Juden gesprochene, mit hebräischen, chaldäischen und rabbinischen Wörtern und Redensarten durchmischte deutsche Volkssprache zu bezeichnen, deren hebräische, chaldäische und rabbinische Wörter entweder in reiner Ursprünglichkeit und Flexion als stehende Typen eingeschoben oder auch mit deutschen Wörtern verbunden und in der Weise germanisirt sind, daß der mit deutschen Endungen ver- sehene hebräische, chaldäische und rabbinische Stamm durchaus deutsch flectirt wird. Die übrigen fremdsprachlichen Zuthaten im Judendeutsch sind mit geringen Ausnahmen nicht specifisch jüdische, sondern aus und mit der deutschen Volkssprache hinzugekommene Beiträge.
Die jüdischdeutschen Grammatiker geben überall keine deut- liche und unbefangene Erklärung des Judendeutsch, was wol dem Mangel an klarer Anschauung vorzüglich der deutschen Volks- sprache zuzuschreiben ist. Nur Chrysander gibt S. 4 seines bereits angeführten "Unterrichts vom Nutzen der jüdischdeutschen Sprache" eine kurze und verständliche Definition:
"Juden-Teutsch oder Jbri-Teutsch bestehet gröstenteils aus Teutschen (wiewol in der Aussprache oft veränderten) Wörtern und Redensarten; Unter welche teils reine Hebräische auch Chal- däische Ausdrücke, teils Hebräische Wörter, die eine Teutsche En- dung und Anfang bekommen, teils einige blos von den Juden willkührlich angenommene Worte gemenget werden. Es wird mit etwas verzogenen Hebräischen Buchstaben von der Rechten zur Linken geschrieben. Die Juden bedienen sich desselben im Schrei- ben und Reden unter einander in ganz Teutschland, in Böhmen, in Mähren, in Ungarn, in Pohlen, zu Petersburg, in der grossen und kleinen Ukraine, zu Avignon in Frankreich, in Lothringen und im Elsas, auch gröstenteils in Holland, ob sie gleich die Lan- dessprachen auch können."
Ungenügend ist dagegen wieder G. Selig, "Lehrbuch zur gründ- lichen Erlernung der jüdischdeutschen Sprache" (Leipzig 1792), wo es S. 27 heißt:
"Die jüdischdeutsche Sprache verdient nicht eine eigene und besondere Sprache genannt zu werden. Sie bestehet größtentheils
Juden geſprochene, mit hebräiſchen, chaldäiſchen und rabbiniſchen Wörtern und Redensarten durchmiſchte deutſche Volksſprache zu bezeichnen, deren hebräiſche, chaldäiſche und rabbiniſche Wörter entweder in reiner Urſprünglichkeit und Flexion als ſtehende Typen eingeſchoben oder auch mit deutſchen Wörtern verbunden und in der Weiſe germaniſirt ſind, daß der mit deutſchen Endungen ver- ſehene hebräiſche, chaldäiſche und rabbiniſche Stamm durchaus deutſch flectirt wird. Die übrigen fremdſprachlichen Zuthaten im Judendeutſch ſind mit geringen Ausnahmen nicht ſpecifiſch jüdiſche, ſondern aus und mit der deutſchen Volksſprache hinzugekommene Beiträge.
Die jüdiſchdeutſchen Grammatiker geben überall keine deut- liche und unbefangene Erklärung des Judendeutſch, was wol dem Mangel an klarer Anſchauung vorzüglich der deutſchen Volks- ſprache zuzuſchreiben iſt. Nur Chryſander gibt S. 4 ſeines bereits angeführten „Unterrichts vom Nutzen der jüdiſchdeutſchen Sprache“ eine kurze und verſtändliche Definition:
„Juden-Teutſch oder Jbri-Teutſch beſtehet gröſtenteils aus Teutſchen (wiewol in der Ausſprache oft veränderten) Wörtern und Redensarten; Unter welche teils reine Hebräiſche auch Chal- däiſche Ausdrücke, teils Hebräiſche Wörter, die eine Teutſche En- dung und Anfang bekommen, teils einige blos von den Juden willkührlich angenommene Worte gemenget werden. Es wird mit etwas verzogenen Hebräiſchen Buchſtaben von der Rechten zur Linken geſchrieben. Die Juden bedienen ſich deſſelben im Schrei- ben und Reden unter einander in ganz Teutſchland, in Böhmen, in Mähren, in Ungarn, in Pohlen, zu Petersburg, in der groſſen und kleinen Ukraine, zu Avignon in Frankreich, in Lothringen und im Elſas, auch gröſtenteils in Holland, ob ſie gleich die Lan- desſprachen auch können.“
Ungenügend iſt dagegen wieder G. Selig, „Lehrbuch zur gründ- lichen Erlernung der jüdiſchdeutſchen Sprache“ (Leipzig 1792), wo es S. 27 heißt:
„Die jüdiſchdeutſche Sprache verdient nicht eine eigene und beſondere Sprache genannt zu werden. Sie beſtehet größtentheils
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0233"n="199"/>
Juden geſprochene, mit hebräiſchen, chaldäiſchen und rabbiniſchen<lb/>
Wörtern und Redensarten durchmiſchte deutſche Volksſprache zu<lb/>
bezeichnen, deren hebräiſche, chaldäiſche und rabbiniſche Wörter<lb/>
entweder in reiner Urſprünglichkeit und Flexion als ſtehende Typen<lb/>
eingeſchoben oder auch mit deutſchen Wörtern verbunden und in<lb/>
der Weiſe germaniſirt ſind, daß der mit deutſchen Endungen ver-<lb/>ſehene hebräiſche, chaldäiſche und rabbiniſche Stamm durchaus<lb/>
deutſch flectirt wird. Die übrigen fremdſprachlichen Zuthaten im<lb/>
Judendeutſch ſind mit geringen Ausnahmen nicht ſpecifiſch jüdiſche,<lb/>ſondern aus und mit der deutſchen Volksſprache hinzugekommene<lb/>
Beiträge.</p><lb/><p>Die jüdiſchdeutſchen Grammatiker geben überall keine deut-<lb/>
liche und unbefangene Erklärung des Judendeutſch, was wol dem<lb/>
Mangel an klarer Anſchauung vorzüglich der deutſchen Volks-<lb/>ſprache zuzuſchreiben iſt. Nur Chryſander gibt S. 4 ſeines bereits<lb/>
angeführten „Unterrichts vom Nutzen der jüdiſchdeutſchen Sprache“<lb/>
eine kurze und verſtändliche Definition:</p><lb/><p>„Juden-Teutſch oder Jbri-Teutſch beſtehet gröſtenteils aus<lb/>
Teutſchen (wiewol in der Ausſprache oft veränderten) Wörtern<lb/>
und Redensarten; Unter welche teils reine Hebräiſche auch Chal-<lb/>
däiſche Ausdrücke, teils Hebräiſche Wörter, die eine Teutſche En-<lb/>
dung und Anfang bekommen, teils einige blos von den Juden<lb/>
willkührlich angenommene Worte gemenget werden. Es wird mit<lb/>
etwas verzogenen Hebräiſchen Buchſtaben von der Rechten zur<lb/>
Linken geſchrieben. Die Juden bedienen ſich deſſelben im Schrei-<lb/>
ben und Reden unter einander in ganz Teutſchland, in Böhmen,<lb/>
in Mähren, in Ungarn, in Pohlen, zu Petersburg, in der groſſen<lb/>
und kleinen Ukraine, zu Avignon in Frankreich, in Lothringen<lb/>
und im Elſas, auch gröſtenteils in Holland, ob ſie gleich die Lan-<lb/>
desſprachen auch können.“</p><lb/><p>Ungenügend iſt dagegen wieder G. Selig, „Lehrbuch zur gründ-<lb/>
lichen Erlernung der jüdiſchdeutſchen Sprache“ (Leipzig 1792), wo<lb/>
es S. 27 heißt:</p><lb/><p>„Die jüdiſchdeutſche Sprache verdient nicht eine eigene und<lb/>
beſondere Sprache genannt zu werden. Sie beſtehet größtentheils<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[199/0233]
Juden geſprochene, mit hebräiſchen, chaldäiſchen und rabbiniſchen
Wörtern und Redensarten durchmiſchte deutſche Volksſprache zu
bezeichnen, deren hebräiſche, chaldäiſche und rabbiniſche Wörter
entweder in reiner Urſprünglichkeit und Flexion als ſtehende Typen
eingeſchoben oder auch mit deutſchen Wörtern verbunden und in
der Weiſe germaniſirt ſind, daß der mit deutſchen Endungen ver-
ſehene hebräiſche, chaldäiſche und rabbiniſche Stamm durchaus
deutſch flectirt wird. Die übrigen fremdſprachlichen Zuthaten im
Judendeutſch ſind mit geringen Ausnahmen nicht ſpecifiſch jüdiſche,
ſondern aus und mit der deutſchen Volksſprache hinzugekommene
Beiträge.
Die jüdiſchdeutſchen Grammatiker geben überall keine deut-
liche und unbefangene Erklärung des Judendeutſch, was wol dem
Mangel an klarer Anſchauung vorzüglich der deutſchen Volks-
ſprache zuzuſchreiben iſt. Nur Chryſander gibt S. 4 ſeines bereits
angeführten „Unterrichts vom Nutzen der jüdiſchdeutſchen Sprache“
eine kurze und verſtändliche Definition:
„Juden-Teutſch oder Jbri-Teutſch beſtehet gröſtenteils aus
Teutſchen (wiewol in der Ausſprache oft veränderten) Wörtern
und Redensarten; Unter welche teils reine Hebräiſche auch Chal-
däiſche Ausdrücke, teils Hebräiſche Wörter, die eine Teutſche En-
dung und Anfang bekommen, teils einige blos von den Juden
willkührlich angenommene Worte gemenget werden. Es wird mit
etwas verzogenen Hebräiſchen Buchſtaben von der Rechten zur
Linken geſchrieben. Die Juden bedienen ſich deſſelben im Schrei-
ben und Reden unter einander in ganz Teutſchland, in Böhmen,
in Mähren, in Ungarn, in Pohlen, zu Petersburg, in der groſſen
und kleinen Ukraine, zu Avignon in Frankreich, in Lothringen
und im Elſas, auch gröſtenteils in Holland, ob ſie gleich die Lan-
desſprachen auch können.“
Ungenügend iſt dagegen wieder G. Selig, „Lehrbuch zur gründ-
lichen Erlernung der jüdiſchdeutſchen Sprache“ (Leipzig 1792), wo
es S. 27 heißt:
„Die jüdiſchdeutſche Sprache verdient nicht eine eigene und
beſondere Sprache genannt zu werden. Sie beſtehet größtentheils
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/233>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.