Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.dadurch, daß die Geistlichkeit die Unterdrückung der sinnlichen Zu dieser Entsittlichung kam noch der Aberglaube, der in So fanden die Moralisten und Humanisten einen überreich- dadurch, daß die Geiſtlichkeit die Unterdrückung der ſinnlichen Zu dieſer Entſittlichung kam noch der Aberglaube, der in So fanden die Moraliſten und Humaniſten einen überreich- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0077" n="61"/> dadurch, daß die Geiſtlichkeit die Unterdrückung der ſinnlichen<lb/> Natur im Menſchen verlangte, dabei aber ſelbſt der Sinnlichkeit<lb/> fröhnte und ſie ſogar zur raffinirten Liederlichkeit machte, wurde<lb/> die Sinnlichkeit der gefährlichſte Feind des Bürgerthums. Jn<lb/> dieſer Weiſe wirkte die Unſittlichkeit des Klerus ſo tief und nach-<lb/> haltig auf das Volk zurück, daß ſelbſt in jener der Reformation<lb/> kurz voraufgehenden Zeit des Wiederauflebens der Wiſſenſchaften<lb/> die Kenntniß des alten klaſſiſchen Heidenthums nur dazu zu dienen<lb/> ſchien, die verworfenſte Sittenloſigkeit des Heidenthums zum<lb/> Eigenthum des deutſchen Gelehrten- und Prieſterſtandes zu machen<lb/> und von da aus auf das Volk zurückfallen zu laſſen. So fand ſich<lb/> der Magiſtrat zu Nördlingen in der Frauenhausordnung von 1472<lb/> veranlaßt, die Geiſtlichen anzuweiſen, daß ſie nicht mehr in der<lb/> Nacht, ſondern nur am Tage die Bordelle beſuchten, und zu Leip-<lb/> zig wagten privilegirte Bordelldirnen <hi rendition="#aq">in corpore</hi> bei öffentlichen<lb/> Aufzügen aufzutreten.</p><lb/> <p>Zu dieſer Entſittlichung kam noch der Aberglaube, der in<lb/> Deutſchland in ganz eigenthümlicher Weiſe ſich ausbreitete. Der<lb/> Dualismus des Zoroaſter und die Lehre vom jüdiſchen Satan<lb/> hatte ſchon lange im Orient und Jtalien ihren Einfluß auf das<lb/> Chriſtenthum geübt. Mit dieſen Zuthaten kam das Chriſtenthum<lb/> nach Deutſchland und, weit entfernt, daß bei der friſchen Natür-<lb/> lichkeit der germaniſchen Convertiten die reine und richtige Auf-<lb/> faſſung des Chriſtenthums durch das Prieſterthum hätte vermittelt<lb/> werden ſollen, war das Prieſterthum ſelbſt in dieſem Aberglauben<lb/> befangen und verfiel demſelben ſo ſehr, daß ſogar die alten un-<lb/> befangenen heidniſch-deutſchen Anſichten erſt durch den chriſtlichen<lb/> Aberglauben neu und beſonders aufgefaßt und mit dem ganz<lb/> eigenthümlichen Gepräge des deutſchen Aberglaubens verſehen<lb/> wurden, der noch heutiges Tages tief im deutſchen Volke wurzelt,<lb/> ſeinen ungeheuerlichſten Ausdruck aber wol in dem ſchmählichen<lb/> Hexenhammer (1489) gefunden hat.</p><lb/> <p>So fanden die Moraliſten und Humaniſten einen überreich-<lb/> lichen Stoff, um die Sittenloſigkeit und Verſunkenheit des ganzen<lb/> Volks und des Klerus in Predigt und Schrift mit immer<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0077]
dadurch, daß die Geiſtlichkeit die Unterdrückung der ſinnlichen
Natur im Menſchen verlangte, dabei aber ſelbſt der Sinnlichkeit
fröhnte und ſie ſogar zur raffinirten Liederlichkeit machte, wurde
die Sinnlichkeit der gefährlichſte Feind des Bürgerthums. Jn
dieſer Weiſe wirkte die Unſittlichkeit des Klerus ſo tief und nach-
haltig auf das Volk zurück, daß ſelbſt in jener der Reformation
kurz voraufgehenden Zeit des Wiederauflebens der Wiſſenſchaften
die Kenntniß des alten klaſſiſchen Heidenthums nur dazu zu dienen
ſchien, die verworfenſte Sittenloſigkeit des Heidenthums zum
Eigenthum des deutſchen Gelehrten- und Prieſterſtandes zu machen
und von da aus auf das Volk zurückfallen zu laſſen. So fand ſich
der Magiſtrat zu Nördlingen in der Frauenhausordnung von 1472
veranlaßt, die Geiſtlichen anzuweiſen, daß ſie nicht mehr in der
Nacht, ſondern nur am Tage die Bordelle beſuchten, und zu Leip-
zig wagten privilegirte Bordelldirnen in corpore bei öffentlichen
Aufzügen aufzutreten.
Zu dieſer Entſittlichung kam noch der Aberglaube, der in
Deutſchland in ganz eigenthümlicher Weiſe ſich ausbreitete. Der
Dualismus des Zoroaſter und die Lehre vom jüdiſchen Satan
hatte ſchon lange im Orient und Jtalien ihren Einfluß auf das
Chriſtenthum geübt. Mit dieſen Zuthaten kam das Chriſtenthum
nach Deutſchland und, weit entfernt, daß bei der friſchen Natür-
lichkeit der germaniſchen Convertiten die reine und richtige Auf-
faſſung des Chriſtenthums durch das Prieſterthum hätte vermittelt
werden ſollen, war das Prieſterthum ſelbſt in dieſem Aberglauben
befangen und verfiel demſelben ſo ſehr, daß ſogar die alten un-
befangenen heidniſch-deutſchen Anſichten erſt durch den chriſtlichen
Aberglauben neu und beſonders aufgefaßt und mit dem ganz
eigenthümlichen Gepräge des deutſchen Aberglaubens verſehen
wurden, der noch heutiges Tages tief im deutſchen Volke wurzelt,
ſeinen ungeheuerlichſten Ausdruck aber wol in dem ſchmählichen
Hexenhammer (1489) gefunden hat.
So fanden die Moraliſten und Humaniſten einen überreich-
lichen Stoff, um die Sittenloſigkeit und Verſunkenheit des ganzen
Volks und des Klerus in Predigt und Schrift mit immer
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