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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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merksamkeit kann es nicht verhindert werden, daß der gefangene
Gauner dem ihm vielleicht ganz ferne stehenden, aber durch den
ersten Blick und Zink als Gauner nahe verbundenen Besucher
weinend mit affectirter Leidenschaft um den Hals fällt, daß er
ihm im unendlichen Schmerze mit den Händen an den Kopf faßt,
ihn herzt, und inzwischen ihm aus dem Halstuch, Haar, Ohr
oder Bart eine feine Feder oder Feile herauszieht, während sein
fest auf den Mund des Besuchers gepreßter Mund einen Klamo-
niss oder ein Goldstück in Empfang nimmt. Vorzüglich drängen sich
in dieser Weise die Weiber und Concubinen in die Gefängnisse,
und bringen auch Kinder mit, die oft dem Gauner ganz fremd
sind, an deren Gegenwart er jedoch gleich bemerkt, daß in der
Flöte, Trompete oder dem andern unverdächtigen Spielzeug des
Kindes ein Gegenstand steckt, den er im unschuldigen Scherzen
und Spielen mit dem Kinde geschickt herauszuholen weiß. Auch
drängt sich häufig ein getreuer Pudel oder Spitzhund mitherein,
springt an den lang vermißten Herrn wedelnd in die Höhe, der
ihn gerührt umarmt und liebkost, dabei aber unter dem Schwanz,
Halsband oder aus dem dichten Haar zwischen den Vorderbeinen
des Thiers die Klamoniss, Feilen u. dgl. herauszieht, die seine
Genossen daran befestigt haben. Die Hunde spielen überhaupt
eine wichtige Rolle bei den Gaunern. Abgesehen von dem merk-
würdigen, fast historisch gewordenen Hunde des Bairischen Hiesel,
der in der That die tapferste und gefürchtetste Begleitung des
Hiesel war, findet man die bestdressirten Hunde bei Gaunern, die
ja auch häufig mit ihnen zur Schau umherziehen. Die Hunde
sind nicht nur dazu abgerichtet, alles, was der Herr hinwirft, auf-
zugreifen und an niemand als an diesen abzulassen 1): sie rennen

1) Als der Gauner Tom Gerhard am 24. August 1711 zu Tyburn ge-
henkt wurde, lief sein sehr hübscher Bologneserhund dem presbyterianischen
Geistlichen Dr. Burges zu, welcher sich des verwaisten Thieres annahm. Zum
Schrecken des geistlichen Herrn zeigte der Hund jedoch bald bei den Gängen
durch die Straßen, daß er sehr geschickt den Leuten die Geldbeutel aus der
Hand wegzuschnappen wußte, welche er seinem Herrn brachte. Dieser ließ nun
aus Furcht, daß auch im Versammlungshause einmal das bedenkliche Talent
Ave-Lallemant, Gaunerthum. II. 6

merkſamkeit kann es nicht verhindert werden, daß der gefangene
Gauner dem ihm vielleicht ganz ferne ſtehenden, aber durch den
erſten Blick und Zink als Gauner nahe verbundenen Beſucher
weinend mit affectirter Leidenſchaft um den Hals fällt, daß er
ihm im unendlichen Schmerze mit den Händen an den Kopf faßt,
ihn herzt, und inzwiſchen ihm aus dem Halstuch, Haar, Ohr
oder Bart eine feine Feder oder Feile herauszieht, während ſein
feſt auf den Mund des Beſuchers gepreßter Mund einen Klamo-
niſſ oder ein Goldſtück in Empfang nimmt. Vorzüglich drängen ſich
in dieſer Weiſe die Weiber und Concubinen in die Gefängniſſe,
und bringen auch Kinder mit, die oft dem Gauner ganz fremd
ſind, an deren Gegenwart er jedoch gleich bemerkt, daß in der
Flöte, Trompete oder dem andern unverdächtigen Spielzeug des
Kindes ein Gegenſtand ſteckt, den er im unſchuldigen Scherzen
und Spielen mit dem Kinde geſchickt herauszuholen weiß. Auch
drängt ſich häufig ein getreuer Pudel oder Spitzhund mitherein,
ſpringt an den lang vermißten Herrn wedelnd in die Höhe, der
ihn gerührt umarmt und liebkoſt, dabei aber unter dem Schwanz,
Halsband oder aus dem dichten Haar zwiſchen den Vorderbeinen
des Thiers die Klamoniſſ, Feilen u. dgl. herauszieht, die ſeine
Genoſſen daran befeſtigt haben. Die Hunde ſpielen überhaupt
eine wichtige Rolle bei den Gaunern. Abgeſehen von dem merk-
würdigen, faſt hiſtoriſch gewordenen Hunde des Bairiſchen Hieſel,
der in der That die tapferſte und gefürchtetſte Begleitung des
Hieſel war, findet man die beſtdreſſirten Hunde bei Gaunern, die
ja auch häufig mit ihnen zur Schau umherziehen. Die Hunde
ſind nicht nur dazu abgerichtet, alles, was der Herr hinwirft, auf-
zugreifen und an niemand als an dieſen abzulaſſen 1): ſie rennen

1) Als der Gauner Tom Gerhard am 24. Auguſt 1711 zu Tyburn ge-
henkt wurde, lief ſein ſehr hübſcher Bologneſerhund dem presbyterianiſchen
Geiſtlichen Dr. Burges zu, welcher ſich des verwaiſten Thieres annahm. Zum
Schrecken des geiſtlichen Herrn zeigte der Hund jedoch bald bei den Gängen
durch die Straßen, daß er ſehr geſchickt den Leuten die Geldbeutel aus der
Hand wegzuſchnappen wußte, welche er ſeinem Herrn brachte. Dieſer ließ nun
aus Furcht, daß auch im Verſammlungshauſe einmal das bedenkliche Talent
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 6
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[81/0093] merkſamkeit kann es nicht verhindert werden, daß der gefangene Gauner dem ihm vielleicht ganz ferne ſtehenden, aber durch den erſten Blick und Zink als Gauner nahe verbundenen Beſucher weinend mit affectirter Leidenſchaft um den Hals fällt, daß er ihm im unendlichen Schmerze mit den Händen an den Kopf faßt, ihn herzt, und inzwiſchen ihm aus dem Halstuch, Haar, Ohr oder Bart eine feine Feder oder Feile herauszieht, während ſein feſt auf den Mund des Beſuchers gepreßter Mund einen Klamo- niſſ oder ein Goldſtück in Empfang nimmt. Vorzüglich drängen ſich in dieſer Weiſe die Weiber und Concubinen in die Gefängniſſe, und bringen auch Kinder mit, die oft dem Gauner ganz fremd ſind, an deren Gegenwart er jedoch gleich bemerkt, daß in der Flöte, Trompete oder dem andern unverdächtigen Spielzeug des Kindes ein Gegenſtand ſteckt, den er im unſchuldigen Scherzen und Spielen mit dem Kinde geſchickt herauszuholen weiß. Auch drängt ſich häufig ein getreuer Pudel oder Spitzhund mitherein, ſpringt an den lang vermißten Herrn wedelnd in die Höhe, der ihn gerührt umarmt und liebkoſt, dabei aber unter dem Schwanz, Halsband oder aus dem dichten Haar zwiſchen den Vorderbeinen des Thiers die Klamoniſſ, Feilen u. dgl. herauszieht, die ſeine Genoſſen daran befeſtigt haben. Die Hunde ſpielen überhaupt eine wichtige Rolle bei den Gaunern. Abgeſehen von dem merk- würdigen, faſt hiſtoriſch gewordenen Hunde des Bairiſchen Hieſel, der in der That die tapferſte und gefürchtetſte Begleitung des Hieſel war, findet man die beſtdreſſirten Hunde bei Gaunern, die ja auch häufig mit ihnen zur Schau umherziehen. Die Hunde ſind nicht nur dazu abgerichtet, alles, was der Herr hinwirft, auf- zugreifen und an niemand als an dieſen abzulaſſen 1): ſie rennen 1) Als der Gauner Tom Gerhard am 24. Auguſt 1711 zu Tyburn ge- henkt wurde, lief ſein ſehr hübſcher Bologneſerhund dem presbyterianiſchen Geiſtlichen Dr. Burges zu, welcher ſich des verwaiſten Thieres annahm. Zum Schrecken des geiſtlichen Herrn zeigte der Hund jedoch bald bei den Gängen durch die Straßen, daß er ſehr geſchickt den Leuten die Geldbeutel aus der Hand wegzuſchnappen wußte, welche er ſeinem Herrn brachte. Dieſer ließ nun aus Furcht, daß auch im Verſammlungshauſe einmal das bedenkliche Talent Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 6

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/93>, abgerufen am 26.04.2024.