keit der überraschendsten Combinationen nicht wenig gefördert sein. Bei der Doppelgeltung der hebräischen Buchstaben als Laut- und Zahlzeichen und bei der ganzen Structur der verhältnißmäßig flexionsarmen hebräischen Sprache hat die kabbalistische Operation in sprachlicher Hinsicht immerhin etwas Behendes, ja nahezu Na- türliches. Aus dieser Behendigkeit erklärt sich auch der leichte Ur- sprung und Eingang derjenigen phonetisch neubelebten Wörter in den Volksmund, welche, dem Notarikon entsprechend, aus den Anfangsbuchstaben abbrevirter Wörter entstanden und wovon schon oben Beispiele aus dem jüdischdeutschen Wortvorrath angeführt sind, wie [fremdsprachliches Material] u. s. w. Andere Beispiele wird man im Wörterbuch finden.
Aeußerst ungeschickt sind nun aber die kabbalistischen Nach- ahmungen in deutscher Sprache, deren Buchstaben schon durch den gänzlichen Abgang der Zahlengeltung völlig ungeeignet für die Kabbala, besonders aber für die Gematria sind. Dennoch hat sich die plumpe Nachahmungssucht sogar in der Gematria ver- sucht, wobei denn durch die höchst willkürliche und höchst ver- schieden statuirte Zahlengeltung der deutschen Buchstaben, welche jeder deutsche Kabbalist den Buchstaben seiner Muttersprache ganz nach seinem subjectiven Willen beilegte, Geist, Geltung, Natür- lichkeit und Behendigkeit der originellen jüdisch-kabbalistischen Con- struction verloren ging. Die deutsche Kabbala ist dadurch eine sehr matte, breite, widerliche Erscheinung geworden. Um nur einen flüchtigen Begriff davon zu verschaffen, mag hier eins der kabbalistischen Paragramme wiedergegeben werden, welche Schudt, a. a. O. im letzten Supplement, mit Genugthuung abdrucken läßt. Man muß dies vollkommen geistlose Machwerk des J. F. Riderer in Nürnberg, von dem Schudt nichts anderes sagt, als daß er sein "Hoch-werth-geschätzter Gönner" sei, für echten nürnberger Tand halten, wenn man nicht in dem apostrophirenden großge- druckten "Jhnen" des nach Röm. 11, 8, gebildeten Paragramms eine cynische Bosheit des Riderer argwöhnen könnte. Der sehr autokratisch und unnatürlich statuirte Schlüssel zu dem "Para- gramma Cabbalisticum Trigonale" wird gegeben mit dem im
keit der überraſchendſten Combinationen nicht wenig gefördert ſein. Bei der Doppelgeltung der hebräiſchen Buchſtaben als Laut- und Zahlzeichen und bei der ganzen Structur der verhältnißmäßig flexionsarmen hebräiſchen Sprache hat die kabbaliſtiſche Operation in ſprachlicher Hinſicht immerhin etwas Behendes, ja nahezu Na- türliches. Aus dieſer Behendigkeit erklärt ſich auch der leichte Ur- ſprung und Eingang derjenigen phonetiſch neubelebten Wörter in den Volksmund, welche, dem Notarikon entſprechend, aus den Anfangsbuchſtaben abbrevirter Wörter entſtanden und wovon ſchon oben Beiſpiele aus dem jüdiſchdeutſchen Wortvorrath angeführt ſind, wie [fremdsprachliches Material] u. ſ. w. Andere Beiſpiele wird man im Wörterbuch finden.
Aeußerſt ungeſchickt ſind nun aber die kabbaliſtiſchen Nach- ahmungen in deutſcher Sprache, deren Buchſtaben ſchon durch den gänzlichen Abgang der Zahlengeltung völlig ungeeignet für die Kabbala, beſonders aber für die Gematria ſind. Dennoch hat ſich die plumpe Nachahmungsſucht ſogar in der Gematria ver- ſucht, wobei denn durch die höchſt willkürliche und höchſt ver- ſchieden ſtatuirte Zahlengeltung der deutſchen Buchſtaben, welche jeder deutſche Kabbaliſt den Buchſtaben ſeiner Mutterſprache ganz nach ſeinem ſubjectiven Willen beilegte, Geiſt, Geltung, Natür- lichkeit und Behendigkeit der originellen jüdiſch-kabbaliſtiſchen Con- ſtruction verloren ging. Die deutſche Kabbala iſt dadurch eine ſehr matte, breite, widerliche Erſcheinung geworden. Um nur einen flüchtigen Begriff davon zu verſchaffen, mag hier eins der kabbaliſtiſchen Paragramme wiedergegeben werden, welche Schudt, a. a. O. im letzten Supplement, mit Genugthuung abdrucken läßt. Man muß dies vollkommen geiſtloſe Machwerk des J. F. Riderer in Nürnberg, von dem Schudt nichts anderes ſagt, als daß er ſein „Hoch-werth-geſchätzter Gönner“ ſei, für echten nürnberger Tand halten, wenn man nicht in dem apoſtrophirenden großge- druckten „Jhnen“ des nach Röm. 11, 8, gebildeten Paragramms eine cyniſche Bosheit des Riderer argwöhnen könnte. Der ſehr autokratiſch und unnatürlich ſtatuirte Schlüſſel zu dem „Para- gramma Cabbalisticum Trigonale“ wird gegeben mit dem im
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ſein. Bei der Doppelgeltung der hebräiſchen Buchſtaben als Laut-
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flexionsarmen hebräiſchen Sprache hat die kabbaliſtiſche Operation
in ſprachlicher Hinſicht immerhin etwas Behendes, ja nahezu Na-
türliches. Aus dieſer Behendigkeit erklärt ſich auch der leichte Ur-
ſprung und Eingang derjenigen phonetiſch neubelebten Wörter in
den Volksmund, welche, dem Notarikon entſprechend, aus den
Anfangsbuchſtaben abbrevirter Wörter entſtanden und wovon ſchon
oben Beiſpiele aus dem jüdiſchdeutſchen Wortvorrath angeführt
ſind, wie _ u. ſ. w. Andere Beiſpiele wird man im
Wörterbuch finden.
Aeußerſt ungeſchickt ſind nun aber die kabbaliſtiſchen Nach-
ahmungen in deutſcher Sprache, deren Buchſtaben ſchon durch
den gänzlichen Abgang der Zahlengeltung völlig ungeeignet für die
Kabbala, beſonders aber für die Gematria ſind. Dennoch hat
ſich die plumpe Nachahmungsſucht ſogar in der Gematria ver-
ſucht, wobei denn durch die höchſt willkürliche und höchſt ver-
ſchieden ſtatuirte Zahlengeltung der deutſchen Buchſtaben, welche
jeder deutſche Kabbaliſt den Buchſtaben ſeiner Mutterſprache ganz
nach ſeinem ſubjectiven Willen beilegte, Geiſt, Geltung, Natür-
lichkeit und Behendigkeit der originellen jüdiſch-kabbaliſtiſchen Con-
ſtruction verloren ging. Die deutſche Kabbala iſt dadurch eine
ſehr matte, breite, widerliche Erſcheinung geworden. Um nur
einen flüchtigen Begriff davon zu verſchaffen, mag hier eins der
kabbaliſtiſchen Paragramme wiedergegeben werden, welche Schudt,
a. a. O. im letzten Supplement, mit Genugthuung abdrucken läßt.
Man muß dies vollkommen geiſtloſe Machwerk des J. F. Riderer
in Nürnberg, von dem Schudt nichts anderes ſagt, als daß er
ſein „Hoch-werth-geſchätzter Gönner“ ſei, für echten nürnberger
Tand halten, wenn man nicht in dem apoſtrophirenden großge-
druckten „Jhnen“ des nach Röm. 11, 8, gebildeten Paragramms
eine cyniſche Bosheit des Riderer argwöhnen könnte. Der ſehr
autokratiſch und unnatürlich ſtatuirte Schlüſſel zu dem „Para-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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