deutschen Scherz, der nicht in der jüdischdeutschen Literatur Wider- klang gefunden hätte. Aber überall ist die Form trüb und trau- rig; nur zu oft lähmt die Dichtung ihre Schwingen an dieser Form; auch die Prosa stumpft sich daran ab, und das Erhabene flacht sich zum Lächerlichen, das Komische zur Fratze ab. Jn die- sem Zuschnitt der jüdischdeutschen Literatur tritt dem Forscher der Geist des Judenthums wie in einer Tragödie entgegen, wie er selbst in der Ermattung noch immer großartig gegen den Unter- gang ringt, den eine feindliche Gewalt ihm bereitet. Aber end- lich erkennt man in der wahrhaft historischen Erscheinung des trefflichen Moses Mendelssohn den helfenden Genius des Juden- thums, welcher durch seine tiefgreifende Reformation des Rabbiner- thums, des Religionsunterrichts und Gottesdienstes das ermattete, tiefgesunkene Judenthum aufrichtete und rettete, wo die seit hun- dert Jahren begonnene steife, ungelenke Proselytenmacherei und der saftlose christliche Humanismus kein anderes Heil mehr im Judenthum finden konnten als in dessen gänzlicher Negation. Mit dem Wiederaufleben des Judenthums durch Moses Mendelssohn ist die jüdischdeutsche Literatur eigentlich ganz abgestorben. Seit Moses Mendelssohn gibt es nur noch eine jüdische Literatur und eine deutsche Literatur unter den Juden; die heiligen Bücher reden wieder in der klaren Ursprache und werden in der klaren deutschen Sprache erläutert. Aber dennoch ist das Jüdischdeutsche unverküm- merte Volkssprache geblieben, weil es schon lange Volkssprache ge- worden war, und es wird Volkssprache bleiben, solange das Juden- thum wie das Christenthum sich in den untersten Schichten des Volkslebens absetzt und Juden in der trüben Sphäre der verwor- fenen christlichen Elemente in sittlichem und physischem Elend ver- brüdert mit diesen fortvegetiren.
Ein Blick auf Entstehung und Alter der eigenthümlichen Sprachvermischung macht die Forschung interessanter, aber auch noch schwieriger. Die Sprachmischung ist so alt wie der Beginn des Verkehrs und Volkslebens der Juden auf deutschem Boden. Freilich liegen keine schriftlichen Urkunden vor. Woher sollten diese denn auch genommen werden, wenn das Hebräische erst seit 300
deutſchen Scherz, der nicht in der jüdiſchdeutſchen Literatur Wider- klang gefunden hätte. Aber überall iſt die Form trüb und trau- rig; nur zu oft lähmt die Dichtung ihre Schwingen an dieſer Form; auch die Proſa ſtumpft ſich daran ab, und das Erhabene flacht ſich zum Lächerlichen, das Komiſche zur Fratze ab. Jn die- ſem Zuſchnitt der jüdiſchdeutſchen Literatur tritt dem Forſcher der Geiſt des Judenthums wie in einer Tragödie entgegen, wie er ſelbſt in der Ermattung noch immer großartig gegen den Unter- gang ringt, den eine feindliche Gewalt ihm bereitet. Aber end- lich erkennt man in der wahrhaft hiſtoriſchen Erſcheinung des trefflichen Moſes Mendelsſohn den helfenden Genius des Juden- thums, welcher durch ſeine tiefgreifende Reformation des Rabbiner- thums, des Religionsunterrichts und Gottesdienſtes das ermattete, tiefgeſunkene Judenthum aufrichtete und rettete, wo die ſeit hun- dert Jahren begonnene ſteife, ungelenke Proſelytenmacherei und der ſaftloſe chriſtliche Humanismus kein anderes Heil mehr im Judenthum finden konnten als in deſſen gänzlicher Negation. Mit dem Wiederaufleben des Judenthums durch Moſes Mendelsſohn iſt die jüdiſchdeutſche Literatur eigentlich ganz abgeſtorben. Seit Moſes Mendelsſohn gibt es nur noch eine jüdiſche Literatur und eine deutſche Literatur unter den Juden; die heiligen Bücher reden wieder in der klaren Urſprache und werden in der klaren deutſchen Sprache erläutert. Aber dennoch iſt das Jüdiſchdeutſche unverküm- merte Volksſprache geblieben, weil es ſchon lange Volksſprache ge- worden war, und es wird Volksſprache bleiben, ſolange das Juden- thum wie das Chriſtenthum ſich in den unterſten Schichten des Volkslebens abſetzt und Juden in der trüben Sphäre der verwor- fenen chriſtlichen Elemente in ſittlichem und phyſiſchem Elend ver- brüdert mit dieſen fortvegetiren.
Ein Blick auf Entſtehung und Alter der eigenthümlichen Sprachvermiſchung macht die Forſchung intereſſanter, aber auch noch ſchwieriger. Die Sprachmiſchung iſt ſo alt wie der Beginn des Verkehrs und Volkslebens der Juden auf deutſchem Boden. Freilich liegen keine ſchriftlichen Urkunden vor. Woher ſollten dieſe denn auch genommen werden, wenn das Hebräiſche erſt ſeit 300
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deutſchen Scherz, der nicht in der jüdiſchdeutſchen Literatur Wider-
klang gefunden hätte. Aber überall iſt die Form trüb und trau-
rig; nur zu oft lähmt die Dichtung ihre Schwingen an dieſer
Form; auch die Proſa ſtumpft ſich daran ab, und das Erhabene
flacht ſich zum Lächerlichen, das Komiſche zur Fratze ab. Jn die-
ſem Zuſchnitt der jüdiſchdeutſchen Literatur tritt dem Forſcher der
Geiſt des Judenthums wie in einer Tragödie entgegen, wie er
ſelbſt in der Ermattung noch immer großartig gegen den Unter-
gang ringt, den eine feindliche Gewalt ihm bereitet. Aber end-
lich erkennt man in der wahrhaft hiſtoriſchen Erſcheinung des
trefflichen Moſes Mendelsſohn den helfenden Genius des Juden-
thums, welcher durch ſeine tiefgreifende Reformation des Rabbiner-
thums, des Religionsunterrichts und Gottesdienſtes das ermattete,
tiefgeſunkene Judenthum aufrichtete und rettete, wo die ſeit hun-
dert Jahren begonnene ſteife, ungelenke Proſelytenmacherei und
der ſaftloſe chriſtliche Humanismus kein anderes Heil mehr im
Judenthum finden konnten als in deſſen gänzlicher Negation. Mit
dem Wiederaufleben des Judenthums durch Moſes Mendelsſohn
iſt die jüdiſchdeutſche Literatur eigentlich ganz abgeſtorben. Seit
Moſes Mendelsſohn gibt es nur noch eine jüdiſche Literatur und
eine deutſche Literatur unter den Juden; die heiligen Bücher reden
wieder in der klaren Urſprache und werden in der klaren deutſchen
Sprache erläutert. Aber dennoch iſt das Jüdiſchdeutſche unverküm-
merte Volksſprache geblieben, weil es ſchon lange Volksſprache ge-
worden war, und es wird Volksſprache bleiben, ſolange das Juden-
thum wie das Chriſtenthum ſich in den unterſten Schichten des
Volkslebens abſetzt und Juden in der trüben Sphäre der verwor-
fenen chriſtlichen Elemente in ſittlichem und phyſiſchem Elend ver-
brüdert mit dieſen fortvegetiren.
Ein Blick auf Entſtehung und Alter der eigenthümlichen
Sprachvermiſchung macht die Forſchung intereſſanter, aber auch
noch ſchwieriger. Die Sprachmiſchung iſt ſo alt wie der Beginn
des Verkehrs und Volkslebens der Juden auf deutſchem Boden.
Freilich liegen keine ſchriftlichen Urkunden vor. Woher ſollten dieſe
denn auch genommen werden, wenn das Hebräiſche erſt ſeit 300
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/81>, abgerufen am 24.11.2024.
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