, die bei uns Niemand kennt. - Unruhige Bewegung der Geister, Federkampf und Sorge, durch Aufzählung aller Bürgschaften deutscher Autonomie, Kraft und Wehrhaftigkeit, verzagte Seelen zu ermuthigen, war eine natürliche Wirkung des litterarischen Meteors. Aller Reichthum an patriotischem Geschoß, an Genie, Witz und Kriegstalent wurde in allgemeiner Revue deutscher Nation ausgelegt; nichts entging dem prüfenden Auge, dem geübten, kundigen Sinn der Publicisten. Subsidiarisch wirkten als furchtstillendes Mittel nicht unbedeutend sogar Semilasso's neueste Artikel über die Nilfahrt, und Greverus' Reisebericht aus Griechenland, die um dieselbe Zeit erschienen. Semilasso, wie er uns erzählt, hat ja selbst den Krokodilen getrotzt, und Greverus wohl gar die Hellenen erschreckt. Was hätten wir, hieß es, in Deutschland von den Russen zu fürchten, wenn deutsche Edelleute, ohne Waffen, bloß durch ihr amönes Wesen und ihre Epigramme die Ungethüme Libyens verscheuchen, und ein deutscher Gelehrter schon durch "seine grimmigen Gebärden" vier bewaffnete Hellenen lähmt? **) Sind etwa die Moskowiten grausamer und boshafter als Semilasso's fünfundzwanzig Fuß lange Krokodile oder tapferer und geistvoller als die Hellenen des Hrn. Greverus? Ueberdieß hat man in den Beilagen der Allgemeinen Zeitung (November 1839) mit Bündigkeit nachgewiesen, daß die Lehre der europäischen Pentarchie "ein publicistisch-politischer Irrthum sey, arg, graß, handgreiflich;" ja, daß es in Europa gar keine Pentarchie gebe, und folglich auch für Deutschland nichts von ihr zu besorgen sey. Andere zeigten mit Schärfe und aphoristischer Präcision, daß die Pentarchie wenigstens keine stätige, bleibende Größe sey und seyn könne, daß sie nur durch die Propaganda der Revolution zusammenhänge und augenblicklich zerfiele, wenn erstere erloschen wäre. Die Revolution sey aber auf dem Punkt zu sterben unter den Streichen der Industrie und der Handelsmacht, deren Interessen durchweg conservativer Natur, und aller Umwälzung von Anbeginn entgegen seyen. Die deutschen Mittelstaaten, wenn auch von Preußen und Oesterreich aufgegeben, brauchten doch keinen Protector; der Mauth- und Zollverein sey jetzt deutscher Imperator, der, reich an Feldherrntalent und stark an Kriegerzahl, sich selbst schütze; denn Deutschlands Mittelstaaten seyen anerkannterweise der lebenskräftigste Theil der europäischen Völker. - Eine Stimme ging im patriotischen Zorn noch weiter, und sagte den Moskowiten gerade ins Gesicht, sie sollen es sich vergehen lassen, Cimbern und Cherusker zu reizen, sollen ruhig leben hinter ihren litthauischen Sümpfen und Nadelwäldern bei Grütze, Quaß und Birkensaft, sollen zuerst Chiwa und die Karakalpaken bändigen und überhaupt dem Genius der Zeiten danken, daß wir uns nicht selbst erheben und - hingerissen vom furor teutonicus - Sebastopol und Kronstadt zertrümmern. Alles das hat aber den tiefen Eindruck der Schrift nicht ausgelöscht. Es blieb ein Stachel in den Gemüthern zurück, von dem uns noch kein publicistisches Heilmittel befreien konnte. - Es muß etwas im Buche verborgen seyn, was der gesunde Sinn des Volks bemerkt, die Gelehrten aber noch nicht gesehen haben. Wäre es daher nicht erlaubt, noch einen letzten Blick auf diese Erscheinung zu werfen? Daß es hier Deutschland gelte, obgleich der Pentarchist ganz Europa in das Spiel zieht und so zu sagen als Folie unterlegt, merkte freilich Jedermann. Für eben das sieht man es auch im Ausland an. Die englische und französische Presse schweigt von dieser Schrift, wie von einer Sache, die sie nicht berührt. Es ist ein Hochzeitmahl, zu dem nur wir Germanen geladen sind. Eben so herrscht über Tüchtigkeit des Verfassers, über Styl und Kern des Buches unter allen Parteien nur Eine Meinung. "An Männern, deren Persönlichkeit einen solchen Reichthum an Ideen, eine solche Tiefe des Urtheils, eine solche Beherrschung der Einzelnheiten in sich trüge," meint Giehne, "habe Deutschland keinen Ueberfluß." Und doch redet man uns zu gleicher Zeit von eitelm Phantasiestück, von diplomatischem Spielwerk und unreifem Product, und überläßt sich dem Wahn, die Pentarchie sey wurzellos und müsse, trotz scheinbarer Lebensfülle, aus Mangel gesunden Nahrungssaftes ohne Frucht auf eigenem Stängel verdorren. Die Pentarchie - mit gutem Frieden unserer ehrsamen Landsleute sey es gesagt - ist ein gesundes, lebenskräftig organisirtes Gebilde, ist aus dem eigenen, tiefen, reichgedüngten Fettboden der neuesten Zeit- und Weltläufte in jugendlicher Frische heraufgestiegen zum Wahrzeichen für die, welche die Zeit nicht kennen. Gestehe man es nur offen, das Buch hat Deutschland mit Recht erschreckt. Es ist wie die unheimliche Erscheinung bei Belsazars Gastmahl. Der Griffel geht tief, die Zeichen sind scharf, der Sinn ist klar. Sind wir schon so krank, und sind unsere Zustände so verzweifelt, daß man uns von letzter Medicin, von Testament und Codicill im eigenen Hause zu sprechen wagt? Wäre dieß wirklich unsere Lage, so könnten Streiche in die Luft und cheruskische Rodomontaden die Katastrophe Deutschlands eben so wenig abwehren als das ewige Mahnen an Granson und Murten die hinsterbenden Republiken Helvetiens wieder zur alten Kraft und Bedeutung zurückführen. Jedermann redet von den Gebrechen der moskowitischen Staatsmaschine; hat aber auch einer den Kern des Werkes selbst herausgeschält und seinen Gehalt im Geiste des Jahrhunderts geprüft? - Was ist "die europäische Pentarchie?" *) Die Allgemeine Zeitung hat früher eine Reihe von Angriffsartikeln gegen die genannte Schrift gebracht. Ein Gegenwort dürfen wir also nicht ausschließen. Zwar darf die Unparteilichkeit eines deutschen Blattes nicht so weit gehen, daß es sich auch zu Schutzreden eines fremden Protectorats hergäbe - jeder bessere Deutsche, welcher politischen Meinung er auch angehöre, wird jeden Gedanken daran mit Unwillen von sich weisen. Aber kein Denkender in Deutschland wird es verschmähen, selbst neben seinen entschiedensten Lieblingsbildern das Gegenbild zu betrachten, das mit strengen, grellen Umrissen eine andere Weltanschauung uns vorüberführt. Mag es der Stachel des Feindes, oder der Sporn des halb verhüllten Freundes seyn, ein Droh- oder ein Warnsignal, immer wird es auffordern, sich selbst zu prüfen und wach zu bleiben. Die Prüfung wird nicht auf sich warten lassen. **) Greverus, Reiselust etc. S. 208.
Die deutschen Publicisten und die „europäische Pentarchie.“ *) Ein Jahr ist noch kaum verflossen, seitdem uns die Leipziger Buchhändlermesse die europäische Pentarchie gebracht. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug diese Schrift inmitten allgemeiner Sicherheit und fröhlichen Gewühles in die deutschen Gauen herein, und verkündete, mit einer neuen politischen Ordnung Europa's, Dringlichkeit und Bedarf nähern Aneinanderschließens der germanischen Mittelstaaten – unter slavischer Protection – zu Wahrung und Schirm gegen Gefahren, die bei uns Niemand kennt. – Unruhige Bewegung der Geister, Federkampf und Sorge, durch Aufzählung aller Bürgschaften deutscher Autonomie, Kraft und Wehrhaftigkeit, verzagte Seelen zu ermuthigen, war eine natürliche Wirkung des litterarischen Meteors. Aller Reichthum an patriotischem Geschoß, an Genie, Witz und Kriegstalent wurde in allgemeiner Revue deutscher Nation ausgelegt; nichts entging dem prüfenden Auge, dem geübten, kundigen Sinn der Publicisten. Subsidiarisch wirkten als furchtstillendes Mittel nicht unbedeutend sogar Semilasso's neueste Artikel über die Nilfahrt, und Greverus' Reisebericht aus Griechenland, die um dieselbe Zeit erschienen. Semilasso, wie er uns erzählt, hat ja selbst den Krokodilen getrotzt, und Greverus wohl gar die Hellenen erschreckt. Was hätten wir, hieß es, in Deutschland von den Russen zu fürchten, wenn deutsche Edelleute, ohne Waffen, bloß durch ihr amönes Wesen und ihre Epigramme die Ungethüme Libyens verscheuchen, und ein deutscher Gelehrter schon durch „seine grimmigen Gebärden“ vier bewaffnete Hellenen lähmt? **) Sind etwa die Moskowiten grausamer und boshafter als Semilasso's fünfundzwanzig Fuß lange Krokodile oder tapferer und geistvoller als die Hellenen des Hrn. Greverus? Ueberdieß hat man in den Beilagen der Allgemeinen Zeitung (November 1839) mit Bündigkeit nachgewiesen, daß die Lehre der europäischen Pentarchie „ein publicistisch-politischer Irrthum sey, arg, graß, handgreiflich;“ ja, daß es in Europa gar keine Pentarchie gebe, und folglich auch für Deutschland nichts von ihr zu besorgen sey. Andere zeigten mit Schärfe und aphoristischer Präcision, daß die Pentarchie wenigstens keine stätige, bleibende Größe sey und seyn könne, daß sie nur durch die Propaganda der Revolution zusammenhänge und augenblicklich zerfiele, wenn erstere erloschen wäre. Die Revolution sey aber auf dem Punkt zu sterben unter den Streichen der Industrie und der Handelsmacht, deren Interessen durchweg conservativer Natur, und aller Umwälzung von Anbeginn entgegen seyen. Die deutschen Mittelstaaten, wenn auch von Preußen und Oesterreich aufgegeben, brauchten doch keinen Protector; der Mauth- und Zollverein sey jetzt deutscher Imperator, der, reich an Feldherrntalent und stark an Kriegerzahl, sich selbst schütze; denn Deutschlands Mittelstaaten seyen anerkannterweise der lebenskräftigste Theil der europäischen Völker. – Eine Stimme ging im patriotischen Zorn noch weiter, und sagte den Moskowiten gerade ins Gesicht, sie sollen es sich vergehen lassen, Cimbern und Cherusker zu reizen, sollen ruhig leben hinter ihren litthauischen Sümpfen und Nadelwäldern bei Grütze, Quaß und Birkensaft, sollen zuerst Chiwa und die Karakalpaken bändigen und überhaupt dem Genius der Zeiten danken, daß wir uns nicht selbst erheben und – hingerissen vom furor teutonicus – Sebastopol und Kronstadt zertrümmern. Alles das hat aber den tiefen Eindruck der Schrift nicht ausgelöscht. Es blieb ein Stachel in den Gemüthern zurück, von dem uns noch kein publicistisches Heilmittel befreien konnte. – Es muß etwas im Buche verborgen seyn, was der gesunde Sinn des Volks bemerkt, die Gelehrten aber noch nicht gesehen haben. Wäre es daher nicht erlaubt, noch einen letzten Blick auf diese Erscheinung zu werfen? Daß es hier Deutschland gelte, obgleich der Pentarchist ganz Europa in das Spiel zieht und so zu sagen als Folie unterlegt, merkte freilich Jedermann. Für eben das sieht man es auch im Ausland an. Die englische und französische Presse schweigt von dieser Schrift, wie von einer Sache, die sie nicht berührt. Es ist ein Hochzeitmahl, zu dem nur wir Germanen geladen sind. Eben so herrscht über Tüchtigkeit des Verfassers, über Styl und Kern des Buches unter allen Parteien nur Eine Meinung. „An Männern, deren Persönlichkeit einen solchen Reichthum an Ideen, eine solche Tiefe des Urtheils, eine solche Beherrschung der Einzelnheiten in sich trüge,“ meint Giehne, „habe Deutschland keinen Ueberfluß.“ Und doch redet man uns zu gleicher Zeit von eitelm Phantasiestück, von diplomatischem Spielwerk und unreifem Product, und überläßt sich dem Wahn, die Pentarchie sey wurzellos und müsse, trotz scheinbarer Lebensfülle, aus Mangel gesunden Nahrungssaftes ohne Frucht auf eigenem Stängel verdorren. Die Pentarchie – mit gutem Frieden unserer ehrsamen Landsleute sey es gesagt – ist ein gesundes, lebenskräftig organisirtes Gebilde, ist aus dem eigenen, tiefen, reichgedüngten Fettboden der neuesten Zeit- und Weltläufte in jugendlicher Frische heraufgestiegen zum Wahrzeichen für die, welche die Zeit nicht kennen. Gestehe man es nur offen, das Buch hat Deutschland mit Recht erschreckt. Es ist wie die unheimliche Erscheinung bei Belsazars Gastmahl. Der Griffel geht tief, die Zeichen sind scharf, der Sinn ist klar. Sind wir schon so krank, und sind unsere Zustände so verzweifelt, daß man uns von letzter Medicin, von Testament und Codicill im eigenen Hause zu sprechen wagt? Wäre dieß wirklich unsere Lage, so könnten Streiche in die Luft und cheruskische Rodomontaden die Katastrophe Deutschlands eben so wenig abwehren als das ewige Mahnen an Granson und Murten die hinsterbenden Republiken Helvetiens wieder zur alten Kraft und Bedeutung zurückführen. Jedermann redet von den Gebrechen der moskowitischen Staatsmaschine; hat aber auch einer den Kern des Werkes selbst herausgeschält und seinen Gehalt im Geiste des Jahrhunderts geprüft? – Was ist „die europäische Pentarchie?“ *) Die Allgemeine Zeitung hat früher eine Reihe von Angriffsartikeln gegen die genannte Schrift gebracht. Ein Gegenwort dürfen wir also nicht ausschließen. Zwar darf die Unparteilichkeit eines deutschen Blattes nicht so weit gehen, daß es sich auch zu Schutzreden eines fremden Protectorats hergäbe – jeder bessere Deutsche, welcher politischen Meinung er auch angehöre, wird jeden Gedanken daran mit Unwillen von sich weisen. Aber kein Denkender in Deutschland wird es verschmähen, selbst neben seinen entschiedensten Lieblingsbildern das Gegenbild zu betrachten, das mit strengen, grellen Umrissen eine andere Weltanschauung uns vorüberführt. Mag es der Stachel des Feindes, oder der Sporn des halb verhüllten Freundes seyn, ein Droh- oder ein Warnsignal, immer wird es auffordern, sich selbst zu prüfen und wach zu bleiben. Die Prüfung wird nicht auf sich warten lassen. **) Greverus, Reiselust etc. S. 208.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0009" n="1313"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die deutschen Publicisten und die</hi> „<hi rendition="#g">europäische Pentarchie</hi>.“</hi> <note place="foot" n="*)">Die Allgemeine Zeitung hat früher eine Reihe von Angriffsartikeln gegen die genannte Schrift gebracht. Ein Gegenwort dürfen wir also nicht ausschließen. Zwar darf die Unparteilichkeit eines deutschen Blattes nicht so weit gehen, daß es sich auch zu Schutzreden eines <hi rendition="#g">fremden Protectorats</hi> hergäbe – jeder bessere Deutsche, welcher politischen Meinung er auch angehöre, wird jeden Gedanken daran mit Unwillen von sich weisen. Aber kein Denkender in Deutschland wird es verschmähen, selbst neben seinen entschiedensten Lieblingsbildern das Gegenbild zu betrachten, das mit strengen, grellen Umrissen eine andere Weltanschauung uns vorüberführt. Mag es der Stachel des Feindes, oder der Sporn des halb verhüllten Freundes seyn, ein Droh- oder ein Warnsignal, immer wird es auffordern, sich selbst zu prüfen und wach zu bleiben. Die Prüfung wird nicht auf sich warten lassen.</note> </head><lb/> <p>Ein Jahr ist noch kaum verflossen, seitdem uns die Leipziger Buchhändlermesse die europäische Pentarchie gebracht. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug diese Schrift inmitten allgemeiner Sicherheit und fröhlichen Gewühles in die deutschen Gauen herein, und verkündete, mit einer neuen politischen Ordnung Europa's, Dringlichkeit und Bedarf nähern Aneinanderschließens der germanischen Mittelstaaten – unter <hi rendition="#g">slavischer</hi> Protection – zu Wahrung und Schirm gegen Gefahren, die bei uns Niemand kennt. – Unruhige Bewegung der Geister, Federkampf und Sorge, durch Aufzählung aller Bürgschaften deutscher Autonomie, Kraft und Wehrhaftigkeit, verzagte Seelen zu ermuthigen, war eine natürliche Wirkung des litterarischen Meteors. Aller Reichthum an patriotischem Geschoß, an Genie, Witz und Kriegstalent wurde in allgemeiner Revue deutscher Nation ausgelegt; nichts entging dem prüfenden Auge, dem geübten, kundigen Sinn der Publicisten. Subsidiarisch wirkten als furchtstillendes Mittel nicht unbedeutend sogar Semilasso's neueste Artikel über die Nilfahrt, und Greverus' Reisebericht aus Griechenland, die um dieselbe Zeit erschienen. Semilasso, wie er uns erzählt, hat ja selbst den Krokodilen getrotzt, und Greverus wohl gar die Hellenen erschreckt. Was hätten wir, hieß es, in Deutschland von den Russen zu fürchten, wenn deutsche Edelleute, ohne Waffen, bloß durch ihr <hi rendition="#g">amönes</hi> Wesen und ihre Epigramme die Ungethüme Libyens verscheuchen, und ein deutscher Gelehrter schon durch „seine grimmigen Gebärden“ <hi rendition="#g">vier</hi> bewaffnete Hellenen lähmt? <note place="foot" n="**)"><p>Greverus, Reiselust etc. S. 208.</p></note> Sind etwa die Moskowiten grausamer und boshafter als Semilasso's fünfundzwanzig Fuß lange Krokodile oder tapferer und geistvoller als die Hellenen des Hrn. Greverus?</p><lb/> <p>Ueberdieß hat man in den Beilagen der Allgemeinen Zeitung (November 1839) mit Bündigkeit nachgewiesen, daß die Lehre der europäischen Pentarchie „<hi rendition="#g">ein</hi> publicistisch-politischer Irrthum sey, arg, graß, handgreiflich;“ ja, daß es in Europa gar keine Pentarchie gebe, und folglich auch für Deutschland nichts von ihr zu besorgen sey. Andere zeigten mit Schärfe und aphoristischer Präcision, daß die Pentarchie wenigstens keine stätige, bleibende Größe sey und seyn könne, daß sie nur durch die Propaganda der Revolution zusammenhänge und augenblicklich zerfiele, wenn erstere erloschen wäre. Die Revolution sey aber auf dem Punkt zu sterben unter den Streichen der Industrie und der Handelsmacht, deren Interessen durchweg conservativer Natur, und aller Umwälzung von Anbeginn entgegen seyen. Die deutschen Mittelstaaten, wenn auch von Preußen und Oesterreich aufgegeben, brauchten doch keinen Protector; der <hi rendition="#g">Mauth</hi>- und <hi rendition="#g">Zollverein</hi> sey jetzt deutscher Imperator, der, reich an Feldherrntalent und stark an Kriegerzahl, sich selbst schütze; denn Deutschlands Mittelstaaten seyen anerkannterweise der lebenskräftigste Theil der europäischen Völker. – Eine Stimme ging im patriotischen Zorn noch weiter, und sagte den Moskowiten gerade ins Gesicht, sie sollen es sich vergehen lassen, Cimbern und Cherusker zu reizen, sollen ruhig leben hinter ihren litthauischen Sümpfen und Nadelwäldern bei Grütze, Quaß und Birkensaft, sollen zuerst Chiwa und die Karakalpaken bändigen und überhaupt dem Genius der Zeiten danken, daß <hi rendition="#g">wir</hi> uns nicht selbst erheben und – hingerissen vom furor teutonicus – Sebastopol und Kronstadt zertrümmern.</p><lb/> <p>Alles das hat aber den tiefen Eindruck der Schrift nicht ausgelöscht. Es blieb ein Stachel in den Gemüthern zurück, von dem uns noch kein publicistisches Heilmittel befreien konnte. – Es muß etwas im Buche verborgen seyn, was der gesunde Sinn des Volks bemerkt, die Gelehrten aber noch nicht gesehen haben. Wäre es daher nicht erlaubt, noch einen letzten Blick auf diese Erscheinung zu werfen?</p><lb/> <p>Daß es hier Deutschland gelte, obgleich der Pentarchist ganz Europa in das Spiel zieht und so zu sagen als Folie unterlegt, merkte freilich Jedermann. Für eben das sieht man es auch im Ausland an. Die englische und französische Presse schweigt von dieser Schrift, wie von einer Sache, die sie nicht berührt. Es ist ein Hochzeitmahl, zu dem nur wir Germanen geladen sind. Eben so herrscht über Tüchtigkeit des Verfassers, über Styl und Kern des Buches unter allen Parteien nur Eine Meinung. „An Männern, deren Persönlichkeit einen solchen Reichthum an Ideen, eine solche Tiefe des Urtheils, eine solche Beherrschung der Einzelnheiten in sich trüge,“ meint Giehne, „habe Deutschland keinen Ueberfluß.“ Und doch redet man uns zu gleicher Zeit von eitelm Phantasiestück, von diplomatischem Spielwerk und unreifem Product, und überläßt sich dem Wahn, die Pentarchie sey wurzellos und müsse, trotz scheinbarer Lebensfülle, aus Mangel gesunden Nahrungssaftes ohne Frucht auf eigenem Stängel verdorren.</p><lb/> <p>Die Pentarchie – mit gutem Frieden unserer ehrsamen Landsleute sey es gesagt – ist ein gesundes, lebenskräftig organisirtes Gebilde, ist aus dem eigenen, tiefen, reichgedüngten Fettboden der neuesten Zeit- und Weltläufte in jugendlicher Frische heraufgestiegen zum Wahrzeichen für die, welche die Zeit nicht kennen. Gestehe man es nur offen, das Buch hat Deutschland mit Recht erschreckt. Es ist wie die unheimliche Erscheinung bei Belsazars Gastmahl. Der Griffel geht tief, die Zeichen sind scharf, der Sinn ist klar.</p><lb/> <p>Sind wir schon so krank, und sind unsere Zustände so verzweifelt, daß man uns von letzter Medicin, von Testament und Codicill im eigenen Hause zu sprechen wagt? Wäre dieß wirklich unsere Lage, so könnten Streiche in die Luft und cheruskische Rodomontaden die Katastrophe Deutschlands eben so wenig abwehren als das ewige Mahnen an Granson und Murten die hinsterbenden Republiken Helvetiens wieder zur alten Kraft und Bedeutung zurückführen.</p><lb/> <p>Jedermann redet von den Gebrechen der moskowitischen Staatsmaschine; hat aber auch einer den Kern des Werkes selbst herausgeschält und seinen Gehalt im Geiste des Jahrhunderts geprüft? – Was ist „die europäische Pentarchie?“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [1313/0009]
Die deutschen Publicisten und die „europäische Pentarchie.“ *)
Ein Jahr ist noch kaum verflossen, seitdem uns die Leipziger Buchhändlermesse die europäische Pentarchie gebracht. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug diese Schrift inmitten allgemeiner Sicherheit und fröhlichen Gewühles in die deutschen Gauen herein, und verkündete, mit einer neuen politischen Ordnung Europa's, Dringlichkeit und Bedarf nähern Aneinanderschließens der germanischen Mittelstaaten – unter slavischer Protection – zu Wahrung und Schirm gegen Gefahren, die bei uns Niemand kennt. – Unruhige Bewegung der Geister, Federkampf und Sorge, durch Aufzählung aller Bürgschaften deutscher Autonomie, Kraft und Wehrhaftigkeit, verzagte Seelen zu ermuthigen, war eine natürliche Wirkung des litterarischen Meteors. Aller Reichthum an patriotischem Geschoß, an Genie, Witz und Kriegstalent wurde in allgemeiner Revue deutscher Nation ausgelegt; nichts entging dem prüfenden Auge, dem geübten, kundigen Sinn der Publicisten. Subsidiarisch wirkten als furchtstillendes Mittel nicht unbedeutend sogar Semilasso's neueste Artikel über die Nilfahrt, und Greverus' Reisebericht aus Griechenland, die um dieselbe Zeit erschienen. Semilasso, wie er uns erzählt, hat ja selbst den Krokodilen getrotzt, und Greverus wohl gar die Hellenen erschreckt. Was hätten wir, hieß es, in Deutschland von den Russen zu fürchten, wenn deutsche Edelleute, ohne Waffen, bloß durch ihr amönes Wesen und ihre Epigramme die Ungethüme Libyens verscheuchen, und ein deutscher Gelehrter schon durch „seine grimmigen Gebärden“ vier bewaffnete Hellenen lähmt? **) Sind etwa die Moskowiten grausamer und boshafter als Semilasso's fünfundzwanzig Fuß lange Krokodile oder tapferer und geistvoller als die Hellenen des Hrn. Greverus?
Ueberdieß hat man in den Beilagen der Allgemeinen Zeitung (November 1839) mit Bündigkeit nachgewiesen, daß die Lehre der europäischen Pentarchie „ein publicistisch-politischer Irrthum sey, arg, graß, handgreiflich;“ ja, daß es in Europa gar keine Pentarchie gebe, und folglich auch für Deutschland nichts von ihr zu besorgen sey. Andere zeigten mit Schärfe und aphoristischer Präcision, daß die Pentarchie wenigstens keine stätige, bleibende Größe sey und seyn könne, daß sie nur durch die Propaganda der Revolution zusammenhänge und augenblicklich zerfiele, wenn erstere erloschen wäre. Die Revolution sey aber auf dem Punkt zu sterben unter den Streichen der Industrie und der Handelsmacht, deren Interessen durchweg conservativer Natur, und aller Umwälzung von Anbeginn entgegen seyen. Die deutschen Mittelstaaten, wenn auch von Preußen und Oesterreich aufgegeben, brauchten doch keinen Protector; der Mauth- und Zollverein sey jetzt deutscher Imperator, der, reich an Feldherrntalent und stark an Kriegerzahl, sich selbst schütze; denn Deutschlands Mittelstaaten seyen anerkannterweise der lebenskräftigste Theil der europäischen Völker. – Eine Stimme ging im patriotischen Zorn noch weiter, und sagte den Moskowiten gerade ins Gesicht, sie sollen es sich vergehen lassen, Cimbern und Cherusker zu reizen, sollen ruhig leben hinter ihren litthauischen Sümpfen und Nadelwäldern bei Grütze, Quaß und Birkensaft, sollen zuerst Chiwa und die Karakalpaken bändigen und überhaupt dem Genius der Zeiten danken, daß wir uns nicht selbst erheben und – hingerissen vom furor teutonicus – Sebastopol und Kronstadt zertrümmern.
Alles das hat aber den tiefen Eindruck der Schrift nicht ausgelöscht. Es blieb ein Stachel in den Gemüthern zurück, von dem uns noch kein publicistisches Heilmittel befreien konnte. – Es muß etwas im Buche verborgen seyn, was der gesunde Sinn des Volks bemerkt, die Gelehrten aber noch nicht gesehen haben. Wäre es daher nicht erlaubt, noch einen letzten Blick auf diese Erscheinung zu werfen?
Daß es hier Deutschland gelte, obgleich der Pentarchist ganz Europa in das Spiel zieht und so zu sagen als Folie unterlegt, merkte freilich Jedermann. Für eben das sieht man es auch im Ausland an. Die englische und französische Presse schweigt von dieser Schrift, wie von einer Sache, die sie nicht berührt. Es ist ein Hochzeitmahl, zu dem nur wir Germanen geladen sind. Eben so herrscht über Tüchtigkeit des Verfassers, über Styl und Kern des Buches unter allen Parteien nur Eine Meinung. „An Männern, deren Persönlichkeit einen solchen Reichthum an Ideen, eine solche Tiefe des Urtheils, eine solche Beherrschung der Einzelnheiten in sich trüge,“ meint Giehne, „habe Deutschland keinen Ueberfluß.“ Und doch redet man uns zu gleicher Zeit von eitelm Phantasiestück, von diplomatischem Spielwerk und unreifem Product, und überläßt sich dem Wahn, die Pentarchie sey wurzellos und müsse, trotz scheinbarer Lebensfülle, aus Mangel gesunden Nahrungssaftes ohne Frucht auf eigenem Stängel verdorren.
Die Pentarchie – mit gutem Frieden unserer ehrsamen Landsleute sey es gesagt – ist ein gesundes, lebenskräftig organisirtes Gebilde, ist aus dem eigenen, tiefen, reichgedüngten Fettboden der neuesten Zeit- und Weltläufte in jugendlicher Frische heraufgestiegen zum Wahrzeichen für die, welche die Zeit nicht kennen. Gestehe man es nur offen, das Buch hat Deutschland mit Recht erschreckt. Es ist wie die unheimliche Erscheinung bei Belsazars Gastmahl. Der Griffel geht tief, die Zeichen sind scharf, der Sinn ist klar.
Sind wir schon so krank, und sind unsere Zustände so verzweifelt, daß man uns von letzter Medicin, von Testament und Codicill im eigenen Hause zu sprechen wagt? Wäre dieß wirklich unsere Lage, so könnten Streiche in die Luft und cheruskische Rodomontaden die Katastrophe Deutschlands eben so wenig abwehren als das ewige Mahnen an Granson und Murten die hinsterbenden Republiken Helvetiens wieder zur alten Kraft und Bedeutung zurückführen.
Jedermann redet von den Gebrechen der moskowitischen Staatsmaschine; hat aber auch einer den Kern des Werkes selbst herausgeschält und seinen Gehalt im Geiste des Jahrhunderts geprüft? – Was ist „die europäische Pentarchie?“
*) Die Allgemeine Zeitung hat früher eine Reihe von Angriffsartikeln gegen die genannte Schrift gebracht. Ein Gegenwort dürfen wir also nicht ausschließen. Zwar darf die Unparteilichkeit eines deutschen Blattes nicht so weit gehen, daß es sich auch zu Schutzreden eines fremden Protectorats hergäbe – jeder bessere Deutsche, welcher politischen Meinung er auch angehöre, wird jeden Gedanken daran mit Unwillen von sich weisen. Aber kein Denkender in Deutschland wird es verschmähen, selbst neben seinen entschiedensten Lieblingsbildern das Gegenbild zu betrachten, das mit strengen, grellen Umrissen eine andere Weltanschauung uns vorüberführt. Mag es der Stachel des Feindes, oder der Sporn des halb verhüllten Freundes seyn, ein Droh- oder ein Warnsignal, immer wird es auffordern, sich selbst zu prüfen und wach zu bleiben. Die Prüfung wird nicht auf sich warten lassen.
**) Greverus, Reiselust etc. S. 208.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |