Sprichwörterkunde. Aufgezeichnet aus dem Munde des Volkes und nach Wort und Sinn erläutert" (Frankf. a. M. 1860), Nr. 661, 662.
Fünfundzwanzigstes Kapitel. d)Die Sprache deutscher Volksgruppen.
Läßt man den Blick mit genauer Forschung durch das wilde Gestrüpp der Gaunersprache auf den Boden hinabgleiten, aus welchem jenes hervorgewuchert ist, und verfolgt man das dichte weitreichende Wurzelgeflecht unter diesem Boden in seinen langen Erstreckungen, so muß man über die Polypenwüchsigkeit dieses Wurzelwerks erstaunen, welches unter den Boden aller, selbst der entlegensten, socialpolitischen Kreise hineinzudringen und überaus reichliche Nahrung von diesen zu gewinnen gewußt hat. Wenn man in diese Kreise hineinblickt, unter deren Boden ein so giftiges Gewächs Wurzel gefaßt hat und häufig mit üppigem Wucher zu Tage hervorbricht, so ahnt man oft kaum, daß mitten unter den Sprossen frischer fröhlicher Kraft des gemeinsamen socialen oder gewerblichen Lebens so unheilvolle Triebe hervordringen und zur giftigen Frucht gezeitigt werden konnten. Erkennt man nun in der Standesgruppirung nicht eine Jsolirung des bestimmten Krei- ses, sondern eine von demselben Geist und Bewußtsein der social- politischen oder gewerblichen Aufgaben beseelte, gemeinsam strebende Vereinigung als integrirenden Theil der ganzen Volksmasse, welche durch die Centralisirung der verschiedenen Standesgruppirungen ihr organisches Gesammtleben darstellt und fördert: so ist es bei dem Auslaufen aller Gruppirungen in die große Gesammtheit erklärlich, wie schon die Jnfection einer einzelnen Gruppe verderblich auf die Gesammtheit wirken mußte. Es läßt sich auf culturhistorischem Wege nachweisen, daß das Gaunerthum nicht nur die freiesten und frischesten socialpolitischen Kreise inficirt und in ihnen ein be- denkliches sittliches Siechthum zu erzeugen vermocht hat; sondern daß es auch ganze einzelne Gruppen, wie z. B. die der "Töchter
Sprichwörterkunde. Aufgezeichnet aus dem Munde des Volkes und nach Wort und Sinn erläutert“ (Frankf. a. M. 1860), Nr. 661, 662.
Fünfundzwanzigſtes Kapitel. d)Die Sprache deutſcher Volksgruppen.
Läßt man den Blick mit genauer Forſchung durch das wilde Geſtrüpp der Gaunerſprache auf den Boden hinabgleiten, aus welchem jenes hervorgewuchert iſt, und verfolgt man das dichte weitreichende Wurzelgeflecht unter dieſem Boden in ſeinen langen Erſtreckungen, ſo muß man über die Polypenwüchſigkeit dieſes Wurzelwerks erſtaunen, welches unter den Boden aller, ſelbſt der entlegenſten, ſocialpolitiſchen Kreiſe hineinzudringen und überaus reichliche Nahrung von dieſen zu gewinnen gewußt hat. Wenn man in dieſe Kreiſe hineinblickt, unter deren Boden ein ſo giftiges Gewächs Wurzel gefaßt hat und häufig mit üppigem Wucher zu Tage hervorbricht, ſo ahnt man oft kaum, daß mitten unter den Sproſſen friſcher fröhlicher Kraft des gemeinſamen ſocialen oder gewerblichen Lebens ſo unheilvolle Triebe hervordringen und zur giftigen Frucht gezeitigt werden konnten. Erkennt man nun in der Standesgruppirung nicht eine Jſolirung des beſtimmten Krei- ſes, ſondern eine von demſelben Geiſt und Bewußtſein der ſocial- politiſchen oder gewerblichen Aufgaben beſeelte, gemeinſam ſtrebende Vereinigung als integrirenden Theil der ganzen Volksmaſſe, welche durch die Centraliſirung der verſchiedenen Standesgruppirungen ihr organiſches Geſammtleben darſtellt und fördert: ſo iſt es bei dem Auslaufen aller Gruppirungen in die große Geſammtheit erklärlich, wie ſchon die Jnfection einer einzelnen Gruppe verderblich auf die Geſammtheit wirken mußte. Es läßt ſich auf culturhiſtoriſchem Wege nachweiſen, daß das Gaunerthum nicht nur die freieſten und friſcheſten ſocialpolitiſchen Kreiſe inficirt und in ihnen ein be- denkliches ſittliches Siechthum zu erzeugen vermocht hat; ſondern daß es auch ganze einzelne Gruppen, wie z. B. die der „Töchter
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Sprichwörterkunde. Aufgezeichnet aus dem Munde des Volkes und
nach Wort und Sinn erläutert“ (Frankf. a. M. 1860), Nr. 661, 662.
Fünfundzwanzigſtes Kapitel.
d) Die Sprache deutſcher Volksgruppen.
Läßt man den Blick mit genauer Forſchung durch das wilde
Geſtrüpp der Gaunerſprache auf den Boden hinabgleiten, aus
welchem jenes hervorgewuchert iſt, und verfolgt man das dichte
weitreichende Wurzelgeflecht unter dieſem Boden in ſeinen langen
Erſtreckungen, ſo muß man über die Polypenwüchſigkeit dieſes
Wurzelwerks erſtaunen, welches unter den Boden aller, ſelbſt der
entlegenſten, ſocialpolitiſchen Kreiſe hineinzudringen und überaus
reichliche Nahrung von dieſen zu gewinnen gewußt hat. Wenn
man in dieſe Kreiſe hineinblickt, unter deren Boden ein ſo giftiges
Gewächs Wurzel gefaßt hat und häufig mit üppigem Wucher zu
Tage hervorbricht, ſo ahnt man oft kaum, daß mitten unter den
Sproſſen friſcher fröhlicher Kraft des gemeinſamen ſocialen oder
gewerblichen Lebens ſo unheilvolle Triebe hervordringen und zur
giftigen Frucht gezeitigt werden konnten. Erkennt man nun in
der Standesgruppirung nicht eine Jſolirung des beſtimmten Krei-
ſes, ſondern eine von demſelben Geiſt und Bewußtſein der ſocial-
politiſchen oder gewerblichen Aufgaben beſeelte, gemeinſam ſtrebende
Vereinigung als integrirenden Theil der ganzen Volksmaſſe, welche
durch die Centraliſirung der verſchiedenen Standesgruppirungen
ihr organiſches Geſammtleben darſtellt und fördert: ſo iſt es bei dem
Auslaufen aller Gruppirungen in die große Geſammtheit erklärlich,
wie ſchon die Jnfection einer einzelnen Gruppe verderblich auf die
Geſammtheit wirken mußte. Es läßt ſich auf culturhiſtoriſchem
Wege nachweiſen, daß das Gaunerthum nicht nur die freieſten
und friſcheſten ſocialpolitiſchen Kreiſe inficirt und in ihnen ein be-
denkliches ſittliches Siechthum zu erzeugen vermocht hat; ſondern
daß es auch ganze einzelne Gruppen, wie z. B. die der „Töchter
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/125>, abgerufen am 21.11.2024.
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