Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Gegensatz des romanisch-französischen und germanisch-deutschen
Elements recht deutlich zu Tage legen.



Zweiundneunzigstes Kapitel.
a) Der Widerspruch zwischen der französischen
Polizeigewalt und dem Volke
.

Wenn man mit prüfendem Blicke durch den Glanz, mit wel-
chem die französische Polizei sich zu umgeben weiß, auf das Wesen
dieser Polizei tiefer eindringt, so findet man, daß in der Geschichte
dieser Polizei das Volk überall kein zur Polizei thätig mitwirken-
der Factor gewesen ist. Man findet vielmehr das Volk beständig
in einen unnatürlichen scharfen Gegensatz gegen die Polizei ge-
stellt, welcher nicht nur die naturgemäße Entwickelung beider
Factoren gehemmt, sondern auch beide in einem fortdauernden
gegenseitigen offenen Widerstand und Kampf gehalten hat, dessen
Folgen für beide Theile von gleich schädlicher Wirkung gewesen
sind. Noch ehe die französische Polizei durch Ludwig XIV. ihre
absolutistische Form erhielt, war sie schon die mehrhundertjährige
Geschichte und Folge eines politischen Misgriffs, durch welchen
Frankreich ein- für allemal seine Einsetzung als Land der Politik
und Revolution erhalten hat. Als nämlich zu Ende des 11. Jahr-
hunderts in ganz Frankreich die öffentliche Ordnung und Sicher-
heit gerade durch die königlichen Beamten selbst und durch den
straßenräuberischen Lehnsadel auf das äußerste gefährdet war, und
es kaum möglich schien, der Gewalt der weltlichen und geistlichen
Herren Einhalt zu thun, ließ der schon seit 1092 zum Mitkönige
er nannte Ludwig VI. durch seine Bischöfe und Pfarrer die bürger-
lichen, nach Kirchsprengeln eingetheilten Gemeinden zu den Waffen
gegen den übermächtigen und unbändigen Adel rufen, und be-
kämpfte den räuberischen Lehnsadel mit dieser ersten eigentlichen
Landwehr, welche mit freudiger Bereitwilligkeit gegen ihre bis-

Gegenſatz des romaniſch-franzöſiſchen und germaniſch-deutſchen
Elements recht deutlich zu Tage legen.



Zweiundneunzigſtes Kapitel.
a) Der Widerſpruch zwiſchen der franzöſiſchen
Polizeigewalt und dem Volke
.

Wenn man mit prüfendem Blicke durch den Glanz, mit wel-
chem die franzöſiſche Polizei ſich zu umgeben weiß, auf das Weſen
dieſer Polizei tiefer eindringt, ſo findet man, daß in der Geſchichte
dieſer Polizei das Volk überall kein zur Polizei thätig mitwirken-
der Factor geweſen iſt. Man findet vielmehr das Volk beſtändig
in einen unnatürlichen ſcharfen Gegenſatz gegen die Polizei ge-
ſtellt, welcher nicht nur die naturgemäße Entwickelung beider
Factoren gehemmt, ſondern auch beide in einem fortdauernden
gegenſeitigen offenen Widerſtand und Kampf gehalten hat, deſſen
Folgen für beide Theile von gleich ſchädlicher Wirkung geweſen
ſind. Noch ehe die franzöſiſche Polizei durch Ludwig XIV. ihre
abſolutiſtiſche Form erhielt, war ſie ſchon die mehrhundertjährige
Geſchichte und Folge eines politiſchen Misgriffs, durch welchen
Frankreich ein- für allemal ſeine Einſetzung als Land der Politik
und Revolution erhalten hat. Als nämlich zu Ende des 11. Jahr-
hunderts in ganz Frankreich die öffentliche Ordnung und Sicher-
heit gerade durch die königlichen Beamten ſelbſt und durch den
ſtraßenräuberiſchen Lehnsadel auf das äußerſte gefährdet war, und
es kaum möglich ſchien, der Gewalt der weltlichen und geiſtlichen
Herren Einhalt zu thun, ließ der ſchon ſeit 1092 zum Mitkönige
er nannte Ludwig VI. durch ſeine Biſchöfe und Pfarrer die bürger-
lichen, nach Kirchſprengeln eingetheilten Gemeinden zu den Waffen
gegen den übermächtigen und unbändigen Adel rufen, und be-
kämpfte den räuberiſchen Lehnsadel mit dieſer erſten eigentlichen
Landwehr, welche mit freudiger Bereitwilligkeit gegen ihre bis-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0354" n="342"/>
Gegen&#x017F;atz des romani&#x017F;ch-franzö&#x017F;i&#x017F;chen und germani&#x017F;ch-deut&#x017F;chen<lb/>
Elements recht deutlich zu Tage legen.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#fr">Zweiundneunzig&#x017F;tes Kapitel.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">a)</hi> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Der Wider&#x017F;pruch zwi&#x017F;chen der franzö&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Polizeigewalt und dem Volke</hi>.</hi> </head><lb/>
            <p>Wenn man mit prüfendem Blicke durch den Glanz, mit wel-<lb/>
chem die franzö&#x017F;i&#x017F;che Polizei &#x017F;ich zu umgeben weiß, auf das We&#x017F;en<lb/>
die&#x017F;er Polizei tiefer eindringt, &#x017F;o findet man, daß in der Ge&#x017F;chichte<lb/>
die&#x017F;er Polizei das Volk überall kein zur Polizei thätig mitwirken-<lb/>
der Factor gewe&#x017F;en i&#x017F;t. Man findet vielmehr das Volk be&#x017F;tändig<lb/>
in einen unnatürlichen &#x017F;charfen Gegen&#x017F;atz gegen die Polizei ge-<lb/>
&#x017F;tellt, welcher nicht nur die naturgemäße Entwickelung beider<lb/>
Factoren gehemmt, &#x017F;ondern auch beide in einem fortdauernden<lb/>
gegen&#x017F;eitigen offenen Wider&#x017F;tand und Kampf gehalten hat, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Folgen für beide Theile von gleich &#x017F;chädlicher Wirkung gewe&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ind. Noch ehe die franzö&#x017F;i&#x017F;che Polizei durch Ludwig <hi rendition="#aq">XIV.</hi> ihre<lb/>
ab&#x017F;oluti&#x017F;ti&#x017F;che <hi rendition="#g">Form</hi> erhielt, war &#x017F;ie &#x017F;chon die mehrhundertjährige<lb/><hi rendition="#g">Ge&#x017F;chichte</hi> und <hi rendition="#g">Folge</hi> eines politi&#x017F;chen Misgriffs, durch welchen<lb/>
Frankreich ein- für allemal &#x017F;eine Ein&#x017F;etzung als Land der Politik<lb/>
und Revolution erhalten hat. Als nämlich zu Ende des 11. Jahr-<lb/>
hunderts in ganz Frankreich die öffentliche Ordnung und Sicher-<lb/>
heit gerade durch die königlichen Beamten &#x017F;elb&#x017F;t und durch den<lb/>
&#x017F;traßenräuberi&#x017F;chen Lehnsadel auf das äußer&#x017F;te gefährdet war, und<lb/>
es kaum möglich &#x017F;chien, der Gewalt der weltlichen und gei&#x017F;tlichen<lb/>
Herren Einhalt zu thun, ließ der &#x017F;chon &#x017F;eit 1092 zum Mitkönige<lb/>
er nannte Ludwig <hi rendition="#aq">VI.</hi> durch &#x017F;eine Bi&#x017F;chöfe und Pfarrer die bürger-<lb/>
lichen, nach Kirch&#x017F;prengeln eingetheilten Gemeinden zu den Waffen<lb/>
gegen den übermächtigen und unbändigen Adel rufen, und be-<lb/>
kämpfte den räuberi&#x017F;chen Lehnsadel mit die&#x017F;er er&#x017F;ten eigentlichen<lb/>
Landwehr, welche mit freudiger Bereitwilligkeit gegen ihre bis-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0354] Gegenſatz des romaniſch-franzöſiſchen und germaniſch-deutſchen Elements recht deutlich zu Tage legen. Zweiundneunzigſtes Kapitel. a) Der Widerſpruch zwiſchen der franzöſiſchen Polizeigewalt und dem Volke. Wenn man mit prüfendem Blicke durch den Glanz, mit wel- chem die franzöſiſche Polizei ſich zu umgeben weiß, auf das Weſen dieſer Polizei tiefer eindringt, ſo findet man, daß in der Geſchichte dieſer Polizei das Volk überall kein zur Polizei thätig mitwirken- der Factor geweſen iſt. Man findet vielmehr das Volk beſtändig in einen unnatürlichen ſcharfen Gegenſatz gegen die Polizei ge- ſtellt, welcher nicht nur die naturgemäße Entwickelung beider Factoren gehemmt, ſondern auch beide in einem fortdauernden gegenſeitigen offenen Widerſtand und Kampf gehalten hat, deſſen Folgen für beide Theile von gleich ſchädlicher Wirkung geweſen ſind. Noch ehe die franzöſiſche Polizei durch Ludwig XIV. ihre abſolutiſtiſche Form erhielt, war ſie ſchon die mehrhundertjährige Geſchichte und Folge eines politiſchen Misgriffs, durch welchen Frankreich ein- für allemal ſeine Einſetzung als Land der Politik und Revolution erhalten hat. Als nämlich zu Ende des 11. Jahr- hunderts in ganz Frankreich die öffentliche Ordnung und Sicher- heit gerade durch die königlichen Beamten ſelbſt und durch den ſtraßenräuberiſchen Lehnsadel auf das äußerſte gefährdet war, und es kaum möglich ſchien, der Gewalt der weltlichen und geiſtlichen Herren Einhalt zu thun, ließ der ſchon ſeit 1092 zum Mitkönige er nannte Ludwig VI. durch ſeine Biſchöfe und Pfarrer die bürger- lichen, nach Kirchſprengeln eingetheilten Gemeinden zu den Waffen gegen den übermächtigen und unbändigen Adel rufen, und be- kämpfte den räuberiſchen Lehnsadel mit dieſer erſten eigentlichen Landwehr, welche mit freudiger Bereitwilligkeit gegen ihre bis-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/354
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/354>, abgerufen am 20.05.2024.