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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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den Seelenhäusern Seelbäder eingerichtet, wie z. B. 1503 eins
in Ulm. Der Arzt hieß Seelscherer, Seelbader. Die Wand-
lung des Seelbader in Salbader ist zunächst niederdeutschen
Ursprungs. Noch heutzutage hört man in Norddeutschland überall
die Ausdrücke: "Min sanl Vader, min sanl Moder" 1), mein seliger
Vater, meine selige Mutter. So sehr nun aber auch das lippis
et tonsoribus notum
des Horaz (Sat. 1, 7, 3) schon ein classi-
sches Zeugniß für die unvertilgbare Beredsamkeit der Bader ist,
wie denn die Rochlim des Mittelalters als ambulante Neuig-
keitsträger (vgl. II, 270) mit den Badern fast gleichbedeutend
sind: so ist doch das Wort Salbader, salbadern niemals in
die Gaunersprache aufgenommen worden und ihre zuweilen gewagte
Bezeichnung mit Salbaderei durchaus falsch.



Dreizehntes Kapitel.
d) Jargon.

Man bezeichnet zuweilen die Gaunersprache mit dem sehr
weiten, jedoch dem Gaunerthum ganz fremden Ausdruck Jargon.
Schwenck, S. 294, erläutert Jargon kurzweg als "die unverständ-
liche Mundart" und fügt vergleichsweise das franz. jargon, ital.
gergo, span. gerigonza, xerga (guirigay, Kauderwelsch), proven-
zal. gergonz, altnord. jargr hinzu. Es ist auffallend, daß es in
keiner Sprache eine deutliche Etymologie dieses Wortes gibt, mit

1) Die niederdeutsche Umlautung des "saalig" in "sanl" (neben welchem
auch "seelig" besteht), ist eine Anomalie, welche sich wol nur aus dem Jüdisch-
deutschen erklären läßt, in welchem bei Erwähnung verehrter verstorbener Per-
sonen stets die Abbreviatur [fremdsprachliches Material], d. h. secher liwrocho, sein Andenken sei ge-
segnet, besonders in Briefen und bei Unterschriften mit Namenserwähnung des
verstorbenen Vaters, der Mutter oder eines Verwandten oder geehrten Freundes
gebraucht und im Sprechen phonetisch belebt wird zu sal, säl, z. B.: mein
Vater sanl, mein Bruder säl, meine säl Mutter, meine säl Schwester. Vgl.
Kap. 48 das phonetische Element der Abbreviaturen und Kap. 85 in den syn-
taktischen Anmerkungen das über das Vinzlied und über den Briefstil Gesagte

den Seelenhäuſern Seelbäder eingerichtet, wie z. B. 1503 eins
in Ulm. Der Arzt hieß Seelſcherer, Seelbader. Die Wand-
lung des Seelbader in Salbader iſt zunächſt niederdeutſchen
Urſprungs. Noch heutzutage hört man in Norddeutſchland überall
die Ausdrücke: „Min ſāl Vader, min ſāl Moder“ 1), mein ſeliger
Vater, meine ſelige Mutter. So ſehr nun aber auch das lippis
et tonsoribus notum
des Horaz (Sat. 1, 7, 3) ſchon ein claſſi-
ſches Zeugniß für die unvertilgbare Beredſamkeit der Bader iſt,
wie denn die Rochlim des Mittelalters als ambulante Neuig-
keitsträger (vgl. II, 270) mit den Badern faſt gleichbedeutend
ſind: ſo iſt doch das Wort Salbader, ſalbadern niemals in
die Gaunerſprache aufgenommen worden und ihre zuweilen gewagte
Bezeichnung mit Salbaderei durchaus falſch.



Dreizehntes Kapitel.
d) Jargon.

Man bezeichnet zuweilen die Gaunerſprache mit dem ſehr
weiten, jedoch dem Gaunerthum ganz fremden Ausdruck Jargon.
Schwenck, S. 294, erläutert Jargon kurzweg als „die unverſtänd-
liche Mundart“ und fügt vergleichsweiſe das franz. jargon, ital.
gergo, ſpan. gerigonza, xerga (guirigay, Kauderwelſch), proven-
zal. gergonz, altnord. jargr hinzu. Es iſt auffallend, daß es in
keiner Sprache eine deutliche Etymologie dieſes Wortes gibt, mit

1) Die niederdeutſche Umlautung des „ſaalig“ in „ſāl“ (neben welchem
auch „ſeelig“ beſteht), iſt eine Anomalie, welche ſich wol nur aus dem Jüdiſch-
deutſchen erklären läßt, in welchem bei Erwähnung verehrter verſtorbener Per-
ſonen ſtets die Abbreviatur [fremdsprachliches Material], d. h. secher liwrocho, ſein Andenken ſei ge-
ſegnet, beſonders in Briefen und bei Unterſchriften mit Namenserwähnung des
verſtorbenen Vaters, der Mutter oder eines Verwandten oder geehrten Freundes
gebraucht und im Sprechen phonetiſch belebt wird zu sal, säl, z. B.: mein
Vater ſāl, mein Bruder ſäl, meine ſäl Mutter, meine ſäl Schweſter. Vgl.
Kap. 48 das phonetiſche Element der Abbreviaturen und Kap. 85 in den ſyn-
taktiſchen Anmerkungen das über das Vinzlied und über den Briefſtil Geſagte
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[28/0062] den Seelenhäuſern Seelbäder eingerichtet, wie z. B. 1503 eins in Ulm. Der Arzt hieß Seelſcherer, Seelbader. Die Wand- lung des Seelbader in Salbader iſt zunächſt niederdeutſchen Urſprungs. Noch heutzutage hört man in Norddeutſchland überall die Ausdrücke: „Min ſāl Vader, min ſāl Moder“ 1), mein ſeliger Vater, meine ſelige Mutter. So ſehr nun aber auch das lippis et tonsoribus notum des Horaz (Sat. 1, 7, 3) ſchon ein claſſi- ſches Zeugniß für die unvertilgbare Beredſamkeit der Bader iſt, wie denn die Rochlim des Mittelalters als ambulante Neuig- keitsträger (vgl. II, 270) mit den Badern faſt gleichbedeutend ſind: ſo iſt doch das Wort Salbader, ſalbadern niemals in die Gaunerſprache aufgenommen worden und ihre zuweilen gewagte Bezeichnung mit Salbaderei durchaus falſch. Dreizehntes Kapitel. d) Jargon. Man bezeichnet zuweilen die Gaunerſprache mit dem ſehr weiten, jedoch dem Gaunerthum ganz fremden Ausdruck Jargon. Schwenck, S. 294, erläutert Jargon kurzweg als „die unverſtänd- liche Mundart“ und fügt vergleichsweiſe das franz. jargon, ital. gergo, ſpan. gerigonza, xerga (guirigay, Kauderwelſch), proven- zal. gergonz, altnord. jargr hinzu. Es iſt auffallend, daß es in keiner Sprache eine deutliche Etymologie dieſes Wortes gibt, mit 1) Die niederdeutſche Umlautung des „ſaalig“ in „ſāl“ (neben welchem auch „ſeelig“ beſteht), iſt eine Anomalie, welche ſich wol nur aus dem Jüdiſch- deutſchen erklären läßt, in welchem bei Erwähnung verehrter verſtorbener Per- ſonen ſtets die Abbreviatur _ , d. h. secher liwrocho, ſein Andenken ſei ge- ſegnet, beſonders in Briefen und bei Unterſchriften mit Namenserwähnung des verſtorbenen Vaters, der Mutter oder eines Verwandten oder geehrten Freundes gebraucht und im Sprechen phonetiſch belebt wird zu sal, säl, z. B.: mein Vater ſāl, mein Bruder ſäl, meine ſäl Mutter, meine ſäl Schweſter. Vgl. Kap. 48 das phonetiſche Element der Abbreviaturen und Kap. 85 in den ſyn- taktiſchen Anmerkungen das über das Vinzlied und über den Briefſtil Geſagte

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/62>, abgerufen am 23.11.2024.