Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

deutschem Boden populär und heimisch werden zu können. Schon
dadurch, daß sie den Wortwurzeln irgendeiner der romanischen
Sprachen, über deren Kreis sie niemals anders als vereinzelt in
das Deutsche hinausging, lateinische Flexionen anhängte und somit
der romanischen Sprache in ihren einzelnen lateinisch flectirten Stamm-
wörtern das Scheingepräge der lateinischen Sprache verlieh, wurde sie
zu einem nur den Gelehrten verständlichen travestirten burlesken La-
tein, welches vor allem der Satire, für welche doch wesentlich die
maccaronische Poesie geschaffen war, namentlich zur Geiselung des
affectirten Einmischens fremder Wörter in die Muttersprache, einen
wesentlichen Theil ihres natürlichen Rechts, das der ungebundenen
öffentlichen volksmäßigen Bewegung, verkümmerte und sich nur auf
eine heimliche Stubenzüchtigung der pedantischen Gelehrsamkeit
beschränken mußte, bei welcher kein recht öffentliches Exempel sta-
tuirt werden konnte. Die maccaronische Poesie ist daher niemals
in das Volk gedrungen. Sie erbitterte ebenso scharf, als sie rügte.
Daher auch ihre sehr strenge Beurtheilung, ihre Unstetigkeit und
ihr rasches Verschwinden. Ohnehin beleidigte sie den Geist beider
zusammengezwungenen Sprachen und hätte sich in ihrer burlesken
Mummerei niemals halten können, wenn sie sich nicht auf den
Schwingen der poetischen Form zu jener Sphäre erhoben hätte,
in welcher man den losen Schalk nur desto deutlicher sehen und
belachen konnte.

Obschon diese Sprachfastnachtsposse, wie schon erwähnt, sich
nicht aus den Kreisen der romanischen Sprachfamilie entfernte und
nur vereinzelt auf den deutschen Sprachboden übertrat, so verdient
sie doch besonders wegen ihrer Entstehung und ihres Uebertritts auf
deutschen Boden einige Aufmerksamkeit. Die maccaronische Poesie
ist in Jtalien entsprungen. Obwol Typhis Odaxius (Tifi degli
Odasj) aus Padua (+ 1488) der erste maccaronische Dichter ist, so
hat er doch nur das eine sehr kurze Carmen maccaronicum de
Patavinis quibusdam arte magica delusis
gemacht, welches bei
Genthe S. 207 abgedruckt ist, und dessen Verbrennung Odaxius
obendrein, wiewol vergeblich, da es schon zehnmal gedruckt war,

deutſchem Boden populär und heimiſch werden zu können. Schon
dadurch, daß ſie den Wortwurzeln irgendeiner der romaniſchen
Sprachen, über deren Kreis ſie niemals anders als vereinzelt in
das Deutſche hinausging, lateiniſche Flexionen anhängte und ſomit
der romaniſchen Sprache in ihren einzelnen lateiniſch flectirten Stamm-
wörtern das Scheingepräge der lateiniſchen Sprache verlieh, wurde ſie
zu einem nur den Gelehrten verſtändlichen traveſtirten burlesken La-
tein, welches vor allem der Satire, für welche doch weſentlich die
maccaroniſche Poeſie geſchaffen war, namentlich zur Geiſelung des
affectirten Einmiſchens fremder Wörter in die Mutterſprache, einen
weſentlichen Theil ihres natürlichen Rechts, das der ungebundenen
öffentlichen volksmäßigen Bewegung, verkümmerte und ſich nur auf
eine heimliche Stubenzüchtigung der pedantiſchen Gelehrſamkeit
beſchränken mußte, bei welcher kein recht öffentliches Exempel ſta-
tuirt werden konnte. Die maccaroniſche Poeſie iſt daher niemals
in das Volk gedrungen. Sie erbitterte ebenſo ſcharf, als ſie rügte.
Daher auch ihre ſehr ſtrenge Beurtheilung, ihre Unſtetigkeit und
ihr raſches Verſchwinden. Ohnehin beleidigte ſie den Geiſt beider
zuſammengezwungenen Sprachen und hätte ſich in ihrer burlesken
Mummerei niemals halten können, wenn ſie ſich nicht auf den
Schwingen der poetiſchen Form zu jener Sphäre erhoben hätte,
in welcher man den loſen Schalk nur deſto deutlicher ſehen und
belachen konnte.

Obſchon dieſe Sprachfaſtnachtspoſſe, wie ſchon erwähnt, ſich
nicht aus den Kreiſen der romaniſchen Sprachfamilie entfernte und
nur vereinzelt auf den deutſchen Sprachboden übertrat, ſo verdient
ſie doch beſonders wegen ihrer Entſtehung und ihres Uebertritts auf
deutſchen Boden einige Aufmerkſamkeit. Die maccaroniſche Poeſie
iſt in Jtalien entſprungen. Obwol Typhis Odaxius (Tifi degli
Odasj) aus Padua († 1488) der erſte maccaroniſche Dichter iſt, ſo
hat er doch nur das eine ſehr kurze Carmen maccaronicum de
Patavinis quibusdam arte magica delusis
gemacht, welches bei
Genthe S. 207 abgedruckt iſt, und deſſen Verbrennung Odaxius
obendrein, wiewol vergeblich, da es ſchon zehnmal gedruckt war,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0109" n="75"/>
deut&#x017F;chem Boden populär und heimi&#x017F;ch werden zu können. Schon<lb/>
dadurch, daß &#x017F;ie den Wortwurzeln irgendeiner der romani&#x017F;chen<lb/>
Sprachen, über deren Kreis &#x017F;ie niemals anders als vereinzelt in<lb/>
das Deut&#x017F;che hinausging, lateini&#x017F;che Flexionen anhängte und &#x017F;omit<lb/>
der romani&#x017F;chen Sprache in ihren einzelnen lateini&#x017F;ch flectirten Stamm-<lb/>
wörtern das Scheingepräge der lateini&#x017F;chen Sprache verlieh, wurde &#x017F;ie<lb/>
zu einem nur den Gelehrten ver&#x017F;tändlichen trave&#x017F;tirten burlesken La-<lb/>
tein, welches vor allem der Satire, für welche doch we&#x017F;entlich die<lb/>
maccaroni&#x017F;che Poe&#x017F;ie ge&#x017F;chaffen war, namentlich zur Gei&#x017F;elung des<lb/>
affectirten Einmi&#x017F;chens fremder Wörter in die Mutter&#x017F;prache, einen<lb/>
we&#x017F;entlichen Theil ihres natürlichen Rechts, das der ungebundenen<lb/>
öffentlichen volksmäßigen Bewegung, verkümmerte und &#x017F;ich nur auf<lb/>
eine heimliche Stubenzüchtigung der pedanti&#x017F;chen Gelehr&#x017F;amkeit<lb/>
be&#x017F;chränken mußte, bei welcher kein recht öffentliches Exempel &#x017F;ta-<lb/>
tuirt werden konnte. Die maccaroni&#x017F;che Poe&#x017F;ie i&#x017F;t daher niemals<lb/>
in das Volk gedrungen. Sie erbitterte eben&#x017F;o &#x017F;charf, als &#x017F;ie rügte.<lb/>
Daher auch ihre &#x017F;ehr &#x017F;trenge Beurtheilung, ihre Un&#x017F;tetigkeit und<lb/>
ihr ra&#x017F;ches Ver&#x017F;chwinden. Ohnehin beleidigte &#x017F;ie den Gei&#x017F;t beider<lb/>
zu&#x017F;ammengezwungenen Sprachen und hätte &#x017F;ich in ihrer burlesken<lb/>
Mummerei niemals halten können, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich nicht auf den<lb/>
Schwingen der poeti&#x017F;chen Form zu jener Sphäre erhoben hätte,<lb/>
in welcher man den lo&#x017F;en Schalk nur de&#x017F;to deutlicher &#x017F;ehen und<lb/>
belachen konnte.</p><lb/>
            <p>Ob&#x017F;chon die&#x017F;e Sprachfa&#x017F;tnachtspo&#x017F;&#x017F;e, wie &#x017F;chon erwähnt, &#x017F;ich<lb/>
nicht aus den Krei&#x017F;en der romani&#x017F;chen Sprachfamilie entfernte und<lb/>
nur vereinzelt auf den deut&#x017F;chen Sprachboden übertrat, &#x017F;o verdient<lb/>
&#x017F;ie doch be&#x017F;onders wegen ihrer Ent&#x017F;tehung und ihres Uebertritts auf<lb/>
deut&#x017F;chen Boden einige Aufmerk&#x017F;amkeit. Die maccaroni&#x017F;che Poe&#x017F;ie<lb/>
i&#x017F;t in Jtalien ent&#x017F;prungen. Obwol Typhis Odaxius (Tifi degli<lb/>
Odasj) aus Padua (&#x2020; 1488) der er&#x017F;te maccaroni&#x017F;che Dichter i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
hat er doch nur das eine &#x017F;ehr kurze <hi rendition="#aq">Carmen maccaronicum de<lb/>
Patavinis quibusdam arte magica delusis</hi> gemacht, welches bei<lb/>
Genthe S. 207 abgedruckt i&#x017F;t, und de&#x017F;&#x017F;en Verbrennung Odaxius<lb/>
obendrein, wiewol vergeblich, da es &#x017F;chon zehnmal gedruckt war,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0109] deutſchem Boden populär und heimiſch werden zu können. Schon dadurch, daß ſie den Wortwurzeln irgendeiner der romaniſchen Sprachen, über deren Kreis ſie niemals anders als vereinzelt in das Deutſche hinausging, lateiniſche Flexionen anhängte und ſomit der romaniſchen Sprache in ihren einzelnen lateiniſch flectirten Stamm- wörtern das Scheingepräge der lateiniſchen Sprache verlieh, wurde ſie zu einem nur den Gelehrten verſtändlichen traveſtirten burlesken La- tein, welches vor allem der Satire, für welche doch weſentlich die maccaroniſche Poeſie geſchaffen war, namentlich zur Geiſelung des affectirten Einmiſchens fremder Wörter in die Mutterſprache, einen weſentlichen Theil ihres natürlichen Rechts, das der ungebundenen öffentlichen volksmäßigen Bewegung, verkümmerte und ſich nur auf eine heimliche Stubenzüchtigung der pedantiſchen Gelehrſamkeit beſchränken mußte, bei welcher kein recht öffentliches Exempel ſta- tuirt werden konnte. Die maccaroniſche Poeſie iſt daher niemals in das Volk gedrungen. Sie erbitterte ebenſo ſcharf, als ſie rügte. Daher auch ihre ſehr ſtrenge Beurtheilung, ihre Unſtetigkeit und ihr raſches Verſchwinden. Ohnehin beleidigte ſie den Geiſt beider zuſammengezwungenen Sprachen und hätte ſich in ihrer burlesken Mummerei niemals halten können, wenn ſie ſich nicht auf den Schwingen der poetiſchen Form zu jener Sphäre erhoben hätte, in welcher man den loſen Schalk nur deſto deutlicher ſehen und belachen konnte. Obſchon dieſe Sprachfaſtnachtspoſſe, wie ſchon erwähnt, ſich nicht aus den Kreiſen der romaniſchen Sprachfamilie entfernte und nur vereinzelt auf den deutſchen Sprachboden übertrat, ſo verdient ſie doch beſonders wegen ihrer Entſtehung und ihres Uebertritts auf deutſchen Boden einige Aufmerkſamkeit. Die maccaroniſche Poeſie iſt in Jtalien entſprungen. Obwol Typhis Odaxius (Tifi degli Odasj) aus Padua († 1488) der erſte maccaroniſche Dichter iſt, ſo hat er doch nur das eine ſehr kurze Carmen maccaronicum de Patavinis quibusdam arte magica delusis gemacht, welches bei Genthe S. 207 abgedruckt iſt, und deſſen Verbrennung Odaxius obendrein, wiewol vergeblich, da es ſchon zehnmal gedruckt war,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/109
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/109>, abgerufen am 17.05.2024.