Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite
Achtzehntes Kapitel.
H. Die jüdischdeutsche Sprache.
1) Wesen und Stoff der jüdischdeutschen Sprache.

Bei dem Mangel aller genügenden Beachtung, Erkennung
und Bearbeitung der jüdischdeutschen Sprache ist es nicht leicht,
ohne die verschiedensten Seitenblicke einen klaren Begriff vom
Wesen, Stoff und Bau des Judendeutsch zu gewinnen. Jm Juden-
deutsch findet man eine Vereinigung vorzüglich zweier Sprachen,
der hebräischen und der deutschen, welche ganz einzig in ihrer Art
dasteht. Der eine Factor, die todte hebräische Sprache, ist von
dem mit unvertilgbarer Zähigkeit an seiner leiblichen und geistigen
Eigenthümlichkeit festhaltenden und dennoch wiederum so fügsamen
und biegsamen Volke der Juden dem deutschen Volke in sein Land,
Leben und in seine Sprache hineingetragen worden, ohne daß der
unstete Ankömmling wie der seßhafte Deutsche einen Begriff davon
hatte, welche uralte Sprach- und Volksstammverwandtschaft nach
mehrtausendjähriger Trennung hier wieder in völlig fremdartiger
Aeußerlichkeit zusammentraf. Während der Jude in allem, in der
persönlichen Erscheinung, in Religion, Cultur und Sitte, sich
durchaus unterschied von dem deutschen Volke, dessen Gastfreund-
schaft er bei diesem ebenso in Anspruch nahm wie bei allen Be-
wohnern des Occidents; während er statt der Gastfreundschaft ein
härteres und längeres Exil finden und tragen mußte, als seine
Väter in der babylonischen Gefangenschaft geduldet hatten; wäh-
rend er nur in den untersten Schichten des Volkes und in der
tiefsten Erniedrigung, im schrecklichsten Schmuz des Elends einen
immer auch nur augenblicklichen Schutz durch behendes Nieder-
ducken bei der vielhundertjährigen Hetzjagd christlicher Jntoleranz
und Habgier fand: fügte sich in dieser unbegreiflichen Vertilgung
und Unvertilgbarkeit des als Volk längst vernichteten und immer
nur in der specifischen Jndividualität geretteten und erscheinenden
Judenvolkes der Geist des vom Judenthum in seiner ganzen re-
ligiösen, sittlichen und bürgerlichen Existenz so eigenthümlich ge-

Achtzehntes Kapitel.
H. Die jüdiſchdeutſche Sprache.
1) Weſen und Stoff der jüdiſchdeutſchen Sprache.

Bei dem Mangel aller genügenden Beachtung, Erkennung
und Bearbeitung der jüdiſchdeutſchen Sprache iſt es nicht leicht,
ohne die verſchiedenſten Seitenblicke einen klaren Begriff vom
Weſen, Stoff und Bau des Judendeutſch zu gewinnen. Jm Juden-
deutſch findet man eine Vereinigung vorzüglich zweier Sprachen,
der hebräiſchen und der deutſchen, welche ganz einzig in ihrer Art
daſteht. Der eine Factor, die todte hebräiſche Sprache, iſt von
dem mit unvertilgbarer Zähigkeit an ſeiner leiblichen und geiſtigen
Eigenthümlichkeit feſthaltenden und dennoch wiederum ſo fügſamen
und biegſamen Volke der Juden dem deutſchen Volke in ſein Land,
Leben und in ſeine Sprache hineingetragen worden, ohne daß der
unſtete Ankömmling wie der ſeßhafte Deutſche einen Begriff davon
hatte, welche uralte Sprach- und Volksſtammverwandtſchaft nach
mehrtauſendjähriger Trennung hier wieder in völlig fremdartiger
Aeußerlichkeit zuſammentraf. Während der Jude in allem, in der
perſönlichen Erſcheinung, in Religion, Cultur und Sitte, ſich
durchaus unterſchied von dem deutſchen Volke, deſſen Gaſtfreund-
ſchaft er bei dieſem ebenſo in Anſpruch nahm wie bei allen Be-
wohnern des Occidents; während er ſtatt der Gaſtfreundſchaft ein
härteres und längeres Exil finden und tragen mußte, als ſeine
Väter in der babyloniſchen Gefangenſchaft geduldet hatten; wäh-
rend er nur in den unterſten Schichten des Volkes und in der
tiefſten Erniedrigung, im ſchrecklichſten Schmuz des Elends einen
immer auch nur augenblicklichen Schutz durch behendes Nieder-
ducken bei der vielhundertjährigen Hetzjagd chriſtlicher Jntoleranz
und Habgier fand: fügte ſich in dieſer unbegreiflichen Vertilgung
und Unvertilgbarkeit des als Volk längſt vernichteten und immer
nur in der ſpecifiſchen Jndividualität geretteten und erſcheinenden
Judenvolkes der Geiſt des vom Judenthum in ſeiner ganzen re-
ligiöſen, ſittlichen und bürgerlichen Exiſtenz ſo eigenthümlich ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0075" n="41"/>
          <div n="3">
            <head>Achtzehntes Kapitel.<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">H.</hi> Die jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;che Sprache.</hi></head><lb/>
            <div n="4">
              <head>1) <hi rendition="#b">We&#x017F;en und Stoff der jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen Sprache.</hi></head><lb/>
              <p>Bei dem Mangel aller genügenden Beachtung, Erkennung<lb/>
und Bearbeitung der jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen Sprache i&#x017F;t es nicht leicht,<lb/>
ohne die ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Seitenblicke einen klaren Begriff vom<lb/>
We&#x017F;en, Stoff und Bau des Judendeut&#x017F;ch zu gewinnen. Jm Juden-<lb/>
deut&#x017F;ch findet man eine Vereinigung vorzüglich zweier Sprachen,<lb/>
der hebräi&#x017F;chen und der deut&#x017F;chen, welche ganz einzig in ihrer Art<lb/>
da&#x017F;teht. Der eine Factor, die todte hebräi&#x017F;che Sprache, i&#x017F;t von<lb/>
dem mit unvertilgbarer Zähigkeit an &#x017F;einer leiblichen und gei&#x017F;tigen<lb/>
Eigenthümlichkeit fe&#x017F;thaltenden und dennoch wiederum &#x017F;o füg&#x017F;amen<lb/>
und bieg&#x017F;amen Volke der Juden dem deut&#x017F;chen Volke in &#x017F;ein Land,<lb/>
Leben und in &#x017F;eine Sprache hineingetragen worden, ohne daß der<lb/>
un&#x017F;tete Ankömmling wie der &#x017F;eßhafte Deut&#x017F;che einen Begriff davon<lb/>
hatte, welche uralte Sprach- und Volks&#x017F;tammverwandt&#x017F;chaft nach<lb/>
mehrtau&#x017F;endjähriger Trennung hier wieder in völlig fremdartiger<lb/>
Aeußerlichkeit zu&#x017F;ammentraf. Während der Jude in allem, in der<lb/>
per&#x017F;önlichen Er&#x017F;cheinung, in Religion, Cultur und Sitte, &#x017F;ich<lb/>
durchaus unter&#x017F;chied von dem deut&#x017F;chen Volke, de&#x017F;&#x017F;en Ga&#x017F;tfreund-<lb/>
&#x017F;chaft er bei die&#x017F;em eben&#x017F;o in An&#x017F;pruch nahm wie bei allen Be-<lb/>
wohnern des Occidents; während er &#x017F;tatt der Ga&#x017F;tfreund&#x017F;chaft ein<lb/>
härteres und längeres Exil finden und tragen mußte, als &#x017F;eine<lb/>
Väter in der babyloni&#x017F;chen Gefangen&#x017F;chaft geduldet hatten; wäh-<lb/>
rend er nur in den unter&#x017F;ten Schichten des Volkes und in der<lb/>
tief&#x017F;ten Erniedrigung, im &#x017F;chrecklich&#x017F;ten Schmuz des Elends einen<lb/>
immer auch nur augenblicklichen Schutz durch behendes Nieder-<lb/>
ducken bei der vielhundertjährigen Hetzjagd chri&#x017F;tlicher Jntoleranz<lb/>
und Habgier fand: fügte &#x017F;ich in die&#x017F;er unbegreiflichen Vertilgung<lb/>
und Unvertilgbarkeit des als Volk läng&#x017F;t vernichteten und immer<lb/>
nur in der &#x017F;pecifi&#x017F;chen Jndividualität geretteten und er&#x017F;cheinenden<lb/>
Judenvolkes der Gei&#x017F;t des vom Judenthum in &#x017F;einer ganzen re-<lb/>
ligiö&#x017F;en, &#x017F;ittlichen und bürgerlichen Exi&#x017F;tenz &#x017F;o eigenthümlich ge-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0075] Achtzehntes Kapitel. H. Die jüdiſchdeutſche Sprache. 1) Weſen und Stoff der jüdiſchdeutſchen Sprache. Bei dem Mangel aller genügenden Beachtung, Erkennung und Bearbeitung der jüdiſchdeutſchen Sprache iſt es nicht leicht, ohne die verſchiedenſten Seitenblicke einen klaren Begriff vom Weſen, Stoff und Bau des Judendeutſch zu gewinnen. Jm Juden- deutſch findet man eine Vereinigung vorzüglich zweier Sprachen, der hebräiſchen und der deutſchen, welche ganz einzig in ihrer Art daſteht. Der eine Factor, die todte hebräiſche Sprache, iſt von dem mit unvertilgbarer Zähigkeit an ſeiner leiblichen und geiſtigen Eigenthümlichkeit feſthaltenden und dennoch wiederum ſo fügſamen und biegſamen Volke der Juden dem deutſchen Volke in ſein Land, Leben und in ſeine Sprache hineingetragen worden, ohne daß der unſtete Ankömmling wie der ſeßhafte Deutſche einen Begriff davon hatte, welche uralte Sprach- und Volksſtammverwandtſchaft nach mehrtauſendjähriger Trennung hier wieder in völlig fremdartiger Aeußerlichkeit zuſammentraf. Während der Jude in allem, in der perſönlichen Erſcheinung, in Religion, Cultur und Sitte, ſich durchaus unterſchied von dem deutſchen Volke, deſſen Gaſtfreund- ſchaft er bei dieſem ebenſo in Anſpruch nahm wie bei allen Be- wohnern des Occidents; während er ſtatt der Gaſtfreundſchaft ein härteres und längeres Exil finden und tragen mußte, als ſeine Väter in der babyloniſchen Gefangenſchaft geduldet hatten; wäh- rend er nur in den unterſten Schichten des Volkes und in der tiefſten Erniedrigung, im ſchrecklichſten Schmuz des Elends einen immer auch nur augenblicklichen Schutz durch behendes Nieder- ducken bei der vielhundertjährigen Hetzjagd chriſtlicher Jntoleranz und Habgier fand: fügte ſich in dieſer unbegreiflichen Vertilgung und Unvertilgbarkeit des als Volk längſt vernichteten und immer nur in der ſpecifiſchen Jndividualität geretteten und erſcheinenden Judenvolkes der Geiſt des vom Judenthum in ſeiner ganzen re- ligiöſen, ſittlichen und bürgerlichen Exiſtenz ſo eigenthümlich ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/75
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/75>, abgerufen am 24.11.2024.