Allgemeine Zeitung. Nr. 171. Augsburg, 19. Juni 1840.führte: Sta la forza per lui, per me sta il vero.... Ich fand darin einen vollkommenen Romanhelden in der Person des erklärten Hauptes dieser Revolution, des Grafen v. Santa Rosa. Die Erscheinung dieses Mannes beherrschte die Ereignisse jener dreißig Tage dermaßen, daß allein sie mir auffiel. Ich sah ihn, wie er anfangs, als Freund des englischen Parlamentarsystems, für sein Vaterland nur eine constitutionelle Regierung, zwei Kammern, ja selbst eine erbliche Pairswürde forderte; wie er später, wo das verhängnißvolle Beispiel der Neapolitaner und die Einführung der spanischen Constitution alle Geister hingerissen hatte, sich nur mit einem Gegenstande, der militärischen Leitung der Revolution, beschäftigte, und wie er endlich, durch die Verhältnisse zu einer förmlichen Dictatur erhoben, eine Energie entwickelte, welche selbst seine Feinde bewundert haben, ohne sich einen Augenblick von jenem Sinn für ritterliche Mäßigung zu entfernen, welchen man in Revolutionen so selten antrifft. Als Alles verloren war, unterhandelte Santa Rosa mit dem Grafen v. Mocenigo, russischem Minister bei dem Turiner Hof, um eine allgemeine Pacification zu erhalten, unter der Bedingung einer Amnestie und einiger innern Verbesserungen, indem er um diesen Preis sich erbot, für seine Person und die andern constitutionellen Chefs auf die Amnestie zu verzichten, und sich freiwillig zu verbannen, um den Frieden und das Glück des Vaterlandes besser zu sichern.... Dieses edle Benehmen frappirte mich lebhaft, und mehrere Tage hindurch wiederholte ich gegen alle meine Freunde: Meine Herren, es gab einen Mann in Turin! Meine Bewunderung nahm zu, als ich erfuhr, daß der Held jenes Buches auch sein Verfasser sey. Ich konnte mich eines Gefühls von wahrer Hochachtung nicht erwehren, indem ich bei dem Vertheidiger einer unglücklichen Revolution diese Entäußerung jeder Parteilichkeit, diese großartige Loyalität wahrnahm, welche allen Intentionen Gerechtigkeit widerfahren läßt, und sich unter den grausamsten Leiden der Verbannung jeder ungerechten Beschuldigung, jeder bittern Aufwallung enthält. Der Enthusiasmus für eine edle Sache, bis zum letzten Opfer ungeschwächt, und zugleich eine Mäßigung voller Würde, nicht zu reden von dem seltenen Talent, welches sich auf jeder Seite dieser Schrift kundgibt, führten meinen Augen eine jener schönen Persönlichkeiten vor, welche mich hundertmal mehr interessiren, als die zwei Revolutionen von Neapel und Piemont; denn wenn der Philosoph in mir in den gleichzeitigen Ereignissen die Bewegung der ewigen Principien und ihre sichtliche Offenbarung sucht, so sucht mit nicht weniger Eifer der Mensch den Menschen in den Dingen hienieden. Und wer kennt einen bewunderungswürdigeren Zug eines menschlichen Charakters, als Mäßigung im Verein mit Energie! Dieses Ideal, das ich so oft geräumt hatte, schien sich mir in Santa Rosa zu verwirklichen. Man sagte mir, er sey in Paris; ich mußte ihn kennen lernen, und einer meiner Freunde aus Italien führte mir ihn eines Morgens zu. Ich hatte gerade einen Blutsturz überstanden, und die ersten Worte, welche ich an ihn richtete, waren die: Mein Herr, Sie sind der einzige Mensch, nach dessen Bekanntschaft in meiner Lage ich noch verlangte. Wie oft seitdem haben wir uns diese erste Zusammenkunft ins Gedächtniß zurückgerufen, ich sterbend, er zum Tode verurtheilt, unter einem falschen Namen verborgen, ohne Hülfsquellen, fast ohne Brod! Ohne bei den Details unserer Unterredung stehen zu bleiben, genüge es zu bemerken, daß ich noch mehr fand, als ich erwartet hatte. An seiner Miene, seinem Gang, in allen seinen Worten erkannte ich mit Leichtigkeit das Feuer und die Energie des Verfassers der Proclamation vom 23 März wieder, und zu gleicher Zeit schien meine elende Gesundheit ihm ein liebevolles Mitleiden einzuflößen, welches sich jede Minute in den liebenswürdigsten Aufmerksamkeiten äußerte. Wenn er mich in diesem kritischen Zustande sah, so vergaß er sich selbst und dachte nur noch an mich. Da unsere lange Unterredung, deren Seele er allein war, mich angegriffen und sehr schwach gemacht hatte, so kam er den Abend wieder, um sich von meinem Befinden zu überzeugen, dann kam er am andern Morgen wieder, den Tag darauf eben so, und nach wenigen Tagen war unser Verhältniß so innig, als wenn wir unser ganzes Leben zusammenzugebracht hätten. Er hatte den Namen Conti angenommen, und wohnte nicht weit von mir in einer chambre garnie, beinahe unter dem Dach, mit einem seiner Turiner Freunde, welcher, ohne an der Revolution Theil genommen zu haben, und ohne compromittirt zu seyn, freiwillig sein Vaterland verlassen hatte, um ihm zu folgen. Was für ein Mensch ist das wohl, in dessen Gesellschaft man das Exil den Annehmlichkeiten des Vaterlandes und der Familie vorzieht? Den Reiz seines Umganges zu schildern, ist unmöglich. Ich fand, ich wiederhole es, diesen Reiz in der Vereinigung von Kraft und Seelengüte. Ich sah ihn bei dem schwächsten Schimmer von Hoffnung stets bereit, sich in die gefahrvollsten Unternehmungen zu stürzen, und sah ihn wiederum glücklich, sein Leben im Verborgenen der Sorge eines leidenden Freundes widmen zu können. Sein Herz war ein unerschöpflicher Heerd für edle Gesinnungen. Seine Liebe zur ganzen Welt gränzte an Zärtlichkeit. Begegnete er auf der Straße, wenn er zu mir ging, einem Unglücklichen, so theilte er mit ihm das Almosen der Armen. War seine Wirthin, eine alte Frau, die ich noch vor mir sehe, krank, so pflegte er sie, als wenn sie zu seiner Familie gehörte. Hatte Jemand seinen Rath nöthig, so ertheilte er ihn verschwenderisch, und das Alles aus einem unwiderstehlichen natürlichen Antriebe, dessen Daseyns er sich nicht einmal bewußt war. Man konnte ihn nicht kennen, ohne ihn zu lieben. Schwerlich ist je ein menschliches Geschöpf, selbst eine Frau, so geliebt worden. Er hatte in Turin einen Freund, dem er sein Weib und seine Kinder hatte anvertrauen können, und ein anderer war ihm in die Verbannung gefolgt! Das ist der sprechendste Beweis für die Gesinnungen, welche er Andern gegen sich einflößte. Ehedem, als er, noch ein ganzes Kind, in der Alpenarmee in dem Regimente seines Vaters diente, hatte man ihm zum Cameraden einen Knaben seines Landes gegeben, welcher seitdem die Armee und Piemont verlassen und seinen jungen Herrn aus den Augen verloren hatte; aber in seiner Erinnerung hatte er einen festen Platz behauptet, und eines Tages sah der edle, ins Elend gestürzte Graf in seinem Bodenstübchen plötzlich den armen Bossi, jetzt Limonadier in Paris, erscheinen, der aus den Zeitungen die Schicksale seines jungen Officiers erfahren und nicht eher Ruhe gehabt hatte, bis er seine Wohnung aufgefunden und ihm seine Dienste anbieten konnte. Und später, als ich Santa Rosa in einem Gefängnisse besuchen mußte, wie oft habe ich da des Morgens an der Pforte von Saint Martin Bossi oder seine Frau mit einem Korbe Früchte angetroffen, Stunden lang harrend, daß man ihnen die Pforte öffnete, mit mir sich hineinschleichend und dem Gefangenen ihre kleine Gabe mit dem Respecte eines alten Dieners und der Zärtlichkeit eines wahren Freundes darbietend! Vom Ende des Octobers 1821 bis zum 1 Januar 1822 lebten wir zusammen in dem innigsten und freundschaftlichsten Umgange. Während des ganzen Tages bis gegen 6 Uhr des Abends blieb er in seiner Kammer in der Straße des Francs-Bourgeois, mit Lesen, so wie auch mit Vorbereitungen auf ein Werk über die constitutionellen Regierungen des neunzehnten Jahrhunderts führte: Sta la forza per lui, per me sta il vero.... Ich fand darin einen vollkommenen Romanhelden in der Person des erklärten Hauptes dieser Revolution, des Grafen v. Santa Rosa. Die Erscheinung dieses Mannes beherrschte die Ereignisse jener dreißig Tage dermaßen, daß allein sie mir auffiel. Ich sah ihn, wie er anfangs, als Freund des englischen Parlamentarsystems, für sein Vaterland nur eine constitutionelle Regierung, zwei Kammern, ja selbst eine erbliche Pairswürde forderte; wie er später, wo das verhängnißvolle Beispiel der Neapolitaner und die Einführung der spanischen Constitution alle Geister hingerissen hatte, sich nur mit einem Gegenstande, der militärischen Leitung der Revolution, beschäftigte, und wie er endlich, durch die Verhältnisse zu einer förmlichen Dictatur erhoben, eine Energie entwickelte, welche selbst seine Feinde bewundert haben, ohne sich einen Augenblick von jenem Sinn für ritterliche Mäßigung zu entfernen, welchen man in Revolutionen so selten antrifft. Als Alles verloren war, unterhandelte Santa Rosa mit dem Grafen v. Mocenigo, russischem Minister bei dem Turiner Hof, um eine allgemeine Pacification zu erhalten, unter der Bedingung einer Amnestie und einiger innern Verbesserungen, indem er um diesen Preis sich erbot, für seine Person und die andern constitutionellen Chefs auf die Amnestie zu verzichten, und sich freiwillig zu verbannen, um den Frieden und das Glück des Vaterlandes besser zu sichern.... Dieses edle Benehmen frappirte mich lebhaft, und mehrere Tage hindurch wiederholte ich gegen alle meine Freunde: Meine Herren, es gab einen Mann in Turin! Meine Bewunderung nahm zu, als ich erfuhr, daß der Held jenes Buches auch sein Verfasser sey. Ich konnte mich eines Gefühls von wahrer Hochachtung nicht erwehren, indem ich bei dem Vertheidiger einer unglücklichen Revolution diese Entäußerung jeder Parteilichkeit, diese großartige Loyalität wahrnahm, welche allen Intentionen Gerechtigkeit widerfahren läßt, und sich unter den grausamsten Leiden der Verbannung jeder ungerechten Beschuldigung, jeder bittern Aufwallung enthält. Der Enthusiasmus für eine edle Sache, bis zum letzten Opfer ungeschwächt, und zugleich eine Mäßigung voller Würde, nicht zu reden von dem seltenen Talent, welches sich auf jeder Seite dieser Schrift kundgibt, führten meinen Augen eine jener schönen Persönlichkeiten vor, welche mich hundertmal mehr interessiren, als die zwei Revolutionen von Neapel und Piemont; denn wenn der Philosoph in mir in den gleichzeitigen Ereignissen die Bewegung der ewigen Principien und ihre sichtliche Offenbarung sucht, so sucht mit nicht weniger Eifer der Mensch den Menschen in den Dingen hienieden. Und wer kennt einen bewunderungswürdigeren Zug eines menschlichen Charakters, als Mäßigung im Verein mit Energie! Dieses Ideal, das ich so oft geräumt hatte, schien sich mir in Santa Rosa zu verwirklichen. Man sagte mir, er sey in Paris; ich mußte ihn kennen lernen, und einer meiner Freunde aus Italien führte mir ihn eines Morgens zu. Ich hatte gerade einen Blutsturz überstanden, und die ersten Worte, welche ich an ihn richtete, waren die: Mein Herr, Sie sind der einzige Mensch, nach dessen Bekanntschaft in meiner Lage ich noch verlangte. Wie oft seitdem haben wir uns diese erste Zusammenkunft ins Gedächtniß zurückgerufen, ich sterbend, er zum Tode verurtheilt, unter einem falschen Namen verborgen, ohne Hülfsquellen, fast ohne Brod! Ohne bei den Details unserer Unterredung stehen zu bleiben, genüge es zu bemerken, daß ich noch mehr fand, als ich erwartet hatte. An seiner Miene, seinem Gang, in allen seinen Worten erkannte ich mit Leichtigkeit das Feuer und die Energie des Verfassers der Proclamation vom 23 März wieder, und zu gleicher Zeit schien meine elende Gesundheit ihm ein liebevolles Mitleiden einzuflößen, welches sich jede Minute in den liebenswürdigsten Aufmerksamkeiten äußerte. Wenn er mich in diesem kritischen Zustande sah, so vergaß er sich selbst und dachte nur noch an mich. Da unsere lange Unterredung, deren Seele er allein war, mich angegriffen und sehr schwach gemacht hatte, so kam er den Abend wieder, um sich von meinem Befinden zu überzeugen, dann kam er am andern Morgen wieder, den Tag darauf eben so, und nach wenigen Tagen war unser Verhältniß so innig, als wenn wir unser ganzes Leben zusammenzugebracht hätten. Er hatte den Namen Conti angenommen, und wohnte nicht weit von mir in einer chambre garnie, beinahe unter dem Dach, mit einem seiner Turiner Freunde, welcher, ohne an der Revolution Theil genommen zu haben, und ohne compromittirt zu seyn, freiwillig sein Vaterland verlassen hatte, um ihm zu folgen. Was für ein Mensch ist das wohl, in dessen Gesellschaft man das Exil den Annehmlichkeiten des Vaterlandes und der Familie vorzieht? Den Reiz seines Umganges zu schildern, ist unmöglich. Ich fand, ich wiederhole es, diesen Reiz in der Vereinigung von Kraft und Seelengüte. Ich sah ihn bei dem schwächsten Schimmer von Hoffnung stets bereit, sich in die gefahrvollsten Unternehmungen zu stürzen, und sah ihn wiederum glücklich, sein Leben im Verborgenen der Sorge eines leidenden Freundes widmen zu können. Sein Herz war ein unerschöpflicher Heerd für edle Gesinnungen. Seine Liebe zur ganzen Welt gränzte an Zärtlichkeit. Begegnete er auf der Straße, wenn er zu mir ging, einem Unglücklichen, so theilte er mit ihm das Almosen der Armen. War seine Wirthin, eine alte Frau, die ich noch vor mir sehe, krank, so pflegte er sie, als wenn sie zu seiner Familie gehörte. Hatte Jemand seinen Rath nöthig, so ertheilte er ihn verschwenderisch, und das Alles aus einem unwiderstehlichen natürlichen Antriebe, dessen Daseyns er sich nicht einmal bewußt war. Man konnte ihn nicht kennen, ohne ihn zu lieben. Schwerlich ist je ein menschliches Geschöpf, selbst eine Frau, so geliebt worden. Er hatte in Turin einen Freund, dem er sein Weib und seine Kinder hatte anvertrauen können, und ein anderer war ihm in die Verbannung gefolgt! Das ist der sprechendste Beweis für die Gesinnungen, welche er Andern gegen sich einflößte. Ehedem, als er, noch ein ganzes Kind, in der Alpenarmee in dem Regimente seines Vaters diente, hatte man ihm zum Cameraden einen Knaben seines Landes gegeben, welcher seitdem die Armee und Piemont verlassen und seinen jungen Herrn aus den Augen verloren hatte; aber in seiner Erinnerung hatte er einen festen Platz behauptet, und eines Tages sah der edle, ins Elend gestürzte Graf in seinem Bodenstübchen plötzlich den armen Bossi, jetzt Limonadier in Paris, erscheinen, der aus den Zeitungen die Schicksale seines jungen Officiers erfahren und nicht eher Ruhe gehabt hatte, bis er seine Wohnung aufgefunden und ihm seine Dienste anbieten konnte. Und später, als ich Santa Rosa in einem Gefängnisse besuchen mußte, wie oft habe ich da des Morgens an der Pforte von Saint Martin Bossi oder seine Frau mit einem Korbe Früchte angetroffen, Stunden lang harrend, daß man ihnen die Pforte öffnete, mit mir sich hineinschleichend und dem Gefangenen ihre kleine Gabe mit dem Respecte eines alten Dieners und der Zärtlichkeit eines wahren Freundes darbietend! Vom Ende des Octobers 1821 bis zum 1 Januar 1822 lebten wir zusammen in dem innigsten und freundschaftlichsten Umgange. Während des ganzen Tages bis gegen 6 Uhr des Abends blieb er in seiner Kammer in der Straße des Francs-Bourgeois, mit Lesen, so wie auch mit Vorbereitungen auf ein Werk über die constitutionellen Regierungen des neunzehnten Jahrhunderts <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0010" n="1362"/> führte: Sta la forza per lui, per me sta il vero.... Ich fand darin einen vollkommenen Romanhelden in der Person des erklärten Hauptes dieser Revolution, des Grafen v. Santa Rosa. Die Erscheinung dieses Mannes beherrschte die Ereignisse jener dreißig Tage dermaßen, daß allein sie mir auffiel. Ich sah ihn, wie er anfangs, als Freund des englischen Parlamentarsystems, für sein Vaterland nur eine constitutionelle Regierung, zwei Kammern, ja selbst eine erbliche Pairswürde forderte; wie er später, wo das verhängnißvolle Beispiel der Neapolitaner und die Einführung der spanischen Constitution alle Geister hingerissen hatte, sich nur mit einem Gegenstande, der militärischen Leitung der Revolution, beschäftigte, und wie er endlich, durch die Verhältnisse zu einer förmlichen Dictatur erhoben, eine Energie entwickelte, welche selbst seine Feinde bewundert haben, ohne sich einen Augenblick von jenem Sinn für ritterliche Mäßigung zu entfernen, welchen man in Revolutionen so selten antrifft.</p><lb/> <p>Als Alles verloren war, unterhandelte Santa Rosa mit dem Grafen v. Mocenigo, russischem Minister bei dem Turiner Hof, um eine allgemeine Pacification zu erhalten, unter der Bedingung einer Amnestie und einiger innern Verbesserungen, indem er um diesen Preis sich erbot, für seine Person und die andern constitutionellen Chefs auf die Amnestie zu verzichten, und sich freiwillig zu verbannen, um den Frieden und das Glück des Vaterlandes besser zu sichern....</p><lb/> <p>Dieses edle Benehmen frappirte mich lebhaft, und mehrere Tage hindurch wiederholte ich gegen alle meine Freunde: Meine Herren, es gab einen Mann in Turin! Meine Bewunderung nahm zu, als ich erfuhr, daß der Held jenes Buches auch sein Verfasser sey. Ich konnte mich eines Gefühls von wahrer Hochachtung nicht erwehren, indem ich bei dem Vertheidiger einer unglücklichen Revolution diese Entäußerung jeder Parteilichkeit, diese großartige Loyalität wahrnahm, welche allen Intentionen Gerechtigkeit widerfahren läßt, und sich unter den grausamsten Leiden der Verbannung jeder ungerechten Beschuldigung, jeder bittern Aufwallung enthält. Der Enthusiasmus für eine edle Sache, bis zum letzten Opfer ungeschwächt, und zugleich eine Mäßigung voller Würde, nicht zu reden von dem seltenen Talent, welches sich auf jeder Seite dieser Schrift kundgibt, führten meinen Augen eine jener schönen Persönlichkeiten vor, welche mich hundertmal mehr interessiren, als die zwei Revolutionen von Neapel und Piemont; denn wenn der Philosoph in mir in den gleichzeitigen Ereignissen die Bewegung der ewigen Principien und ihre sichtliche Offenbarung sucht, so sucht mit nicht weniger Eifer der Mensch den Menschen in den Dingen hienieden. Und wer kennt einen bewunderungswürdigeren Zug eines menschlichen Charakters, als Mäßigung im Verein mit Energie! Dieses Ideal, das ich so oft geräumt hatte, schien sich mir in Santa Rosa zu verwirklichen. Man sagte mir, er sey in Paris; ich mußte ihn kennen lernen, und einer meiner Freunde aus Italien führte mir ihn eines Morgens zu. Ich hatte gerade einen Blutsturz überstanden, und die ersten Worte, welche ich an ihn richtete, waren die: Mein Herr, Sie sind der einzige Mensch, nach dessen Bekanntschaft in meiner Lage ich noch verlangte. Wie oft seitdem haben wir uns diese erste Zusammenkunft ins Gedächtniß zurückgerufen, ich sterbend, er zum Tode verurtheilt, unter einem falschen Namen verborgen, ohne Hülfsquellen, fast ohne Brod! Ohne bei den Details unserer Unterredung stehen zu bleiben, genüge es zu bemerken, daß ich noch mehr fand, als ich erwartet hatte. An seiner Miene, seinem Gang, in allen seinen Worten erkannte ich mit Leichtigkeit das Feuer und die Energie des Verfassers der Proclamation vom 23 März wieder, und zu gleicher Zeit schien meine elende Gesundheit ihm ein liebevolles Mitleiden einzuflößen, welches sich jede Minute in den liebenswürdigsten Aufmerksamkeiten äußerte. Wenn er mich in diesem kritischen Zustande sah, so vergaß er sich selbst und dachte nur noch an mich. Da unsere lange Unterredung, deren Seele er allein war, mich angegriffen und sehr schwach gemacht hatte, so kam er den Abend wieder, um sich von meinem Befinden zu überzeugen, dann kam er am andern Morgen wieder, den Tag darauf eben so, und nach wenigen Tagen war unser Verhältniß so innig, als wenn wir unser ganzes Leben zusammenzugebracht hätten. Er hatte den Namen Conti angenommen, und wohnte nicht weit von mir in einer chambre garnie, beinahe unter dem Dach, mit einem seiner Turiner Freunde, welcher, ohne an der Revolution Theil genommen zu haben, und ohne compromittirt zu seyn, freiwillig sein Vaterland verlassen hatte, um ihm zu folgen. Was für ein Mensch ist das wohl, in dessen Gesellschaft man das Exil den Annehmlichkeiten des Vaterlandes und der Familie vorzieht? Den Reiz seines Umganges zu schildern, ist unmöglich. Ich fand, ich wiederhole es, diesen Reiz in der Vereinigung von Kraft und Seelengüte. Ich sah ihn bei dem schwächsten Schimmer von Hoffnung stets bereit, sich in die gefahrvollsten Unternehmungen zu stürzen, und sah ihn wiederum glücklich, sein Leben im Verborgenen der Sorge eines leidenden Freundes widmen zu können. Sein Herz war ein unerschöpflicher Heerd für edle Gesinnungen. Seine Liebe zur ganzen Welt gränzte an Zärtlichkeit. Begegnete er auf der Straße, wenn er zu mir ging, einem Unglücklichen, so theilte er mit ihm das Almosen der Armen. War seine Wirthin, eine alte Frau, die ich noch vor mir sehe, krank, so pflegte er sie, als wenn sie zu seiner Familie gehörte. Hatte Jemand seinen Rath nöthig, so ertheilte er ihn verschwenderisch, und das Alles aus einem unwiderstehlichen natürlichen Antriebe, dessen Daseyns er sich nicht einmal bewußt war. Man konnte ihn nicht kennen, ohne ihn zu lieben. Schwerlich ist je ein menschliches Geschöpf, selbst eine Frau, so geliebt worden. Er hatte in Turin einen Freund, dem er sein Weib und seine Kinder hatte anvertrauen können, und ein anderer war ihm in die Verbannung gefolgt! Das ist der sprechendste Beweis für die Gesinnungen, welche er Andern gegen sich einflößte. Ehedem, als er, noch ein ganzes Kind, in der Alpenarmee in dem Regimente seines Vaters diente, hatte man ihm zum Cameraden einen Knaben seines Landes gegeben, welcher seitdem die Armee und Piemont verlassen und seinen jungen Herrn aus den Augen verloren hatte; aber in seiner Erinnerung hatte er einen festen Platz behauptet, und eines Tages sah der edle, ins Elend gestürzte Graf in seinem Bodenstübchen plötzlich den armen Bossi, jetzt Limonadier in Paris, erscheinen, der aus den Zeitungen die Schicksale seines jungen Officiers erfahren und nicht eher Ruhe gehabt hatte, bis er seine Wohnung aufgefunden und ihm seine Dienste anbieten konnte. Und später, als ich Santa Rosa in einem Gefängnisse besuchen mußte, wie oft habe ich da des Morgens an der Pforte von Saint Martin Bossi oder seine Frau mit einem Korbe Früchte angetroffen, Stunden lang harrend, daß man ihnen die Pforte öffnete, mit mir sich hineinschleichend und dem Gefangenen ihre kleine Gabe mit dem Respecte eines alten Dieners und der Zärtlichkeit eines wahren Freundes darbietend!</p><lb/> <p>Vom Ende des Octobers 1821 bis zum 1 Januar 1822 lebten wir zusammen in dem innigsten und freundschaftlichsten Umgange. Während des ganzen Tages bis gegen 6 Uhr des Abends blieb er in seiner Kammer in der Straße des Francs-Bourgeois, mit Lesen, so wie auch mit Vorbereitungen auf ein Werk über die constitutionellen Regierungen des neunzehnten Jahrhunderts<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [1362/0010]
führte: Sta la forza per lui, per me sta il vero.... Ich fand darin einen vollkommenen Romanhelden in der Person des erklärten Hauptes dieser Revolution, des Grafen v. Santa Rosa. Die Erscheinung dieses Mannes beherrschte die Ereignisse jener dreißig Tage dermaßen, daß allein sie mir auffiel. Ich sah ihn, wie er anfangs, als Freund des englischen Parlamentarsystems, für sein Vaterland nur eine constitutionelle Regierung, zwei Kammern, ja selbst eine erbliche Pairswürde forderte; wie er später, wo das verhängnißvolle Beispiel der Neapolitaner und die Einführung der spanischen Constitution alle Geister hingerissen hatte, sich nur mit einem Gegenstande, der militärischen Leitung der Revolution, beschäftigte, und wie er endlich, durch die Verhältnisse zu einer förmlichen Dictatur erhoben, eine Energie entwickelte, welche selbst seine Feinde bewundert haben, ohne sich einen Augenblick von jenem Sinn für ritterliche Mäßigung zu entfernen, welchen man in Revolutionen so selten antrifft.
Als Alles verloren war, unterhandelte Santa Rosa mit dem Grafen v. Mocenigo, russischem Minister bei dem Turiner Hof, um eine allgemeine Pacification zu erhalten, unter der Bedingung einer Amnestie und einiger innern Verbesserungen, indem er um diesen Preis sich erbot, für seine Person und die andern constitutionellen Chefs auf die Amnestie zu verzichten, und sich freiwillig zu verbannen, um den Frieden und das Glück des Vaterlandes besser zu sichern....
Dieses edle Benehmen frappirte mich lebhaft, und mehrere Tage hindurch wiederholte ich gegen alle meine Freunde: Meine Herren, es gab einen Mann in Turin! Meine Bewunderung nahm zu, als ich erfuhr, daß der Held jenes Buches auch sein Verfasser sey. Ich konnte mich eines Gefühls von wahrer Hochachtung nicht erwehren, indem ich bei dem Vertheidiger einer unglücklichen Revolution diese Entäußerung jeder Parteilichkeit, diese großartige Loyalität wahrnahm, welche allen Intentionen Gerechtigkeit widerfahren läßt, und sich unter den grausamsten Leiden der Verbannung jeder ungerechten Beschuldigung, jeder bittern Aufwallung enthält. Der Enthusiasmus für eine edle Sache, bis zum letzten Opfer ungeschwächt, und zugleich eine Mäßigung voller Würde, nicht zu reden von dem seltenen Talent, welches sich auf jeder Seite dieser Schrift kundgibt, führten meinen Augen eine jener schönen Persönlichkeiten vor, welche mich hundertmal mehr interessiren, als die zwei Revolutionen von Neapel und Piemont; denn wenn der Philosoph in mir in den gleichzeitigen Ereignissen die Bewegung der ewigen Principien und ihre sichtliche Offenbarung sucht, so sucht mit nicht weniger Eifer der Mensch den Menschen in den Dingen hienieden. Und wer kennt einen bewunderungswürdigeren Zug eines menschlichen Charakters, als Mäßigung im Verein mit Energie! Dieses Ideal, das ich so oft geräumt hatte, schien sich mir in Santa Rosa zu verwirklichen. Man sagte mir, er sey in Paris; ich mußte ihn kennen lernen, und einer meiner Freunde aus Italien führte mir ihn eines Morgens zu. Ich hatte gerade einen Blutsturz überstanden, und die ersten Worte, welche ich an ihn richtete, waren die: Mein Herr, Sie sind der einzige Mensch, nach dessen Bekanntschaft in meiner Lage ich noch verlangte. Wie oft seitdem haben wir uns diese erste Zusammenkunft ins Gedächtniß zurückgerufen, ich sterbend, er zum Tode verurtheilt, unter einem falschen Namen verborgen, ohne Hülfsquellen, fast ohne Brod! Ohne bei den Details unserer Unterredung stehen zu bleiben, genüge es zu bemerken, daß ich noch mehr fand, als ich erwartet hatte. An seiner Miene, seinem Gang, in allen seinen Worten erkannte ich mit Leichtigkeit das Feuer und die Energie des Verfassers der Proclamation vom 23 März wieder, und zu gleicher Zeit schien meine elende Gesundheit ihm ein liebevolles Mitleiden einzuflößen, welches sich jede Minute in den liebenswürdigsten Aufmerksamkeiten äußerte. Wenn er mich in diesem kritischen Zustande sah, so vergaß er sich selbst und dachte nur noch an mich. Da unsere lange Unterredung, deren Seele er allein war, mich angegriffen und sehr schwach gemacht hatte, so kam er den Abend wieder, um sich von meinem Befinden zu überzeugen, dann kam er am andern Morgen wieder, den Tag darauf eben so, und nach wenigen Tagen war unser Verhältniß so innig, als wenn wir unser ganzes Leben zusammenzugebracht hätten. Er hatte den Namen Conti angenommen, und wohnte nicht weit von mir in einer chambre garnie, beinahe unter dem Dach, mit einem seiner Turiner Freunde, welcher, ohne an der Revolution Theil genommen zu haben, und ohne compromittirt zu seyn, freiwillig sein Vaterland verlassen hatte, um ihm zu folgen. Was für ein Mensch ist das wohl, in dessen Gesellschaft man das Exil den Annehmlichkeiten des Vaterlandes und der Familie vorzieht? Den Reiz seines Umganges zu schildern, ist unmöglich. Ich fand, ich wiederhole es, diesen Reiz in der Vereinigung von Kraft und Seelengüte. Ich sah ihn bei dem schwächsten Schimmer von Hoffnung stets bereit, sich in die gefahrvollsten Unternehmungen zu stürzen, und sah ihn wiederum glücklich, sein Leben im Verborgenen der Sorge eines leidenden Freundes widmen zu können. Sein Herz war ein unerschöpflicher Heerd für edle Gesinnungen. Seine Liebe zur ganzen Welt gränzte an Zärtlichkeit. Begegnete er auf der Straße, wenn er zu mir ging, einem Unglücklichen, so theilte er mit ihm das Almosen der Armen. War seine Wirthin, eine alte Frau, die ich noch vor mir sehe, krank, so pflegte er sie, als wenn sie zu seiner Familie gehörte. Hatte Jemand seinen Rath nöthig, so ertheilte er ihn verschwenderisch, und das Alles aus einem unwiderstehlichen natürlichen Antriebe, dessen Daseyns er sich nicht einmal bewußt war. Man konnte ihn nicht kennen, ohne ihn zu lieben. Schwerlich ist je ein menschliches Geschöpf, selbst eine Frau, so geliebt worden. Er hatte in Turin einen Freund, dem er sein Weib und seine Kinder hatte anvertrauen können, und ein anderer war ihm in die Verbannung gefolgt! Das ist der sprechendste Beweis für die Gesinnungen, welche er Andern gegen sich einflößte. Ehedem, als er, noch ein ganzes Kind, in der Alpenarmee in dem Regimente seines Vaters diente, hatte man ihm zum Cameraden einen Knaben seines Landes gegeben, welcher seitdem die Armee und Piemont verlassen und seinen jungen Herrn aus den Augen verloren hatte; aber in seiner Erinnerung hatte er einen festen Platz behauptet, und eines Tages sah der edle, ins Elend gestürzte Graf in seinem Bodenstübchen plötzlich den armen Bossi, jetzt Limonadier in Paris, erscheinen, der aus den Zeitungen die Schicksale seines jungen Officiers erfahren und nicht eher Ruhe gehabt hatte, bis er seine Wohnung aufgefunden und ihm seine Dienste anbieten konnte. Und später, als ich Santa Rosa in einem Gefängnisse besuchen mußte, wie oft habe ich da des Morgens an der Pforte von Saint Martin Bossi oder seine Frau mit einem Korbe Früchte angetroffen, Stunden lang harrend, daß man ihnen die Pforte öffnete, mit mir sich hineinschleichend und dem Gefangenen ihre kleine Gabe mit dem Respecte eines alten Dieners und der Zärtlichkeit eines wahren Freundes darbietend!
Vom Ende des Octobers 1821 bis zum 1 Januar 1822 lebten wir zusammen in dem innigsten und freundschaftlichsten Umgange. Während des ganzen Tages bis gegen 6 Uhr des Abends blieb er in seiner Kammer in der Straße des Francs-Bourgeois, mit Lesen, so wie auch mit Vorbereitungen auf ein Werk über die constitutionellen Regierungen des neunzehnten Jahrhunderts
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
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