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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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gefolgt, daß sie zuletzt beinahe ganz in die heutigen polizeilichen
Zeitschriften aufgegangen ist, aber gerade in der Häufung dieser
Zeitschriften und aus ihrem immer massenhafter anschwellenden
Jnhalt erkennen läßt, daß diese Weise, neben welcher die ratio-
nelle Bearbeitung allzu sehr in den Hintergrund getreten ist, für
die ganze Aufgabe der Polizei, dem Gaunerthum gegenüber, nicht
ausreicht. Wie sehr aber immer dabei die Nothwendigkeit der
rationellen Bearbeitung empfunden ist, erhellt daraus, daß in
allen Werken, welche im Laufe dieses Jahrhunderts geschrieben
sind, mehr oder minder Andeutungen und Versuche dazu, und
manche sehr zu beherzigende Vorschläge zur Erkennung und Be-
kämpfung des Gaunerthums gemacht worden sind. Trotzdem sind
Darstellungen, wie namentlich Falkenberg und Wenmohs versucht
haben, nicht weiter cultivirt worden, und selbst in neuester Zeit
sind diese Versuche, wie sie z. B. von Thiele in seinen "Jüdischen
Gaunern" unternommen sind, immer nur auf specielle Gruppen
beschränkt und dabei lückenhaft geblieben, wenn sie auch den Namen
einer allgemeinen Darstellung tragen. Andere Versuche beschränken
sich planmäßig auf das Gaunerthum einer bestimmten großen
Stadt, wie z. B. auf Wien, Berlin. Erst in neuester Zeit hat
Hirt einen rühmlichen Anfang gemacht in seinem Werke "Der
Diebstahl", obschon auch diese kleine treffliche Schrift keineswegs
nach allen Seiten hin ausreicht.

Ein schlagender Beweis, aber auch eine nothwendige Folge
der Vernachlässigung einer rationellen Darstellung des Gauner-
thums ist die unglaubliche Kümmerlichkeit der Gaunerlinguistik,
die eigentlich ganz brach daniederliegt, obschon es eine Unzahl
Gaunerwörterbücher gibt, von denen aber die meisten unkritische
Copien älterer und gerade der mangelhaftesten Wörterbücher sind.
Und doch hat die mit Recht von Pott eine conventionelle
genannte Sprache des Gaunerthums, obschon das buntscheckigste,
von der Hefe fast aller Nationen zusammengetragene Aggregat
verwegener Sprachformen, seine weit zurückreichende charakteristische
Geschichte, und ist ebenso gut wie die Sprache eines geschichtlichen
Volks ein getreues Abbild der Zusammensetzung, des Geistes,

gefolgt, daß ſie zuletzt beinahe ganz in die heutigen polizeilichen
Zeitſchriften aufgegangen iſt, aber gerade in der Häufung dieſer
Zeitſchriften und aus ihrem immer maſſenhafter anſchwellenden
Jnhalt erkennen läßt, daß dieſe Weiſe, neben welcher die ratio-
nelle Bearbeitung allzu ſehr in den Hintergrund getreten iſt, für
die ganze Aufgabe der Polizei, dem Gaunerthum gegenüber, nicht
ausreicht. Wie ſehr aber immer dabei die Nothwendigkeit der
rationellen Bearbeitung empfunden iſt, erhellt daraus, daß in
allen Werken, welche im Laufe dieſes Jahrhunderts geſchrieben
ſind, mehr oder minder Andeutungen und Verſuche dazu, und
manche ſehr zu beherzigende Vorſchläge zur Erkennung und Be-
kämpfung des Gaunerthums gemacht worden ſind. Trotzdem ſind
Darſtellungen, wie namentlich Falkenberg und Wenmohs verſucht
haben, nicht weiter cultivirt worden, und ſelbſt in neueſter Zeit
ſind dieſe Verſuche, wie ſie z. B. von Thiele in ſeinen „Jüdiſchen
Gaunern“ unternommen ſind, immer nur auf ſpecielle Gruppen
beſchränkt und dabei lückenhaft geblieben, wenn ſie auch den Namen
einer allgemeinen Darſtellung tragen. Andere Verſuche beſchränken
ſich planmäßig auf das Gaunerthum einer beſtimmten großen
Stadt, wie z. B. auf Wien, Berlin. Erſt in neueſter Zeit hat
Hirt einen rühmlichen Anfang gemacht in ſeinem Werke „Der
Diebſtahl“, obſchon auch dieſe kleine treffliche Schrift keineswegs
nach allen Seiten hin ausreicht.

Ein ſchlagender Beweis, aber auch eine nothwendige Folge
der Vernachläſſigung einer rationellen Darſtellung des Gauner-
thums iſt die unglaubliche Kümmerlichkeit der Gaunerlinguiſtik,
die eigentlich ganz brach daniederliegt, obſchon es eine Unzahl
Gaunerwörterbücher gibt, von denen aber die meiſten unkritiſche
Copien älterer und gerade der mangelhafteſten Wörterbücher ſind.
Und doch hat die mit Recht von Pott eine conventionelle
genannte Sprache des Gaunerthums, obſchon das buntſcheckigſte,
von der Hefe faſt aller Nationen zuſammengetragene Aggregat
verwegener Sprachformen, ſeine weit zurückreichende charakteriſtiſche
Geſchichte, und iſt ebenſo gut wie die Sprache eines geſchichtlichen
Volks ein getreues Abbild der Zuſammenſetzung, des Geiſtes,

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[121/0137] gefolgt, daß ſie zuletzt beinahe ganz in die heutigen polizeilichen Zeitſchriften aufgegangen iſt, aber gerade in der Häufung dieſer Zeitſchriften und aus ihrem immer maſſenhafter anſchwellenden Jnhalt erkennen läßt, daß dieſe Weiſe, neben welcher die ratio- nelle Bearbeitung allzu ſehr in den Hintergrund getreten iſt, für die ganze Aufgabe der Polizei, dem Gaunerthum gegenüber, nicht ausreicht. Wie ſehr aber immer dabei die Nothwendigkeit der rationellen Bearbeitung empfunden iſt, erhellt daraus, daß in allen Werken, welche im Laufe dieſes Jahrhunderts geſchrieben ſind, mehr oder minder Andeutungen und Verſuche dazu, und manche ſehr zu beherzigende Vorſchläge zur Erkennung und Be- kämpfung des Gaunerthums gemacht worden ſind. Trotzdem ſind Darſtellungen, wie namentlich Falkenberg und Wenmohs verſucht haben, nicht weiter cultivirt worden, und ſelbſt in neueſter Zeit ſind dieſe Verſuche, wie ſie z. B. von Thiele in ſeinen „Jüdiſchen Gaunern“ unternommen ſind, immer nur auf ſpecielle Gruppen beſchränkt und dabei lückenhaft geblieben, wenn ſie auch den Namen einer allgemeinen Darſtellung tragen. Andere Verſuche beſchränken ſich planmäßig auf das Gaunerthum einer beſtimmten großen Stadt, wie z. B. auf Wien, Berlin. Erſt in neueſter Zeit hat Hirt einen rühmlichen Anfang gemacht in ſeinem Werke „Der Diebſtahl“, obſchon auch dieſe kleine treffliche Schrift keineswegs nach allen Seiten hin ausreicht. Ein ſchlagender Beweis, aber auch eine nothwendige Folge der Vernachläſſigung einer rationellen Darſtellung des Gauner- thums iſt die unglaubliche Kümmerlichkeit der Gaunerlinguiſtik, die eigentlich ganz brach daniederliegt, obſchon es eine Unzahl Gaunerwörterbücher gibt, von denen aber die meiſten unkritiſche Copien älterer und gerade der mangelhafteſten Wörterbücher ſind. Und doch hat die mit Recht von Pott eine conventionelle genannte Sprache des Gaunerthums, obſchon das buntſcheckigſte, von der Hefe faſt aller Nationen zuſammengetragene Aggregat verwegener Sprachformen, ſeine weit zurückreichende charakteriſtiſche Geſchichte, und iſt ebenſo gut wie die Sprache eines geſchichtlichen Volks ein getreues Abbild der Zuſammenſetzung, des Geiſtes,

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/137>, abgerufen am 24.11.2024.