stigen Bildung überhaupt auch die deutsche Sprache. Die Zwie- tracht der protestantischen Parteien. verschaffte der katholischen Par- tei immer größern Boden und namentlich wußten die Jesuiten des gesammten Jugendunterrichts sich zu bemächtigen. Die im Pro- testantismus herrschenden abergläubischen Vorstellungen des Volkes erhielten durch Mystiker und Schwärmer Nahrung und Anhang und ließen die Hexenprocesse in einer fürchterlichen Weise fort- wuchern. An den Höfen und in den höhern Ständen faßte die französische Sprache Wurzel und war ein Hauptfactor der sich immer breiter machenden Sprachmengerei. Das kernige Nieder- deutsch wurde aus der Kirche und von der Kanzel verdrängt und allmählich aus der Literatur verbannt. Die Gelehrten vernach- lässigten die deutsche Muttersprache, je mehr die zu Luther's Lebens- zeit zu herrlicher Blüte gebrachten Studien der classischen Literatur durch die theologischen Streitigkeiten verdrängt wurden. Die auf ihr scholastisches Latein stolzen Gelehrten schrieben und dichteten in lateinischer Sprache und waren Stümper in ihrer deutschen Mut- tersprache. Der Abstand zwischen Gelehrten und Volk wurde im- mer breiter und das Gelehrtenthum stand wie eine gebannte Cor- poration da, völlig getrennt vom Volksleben.
Aus dieser Jsolirung des Gelehrtenstandes erklärt sich die Er- scheinung, daß, während das Leben trotz der argen Vernachlässi- gung und Verkümmerung hell in das Volk durchschlug, doch der Blick der Gelehrten in das Volk immer blöde und matt niederfiel und daß die Gelehrten das anachoretische Wissenschaftsleben der Geistlichen und Mönche des Mittelalters in der wenig verbesserten Auflage der Stubengelehrsamkeit wiedergaben. Der Blick in die Gelehrtenstuben des 16. und 17. Jahrhunderts ist ein sehr schmerz- licher. Da sieht man, wie der deutsche Geist zwar nimmer ruhen und rasten kann, wie er aber, um Tiefen zu ergründen, ebenso oft auf Untiefen wie auf das bodenlose Element geräth. Ueberall sieht man diesen Geist ringen und streben, und am meisten gerade dann, wenn er gefangen ist. Aber deutlich sieht man auch, wie dieser Geist verkennt, daß er selbst sein eigener Gefangener ist, daß er das stoffreiche, nährende, erfrischende Leben der Außenwelt
ſtigen Bildung überhaupt auch die deutſche Sprache. Die Zwie- tracht der proteſtantiſchen Parteien. verſchaffte der katholiſchen Par- tei immer größern Boden und namentlich wußten die Jeſuiten des geſammten Jugendunterrichts ſich zu bemächtigen. Die im Pro- teſtantismus herrſchenden abergläubiſchen Vorſtellungen des Volkes erhielten durch Myſtiker und Schwärmer Nahrung und Anhang und ließen die Hexenproceſſe in einer fürchterlichen Weiſe fort- wuchern. An den Höfen und in den höhern Ständen faßte die franzöſiſche Sprache Wurzel und war ein Hauptfactor der ſich immer breiter machenden Sprachmengerei. Das kernige Nieder- deutſch wurde aus der Kirche und von der Kanzel verdrängt und allmählich aus der Literatur verbannt. Die Gelehrten vernach- läſſigten die deutſche Mutterſprache, je mehr die zu Luther’s Lebens- zeit zu herrlicher Blüte gebrachten Studien der claſſiſchen Literatur durch die theologiſchen Streitigkeiten verdrängt wurden. Die auf ihr ſcholaſtiſches Latein ſtolzen Gelehrten ſchrieben und dichteten in lateiniſcher Sprache und waren Stümper in ihrer deutſchen Mut- terſprache. Der Abſtand zwiſchen Gelehrten und Volk wurde im- mer breiter und das Gelehrtenthum ſtand wie eine gebannte Cor- poration da, völlig getrennt vom Volksleben.
Aus dieſer Jſolirung des Gelehrtenſtandes erklärt ſich die Er- ſcheinung, daß, während das Leben trotz der argen Vernachläſſi- gung und Verkümmerung hell in das Volk durchſchlug, doch der Blick der Gelehrten in das Volk immer blöde und matt niederfiel und daß die Gelehrten das anachoretiſche Wiſſenſchaftsleben der Geiſtlichen und Mönche des Mittelalters in der wenig verbeſſerten Auflage der Stubengelehrſamkeit wiedergaben. Der Blick in die Gelehrtenſtuben des 16. und 17. Jahrhunderts iſt ein ſehr ſchmerz- licher. Da ſieht man, wie der deutſche Geiſt zwar nimmer ruhen und raſten kann, wie er aber, um Tiefen zu ergründen, ebenſo oft auf Untiefen wie auf das bodenloſe Element geräth. Ueberall ſieht man dieſen Geiſt ringen und ſtreben, und am meiſten gerade dann, wenn er gefangen iſt. Aber deutlich ſieht man auch, wie dieſer Geiſt verkennt, daß er ſelbſt ſein eigener Gefangener iſt, daß er das ſtoffreiche, nährende, erfriſchende Leben der Außenwelt
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ſtigen Bildung überhaupt auch die deutſche Sprache. Die Zwie-
tracht der proteſtantiſchen Parteien. verſchaffte der katholiſchen Par-
tei immer größern Boden und namentlich wußten die Jeſuiten des
geſammten Jugendunterrichts ſich zu bemächtigen. Die im Pro-
teſtantismus herrſchenden abergläubiſchen Vorſtellungen des Volkes
erhielten durch Myſtiker und Schwärmer Nahrung und Anhang
und ließen die Hexenproceſſe in einer fürchterlichen Weiſe fort-
wuchern. An den Höfen und in den höhern Ständen faßte die
franzöſiſche Sprache Wurzel und war ein Hauptfactor der ſich
immer breiter machenden Sprachmengerei. Das kernige Nieder-
deutſch wurde aus der Kirche und von der Kanzel verdrängt und
allmählich aus der Literatur verbannt. Die Gelehrten vernach-
läſſigten die deutſche Mutterſprache, je mehr die zu Luther’s Lebens-
zeit zu herrlicher Blüte gebrachten Studien der claſſiſchen Literatur
durch die theologiſchen Streitigkeiten verdrängt wurden. Die auf
ihr ſcholaſtiſches Latein ſtolzen Gelehrten ſchrieben und dichteten in
lateiniſcher Sprache und waren Stümper in ihrer deutſchen Mut-
terſprache. Der Abſtand zwiſchen Gelehrten und Volk wurde im-
mer breiter und das Gelehrtenthum ſtand wie eine gebannte Cor-
poration da, völlig getrennt vom Volksleben.
Aus dieſer Jſolirung des Gelehrtenſtandes erklärt ſich die Er-
ſcheinung, daß, während das Leben trotz der argen Vernachläſſi-
gung und Verkümmerung hell in das Volk durchſchlug, doch der
Blick der Gelehrten in das Volk immer blöde und matt niederfiel
und daß die Gelehrten das anachoretiſche Wiſſenſchaftsleben der
Geiſtlichen und Mönche des Mittelalters in der wenig verbeſſerten
Auflage der Stubengelehrſamkeit wiedergaben. Der Blick in die
Gelehrtenſtuben des 16. und 17. Jahrhunderts iſt ein ſehr ſchmerz-
licher. Da ſieht man, wie der deutſche Geiſt zwar nimmer ruhen
und raſten kann, wie er aber, um Tiefen zu ergründen, ebenſo oft
auf Untiefen wie auf das bodenloſe Element geräth. Ueberall
ſieht man dieſen Geiſt ringen und ſtreben, und am meiſten gerade
dann, wenn er gefangen iſt. Aber deutlich ſieht man auch, wie
dieſer Geiſt verkennt, daß er ſelbſt ſein eigener Gefangener iſt,
daß er das ſtoffreiche, nährende, erfriſchende Leben der Außenwelt
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/208>, abgerufen am 21.11.2024.
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