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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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gleiter als Schautenpicker 1) handelt, d. h. die zur Hand liegenden
Waaren stiehlt und verbirgt. Hat der Schautenpicker den Masse-
matten gehandelt, so gibt er dem Schrekener einen Zink, worauf
sich beide auf gute Manier entfernen. Vielfach nehmen die Schot-
tenfellerinnen außer männlicher Begleitung auch wol eine Gesell-
schafterin, Kammerjungfer, oder am liebsten eine als Amme costü-
mirte Genossin mit einem Kinde zum Vertussen mit. Die Amme
hat häufig die Aufgabe, durch geheime Mishandlung das Kind
zum Schreien zu bringen, damit die Aufmerksamkeit des Verkäu-
fers auf Kind und Amme gerichtet wird und die angebliche Herr-
schaft unterdeß als Schautenpicker agiren kann. Das spielende
oder weinende Kind wird von der Amme tändelnd auf den Laden-
tisch gesetzt, wo es mit seinem langen Kleide ein Waarenpacket
bedeckt, das dann mit dem Kinde aufgenommen und von dessen
weiten Kleide vollkommen bedeckt wird. Auch größere Kinder
werden zu Unarten, Albernheiten und Unfug abgerichtet, um da-
durch Vertuss zu machen. Von der Schottenfellerin wird auch
wol in gleicher Absicht eine verabredete Ohnmacht affectirt, wie
denn die Verschlagenheit der Gaunerei unzählige Situationen her-
beizuführen und auszubeuten versteht, die immer neu und originell
sind. 2) Kleinere Packete werden auch in die wie unabsichtlich

1) Von Schaute, Narr (s. oben), und picken oder bicken, aufpicken,
wie die Vögel die Körner aufpicken, essen, verspeisen, genießen.
2) Zu den schon früher angeführten Beispielen nur noch einen Zug von
einer der größten Gaunerinnen, die mir bisjetzt vorgekommen sind. Jn einer
bedeutenden Seidenhandlung hatte sie einmal als Baronesse -- n -- für nahe an
300 Thaler gekauft, eine Kleinigkeit bezahlt, und gebeten, die Waaren bis zum
andern Tage zurückzulegen, wo sie mit ihrem Manne, dem Baron, kommen und
bezahlen wolle. Andern Tags kam sie allein wieder, gab vor, daß sie noch
einiges kaufen wolle, ehe sie morgen mit dem Baron komme, und erhandelte
noch so viel, daß die Rechnung auf 300 Thaler completirt wurde. Bei diesem
letztern Besuche däuchte es dem Kaufmann, als ob die Baronin ein Packet
Seide unter dem Mantel habe. Er faßte die Dame schärfer ins Auge, und
da einer der Ladendiener auch einige auffällige Bewegungen in der Haltung
der Käuferin bemerkt hatte, näherte sich dieser derselben sogar mit vorsichtiger
Betastung ihres Mantels. So heimlich dies auch geschah, so entging es doch
der Käuferin nicht. Mit Empfindlichkeit redete sie den Kaufmann an: "Jch

gleiter als Schautenpicker 1) handelt, d. h. die zur Hand liegenden
Waaren ſtiehlt und verbirgt. Hat der Schautenpicker den Maſſe-
matten gehandelt, ſo gibt er dem Schrekener einen Zink, worauf
ſich beide auf gute Manier entfernen. Vielfach nehmen die Schot-
tenfellerinnen außer männlicher Begleitung auch wol eine Geſell-
ſchafterin, Kammerjungfer, oder am liebſten eine als Amme coſtü-
mirte Genoſſin mit einem Kinde zum Vertuſſen mit. Die Amme
hat häufig die Aufgabe, durch geheime Mishandlung das Kind
zum Schreien zu bringen, damit die Aufmerkſamkeit des Verkäu-
fers auf Kind und Amme gerichtet wird und die angebliche Herr-
ſchaft unterdeß als Schautenpicker agiren kann. Das ſpielende
oder weinende Kind wird von der Amme tändelnd auf den Laden-
tiſch geſetzt, wo es mit ſeinem langen Kleide ein Waarenpacket
bedeckt, das dann mit dem Kinde aufgenommen und von deſſen
weiten Kleide vollkommen bedeckt wird. Auch größere Kinder
werden zu Unarten, Albernheiten und Unfug abgerichtet, um da-
durch Vertuſſ zu machen. Von der Schottenfellerin wird auch
wol in gleicher Abſicht eine verabredete Ohnmacht affectirt, wie
denn die Verſchlagenheit der Gaunerei unzählige Situationen her-
beizuführen und auszubeuten verſteht, die immer neu und originell
ſind. 2) Kleinere Packete werden auch in die wie unabſichtlich

1) Von Schaute, Narr (ſ. oben), und picken oder bicken, aufpicken,
wie die Vögel die Körner aufpicken, eſſen, verſpeiſen, genießen.
2) Zu den ſchon früher angeführten Beiſpielen nur noch einen Zug von
einer der größten Gaunerinnen, die mir bisjetzt vorgekommen ſind. Jn einer
bedeutenden Seidenhandlung hatte ſie einmal als Baroneſſe — n — für nahe an
300 Thaler gekauft, eine Kleinigkeit bezahlt, und gebeten, die Waaren bis zum
andern Tage zurückzulegen, wo ſie mit ihrem Manne, dem Baron, kommen und
bezahlen wolle. Andern Tags kam ſie allein wieder, gab vor, daß ſie noch
einiges kaufen wolle, ehe ſie morgen mit dem Baron komme, und erhandelte
noch ſo viel, daß die Rechnung auf 300 Thaler completirt wurde. Bei dieſem
letztern Beſuche däuchte es dem Kaufmann, als ob die Baronin ein Packet
Seide unter dem Mantel habe. Er faßte die Dame ſchärfer ins Auge, und
da einer der Ladendiener auch einige auffällige Bewegungen in der Haltung
der Käuferin bemerkt hatte, näherte ſich dieſer derſelben ſogar mit vorſichtiger
Betaſtung ihres Mantels. So heimlich dies auch geſchah, ſo entging es doch
der Käuferin nicht. Mit Empfindlichkeit redete ſie den Kaufmann an: „Jch
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[196/0208] gleiter als Schautenpicker 1) handelt, d. h. die zur Hand liegenden Waaren ſtiehlt und verbirgt. Hat der Schautenpicker den Maſſe- matten gehandelt, ſo gibt er dem Schrekener einen Zink, worauf ſich beide auf gute Manier entfernen. Vielfach nehmen die Schot- tenfellerinnen außer männlicher Begleitung auch wol eine Geſell- ſchafterin, Kammerjungfer, oder am liebſten eine als Amme coſtü- mirte Genoſſin mit einem Kinde zum Vertuſſen mit. Die Amme hat häufig die Aufgabe, durch geheime Mishandlung das Kind zum Schreien zu bringen, damit die Aufmerkſamkeit des Verkäu- fers auf Kind und Amme gerichtet wird und die angebliche Herr- ſchaft unterdeß als Schautenpicker agiren kann. Das ſpielende oder weinende Kind wird von der Amme tändelnd auf den Laden- tiſch geſetzt, wo es mit ſeinem langen Kleide ein Waarenpacket bedeckt, das dann mit dem Kinde aufgenommen und von deſſen weiten Kleide vollkommen bedeckt wird. Auch größere Kinder werden zu Unarten, Albernheiten und Unfug abgerichtet, um da- durch Vertuſſ zu machen. Von der Schottenfellerin wird auch wol in gleicher Abſicht eine verabredete Ohnmacht affectirt, wie denn die Verſchlagenheit der Gaunerei unzählige Situationen her- beizuführen und auszubeuten verſteht, die immer neu und originell ſind. 2) Kleinere Packete werden auch in die wie unabſichtlich 1) Von Schaute, Narr (ſ. oben), und picken oder bicken, aufpicken, wie die Vögel die Körner aufpicken, eſſen, verſpeiſen, genießen. 2) Zu den ſchon früher angeführten Beiſpielen nur noch einen Zug von einer der größten Gaunerinnen, die mir bisjetzt vorgekommen ſind. Jn einer bedeutenden Seidenhandlung hatte ſie einmal als Baroneſſe — n — für nahe an 300 Thaler gekauft, eine Kleinigkeit bezahlt, und gebeten, die Waaren bis zum andern Tage zurückzulegen, wo ſie mit ihrem Manne, dem Baron, kommen und bezahlen wolle. Andern Tags kam ſie allein wieder, gab vor, daß ſie noch einiges kaufen wolle, ehe ſie morgen mit dem Baron komme, und erhandelte noch ſo viel, daß die Rechnung auf 300 Thaler completirt wurde. Bei dieſem letztern Beſuche däuchte es dem Kaufmann, als ob die Baronin ein Packet Seide unter dem Mantel habe. Er faßte die Dame ſchärfer ins Auge, und da einer der Ladendiener auch einige auffällige Bewegungen in der Haltung der Käuferin bemerkt hatte, näherte ſich dieſer derſelben ſogar mit vorſichtiger Betaſtung ihres Mantels. So heimlich dies auch geſchah, ſo entging es doch der Käuferin nicht. Mit Empfindlichkeit redete ſie den Kaufmann an: „Jch

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/208>, abgerufen am 26.04.2024.