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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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schon aus dem Anfang solcher "Cantiuncula", daß von einer
Sprachvermischung nicht die Rede ist, z. B.:

Pertransibat clericus,
Durch einen grünen Waldt,
Videbat ibi stantem, stantem, stantem
Ein Mägdelein wohlgestalt.
Salva sis puellula,
Godt grüß dich Mägdelein fein,
Dico: ibi vere, vere, vere,
Du solst mein Beischlaf sein.
Non sic, non sic, mi Domine,
Jhr treibet mit mir spott,
Si vultis me supponere, supponere, supponere,
So macht nicht viel der Wordt.
Ceciderunt ambo
Wol in das grüne gras u. s. w.

Dabei drängt sich überall die Wahrnehmung auf, wie in den
Land- und Stadtrechten, z. B. in dem zuerst lateinisch, dann nie-
derdeutsch und endlich hochdeutsch bearbeiteten Sachsenspiegel, im
Schwabenspiegel und in Rechtsurkunden, z. B. der augsburger
Schenkungsurkunde von 1070, sich die deutsche Sprache geltend
macht, während das von dem Klerus und Lehnrecht getragene
Latein, dem classisch-römischen Sprachgeist zum Hohn, seinen ur-
sprünglichen Charakter verliert und mit starker deutscher Verfärbung
in das barbarische Mittel- und Mönchslatein übergeht, von wel-
chem unzählige Proben vorliegen und welches namentlich von dem
sprudelnden Humor und der schneidenden Satire der "Epistolae
obscurorum virorum
" (1516) bis zur Vernichtung gegeiselt und
für alle Zeit zur Posse der lateinischen Sprache gestempelt wurde.
Aber schon gegen das Ende des 12. Jahrhunderts findet man,
daß die Poesie aus den Händen der Geistlichkeit in die der Laien
überging, und daß in der erzählenden Dichtung, welche sowol ein-
heimische wie fremde Sagenstoffe behandelte, wie in dem später
sich bildenden Meistergesang, wenn auch romanische Einflüsse sicht-
bar sind, doch auch die nationale Eigenthümlichkeit sich entwickelte

5 *

ſchon aus dem Anfang ſolcher „Cantiuncula“, daß von einer
Sprachvermiſchung nicht die Rede iſt, z. B.:

Pertransibat clericus,
Durch einen grünen Waldt,
Videbat ibi stantem, stantem, stantem
Ein Mägdelein wohlgeſtalt.
Salva sis puellula,
Godt grüß dich Mägdelein fein,
Dico: ibi vere, vere, vere,
Du ſolſt mein Beiſchlaf ſein.
Non sic, non sic, mi Domine,
Jhr treibet mit mir ſpott,
Si vultis me supponere, supponere, supponere,
So macht nicht viel der Wordt.
Ceciderunt ambo
Wol in das grüne gras u. ſ. w.

Dabei drängt ſich überall die Wahrnehmung auf, wie in den
Land- und Stadtrechten, z. B. in dem zuerſt lateiniſch, dann nie-
derdeutſch und endlich hochdeutſch bearbeiteten Sachſenſpiegel, im
Schwabenſpiegel und in Rechtsurkunden, z. B. der augsburger
Schenkungsurkunde von 1070, ſich die deutſche Sprache geltend
macht, während das von dem Klerus und Lehnrecht getragene
Latein, dem claſſiſch-römiſchen Sprachgeiſt zum Hohn, ſeinen ur-
ſprünglichen Charakter verliert und mit ſtarker deutſcher Verfärbung
in das barbariſche Mittel- und Mönchslatein übergeht, von wel-
chem unzählige Proben vorliegen und welches namentlich von dem
ſprudelnden Humor und der ſchneidenden Satire der „Epistolae
obscurorum virorum
“ (1516) bis zur Vernichtung gegeiſelt und
für alle Zeit zur Poſſe der lateiniſchen Sprache geſtempelt wurde.
Aber ſchon gegen das Ende des 12. Jahrhunderts findet man,
daß die Poeſie aus den Händen der Geiſtlichkeit in die der Laien
überging, und daß in der erzählenden Dichtung, welche ſowol ein-
heimiſche wie fremde Sagenſtoffe behandelte, wie in dem ſpäter
ſich bildenden Meiſtergeſang, wenn auch romaniſche Einflüſſe ſicht-
bar ſind, doch auch die nationale Eigenthümlichkeit ſich entwickelte

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[67/0101] ſchon aus dem Anfang ſolcher „Cantiuncula“, daß von einer Sprachvermiſchung nicht die Rede iſt, z. B.: Pertransibat clericus, Durch einen grünen Waldt, Videbat ibi stantem, stantem, stantem Ein Mägdelein wohlgeſtalt. Salva sis puellula, Godt grüß dich Mägdelein fein, Dico: ibi vere, vere, vere, Du ſolſt mein Beiſchlaf ſein. Non sic, non sic, mi Domine, Jhr treibet mit mir ſpott, Si vultis me supponere, supponere, supponere, So macht nicht viel der Wordt. Ceciderunt ambo Wol in das grüne gras u. ſ. w. Dabei drängt ſich überall die Wahrnehmung auf, wie in den Land- und Stadtrechten, z. B. in dem zuerſt lateiniſch, dann nie- derdeutſch und endlich hochdeutſch bearbeiteten Sachſenſpiegel, im Schwabenſpiegel und in Rechtsurkunden, z. B. der augsburger Schenkungsurkunde von 1070, ſich die deutſche Sprache geltend macht, während das von dem Klerus und Lehnrecht getragene Latein, dem claſſiſch-römiſchen Sprachgeiſt zum Hohn, ſeinen ur- ſprünglichen Charakter verliert und mit ſtarker deutſcher Verfärbung in das barbariſche Mittel- und Mönchslatein übergeht, von wel- chem unzählige Proben vorliegen und welches namentlich von dem ſprudelnden Humor und der ſchneidenden Satire der „Epistolae obscurorum virorum“ (1516) bis zur Vernichtung gegeiſelt und für alle Zeit zur Poſſe der lateiniſchen Sprache geſtempelt wurde. Aber ſchon gegen das Ende des 12. Jahrhunderts findet man, daß die Poeſie aus den Händen der Geiſtlichkeit in die der Laien überging, und daß in der erzählenden Dichtung, welche ſowol ein- heimiſche wie fremde Sagenſtoffe behandelte, wie in dem ſpäter ſich bildenden Meiſtergeſang, wenn auch romaniſche Einflüſſe ſicht- bar ſind, doch auch die nationale Eigenthümlichkeit ſich entwickelte 5 *

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/101>, abgerufen am 21.11.2024.