lich hat sie überhaupt im städtischen Verkehr mittels der steten Berührung mit dem Hochdeutschen manches von ihrer Ursprüng- lichkeit verloren. Doch findet man in der niederdeutschen Bauern- sprache jene dem Althochdeutschen correspondirende Aussprache in ihrer prächtigen Fülle z. B. in Holstein, Lauenburg und Mecklen- burg. Man braucht kaum eine Meile über die lübeckischen Vorstädte hinauszugehen, um schon ein ganz anderes, geziertes, städtisches Niederdeutsch zu hören, wie der Vergleich in den nächsten besten Beispielen ergibt:
[Spaltenumbruch]
Hochdeutsch
Aal,
dar,
holen,
klar,
ja,
Blut,
gut,
Kohl,
Vater,
Mutter,
alt,
kalt,
Brot,
[Spaltenumbruch]
lübeckisches Niederdeutsch
Ahl,
dor,
hahlen,
klor,
jah,
Blot,
god,
Kohl,
Vader,
Moder,
old,
kold,
Brod,
[Spaltenumbruch]
holstein. u. mecklenb. Bauernaussprache
Aul,
daur,
haulen,
klaur,
jau,
Blaut,
gaud,
Kaul,
Vauder,
Mauder,
auld,
kauld,
Braud, u. s. w.
Die Aussprache des wurzelhaften o hat sich im Jüdischdeut- schen so sicher festgesetzt, daß sie gleich dem Niederdeutschen sogar über die von den nachfolgenden obenerwähnten sieben Consonan- ten festgesteckte Grenze hinausgegangen ist und nicht nur vor den genannten Consonanten allein, sondern auch vor allen andern Consonanten sich als diphthongirtes o geltend macht. Doch bleibt es Grundzug, daß sich im Judendeutsch diese Aussprache noch an Wurzelsilben hält, obschon die Verwilderung der Sprache alle an- dern grammatischen Rücksichten gänzlich misachtet und namentlich jegliche Consequenz in der Aussprache fehlt, sodaß man in der absolutesten Willkür bei einem und demselben Worte den Laut a bald wie o, bald wie au von den Juden aussprechen hört, z. B.
lich hat ſie überhaupt im ſtädtiſchen Verkehr mittels der ſteten Berührung mit dem Hochdeutſchen manches von ihrer Urſprüng- lichkeit verloren. Doch findet man in der niederdeutſchen Bauern- ſprache jene dem Althochdeutſchen correſpondirende Ausſprache in ihrer prächtigen Fülle z. B. in Holſtein, Lauenburg und Mecklen- burg. Man braucht kaum eine Meile über die lübeckiſchen Vorſtädte hinauszugehen, um ſchon ein ganz anderes, geziertes, ſtädtiſches Niederdeutſch zu hören, wie der Vergleich in den nächſten beſten Beiſpielen ergibt:
[Spaltenumbruch]
Hochdeutſch
Aal,
dar,
holen,
klar,
ja,
Blut,
gut,
Kohl,
Vater,
Mutter,
alt,
kalt,
Brot,
[Spaltenumbruch]
lübeckiſches Niederdeutſch
Ahl,
dôr,
hahlen,
klôr,
jah,
Blôt,
gôd,
Kohl,
Vâder,
Môder,
ôld,
kôld,
Brod,
[Spaltenumbruch]
holſtein. u. mecklenb. Bauernausſprache
Aul,
daur,
haulen,
klaur,
jau,
Blaut,
gaud,
Kaul,
Vauder,
Mauder,
auld,
kauld,
Braud, u. ſ. w.
Die Ausſprache des wurzelhaften o hat ſich im Jüdiſchdeut- ſchen ſo ſicher feſtgeſetzt, daß ſie gleich dem Niederdeutſchen ſogar über die von den nachfolgenden obenerwähnten ſieben Conſonan- ten feſtgeſteckte Grenze hinausgegangen iſt und nicht nur vor den genannten Conſonanten allein, ſondern auch vor allen andern Conſonanten ſich als diphthongirtes o geltend macht. Doch bleibt es Grundzug, daß ſich im Judendeutſch dieſe Ausſprache noch an Wurzelſilben hält, obſchon die Verwilderung der Sprache alle an- dern grammatiſchen Rückſichten gänzlich misachtet und namentlich jegliche Conſequenz in der Ausſprache fehlt, ſodaß man in der abſoluteſten Willkür bei einem und demſelben Worte den Laut a bald wie o, bald wie au von den Juden ausſprechen hört, z. B.
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lich hat ſie überhaupt im ſtädtiſchen Verkehr mittels der ſteten
Berührung mit dem Hochdeutſchen manches von ihrer Urſprüng-
lichkeit verloren. Doch findet man in der niederdeutſchen Bauern-
ſprache jene dem Althochdeutſchen correſpondirende Ausſprache in
ihrer prächtigen Fülle z. B. in Holſtein, Lauenburg und Mecklen-
burg. Man braucht kaum eine Meile über die lübeckiſchen Vorſtädte
hinauszugehen, um ſchon ein ganz anderes, geziertes, ſtädtiſches
Niederdeutſch zu hören, wie der Vergleich in den nächſten beſten
Beiſpielen ergibt:
Hochdeutſch
Aal,
dar,
holen,
klar,
ja,
Blut,
gut,
Kohl,
Vater,
Mutter,
alt,
kalt,
Brot,
lübeckiſches Niederdeutſch
Ahl,
dôr,
hahlen,
klôr,
jah,
Blôt,
gôd,
Kohl,
Vâder,
Môder,
ôld,
kôld,
Brod,
holſtein. u. mecklenb. Bauernausſprache
Aul,
daur,
haulen,
klaur,
jau,
Blaut,
gaud,
Kaul,
Vauder,
Mauder,
auld,
kauld,
Braud, u. ſ. w.
Die Ausſprache des wurzelhaften o hat ſich im Jüdiſchdeut-
ſchen ſo ſicher feſtgeſetzt, daß ſie gleich dem Niederdeutſchen ſogar
über die von den nachfolgenden obenerwähnten ſieben Conſonan-
ten feſtgeſteckte Grenze hinausgegangen iſt und nicht nur vor den
genannten Conſonanten allein, ſondern auch vor allen andern
Conſonanten ſich als diphthongirtes o geltend macht. Doch bleibt
es Grundzug, daß ſich im Judendeutſch dieſe Ausſprache noch an
Wurzelſilben hält, obſchon die Verwilderung der Sprache alle an-
dern grammatiſchen Rückſichten gänzlich misachtet und namentlich
jegliche Conſequenz in der Ausſprache fehlt, ſodaß man in der
abſoluteſten Willkür bei einem und demſelben Worte den Laut a
bald wie o, bald wie au von den Juden ausſprechen hört, z. B.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/336>, abgerufen am 24.11.2024.
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