Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.Criminalrechtspflege mit dem Gaunerthum. Die Schaffote trief- 1) So wurden am 14. und 15. Nov. 1726 zu Gießen von den Mit- gliedern einer Gaunerbande fünf Männer gerädert, neun Männer gehenkt, drei Männer und acht Weiber mit dem Schwerte hingerichtet. Vgl. Weissen- bruch, "Ausführliche Relation von den famosen Zigeuner-, Diebs-, Mord- und Räuberbanden". S. d. Literatur. 2) Die meisten Druckschriften erlebten mehrere, einige sogar fünf bis sechs
Auflagen, und waren der buchhändlerischen Speculation umsomehr ein willkom- menes Unternehmen, als die Hinrichtungen mit großer Feierlichkeit und grau- samer Langsamkeit vollzogen und zu einer Volksfestivität gemacht wurden, bei der vom Volke die ärgsten Excesse begangen und die Absichten der Justiz, exemplarisch auf die Menge einzuwirken, eludirt wurden. Zu den fratzenhaften Porträts der Jnquisiten fehlen denn auch nicht die Kupferstiche, auf denen mit abstoßender Gründlichkeit die Torturalinstrumente, Fesseln, Gefängnisse, die scheußlichen Hinrichtungen und sogar der ganze perspectivisch schlangen- förmig gewundene Hinrichtungszug dargestellt und nach beigefügten Nummern erklärt wird. Auch die Raths- und Amtshäuser, worin die Jnquisiten ver- hört und abgeurtheilt sind, fehlen nicht, und auf einigen Kupferplatten findet man weiter nichts als ein viereckiges schweigsames Gebäude, das einem Kuh- stall gleich sieht, und an dem ein vergittertes Fenster und eine einsame statt- lich staffirte Schildwache die ganze ethische Satisfaction ausdrückt, daß hier die Justiz den Verbrecher gefangen hält, der vielleicht schon den andern Tag den Kerker durchbrach, oder sogar mit offener Gewalt durch seine Kameraden von außen her befreit wurde. S. die Literatur aus diesem Zeitraume, im dreizehnten Kapitel. Criminalrechtspflege mit dem Gaunerthum. Die Schaffote trief- 1) So wurden am 14. und 15. Nov. 1726 zu Gießen von den Mit- gliedern einer Gaunerbande fünf Männer gerädert, neun Männer gehenkt, drei Männer und acht Weiber mit dem Schwerte hingerichtet. Vgl. Weiſſen- bruch, „Ausführliche Relation von den famoſen Zigeuner-, Diebs-, Mord- und Räuberbanden“. S. d. Literatur. 2) Die meiſten Druckſchriften erlebten mehrere, einige ſogar fünf bis ſechs
Auflagen, und waren der buchhändleriſchen Speculation umſomehr ein willkom- menes Unternehmen, als die Hinrichtungen mit großer Feierlichkeit und grau- ſamer Langſamkeit vollzogen und zu einer Volksfeſtivität gemacht wurden, bei der vom Volke die ärgſten Exceſſe begangen und die Abſichten der Juſtiz, exemplariſch auf die Menge einzuwirken, eludirt wurden. Zu den fratzenhaften Porträts der Jnquiſiten fehlen denn auch nicht die Kupferſtiche, auf denen mit abſtoßender Gründlichkeit die Torturalinſtrumente, Feſſeln, Gefängniſſe, die ſcheußlichen Hinrichtungen und ſogar der ganze perſpectiviſch ſchlangen- förmig gewundene Hinrichtungszug dargeſtellt und nach beigefügten Nummern erklärt wird. Auch die Raths- und Amtshäuſer, worin die Jnquiſiten ver- hört und abgeurtheilt ſind, fehlen nicht, und auf einigen Kupferplatten findet man weiter nichts als ein viereckiges ſchweigſames Gebäude, das einem Kuh- ſtall gleich ſieht, und an dem ein vergittertes Fenſter und eine einſame ſtatt- lich ſtaffirte Schildwache die ganze ethiſche Satisfaction ausdrückt, daß hier die Juſtiz den Verbrecher gefangen hält, der vielleicht ſchon den andern Tag den Kerker durchbrach, oder ſogar mit offener Gewalt durch ſeine Kameraden von außen her befreit wurde. S. die Literatur aus dieſem Zeitraume, im dreizehnten Kapitel. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0096" n="80"/> Criminalrechtspflege mit dem Gaunerthum. Die Schaffote trief-<lb/> ten vom Blute ganzer Banden, welche der Juſtiz in die Hände<lb/> fielen und oft nach kaum verantwortlich kurzer Procedur abgethan<lb/> wurden. <note place="foot" n="1)">So wurden am 14. und 15. Nov. 1726 zu Gießen von den Mit-<lb/> gliedern einer Gaunerbande fünf Männer gerädert, neun Männer gehenkt, drei<lb/> Männer und acht Weiber mit dem Schwerte hingerichtet. Vgl. Weiſſen-<lb/> bruch, „Ausführliche Relation von den famoſen Zigeuner-, Diebs-, Mord-<lb/> und Räuberbanden“. S. d. Literatur.</note> Zu keiner andern Zeit drängen ſich die gedruckten Re-<lb/> lationen über abgeurtheilte Verbrecherbanden <note place="foot" n="2)">Die meiſten Druckſchriften erlebten mehrere, einige ſogar fünf bis ſechs<lb/> Auflagen, und waren der buchhändleriſchen Speculation umſomehr ein willkom-<lb/> menes Unternehmen, als die Hinrichtungen mit großer Feierlichkeit und grau-<lb/> ſamer Langſamkeit vollzogen und zu einer Volksfeſtivität gemacht wurden, bei<lb/> der vom Volke die ärgſten Exceſſe begangen und die Abſichten der Juſtiz,<lb/> exemplariſch auf die Menge einzuwirken, eludirt wurden. Zu den fratzenhaften<lb/> Porträts der Jnquiſiten fehlen denn auch nicht die Kupferſtiche, auf denen<lb/> mit abſtoßender Gründlichkeit die Torturalinſtrumente, Feſſeln, Gefängniſſe,<lb/> die ſcheußlichen Hinrichtungen und ſogar der ganze perſpectiviſch ſchlangen-<lb/> förmig gewundene Hinrichtungszug dargeſtellt und nach beigefügten Nummern<lb/> erklärt wird. Auch die Raths- und Amtshäuſer, worin die Jnquiſiten ver-<lb/> hört und abgeurtheilt ſind, fehlen nicht, und auf einigen Kupferplatten findet<lb/> man weiter nichts als ein viereckiges ſchweigſames Gebäude, das einem Kuh-<lb/> ſtall gleich ſieht, und an dem ein vergittertes Fenſter und eine einſame ſtatt-<lb/> lich ſtaffirte Schildwache die ganze ethiſche Satisfaction ausdrückt, daß hier<lb/> die Juſtiz den Verbrecher gefangen hält, der vielleicht ſchon den andern Tag<lb/> den Kerker durchbrach, oder ſogar mit offener Gewalt durch ſeine Kameraden<lb/> von außen her befreit wurde. S. die Literatur aus dieſem Zeitraume,<lb/> im dreizehnten Kapitel.</note> ſo ſehr als in den<lb/> zwei oder drei erſten Decennien des vorigen Jahrhunderts. Wäre<lb/> man auch geneigt, dieſen literariſchen Erſcheinungen, die meiſtens<lb/> von theologiſcher Redaction ſind, den vollen juriſtiſchen Werth<lb/> abzuſprechen, ſo ſind ſie doch mindeſtens in polizei-ſtatiſtiſcher<lb/> Hinſicht ſehr merkwürdig, da man nicht nur aus der Geſammt-<lb/> heit dieſer Literatur, ſondern auch aus den meiſten einzelnen Pro-<lb/> ceſſen deutlich die ungeheuere Ausbreitung des Gaunerthums durch<lb/> Deutſchland und über Deutſchland hinaus nach Frankrich, Hol-<lb/> land, Jtalien, Böhmen, Ungarn u. ſ. w., und den zähen Zu-<lb/> ſammenhang der einzelnen flüchtigen Gruppen zu einem verderb-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0096]
Criminalrechtspflege mit dem Gaunerthum. Die Schaffote trief-
ten vom Blute ganzer Banden, welche der Juſtiz in die Hände
fielen und oft nach kaum verantwortlich kurzer Procedur abgethan
wurden. 1) Zu keiner andern Zeit drängen ſich die gedruckten Re-
lationen über abgeurtheilte Verbrecherbanden 2) ſo ſehr als in den
zwei oder drei erſten Decennien des vorigen Jahrhunderts. Wäre
man auch geneigt, dieſen literariſchen Erſcheinungen, die meiſtens
von theologiſcher Redaction ſind, den vollen juriſtiſchen Werth
abzuſprechen, ſo ſind ſie doch mindeſtens in polizei-ſtatiſtiſcher
Hinſicht ſehr merkwürdig, da man nicht nur aus der Geſammt-
heit dieſer Literatur, ſondern auch aus den meiſten einzelnen Pro-
ceſſen deutlich die ungeheuere Ausbreitung des Gaunerthums durch
Deutſchland und über Deutſchland hinaus nach Frankrich, Hol-
land, Jtalien, Böhmen, Ungarn u. ſ. w., und den zähen Zu-
ſammenhang der einzelnen flüchtigen Gruppen zu einem verderb-
1) So wurden am 14. und 15. Nov. 1726 zu Gießen von den Mit-
gliedern einer Gaunerbande fünf Männer gerädert, neun Männer gehenkt, drei
Männer und acht Weiber mit dem Schwerte hingerichtet. Vgl. Weiſſen-
bruch, „Ausführliche Relation von den famoſen Zigeuner-, Diebs-, Mord-
und Räuberbanden“. S. d. Literatur.
2) Die meiſten Druckſchriften erlebten mehrere, einige ſogar fünf bis ſechs
Auflagen, und waren der buchhändleriſchen Speculation umſomehr ein willkom-
menes Unternehmen, als die Hinrichtungen mit großer Feierlichkeit und grau-
ſamer Langſamkeit vollzogen und zu einer Volksfeſtivität gemacht wurden, bei
der vom Volke die ärgſten Exceſſe begangen und die Abſichten der Juſtiz,
exemplariſch auf die Menge einzuwirken, eludirt wurden. Zu den fratzenhaften
Porträts der Jnquiſiten fehlen denn auch nicht die Kupferſtiche, auf denen
mit abſtoßender Gründlichkeit die Torturalinſtrumente, Feſſeln, Gefängniſſe,
die ſcheußlichen Hinrichtungen und ſogar der ganze perſpectiviſch ſchlangen-
förmig gewundene Hinrichtungszug dargeſtellt und nach beigefügten Nummern
erklärt wird. Auch die Raths- und Amtshäuſer, worin die Jnquiſiten ver-
hört und abgeurtheilt ſind, fehlen nicht, und auf einigen Kupferplatten findet
man weiter nichts als ein viereckiges ſchweigſames Gebäude, das einem Kuh-
ſtall gleich ſieht, und an dem ein vergittertes Fenſter und eine einſame ſtatt-
lich ſtaffirte Schildwache die ganze ethiſche Satisfaction ausdrückt, daß hier
die Juſtiz den Verbrecher gefangen hält, der vielleicht ſchon den andern Tag
den Kerker durchbrach, oder ſogar mit offener Gewalt durch ſeine Kameraden
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