überrascht, wenn man gleich in diesem ersten Versuche einer Gram- matik eine helle und klare Auffassung der ganzen Eigenthümlichkeit der jüdischdeutschen Sprache findet, welche von keiner spätern Grammatik übertroffen worden ist. Doch verliert sich Buxtorf allzu sehr in das hebräische Element der jüdischdeutschen Sprache, ohne die Erstarrung desselben durch den Uebergang in das deutsche Sprachelement zu erkennen und zu verdeutlichen. Er kannte das Judendeutsch viel besser, als er es zu erläutern sich herbeiließ. Einen großen Theil der Schuld von dieser Unvollkommenheit trägt aber entschieden die lateinische Sprache, in welcher Buxtorf seine Grammatik schrieb. Je weniger verwandt überhaupt die darstel- lende Sprache einer Grammatik mit der zu erläuternden Sprache ist, desto schwieriger und unvollkommener wird die ganze Dar- stellung selbst. Das Lateinische paßt durchaus nicht für eine jüdisch- deutsche Grammatik. Die Darstellung und Erklärung der semitisch- germanischen Zusammenschiebungen bedingt deutsche Erläuterun- gen und Vergleiche, welche sich auch bei Buxtorf nothwendig her- vordrängen, aber gerade bei ihrem sporadischen Hervorblicken wie eine trübe Verleugnung des Deutschen durch das frostige Latein erscheinen, um sogleich wieder zu verschwinden. So ist namentlich schon der ganze eigenthümliche jüdischdeutsche Vocalismus, dessen Parallele mit dem Althochdeutschen und Altniederdeutschen sehr interessant erscheint, bei Buxtorf ganz verloren gegangen, ob- gleich seine freilich durchaus hebraisirende Behandlung des [fremdsprachliches Material], na- mentlich des stummen [fremdsprachliches Material], davon zeugt, daß die Eigenthümlichkeit des jüdischdeutschen Vocalismus ihm aufgefallen ist. Das Ein- zelne wird weiter unten besprochen werden. Jedenfalls ist Bux- torf der bedeutendste jüdischdeutsche Grammatiker geblieben und hätte bei einer nur etwas bestimmtern Erkennung und Hervor- hebung des deutschen Sprachelements den spätern Grammatikern die trefflichste Grundlage zu einer klaren jüdischdeutschen Gram-
eundem fere characterem habent." Das ist eine sehr merkwürdige Hin- deutung auf den Syriasmus der jüdischdeutschen Currentschrift, wovon später gesprochen werden wird.
überraſcht, wenn man gleich in dieſem erſten Verſuche einer Gram- matik eine helle und klare Auffaſſung der ganzen Eigenthümlichkeit der jüdiſchdeutſchen Sprache findet, welche von keiner ſpätern Grammatik übertroffen worden iſt. Doch verliert ſich Buxtorf allzu ſehr in das hebräiſche Element der jüdiſchdeutſchen Sprache, ohne die Erſtarrung deſſelben durch den Uebergang in das deutſche Sprachelement zu erkennen und zu verdeutlichen. Er kannte das Judendeutſch viel beſſer, als er es zu erläutern ſich herbeiließ. Einen großen Theil der Schuld von dieſer Unvollkommenheit trägt aber entſchieden die lateiniſche Sprache, in welcher Buxtorf ſeine Grammatik ſchrieb. Je weniger verwandt überhaupt die darſtel- lende Sprache einer Grammatik mit der zu erläuternden Sprache iſt, deſto ſchwieriger und unvollkommener wird die ganze Dar- ſtellung ſelbſt. Das Lateiniſche paßt durchaus nicht für eine jüdiſch- deutſche Grammatik. Die Darſtellung und Erklärung der ſemitiſch- germaniſchen Zuſammenſchiebungen bedingt deutſche Erläuterun- gen und Vergleiche, welche ſich auch bei Buxtorf nothwendig her- vordrängen, aber gerade bei ihrem ſporadiſchen Hervorblicken wie eine trübe Verleugnung des Deutſchen durch das froſtige Latein erſcheinen, um ſogleich wieder zu verſchwinden. So iſt namentlich ſchon der ganze eigenthümliche jüdiſchdeutſche Vocalismus, deſſen Parallele mit dem Althochdeutſchen und Altniederdeutſchen ſehr intereſſant erſcheint, bei Buxtorf ganz verloren gegangen, ob- gleich ſeine freilich durchaus hebraiſirende Behandlung des [fremdsprachliches Material], na- mentlich des ſtummen [fremdsprachliches Material], davon zeugt, daß die Eigenthümlichkeit des jüdiſchdeutſchen Vocalismus ihm aufgefallen iſt. Das Ein- zelne wird weiter unten beſprochen werden. Jedenfalls iſt Bux- torf der bedeutendſte jüdiſchdeutſche Grammatiker geblieben und hätte bei einer nur etwas beſtimmtern Erkennung und Hervor- hebung des deutſchen Sprachelements den ſpätern Grammatikern die trefflichſte Grundlage zu einer klaren jüdiſchdeutſchen Gram-
eundem fere characterem habent.“ Das iſt eine ſehr merkwürdige Hin- deutung auf den Syriasmus der jüdiſchdeutſchen Currentſchrift, wovon ſpäter geſprochen werden wird.
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überraſcht, wenn man gleich in dieſem erſten Verſuche einer Gram-
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der jüdiſchdeutſchen Sprache findet, welche von keiner ſpätern
Grammatik übertroffen worden iſt. Doch verliert ſich Buxtorf allzu
ſehr in das hebräiſche Element der jüdiſchdeutſchen Sprache, ohne
die Erſtarrung deſſelben durch den Uebergang in das deutſche
Sprachelement zu erkennen und zu verdeutlichen. Er kannte das
Judendeutſch viel beſſer, als er es zu erläutern ſich herbeiließ.
Einen großen Theil der Schuld von dieſer Unvollkommenheit trägt
aber entſchieden die lateiniſche Sprache, in welcher Buxtorf ſeine
Grammatik ſchrieb. Je weniger verwandt überhaupt die darſtel-
lende Sprache einer Grammatik mit der zu erläuternden Sprache
iſt, deſto ſchwieriger und unvollkommener wird die ganze Dar-
ſtellung ſelbſt. Das Lateiniſche paßt durchaus nicht für eine jüdiſch-
deutſche Grammatik. Die Darſtellung und Erklärung der ſemitiſch-
germaniſchen Zuſammenſchiebungen bedingt deutſche Erläuterun-
gen und Vergleiche, welche ſich auch bei Buxtorf nothwendig her-
vordrängen, aber gerade bei ihrem ſporadiſchen Hervorblicken wie
eine trübe Verleugnung des Deutſchen durch das froſtige Latein
erſcheinen, um ſogleich wieder zu verſchwinden. So iſt namentlich
ſchon der ganze eigenthümliche jüdiſchdeutſche Vocalismus, deſſen
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torf der bedeutendſte jüdiſchdeutſche Grammatiker geblieben und
hätte bei einer nur etwas beſtimmtern Erkennung und Hervor-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/249>, abgerufen am 24.11.2024.
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