räumt. Jn den Frauenhäusern hatte die Prostitution eine recht- liche Servitut am bürgerlichen Verkehrsleben gewonnen, auf deren Rechtsboden das Laster nicht allein die liederlichen Metzen, sondern auch die, seit dem gebotenen Rücktritt der Magistrate von der directen Verwaltung der Frauenhäuser, mit der Ausübung jener schmählichen Servitut beliehenen seelenkäuferischen Frauenwirthe, verworfene Lüstlinge und vor allem das Gaunerthum zum Kampf gegen Zucht und Sitte vereinigte und der christlichen Ehe nicht nur an ihrer äußern Würde und bürgerlichen Verbreitung, son- dern auch an ihrer innern Geltung unermeßlichen Schaden zufügte und das keusche Geschlechtsgeheimniß zu einer zoologischen Zote und zur flachen Zielscheibe ruchlosen Witzes und Spottes machte.
Auf diesem Boden triumphirt noch heute die Prostitution. Sie steht auf einem historischen Rechtsboden, und weil man sich der Beleihung mit diesem Rechte schämt, hüllt man sie in Flitter ein, um sie für das ehrbare bürgerliche Leben nicht mehr auffällig und anstößig zu machen, ohne zu bedenken, daß man dabei nicht etwa die Prostitution, sondern das ganze bürgerliche Leben mit seiner christlichen Zucht und Sitte nivellirt. Kein Mensch wagt mehr, das Recht der Prostitution zu bekämpfen, weil bei der einseitig versuchten Negation der Bordelle nicht die ganze Prostitution selbst negirt werden konnte. Und wenn Parent-Duchatelet und ähnliche Schriftsteller als Helden der Menschlichkeit, Tugend und Staats- klugheit hoch gepriesen werden, daß sie die moderne Prostitution so überaus genau zu erforschen, zu zergliedern und in zierlichen Präparaten ad oculos zu demonstriren wußten, so sind sie doch die Therapeutik der Prostitution schuldig geblieben und mußten sie schuldig bleiben, weil sie die Seele der Prostitution nicht aus ihrem historischen Lebensproceß begriffen hatten. Und so muß denn ein solches mit menschlichem Witz und Muth geschriebenes Werk als eitel und in vielem Betracht als eine zur Genugthuung ge- heimer lüsterner Neugierde geschriebene Apokalypse der modernen Liederlichkeit gelten!
Aber auch nur auf diesem Boden kann die ruchlose Sprache der Prostitution und durch diese Sprache die Copulation des Gau-
räumt. Jn den Frauenhäuſern hatte die Proſtitution eine recht- liche Servitut am bürgerlichen Verkehrsleben gewonnen, auf deren Rechtsboden das Laſter nicht allein die liederlichen Metzen, ſondern auch die, ſeit dem gebotenen Rücktritt der Magiſtrate von der directen Verwaltung der Frauenhäuſer, mit der Ausübung jener ſchmählichen Servitut beliehenen ſeelenkäuferiſchen Frauenwirthe, verworfene Lüſtlinge und vor allem das Gaunerthum zum Kampf gegen Zucht und Sitte vereinigte und der chriſtlichen Ehe nicht nur an ihrer äußern Würde und bürgerlichen Verbreitung, ſon- dern auch an ihrer innern Geltung unermeßlichen Schaden zufügte und das keuſche Geſchlechtsgeheimniß zu einer zoologiſchen Zote und zur flachen Zielſcheibe ruchloſen Witzes und Spottes machte.
Auf dieſem Boden triumphirt noch heute die Proſtitution. Sie ſteht auf einem hiſtoriſchen Rechtsboden, und weil man ſich der Beleihung mit dieſem Rechte ſchämt, hüllt man ſie in Flitter ein, um ſie für das ehrbare bürgerliche Leben nicht mehr auffällig und anſtößig zu machen, ohne zu bedenken, daß man dabei nicht etwa die Proſtitution, ſondern das ganze bürgerliche Leben mit ſeiner chriſtlichen Zucht und Sitte nivellirt. Kein Menſch wagt mehr, das Recht der Proſtitution zu bekämpfen, weil bei der einſeitig verſuchten Negation der Bordelle nicht die ganze Proſtitution ſelbſt negirt werden konnte. Und wenn Parent-Duchatelet und ähnliche Schriftſteller als Helden der Menſchlichkeit, Tugend und Staats- klugheit hoch geprieſen werden, daß ſie die moderne Proſtitution ſo überaus genau zu erforſchen, zu zergliedern und in zierlichen Präparaten ad oculos zu demonſtriren wußten, ſo ſind ſie doch die Therapeutik der Proſtitution ſchuldig geblieben und mußten ſie ſchuldig bleiben, weil ſie die Seele der Proſtitution nicht aus ihrem hiſtoriſchen Lebensproceß begriffen hatten. Und ſo muß denn ein ſolches mit menſchlichem Witz und Muth geſchriebenes Werk als eitel und in vielem Betracht als eine zur Genugthuung ge- heimer lüſterner Neugierde geſchriebene Apokalypſe der modernen Liederlichkeit gelten!
Aber auch nur auf dieſem Boden kann die ruchloſe Sprache der Proſtitution und durch dieſe Sprache die Copulation des Gau-
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räumt. Jn den Frauenhäuſern hatte die Proſtitution eine recht-
liche Servitut am bürgerlichen Verkehrsleben gewonnen, auf deren
Rechtsboden das Laſter nicht allein die liederlichen Metzen, ſondern
auch die, ſeit dem gebotenen Rücktritt der Magiſtrate von der
directen Verwaltung der Frauenhäuſer, mit der Ausübung jener
ſchmählichen Servitut beliehenen ſeelenkäuferiſchen Frauenwirthe,
verworfene Lüſtlinge und vor allem das Gaunerthum zum Kampf
gegen Zucht und Sitte vereinigte und der chriſtlichen Ehe nicht
nur an ihrer äußern Würde und bürgerlichen Verbreitung, ſon-
dern auch an ihrer innern Geltung unermeßlichen Schaden zufügte
und das keuſche Geſchlechtsgeheimniß zu einer zoologiſchen Zote
und zur flachen Zielſcheibe ruchloſen Witzes und Spottes machte.
Auf dieſem Boden triumphirt noch heute die Proſtitution.
Sie ſteht auf einem hiſtoriſchen Rechtsboden, und weil man ſich
der Beleihung mit dieſem Rechte ſchämt, hüllt man ſie in Flitter
ein, um ſie für das ehrbare bürgerliche Leben nicht mehr auffällig
und anſtößig zu machen, ohne zu bedenken, daß man dabei nicht
etwa die Proſtitution, ſondern das ganze bürgerliche Leben mit
ſeiner chriſtlichen Zucht und Sitte nivellirt. Kein Menſch wagt
mehr, das Recht der Proſtitution zu bekämpfen, weil bei der einſeitig
verſuchten Negation der Bordelle nicht die ganze Proſtitution ſelbſt
negirt werden konnte. Und wenn Parent-Duchatelet und ähnliche
Schriftſteller als Helden der Menſchlichkeit, Tugend und Staats-
klugheit hoch geprieſen werden, daß ſie die moderne Proſtitution
ſo überaus genau zu erforſchen, zu zergliedern und in zierlichen
Präparaten ad oculos zu demonſtriren wußten, ſo ſind ſie doch
die Therapeutik der Proſtitution ſchuldig geblieben und mußten
ſie ſchuldig bleiben, weil ſie die Seele der Proſtitution nicht aus
ihrem hiſtoriſchen Lebensproceß begriffen hatten. Und ſo muß denn
ein ſolches mit menſchlichem Witz und Muth geſchriebenes Werk
als eitel und in vielem Betracht als eine zur Genugthuung ge-
heimer lüſterner Neugierde geſchriebene Apokalypſe der modernen
Liederlichkeit gelten!
Aber auch nur auf dieſem Boden kann die ruchloſe Sprache der
Proſtitution und durch dieſe Sprache die Copulation des Gau-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/200>, abgerufen am 21.11.2024.
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