Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Seichteres zu lesen als jene Tölpel- oder Bauernliteratur, in wel-
cher aller Witz schwindet, weil die Misform gesucht ist und nir-
gends etwas Natürliches heraustritt. Somit verlor denn auch die
Satire den geistigen Halt und Griff, um die hier und dort sich
wirklich einmal hervordrängende bäuerische Unwissenheit und Un-
geschicklichkeit bei Zeiten und mit Behendigkeit zurückzuweisen, bis
denn jetzt der moderne nivellirende Materialismus auch in dem
besitzenden Bauernstande seine Jüngerschaft gewonnen hat, welche
ganz anders als in der alten kräftigen Natürlichkeit auftritt, deren
Unwissenheit nicht mehr arglos und blöde, sondern schon über-
müthig ist und nun eine Stellung beansprucht, welche ihr von der
Staatspolitik nicht oh[fremdsprachliches Material]sehr ernstes Bedenken einzuräumen ist. 1)

So ist denn bei d[fremdsprachliches Material]em krankhaften innern Widerspruch des
modernen Bauernthums eine solche Bauernsprache erst jetzt in der
Bildung begriffen, wie sie schon vor Jahrhunderten von müßiger
und ungerechter Schriftstellerei so verlogen und mit so plattem und
mattem Geschick dem Bauernstande aufgebürdet wurde. Das Hin-
eintragen ausländischer Wörter in die deutsche Sprache und ihre
absichtliche Verstümmelung ist eine völlige Unnatur und eine ge-
machte Operation derjenigen, welche sich der Sprachmängel und
Gebrechen in ihrem eigenen Kreise bewußt wurden und danach
strebten, durch Abschieben der hervorstechenden sprachlichen Unwissen-
heit und Mängel in die bäuerische Sphäre den eigenen Vorwurf
abzuweisen. Unsere prächtige niederdeutsche Mundart vor allem
versteht ohnehin gar nicht solche exotische Ausdrücke aufzufassen.
Davon zeugt unter anderm das historisch verbürgte "Fif Lampen-

1) Welch eine merkwürdige culturhistorische Erscheinung ist das vortreff-
liche, jetzt ganz vergessene und vornehm belächelte "Mildheimische Noth- und
Hülfsbüchlein" mit seinen vielen Auflagen, daß es doch in dieser gesunden Ein-
falt so gegeben und so hingenommen werden konnte! Es war wirklich die Grund-
lage zu einem tief christlich-sittlichen Dorfgemeindeleben, um in diesem den
Bauernstand zur vollen Bedeutsamkeit eines eigenen socialpolitischen Factors zu
erheben. Wie wenig sind aber die Ursachen zu verkennen, welche die Dorf-
gemeinde aufgelöst und nur Dorfbauern, isolirte Bauerhofsbesitzer und Dorf-
barone gemacht haben, deren schwache Verbindung durch das Ausbauen noch
immermehr auch äußerlich zerrissen wird.

Seichteres zu leſen als jene Tölpel- oder Bauernliteratur, in wel-
cher aller Witz ſchwindet, weil die Misform geſucht iſt und nir-
gends etwas Natürliches heraustritt. Somit verlor denn auch die
Satire den geiſtigen Halt und Griff, um die hier und dort ſich
wirklich einmal hervordrängende bäueriſche Unwiſſenheit und Un-
geſchicklichkeit bei Zeiten und mit Behendigkeit zurückzuweiſen, bis
denn jetzt der moderne nivellirende Materialismus auch in dem
beſitzenden Bauernſtande ſeine Jüngerſchaft gewonnen hat, welche
ganz anders als in der alten kräftigen Natürlichkeit auftritt, deren
Unwiſſenheit nicht mehr arglos und blöde, ſondern ſchon über-
müthig iſt und nun eine Stellung beanſprucht, welche ihr von der
Staatspolitik nicht oh[fremdsprachliches Material]ſehr ernſtes Bedenken einzuräumen iſt. 1)

So iſt denn bei d[fremdsprachliches Material]em krankhaften innern Widerſpruch des
modernen Bauernthums eine ſolche Bauernſprache erſt jetzt in der
Bildung begriffen, wie ſie ſchon vor Jahrhunderten von müßiger
und ungerechter Schriftſtellerei ſo verlogen und mit ſo plattem und
mattem Geſchick dem Bauernſtande aufgebürdet wurde. Das Hin-
eintragen ausländiſcher Wörter in die deutſche Sprache und ihre
abſichtliche Verſtümmelung iſt eine völlige Unnatur und eine ge-
machte Operation derjenigen, welche ſich der Sprachmängel und
Gebrechen in ihrem eigenen Kreiſe bewußt wurden und danach
ſtrebten, durch Abſchieben der hervorſtechenden ſprachlichen Unwiſſen-
heit und Mängel in die bäueriſche Sphäre den eigenen Vorwurf
abzuweiſen. Unſere prächtige niederdeutſche Mundart vor allem
verſteht ohnehin gar nicht ſolche exotiſche Ausdrücke aufzufaſſen.
Davon zeugt unter anderm das hiſtoriſch verbürgte „Fif Lampen-

1) Welch eine merkwürdige culturhiſtoriſche Erſcheinung iſt das vortreff-
liche, jetzt ganz vergeſſene und vornehm belächelte „Mildheimiſche Noth- und
Hülfsbüchlein“ mit ſeinen vielen Auflagen, daß es doch in dieſer geſunden Ein-
falt ſo gegeben und ſo hingenommen werden konnte! Es war wirklich die Grund-
lage zu einem tief chriſtlich-ſittlichen Dorfgemeindeleben, um in dieſem den
Bauernſtand zur vollen Bedeutſamkeit eines eigenen ſocialpolitiſchen Factors zu
erheben. Wie wenig ſind aber die Urſachen zu verkennen, welche die Dorf-
gemeinde aufgelöſt und nur Dorfbauern, iſolirte Bauerhofsbeſitzer und Dorf-
barone gemacht haben, deren ſchwache Verbindung durch das Ausbauen noch
immermehr auch äußerlich zerriſſen wird.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0136" n="102"/>
Seichteres zu le&#x017F;en als jene Tölpel- oder Bauernliteratur, in wel-<lb/>
cher aller Witz &#x017F;chwindet, weil die Misform ge&#x017F;ucht i&#x017F;t und nir-<lb/>
gends etwas Natürliches heraustritt. Somit verlor denn auch die<lb/>
Satire den gei&#x017F;tigen Halt und Griff, um die hier und dort &#x017F;ich<lb/>
wirklich einmal hervordrängende bäueri&#x017F;che Unwi&#x017F;&#x017F;enheit und Un-<lb/>
ge&#x017F;chicklichkeit bei Zeiten und mit Behendigkeit zurückzuwei&#x017F;en, bis<lb/>
denn jetzt der moderne nivellirende Materialismus auch in dem<lb/>
be&#x017F;itzenden Bauern&#x017F;tande &#x017F;eine Jünger&#x017F;chaft gewonnen hat, welche<lb/>
ganz anders als in der alten kräftigen Natürlichkeit auftritt, deren<lb/>
Unwi&#x017F;&#x017F;enheit nicht mehr arglos und blöde, &#x017F;ondern &#x017F;chon über-<lb/>
müthig i&#x017F;t und nun eine Stellung bean&#x017F;prucht, welche ihr von der<lb/>
Staatspolitik nicht oh<gap reason="fm"/>&#x017F;ehr ern&#x017F;tes Bedenken einzuräumen i&#x017F;t. <note place="foot" n="1)">Welch eine merkwürdige culturhi&#x017F;tori&#x017F;che Er&#x017F;cheinung i&#x017F;t das vortreff-<lb/>
liche, jetzt ganz verge&#x017F;&#x017F;ene und vornehm belächelte &#x201E;Mildheimi&#x017F;che Noth- und<lb/>
Hülfsbüchlein&#x201C; mit &#x017F;einen vielen Auflagen, daß es doch in die&#x017F;er ge&#x017F;unden Ein-<lb/>
falt &#x017F;o gegeben und &#x017F;o hingenommen werden konnte! Es war wirklich die Grund-<lb/>
lage zu einem tief chri&#x017F;tlich-&#x017F;ittlichen Dorfgemeindeleben, um in die&#x017F;em den<lb/>
Bauern&#x017F;tand zur vollen Bedeut&#x017F;amkeit eines eigenen &#x017F;ocialpoliti&#x017F;chen Factors zu<lb/>
erheben. Wie wenig &#x017F;ind aber die Ur&#x017F;achen zu verkennen, welche die Dorf-<lb/>
gemeinde aufgelö&#x017F;t und nur Dorfbauern, i&#x017F;olirte Bauerhofsbe&#x017F;itzer und Dorf-<lb/>
barone gemacht haben, deren &#x017F;chwache Verbindung durch das Ausbauen noch<lb/>
immermehr auch äußerlich zerri&#x017F;&#x017F;en wird.</note></p><lb/>
            <p>So i&#x017F;t denn bei d<gap reason="fm"/>em krankhaften innern Wider&#x017F;pruch des<lb/>
modernen Bauernthums eine &#x017F;olche Bauern&#x017F;prache er&#x017F;t jetzt in der<lb/>
Bildung begriffen, wie &#x017F;ie &#x017F;chon vor Jahrhunderten von müßiger<lb/>
und ungerechter Schrift&#x017F;tellerei &#x017F;o verlogen und mit &#x017F;o plattem und<lb/>
mattem Ge&#x017F;chick dem Bauern&#x017F;tande aufgebürdet wurde. Das Hin-<lb/>
eintragen ausländi&#x017F;cher Wörter in die deut&#x017F;che Sprache und ihre<lb/>
ab&#x017F;ichtliche Ver&#x017F;tümmelung i&#x017F;t eine völlige Unnatur und eine ge-<lb/>
machte Operation derjenigen, welche &#x017F;ich der Sprachmängel und<lb/>
Gebrechen in ihrem eigenen Krei&#x017F;e bewußt wurden und danach<lb/>
&#x017F;trebten, durch Ab&#x017F;chieben der hervor&#x017F;techenden &#x017F;prachlichen Unwi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit und Mängel in die bäueri&#x017F;che Sphäre den eigenen Vorwurf<lb/>
abzuwei&#x017F;en. Un&#x017F;ere prächtige niederdeut&#x017F;che Mundart vor allem<lb/>
ver&#x017F;teht ohnehin gar nicht &#x017F;olche exoti&#x017F;che Ausdrücke aufzufa&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Davon zeugt unter anderm das hi&#x017F;tori&#x017F;ch verbürgte &#x201E;Fif Lampen-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0136] Seichteres zu leſen als jene Tölpel- oder Bauernliteratur, in wel- cher aller Witz ſchwindet, weil die Misform geſucht iſt und nir- gends etwas Natürliches heraustritt. Somit verlor denn auch die Satire den geiſtigen Halt und Griff, um die hier und dort ſich wirklich einmal hervordrängende bäueriſche Unwiſſenheit und Un- geſchicklichkeit bei Zeiten und mit Behendigkeit zurückzuweiſen, bis denn jetzt der moderne nivellirende Materialismus auch in dem beſitzenden Bauernſtande ſeine Jüngerſchaft gewonnen hat, welche ganz anders als in der alten kräftigen Natürlichkeit auftritt, deren Unwiſſenheit nicht mehr arglos und blöde, ſondern ſchon über- müthig iſt und nun eine Stellung beanſprucht, welche ihr von der Staatspolitik nicht oh_ ſehr ernſtes Bedenken einzuräumen iſt. 1) So iſt denn bei d_ em krankhaften innern Widerſpruch des modernen Bauernthums eine ſolche Bauernſprache erſt jetzt in der Bildung begriffen, wie ſie ſchon vor Jahrhunderten von müßiger und ungerechter Schriftſtellerei ſo verlogen und mit ſo plattem und mattem Geſchick dem Bauernſtande aufgebürdet wurde. Das Hin- eintragen ausländiſcher Wörter in die deutſche Sprache und ihre abſichtliche Verſtümmelung iſt eine völlige Unnatur und eine ge- machte Operation derjenigen, welche ſich der Sprachmängel und Gebrechen in ihrem eigenen Kreiſe bewußt wurden und danach ſtrebten, durch Abſchieben der hervorſtechenden ſprachlichen Unwiſſen- heit und Mängel in die bäueriſche Sphäre den eigenen Vorwurf abzuweiſen. Unſere prächtige niederdeutſche Mundart vor allem verſteht ohnehin gar nicht ſolche exotiſche Ausdrücke aufzufaſſen. Davon zeugt unter anderm das hiſtoriſch verbürgte „Fif Lampen- 1) Welch eine merkwürdige culturhiſtoriſche Erſcheinung iſt das vortreff- liche, jetzt ganz vergeſſene und vornehm belächelte „Mildheimiſche Noth- und Hülfsbüchlein“ mit ſeinen vielen Auflagen, daß es doch in dieſer geſunden Ein- falt ſo gegeben und ſo hingenommen werden konnte! Es war wirklich die Grund- lage zu einem tief chriſtlich-ſittlichen Dorfgemeindeleben, um in dieſem den Bauernſtand zur vollen Bedeutſamkeit eines eigenen ſocialpolitiſchen Factors zu erheben. Wie wenig ſind aber die Urſachen zu verkennen, welche die Dorf- gemeinde aufgelöſt und nur Dorfbauern, iſolirte Bauerhofsbeſitzer und Dorf- barone gemacht haben, deren ſchwache Verbindung durch das Ausbauen noch immermehr auch äußerlich zerriſſen wird.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/136
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/136>, abgerufen am 17.05.2024.