von dem eigenen innern sprachlichen Leben der Urstoffe, schon durch die ganze Strömung selbst eine lebendige Bewegung, sodaß die Gaunersprache schon dadurch mindestens den Schein einer lebenden Volkssprache gewinnt. Dieser Schein wird noch verstärkt durch Wahrnehmung der wunderlichen, jedoch unbestreitbaren Thatsache, daß die sonst gewiß nicht ungastfreundliche und nicht heikle Gau- nersprache mit strenger Kritik eine Menge Wortformen und Con- structionen von sich weist, welche zwar in der äußern coagulirten Form ganz den Anschein der frivolen, conventionellen, gaunerischen Zusammenschiebung an sich tragen, in der That aber eine ge- schmack- und sinnlose Verdrehung deutscher Wörter sind und ihren Ursprung wiederum aus der sinnverwirrenden christlichen Zauber- mystik mit bornirter Nachahmung der höchstens nur geahnten, stets aber völlig unbegriffenen jüdischen Kabbala genommen haben. Erst als die unsinnige Wortconstruction zur unsinnigen Redeweise gediehen war und sich sogar verwegen zur rationellen Methode construirt hatte, brandmarkte man die heillose Spracherscheinung mit dem Kunstnamen Galimatias und wandte sich, als ob alles damit abgethan sei, verächtlich davon ab, ohne, zur Warnung für alle Zeiten, einen Rückblick auf Entstehung und Ausbildung dieser so ungeheuerlichen Erscheinung zu thun, welche in sprach- und culturhistorischer Hinsicht allerdings von Bedeutsamkeit ist. Schon deshalb verdient sie eine besondere Berücksichtigung. Sie ist aber auch ein Beweis, wie ihre hirnlose und paralytische Weise dem Gaunerthum, welches für seine Zwecke stets nach einem wenn auch versteckten, doch ihm selbst immer klaren Verständniß in seiner Sprache strebte, seinem ganzen Wesen und Streben nach dem Wortunsinn und vorzüglich der Zaubermystik mit ihrer Sprache abhold sein mußte und als culturhistorische Merkwürdigkeit den tollen Aberglauben der Zaubermystiker nur zur frivolen Lust in der übermüthigsten, verwegensten Weise ausbeutete. Ganz vorzüglich verdient die Erscheinung aber auch noch darum eine eingehendere Besprechung, weil neuerlich Thiele1) und von
1) "Die jüdischen Gauner", I, 196--198.
von dem eigenen innern ſprachlichen Leben der Urſtoffe, ſchon durch die ganze Strömung ſelbſt eine lebendige Bewegung, ſodaß die Gaunerſprache ſchon dadurch mindeſtens den Schein einer lebenden Volksſprache gewinnt. Dieſer Schein wird noch verſtärkt durch Wahrnehmung der wunderlichen, jedoch unbeſtreitbaren Thatſache, daß die ſonſt gewiß nicht ungaſtfreundliche und nicht heikle Gau- nerſprache mit ſtrenger Kritik eine Menge Wortformen und Con- ſtructionen von ſich weiſt, welche zwar in der äußern coagulirten Form ganz den Anſchein der frivolen, conventionellen, gauneriſchen Zuſammenſchiebung an ſich tragen, in der That aber eine ge- ſchmack- und ſinnloſe Verdrehung deutſcher Wörter ſind und ihren Urſprung wiederum aus der ſinnverwirrenden chriſtlichen Zauber- myſtik mit bornirter Nachahmung der höchſtens nur geahnten, ſtets aber völlig unbegriffenen jüdiſchen Kabbala genommen haben. Erſt als die unſinnige Wortconſtruction zur unſinnigen Redeweiſe gediehen war und ſich ſogar verwegen zur rationellen Methode conſtruirt hatte, brandmarkte man die heilloſe Spracherſcheinung mit dem Kunſtnamen Galimatias und wandte ſich, als ob alles damit abgethan ſei, verächtlich davon ab, ohne, zur Warnung für alle Zeiten, einen Rückblick auf Entſtehung und Ausbildung dieſer ſo ungeheuerlichen Erſcheinung zu thun, welche in ſprach- und culturhiſtoriſcher Hinſicht allerdings von Bedeutſamkeit iſt. Schon deshalb verdient ſie eine beſondere Berückſichtigung. Sie iſt aber auch ein Beweis, wie ihre hirnloſe und paralytiſche Weiſe dem Gaunerthum, welches für ſeine Zwecke ſtets nach einem wenn auch verſteckten, doch ihm ſelbſt immer klaren Verſtändniß in ſeiner Sprache ſtrebte, ſeinem ganzen Weſen und Streben nach dem Wortunſinn und vorzüglich der Zaubermyſtik mit ihrer Sprache abhold ſein mußte und als culturhiſtoriſche Merkwürdigkeit den tollen Aberglauben der Zaubermyſtiker nur zur frivolen Luſt in der übermüthigſten, verwegenſten Weiſe ausbeutete. Ganz vorzüglich verdient die Erſcheinung aber auch noch darum eine eingehendere Beſprechung, weil neuerlich Thiele1) und von
1) „Die jüdiſchen Gauner“, I, 196—198.
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von dem eigenen innern ſprachlichen Leben der Urſtoffe, ſchon durch
die ganze Strömung ſelbſt eine lebendige Bewegung, ſodaß die
Gaunerſprache ſchon dadurch mindeſtens den Schein einer lebenden
Volksſprache gewinnt. Dieſer Schein wird noch verſtärkt durch
Wahrnehmung der wunderlichen, jedoch unbeſtreitbaren Thatſache,
daß die ſonſt gewiß nicht ungaſtfreundliche und nicht heikle Gau-
nerſprache mit ſtrenger Kritik eine Menge Wortformen und Con-
ſtructionen von ſich weiſt, welche zwar in der äußern coagulirten
Form ganz den Anſchein der frivolen, conventionellen, gauneriſchen
Zuſammenſchiebung an ſich tragen, in der That aber eine ge-
ſchmack- und ſinnloſe Verdrehung deutſcher Wörter ſind und ihren
Urſprung wiederum aus der ſinnverwirrenden chriſtlichen Zauber-
myſtik mit bornirter Nachahmung der höchſtens nur geahnten,
ſtets aber völlig unbegriffenen jüdiſchen Kabbala genommen haben.
Erſt als die unſinnige Wortconſtruction zur unſinnigen Redeweiſe
gediehen war und ſich ſogar verwegen zur rationellen Methode
conſtruirt hatte, brandmarkte man die heilloſe Spracherſcheinung
mit dem Kunſtnamen Galimatias und wandte ſich, als ob alles
damit abgethan ſei, verächtlich davon ab, ohne, zur Warnung für
alle Zeiten, einen Rückblick auf Entſtehung und Ausbildung dieſer
ſo ungeheuerlichen Erſcheinung zu thun, welche in ſprach- und
culturhiſtoriſcher Hinſicht allerdings von Bedeutſamkeit iſt. Schon
deshalb verdient ſie eine beſondere Berückſichtigung. Sie iſt aber
auch ein Beweis, wie ihre hirnloſe und paralytiſche Weiſe dem
Gaunerthum, welches für ſeine Zwecke ſtets nach einem wenn auch
verſteckten, doch ihm ſelbſt immer klaren Verſtändniß in ſeiner
Sprache ſtrebte, ſeinem ganzen Weſen und Streben nach dem
Wortunſinn und vorzüglich der Zaubermyſtik mit ihrer Sprache
abhold ſein mußte und als culturhiſtoriſche Merkwürdigkeit den
tollen Aberglauben der Zaubermyſtiker nur zur frivolen Luſt
in der übermüthigſten, verwegenſten Weiſe ausbeutete. Ganz
vorzüglich verdient die Erſcheinung aber auch noch darum eine
eingehendere Beſprechung, weil neuerlich Thiele 1) und von
1) „Die jüdiſchen Gauner“, I, 196—198.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/206>, abgerufen am 24.11.2024.
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