Allgemeine Zeitung. Nr. 168. Augsburg, 16. Juni 1840.Eine Wanderung durch Paris. Paris, 1 Jun. Paris putzt sich wie eine Cokette. Es hat sich der guten alten Stadt ich weiß nicht welche Weißelwuth bemächtigt, die alle geschichtliche Ehrwürdigkeit und das finstere Ansehen der Monumente in ein blankes, fades Sonntagsgewand von gestern zu verkleiden droht. Wir hatten schon die Madeleine mit ihrem griechischen Schnitzwerk in weißem Sandstein und ihrem weißen Giebel; man tröstete sich bei ihrem Anblick, der die Augen bei hellem Sonnenschein empfindlich verletzt, mit dem Gedanken, daß, was heute erst entstanden, die Farbe und das Gepräge des Alten nicht tragen kann. Mit der nämlichen Idee werden wir uns wohl beruhigen müssen, wenn man den alten Theil des Hotel de Ville, der in achtbarer Gräulichkeit dasteht, dem neuen von weißem Stein zulieb, auffrischt und verjüngt. Jetzt, wo der alte Theil neben dem neuen durch seine verschiedene Farbe hervortritt, begreift man, warum man einem Gebäude vom 19ten Jahrhundert den Styl und alle Spielereien der Verzierungen aus den Zeiten der Renaissance gegeben hat: der alte Theil war da, man mußte sich ihm anschließen, und es wäre eine Lästerung gewesen, ein Denkmal niederzureißen, das in der Geschichte der Pariser Municipalität und des ganzen Landes seit Jahrhunderten eine so merkwürdige Rolle spielt. Komisch indessen werden sich Heinrich IV über dem Eingang und all die berühmten Aedilen der Stadt in ihren Mauernischen ausnehmen, wenn man sie bis zum kreidigen Neuglanz abgerieben hat. Aber man begnügt sich nicht, diese Modefarbe an der Madeleine und dem Hotel de Ville zu haben: der Madeleine gegenüber, jenseits des Pont de la Revolution, erhebt sich der Palast der Deputirten mit seiner einfachen, antiken Facade und in einer dunkelgrauen Hülle, die ihm Charakter und monumentale Schönheit verleiht. In wenigen Wochen wird dieser alte Anstrich verschwunden seyn vor einer gleißenden, blendenden Sandfarbe, die das Palais Bourbon zum würdigen Seitenbilde der Madeleine stempelt. Geschieht das nur der Symmetrie willen? Dieses Kunstbedenken schiene uns vortrefflich angebracht an einem Orte, wo die Zeugnisse aller Länder der Erde und die Baustyle aller Jahrhunderte sich durchkreuzen, wo die Tuilerien von Katharina von Medicis dem Triumphbogen des Kaiserthums und des Jahres 1836 gegenüberstehen, das Hotel Crillon und das Seeministerium aus der Epoche Ludwigs XV an die neue Rivolistraße angelehnt ist, Lenotre's Grabenverzierungen des Revolutionsplatzes fortbestehen, neben den Rostralsäulen der Gasbeleuchtung und den kolossalen Städtebildern der neuesten Tage, und Deputirtenpalast und Madeleine, Triumphbogen und Tuilerien auf einem gemeinsamen Mittelpunkt, dem Obelisken sich begegnen, der einer längst verschwundenen, geheimnißvollen Zeit und Geschichte von über 3000 Jahren angehört. Das ist nicht Alles! Der Colonnade des Louvre gegenüber, am Eingange der Straße des Fosse St. Germain l'Auxerrois, liegt ein Eckhaus, dessen Erdgeschoß zur Weinschenke dient. Bis vor wenigen Monaten zeigte der Pariser Cicerone den neugierigen Fremden die schmale Giebelfacade dieses Hauses, die, um die Thüre der Schenke herum, wie mit Flintenkugeln besäet war. Es waren Spuren der Musketenschüsse, welche die Schweizergarde im Julius 1830 auf dieses Eck gerichtet, weil sich von da ein kecker Schütze aus dem Volk herangeschlichen und ihnen großen Schaden beigebracht hatte. Als die dicke Hand des Weinverkäufers diese Facade verschönerungshalber mit einem dicken Anstrich von Dunkelgrün bedeckte, vor dem die letzte Ahnung jener geschichtlichen Erinnerung spurlos verschwand, tröstete ich mich mit der Vorderseite des Instituts (Akademiegebäude), das bekanntlich jenseits des Pont des Arts, dem südlichen Eingange des Louvre gerade gegenüber, steht. Die Vertheidigung des alten Königshauses gegen das über den Pont des Arts anstürmende Volk vom linken Seineufer war sehr lebhaft, und die Kartätschen hatten die Facade des Instituts mit weißen Punkten besprenkelt, die auf dem schwärzlichen Grunde grell hervorstachen. In diesen Narben des Hauses der höchsten Wissenschaft und Geistesblüthe, an denen allmählich die Verwitterung zu nagen anfing, lag etwas Ehrwürdiges und Poetisches, das den Wanderer an diesem schönen Stadttheile mit ernsten Betrachtungen erfüllte; ist doch nahe dabei der Balcon jenes Fensters, von welchem aus ein König von Frankreich, Karl IX, auf sein eigenes, fliehendes Volk wie ein tückischer Meuchelmörder schoß. Nun, auch die Facade des Instituts wird so eben geputzt und geschniegelt, und in wenigen Wochen mag der Cardinal Mazarin wiedererstehen und seinen Palast bewohnen; er wird ihm neu und kostbar frisch übergeben werden, wie er in den ersten Tagen seiner Erbauung war. Nichts natürlicher, als daß die Stadt ihre ungesunden Quartiere erweitere und ihren Straßen Luft und Helle gebe, selbst da, wo es auf Kosten irgend eines geschichtlichen Denkmals geschehen muß. Aber wo diese Gründe nicht vorliegen, scheint uns die moderne Uebertünchung solcher Monumente eine Sünde gegen den Geschmack, und ein Verbrechen, wo sie mit entheiligender Hand an die Trophäen des Volksmuthes rührt, der ohnehin kein anderes Geschichtsbuch hat, als das er selbst mit riesiger Faust in Stein und Erz einschreibt. Nächstens also wird von dem Kampfe zwischen Karl X und seinem Volk kaum mehr ein anderes Zeichen übrig seyn, als der hölzerne, rothangestrichene Hut, der, an der Ecke der Rue Rohan, einem Hutmacher zum Aushängeschild dient, und der von Flintenkugeln des Volks durchlöchert ist! Ich irre mich. Hat man nicht eben die "Freiheit" in goldenem Gewand über hundert Fuß hoch auf dem Bastilleplatz aufgestellt? Die Freiheit von Gold mehr als hundert Fuß über der Erde - das also soll den kommenden Geschlechtern den Kampf von 1830 und seine Früchte versinnlichen! Es gab einst ein Volk im griechischen Alterthum, das sich zum Gespötte der Pariser am Piräeus machte, weil es eine kostbare Bildsäule nach langer Berathung auf ein himmelhohes Gestell brachte, wo Niemand derselben genießen noch sich erfreuen konnte. Wenn die Bewohner von Abdera heute zu dem geistreichsten der Völker, an der Seine, kämen, möchten sie ihm eine Frage stellen, an welcher sich das moderne attische Salz erproben könnte: "Ihr waret also in gewaltiger Verlegenheit, was ihr mit der lang ersehnten und theuer erkämpften Freiheit beginnen, welchen Platz ihr derselben anweisen solltet? Ohne Zweifel habt ihr deren Bild von Gold gemacht und auf unerreichbare Höhe gestellt, damit jeder beständig daran denke, daß die Freiheit dem Menschen nur ein fernes Traumbild und viel zu theuer und zu kostbar sey, als daß man ihm eine nahe Berührung mit derselben gestatten könne!" Beim Anblick dieser schlanken, flinken Gestalt, die Fuß und Hände wie zum Flug ausstreckt, fragte Jemand: En quittant la France, Dame Liberte, ou s'envolera-t-elle? Eine Wanderung durch Paris. Paris, 1 Jun. Paris putzt sich wie eine Cokette. Es hat sich der guten alten Stadt ich weiß nicht welche Weißelwuth bemächtigt, die alle geschichtliche Ehrwürdigkeit und das finstere Ansehen der Monumente in ein blankes, fades Sonntagsgewand von gestern zu verkleiden droht. Wir hatten schon die Madeleine mit ihrem griechischen Schnitzwerk in weißem Sandstein und ihrem weißen Giebel; man tröstete sich bei ihrem Anblick, der die Augen bei hellem Sonnenschein empfindlich verletzt, mit dem Gedanken, daß, was heute erst entstanden, die Farbe und das Gepräge des Alten nicht tragen kann. Mit der nämlichen Idee werden wir uns wohl beruhigen müssen, wenn man den alten Theil des Hotel de Ville, der in achtbarer Gräulichkeit dasteht, dem neuen von weißem Stein zulieb, auffrischt und verjüngt. Jetzt, wo der alte Theil neben dem neuen durch seine verschiedene Farbe hervortritt, begreift man, warum man einem Gebäude vom 19ten Jahrhundert den Styl und alle Spielereien der Verzierungen aus den Zeiten der Renaissance gegeben hat: der alte Theil war da, man mußte sich ihm anschließen, und es wäre eine Lästerung gewesen, ein Denkmal niederzureißen, das in der Geschichte der Pariser Municipalität und des ganzen Landes seit Jahrhunderten eine so merkwürdige Rolle spielt. Komisch indessen werden sich Heinrich IV über dem Eingang und all die berühmten Aedilen der Stadt in ihren Mauernischen ausnehmen, wenn man sie bis zum kreidigen Neuglanz abgerieben hat. Aber man begnügt sich nicht, diese Modefarbe an der Madeleine und dem Hotel de Ville zu haben: der Madeleine gegenüber, jenseits des Pont de la Révolution, erhebt sich der Palast der Deputirten mit seiner einfachen, antiken Façade und in einer dunkelgrauen Hülle, die ihm Charakter und monumentale Schönheit verleiht. In wenigen Wochen wird dieser alte Anstrich verschwunden seyn vor einer gleißenden, blendenden Sandfarbe, die das Palais Bourbon zum würdigen Seitenbilde der Madeleine stempelt. Geschieht das nur der Symmetrie willen? Dieses Kunstbedenken schiene uns vortrefflich angebracht an einem Orte, wo die Zeugnisse aller Länder der Erde und die Baustyle aller Jahrhunderte sich durchkreuzen, wo die Tuilerien von Katharina von Medicis dem Triumphbogen des Kaiserthums und des Jahres 1836 gegenüberstehen, das Hotel Crillon und das Seeministerium aus der Epoche Ludwigs XV an die neue Rivolistraße angelehnt ist, Lenotre's Grabenverzierungen des Revolutionsplatzes fortbestehen, neben den Rostralsäulen der Gasbeleuchtung und den kolossalen Städtebildern der neuesten Tage, und Deputirtenpalast und Madeleine, Triumphbogen und Tuilerien auf einem gemeinsamen Mittelpunkt, dem Obelisken sich begegnen, der einer längst verschwundenen, geheimnißvollen Zeit und Geschichte von über 3000 Jahren angehört. Das ist nicht Alles! Der Colonnade des Louvre gegenüber, am Eingange der Straße des Fossé St. Germain l'Auxerrois, liegt ein Eckhaus, dessen Erdgeschoß zur Weinschenke dient. Bis vor wenigen Monaten zeigte der Pariser Cicerone den neugierigen Fremden die schmale Giebelfaçade dieses Hauses, die, um die Thüre der Schenke herum, wie mit Flintenkugeln besäet war. Es waren Spuren der Musketenschüsse, welche die Schweizergarde im Julius 1830 auf dieses Eck gerichtet, weil sich von da ein kecker Schütze aus dem Volk herangeschlichen und ihnen großen Schaden beigebracht hatte. Als die dicke Hand des Weinverkäufers diese Façade verschönerungshalber mit einem dicken Anstrich von Dunkelgrün bedeckte, vor dem die letzte Ahnung jener geschichtlichen Erinnerung spurlos verschwand, tröstete ich mich mit der Vorderseite des Instituts (Akademiegebäude), das bekanntlich jenseits des Pont des Arts, dem südlichen Eingange des Louvre gerade gegenüber, steht. Die Vertheidigung des alten Königshauses gegen das über den Pont des Arts anstürmende Volk vom linken Seineufer war sehr lebhaft, und die Kartätschen hatten die Façade des Instituts mit weißen Punkten besprenkelt, die auf dem schwärzlichen Grunde grell hervorstachen. In diesen Narben des Hauses der höchsten Wissenschaft und Geistesblüthe, an denen allmählich die Verwitterung zu nagen anfing, lag etwas Ehrwürdiges und Poetisches, das den Wanderer an diesem schönen Stadttheile mit ernsten Betrachtungen erfüllte; ist doch nahe dabei der Balcon jenes Fensters, von welchem aus ein König von Frankreich, Karl IX, auf sein eigenes, fliehendes Volk wie ein tückischer Meuchelmörder schoß. Nun, auch die Façade des Instituts wird so eben geputzt und geschniegelt, und in wenigen Wochen mag der Cardinal Mazarin wiedererstehen und seinen Palast bewohnen; er wird ihm neu und kostbar frisch übergeben werden, wie er in den ersten Tagen seiner Erbauung war. Nichts natürlicher, als daß die Stadt ihre ungesunden Quartiere erweitere und ihren Straßen Luft und Helle gebe, selbst da, wo es auf Kosten irgend eines geschichtlichen Denkmals geschehen muß. Aber wo diese Gründe nicht vorliegen, scheint uns die moderne Uebertünchung solcher Monumente eine Sünde gegen den Geschmack, und ein Verbrechen, wo sie mit entheiligender Hand an die Trophäen des Volksmuthes rührt, der ohnehin kein anderes Geschichtsbuch hat, als das er selbst mit riesiger Faust in Stein und Erz einschreibt. Nächstens also wird von dem Kampfe zwischen Karl X und seinem Volk kaum mehr ein anderes Zeichen übrig seyn, als der hölzerne, rothangestrichene Hut, der, an der Ecke der Rue Rohan, einem Hutmacher zum Aushängeschild dient, und der von Flintenkugeln des Volks durchlöchert ist! Ich irre mich. Hat man nicht eben die „Freiheit“ in goldenem Gewand über hundert Fuß hoch auf dem Bastilleplatz aufgestellt? Die Freiheit von Gold mehr als hundert Fuß über der Erde – das also soll den kommenden Geschlechtern den Kampf von 1830 und seine Früchte versinnlichen! Es gab einst ein Volk im griechischen Alterthum, das sich zum Gespötte der Pariser am Piräeus machte, weil es eine kostbare Bildsäule nach langer Berathung auf ein himmelhohes Gestell brachte, wo Niemand derselben genießen noch sich erfreuen konnte. Wenn die Bewohner von Abdera heute zu dem geistreichsten der Völker, an der Seine, kämen, möchten sie ihm eine Frage stellen, an welcher sich das moderne attische Salz erproben könnte: „Ihr waret also in gewaltiger Verlegenheit, was ihr mit der lang ersehnten und theuer erkämpften Freiheit beginnen, welchen Platz ihr derselben anweisen solltet? Ohne Zweifel habt ihr deren Bild von Gold gemacht und auf unerreichbare Höhe gestellt, damit jeder beständig daran denke, daß die Freiheit dem Menschen nur ein fernes Traumbild und viel zu theuer und zu kostbar sey, als daß man ihm eine nahe Berührung mit derselben gestatten könne!“ Beim Anblick dieser schlanken, flinken Gestalt, die Fuß und Hände wie zum Flug ausstreckt, fragte Jemand: En quittant la France, Dame Liberté, où s'envolera-t-elle? <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0009" n="1337"/> </div> </div> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Eine Wanderung durch Paris</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 1 Jun.</dateline> <p> Paris putzt sich wie eine Cokette. Es hat sich der guten alten Stadt ich weiß nicht welche Weißelwuth bemächtigt, die alle geschichtliche Ehrwürdigkeit und das finstere Ansehen der Monumente in ein blankes, fades Sonntagsgewand von gestern zu verkleiden droht. Wir hatten schon die Madeleine mit ihrem griechischen Schnitzwerk in weißem Sandstein und ihrem weißen Giebel; man tröstete sich bei ihrem Anblick, der die Augen bei hellem Sonnenschein empfindlich verletzt, mit dem Gedanken, daß, was heute erst entstanden, die Farbe und das Gepräge des Alten nicht tragen kann. Mit der nämlichen Idee werden wir uns wohl beruhigen müssen, wenn man den alten Theil des Hotel de Ville, der in achtbarer Gräulichkeit dasteht, dem neuen von weißem Stein zulieb, auffrischt und verjüngt. Jetzt, wo der alte Theil neben dem neuen durch seine verschiedene Farbe hervortritt, begreift man, warum man einem Gebäude vom 19ten Jahrhundert den Styl und alle Spielereien der Verzierungen aus den Zeiten der Renaissance gegeben hat: der alte Theil war da, man mußte sich ihm anschließen, und es wäre eine Lästerung gewesen, ein Denkmal niederzureißen, das in der Geschichte der Pariser Municipalität und des ganzen Landes seit Jahrhunderten eine so merkwürdige Rolle spielt. Komisch indessen werden sich Heinrich IV über dem Eingang und all die berühmten Aedilen der Stadt in ihren Mauernischen ausnehmen, wenn man sie bis zum kreidigen Neuglanz abgerieben hat. Aber man begnügt sich nicht, diese Modefarbe an der Madeleine und dem Hotel de Ville zu haben: der Madeleine gegenüber, jenseits des Pont de la Révolution, erhebt sich der Palast der Deputirten mit seiner einfachen, antiken Façade und in einer dunkelgrauen Hülle, die ihm Charakter und monumentale Schönheit verleiht. In wenigen Wochen wird dieser alte Anstrich verschwunden seyn vor einer gleißenden, blendenden Sandfarbe, die das Palais Bourbon zum würdigen Seitenbilde der Madeleine stempelt. Geschieht das nur der Symmetrie willen? Dieses Kunstbedenken schiene uns vortrefflich angebracht an einem Orte, wo die Zeugnisse aller Länder der Erde und die Baustyle aller Jahrhunderte sich durchkreuzen, wo die Tuilerien von Katharina von Medicis dem Triumphbogen des Kaiserthums und des Jahres 1836 gegenüberstehen, das Hotel Crillon und das Seeministerium aus der Epoche Ludwigs XV an die neue Rivolistraße angelehnt ist, Lenotre's Grabenverzierungen des Revolutionsplatzes fortbestehen, neben den Rostralsäulen der Gasbeleuchtung und den kolossalen Städtebildern der neuesten Tage, und Deputirtenpalast und Madeleine, Triumphbogen und Tuilerien auf einem gemeinsamen Mittelpunkt, dem Obelisken sich begegnen, der einer längst verschwundenen, geheimnißvollen Zeit und Geschichte von über 3000 Jahren angehört. Das ist nicht Alles! Der Colonnade des Louvre gegenüber, am Eingange der Straße des Fossé St. Germain l'Auxerrois, liegt ein Eckhaus, dessen Erdgeschoß zur Weinschenke dient. Bis vor wenigen Monaten zeigte der Pariser Cicerone den neugierigen Fremden die schmale Giebelfaçade dieses Hauses, die, um die Thüre der Schenke herum, wie mit Flintenkugeln besäet war. Es waren Spuren der Musketenschüsse, welche die Schweizergarde im Julius 1830 auf dieses Eck gerichtet, weil sich von da ein kecker Schütze aus dem Volk herangeschlichen und ihnen großen Schaden beigebracht hatte. Als die dicke Hand des Weinverkäufers diese Façade verschönerungshalber mit einem dicken Anstrich von Dunkelgrün bedeckte, vor dem die letzte Ahnung jener geschichtlichen Erinnerung spurlos verschwand, tröstete ich mich mit der Vorderseite des Instituts (Akademiegebäude), das bekanntlich jenseits des Pont des Arts, dem südlichen Eingange des Louvre gerade gegenüber, steht. Die Vertheidigung des alten Königshauses gegen das über den Pont des Arts anstürmende Volk vom linken Seineufer war sehr lebhaft, und die Kartätschen hatten die Façade des Instituts mit weißen Punkten besprenkelt, die auf dem schwärzlichen Grunde grell hervorstachen. In diesen Narben des Hauses der höchsten Wissenschaft und Geistesblüthe, an denen allmählich die Verwitterung zu nagen anfing, lag etwas Ehrwürdiges und Poetisches, das den Wanderer an diesem schönen Stadttheile mit ernsten Betrachtungen erfüllte; ist doch nahe dabei der Balcon jenes Fensters, von welchem aus ein König von Frankreich, Karl IX, auf sein eigenes, fliehendes Volk wie ein tückischer Meuchelmörder schoß. Nun, auch die Façade des Instituts wird so eben geputzt und geschniegelt, und in wenigen Wochen mag der Cardinal Mazarin wiedererstehen und seinen Palast bewohnen; er wird ihm neu und kostbar frisch übergeben werden, wie er in den ersten Tagen seiner Erbauung war. Nichts natürlicher, als daß die Stadt ihre ungesunden Quartiere erweitere und ihren Straßen Luft und Helle gebe, selbst da, wo es auf Kosten irgend eines geschichtlichen Denkmals geschehen muß. Aber wo diese Gründe nicht vorliegen, scheint uns die moderne Uebertünchung solcher Monumente eine Sünde gegen den Geschmack, und ein Verbrechen, wo sie mit entheiligender Hand an die Trophäen des Volksmuthes rührt, der ohnehin kein anderes Geschichtsbuch hat, als das er selbst mit riesiger Faust in Stein und Erz einschreibt. Nächstens also wird von dem Kampfe zwischen Karl X und seinem Volk kaum mehr ein anderes Zeichen übrig seyn, als der hölzerne, rothangestrichene Hut, der, an der Ecke der Rue Rohan, einem Hutmacher zum Aushängeschild dient, und der von Flintenkugeln des Volks durchlöchert ist! Ich irre mich. Hat man nicht eben die „<hi rendition="#g">Freiheit</hi>“ in goldenem Gewand über hundert Fuß hoch auf dem Bastilleplatz aufgestellt? 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Ohne Zweifel habt ihr deren Bild von Gold gemacht und auf unerreichbare Höhe gestellt, damit jeder beständig daran denke, daß die Freiheit dem Menschen nur ein fernes Traumbild und viel zu theuer und zu kostbar sey, als daß man ihm eine nahe Berührung mit derselben gestatten könne!“ Beim Anblick dieser schlanken, flinken Gestalt, die Fuß und Hände wie zum Flug ausstreckt, fragte Jemand: En quittant la France, Dame Liberté, où s'envolera-t-elle?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1337/0009]
Eine Wanderung durch Paris.
_ Paris, 1 Jun. Paris putzt sich wie eine Cokette. Es hat sich der guten alten Stadt ich weiß nicht welche Weißelwuth bemächtigt, die alle geschichtliche Ehrwürdigkeit und das finstere Ansehen der Monumente in ein blankes, fades Sonntagsgewand von gestern zu verkleiden droht. Wir hatten schon die Madeleine mit ihrem griechischen Schnitzwerk in weißem Sandstein und ihrem weißen Giebel; man tröstete sich bei ihrem Anblick, der die Augen bei hellem Sonnenschein empfindlich verletzt, mit dem Gedanken, daß, was heute erst entstanden, die Farbe und das Gepräge des Alten nicht tragen kann. Mit der nämlichen Idee werden wir uns wohl beruhigen müssen, wenn man den alten Theil des Hotel de Ville, der in achtbarer Gräulichkeit dasteht, dem neuen von weißem Stein zulieb, auffrischt und verjüngt. Jetzt, wo der alte Theil neben dem neuen durch seine verschiedene Farbe hervortritt, begreift man, warum man einem Gebäude vom 19ten Jahrhundert den Styl und alle Spielereien der Verzierungen aus den Zeiten der Renaissance gegeben hat: der alte Theil war da, man mußte sich ihm anschließen, und es wäre eine Lästerung gewesen, ein Denkmal niederzureißen, das in der Geschichte der Pariser Municipalität und des ganzen Landes seit Jahrhunderten eine so merkwürdige Rolle spielt. Komisch indessen werden sich Heinrich IV über dem Eingang und all die berühmten Aedilen der Stadt in ihren Mauernischen ausnehmen, wenn man sie bis zum kreidigen Neuglanz abgerieben hat. Aber man begnügt sich nicht, diese Modefarbe an der Madeleine und dem Hotel de Ville zu haben: der Madeleine gegenüber, jenseits des Pont de la Révolution, erhebt sich der Palast der Deputirten mit seiner einfachen, antiken Façade und in einer dunkelgrauen Hülle, die ihm Charakter und monumentale Schönheit verleiht. In wenigen Wochen wird dieser alte Anstrich verschwunden seyn vor einer gleißenden, blendenden Sandfarbe, die das Palais Bourbon zum würdigen Seitenbilde der Madeleine stempelt. Geschieht das nur der Symmetrie willen? Dieses Kunstbedenken schiene uns vortrefflich angebracht an einem Orte, wo die Zeugnisse aller Länder der Erde und die Baustyle aller Jahrhunderte sich durchkreuzen, wo die Tuilerien von Katharina von Medicis dem Triumphbogen des Kaiserthums und des Jahres 1836 gegenüberstehen, das Hotel Crillon und das Seeministerium aus der Epoche Ludwigs XV an die neue Rivolistraße angelehnt ist, Lenotre's Grabenverzierungen des Revolutionsplatzes fortbestehen, neben den Rostralsäulen der Gasbeleuchtung und den kolossalen Städtebildern der neuesten Tage, und Deputirtenpalast und Madeleine, Triumphbogen und Tuilerien auf einem gemeinsamen Mittelpunkt, dem Obelisken sich begegnen, der einer längst verschwundenen, geheimnißvollen Zeit und Geschichte von über 3000 Jahren angehört. Das ist nicht Alles! Der Colonnade des Louvre gegenüber, am Eingange der Straße des Fossé St. Germain l'Auxerrois, liegt ein Eckhaus, dessen Erdgeschoß zur Weinschenke dient. Bis vor wenigen Monaten zeigte der Pariser Cicerone den neugierigen Fremden die schmale Giebelfaçade dieses Hauses, die, um die Thüre der Schenke herum, wie mit Flintenkugeln besäet war. Es waren Spuren der Musketenschüsse, welche die Schweizergarde im Julius 1830 auf dieses Eck gerichtet, weil sich von da ein kecker Schütze aus dem Volk herangeschlichen und ihnen großen Schaden beigebracht hatte. Als die dicke Hand des Weinverkäufers diese Façade verschönerungshalber mit einem dicken Anstrich von Dunkelgrün bedeckte, vor dem die letzte Ahnung jener geschichtlichen Erinnerung spurlos verschwand, tröstete ich mich mit der Vorderseite des Instituts (Akademiegebäude), das bekanntlich jenseits des Pont des Arts, dem südlichen Eingange des Louvre gerade gegenüber, steht. Die Vertheidigung des alten Königshauses gegen das über den Pont des Arts anstürmende Volk vom linken Seineufer war sehr lebhaft, und die Kartätschen hatten die Façade des Instituts mit weißen Punkten besprenkelt, die auf dem schwärzlichen Grunde grell hervorstachen. In diesen Narben des Hauses der höchsten Wissenschaft und Geistesblüthe, an denen allmählich die Verwitterung zu nagen anfing, lag etwas Ehrwürdiges und Poetisches, das den Wanderer an diesem schönen Stadttheile mit ernsten Betrachtungen erfüllte; ist doch nahe dabei der Balcon jenes Fensters, von welchem aus ein König von Frankreich, Karl IX, auf sein eigenes, fliehendes Volk wie ein tückischer Meuchelmörder schoß. Nun, auch die Façade des Instituts wird so eben geputzt und geschniegelt, und in wenigen Wochen mag der Cardinal Mazarin wiedererstehen und seinen Palast bewohnen; er wird ihm neu und kostbar frisch übergeben werden, wie er in den ersten Tagen seiner Erbauung war. Nichts natürlicher, als daß die Stadt ihre ungesunden Quartiere erweitere und ihren Straßen Luft und Helle gebe, selbst da, wo es auf Kosten irgend eines geschichtlichen Denkmals geschehen muß. Aber wo diese Gründe nicht vorliegen, scheint uns die moderne Uebertünchung solcher Monumente eine Sünde gegen den Geschmack, und ein Verbrechen, wo sie mit entheiligender Hand an die Trophäen des Volksmuthes rührt, der ohnehin kein anderes Geschichtsbuch hat, als das er selbst mit riesiger Faust in Stein und Erz einschreibt. Nächstens also wird von dem Kampfe zwischen Karl X und seinem Volk kaum mehr ein anderes Zeichen übrig seyn, als der hölzerne, rothangestrichene Hut, der, an der Ecke der Rue Rohan, einem Hutmacher zum Aushängeschild dient, und der von Flintenkugeln des Volks durchlöchert ist! Ich irre mich. Hat man nicht eben die „Freiheit“ in goldenem Gewand über hundert Fuß hoch auf dem Bastilleplatz aufgestellt? Die Freiheit von Gold mehr als hundert Fuß über der Erde – das also soll den kommenden Geschlechtern den Kampf von 1830 und seine Früchte versinnlichen! Es gab einst ein Volk im griechischen Alterthum, das sich zum Gespötte der Pariser am Piräeus machte, weil es eine kostbare Bildsäule nach langer Berathung auf ein himmelhohes Gestell brachte, wo Niemand derselben genießen noch sich erfreuen konnte. Wenn die Bewohner von Abdera heute zu dem geistreichsten der Völker, an der Seine, kämen, möchten sie ihm eine Frage stellen, an welcher sich das moderne attische Salz erproben könnte: „Ihr waret also in gewaltiger Verlegenheit, was ihr mit der lang ersehnten und theuer erkämpften Freiheit beginnen, welchen Platz ihr derselben anweisen solltet? Ohne Zweifel habt ihr deren Bild von Gold gemacht und auf unerreichbare Höhe gestellt, damit jeder beständig daran denke, daß die Freiheit dem Menschen nur ein fernes Traumbild und viel zu theuer und zu kostbar sey, als daß man ihm eine nahe Berührung mit derselben gestatten könne!“ Beim Anblick dieser schlanken, flinken Gestalt, die Fuß und Hände wie zum Flug ausstreckt, fragte Jemand: En quittant la France, Dame Liberté, où s'envolera-t-elle?
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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