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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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bukadnezar nach Babylon verpflanzten Juden kehrten fortwährend
einzeln nach Palästina zurück, oft in größern Gruppen, und brach-
ten das Aramäische schon als ihre Muttersprache aus dem langen
Exil mit. Dazu machte das Samaritanische 1) als ursprünglich
aramäischer Dialekt mit dem Syrischen (da die Juden ja auch
durch Syrien weit verbreitet waren) sich geltend, und somit ver-
floß das Hebräische allmählich zum hebräisch gefärbten aramäischen
Dialekt bis zum gänzlichen Aussterben der heiligen Sprache als
Volkssprache im 4. Jahrhundert n. Chr., sodaß fortan den Gemein-
den der vorgelesene Urtext der heiligen Bücher von einem eigenen
Uebersetzer versweise aramäisch übersetzt werden mußte.

Noch früher war der heiligen Sprache im Occident der Un-
tergang durch die Herrschaft der griechischen Sprache bereitet wor-
den, welche, von den jüdischen Gelehrten in Palästina hochgeachtet,
selbst in das Hebräische eingedrungen und sogar Muttersprache der
(hellenistischen) Juden in den griechischen Städten Palästinas, in
Aegypten, Cyrene, im asiatischen und europäischen Griechenland
geworden war. 2) Sehr merkwürdig ist die Novelle 146 Justi-
nian's 3) vom Jahre 541: ut liceat Hebraeis secundum traditam
legem sacras scripturas Latine vel Graece vel alia lingua le-
gere
u. s. w., weil sie ein lebendiges Zeugniß davon ist, wie
weit sich die Juden auch schon im Occident verbreitet und wie
tief sie sich überall eingebürgert hatten, sodaß die Sprache ihres

1) Zunz, a. a. O. Sehr merkwürdig ist die Bezeichnung [fremdsprachliches Material], idiotai,
im Sanhedrin für die aramäisch redenden Samaritaner, und [fremdsprachliches Material], die
aramäische Volkssprache, sowie [fremdsprachliches Material], das aramäische Sprichwort, Gleichniß.
2) Zunz, S. 10.
3) Nov. 146, cap. 1: Sancimus igitur licentiam esse volentibus He-
braeis per synagogas suas, in quocunque Hebraei omnino loco sunt, per
graecam vocem sacros libros legere convenientibus, vel etiam patria forte
(Italica hac dicimus lingua) vel etiam aliorum simpliciter, una scilicet
cum locis etiam lingua commutata, et per ipsorum lectionem per quam
clara sunt quae dicuntur convenientibus omnibus deinceps, et secundum
haec vivere et conversari.
Am Schluß des Kapitels wird für die griechische
Lesung die LXX empfohlen, "quae omnibus certior est et prae aliis me-
lior judicata" etc.

bukadnezar nach Babylon verpflanzten Juden kehrten fortwährend
einzeln nach Paläſtina zurück, oft in größern Gruppen, und brach-
ten das Aramäiſche ſchon als ihre Mutterſprache aus dem langen
Exil mit. Dazu machte das Samaritaniſche 1) als urſprünglich
aramäiſcher Dialekt mit dem Syriſchen (da die Juden ja auch
durch Syrien weit verbreitet waren) ſich geltend, und ſomit ver-
floß das Hebräiſche allmählich zum hebräiſch gefärbten aramäiſchen
Dialekt bis zum gänzlichen Ausſterben der heiligen Sprache als
Volksſprache im 4. Jahrhundert n. Chr., ſodaß fortan den Gemein-
den der vorgeleſene Urtext der heiligen Bücher von einem eigenen
Ueberſetzer versweiſe aramäiſch überſetzt werden mußte.

Noch früher war der heiligen Sprache im Occident der Un-
tergang durch die Herrſchaft der griechiſchen Sprache bereitet wor-
den, welche, von den jüdiſchen Gelehrten in Paläſtina hochgeachtet,
ſelbſt in das Hebräiſche eingedrungen und ſogar Mutterſprache der
(helleniſtiſchen) Juden in den griechiſchen Städten Paläſtinas, in
Aegypten, Cyrene, im aſiatiſchen und europäiſchen Griechenland
geworden war. 2) Sehr merkwürdig iſt die Novelle 146 Juſti-
nian’s 3) vom Jahre 541: ut liceat Hebraeis secundum traditam
legem sacras scripturas Latine vel Graece vel alia lingua le-
gere
u. ſ. w., weil ſie ein lebendiges Zeugniß davon iſt, wie
weit ſich die Juden auch ſchon im Occident verbreitet und wie
tief ſie ſich überall eingebürgert hatten, ſodaß die Sprache ihres

1) Zunz, a. a. O. Sehr merkwürdig iſt die Bezeichnung [fremdsprachliches Material], ἰδιῶται,
im Sanhedrin für die aramäiſch redenden Samaritaner, und [fremdsprachliches Material], die
aramäiſche Volksſprache, ſowie [fremdsprachliches Material], das aramäiſche Sprichwort, Gleichniß.
2) Zunz, S. 10.
3) Nov. 146, cap. 1: Sancimus igitur licentiam esse volentibus He-
braeis per synagogas suas, in quocunque Hebraei omnino loco sunt, per
graecam vocem sacros libros legere convenientibus, vel etiam patria forte
(Italica hac dicimus lingua) vel etiam aliorum simpliciter, una scilicet
cum locis etiam lingua commutata, et per ipsorum lectionem per quam
clara sunt quae dicuntur convenientibus omnibus deinceps, et secundum
haec vivere et conversari.
Am Schluß des Kapitels wird für die griechiſche
Leſung die LXX empfohlen, „quae omnibus certior est et prae aliis me-
lior judicata“ etc.
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[62/0096] bukadnezar nach Babylon verpflanzten Juden kehrten fortwährend einzeln nach Paläſtina zurück, oft in größern Gruppen, und brach- ten das Aramäiſche ſchon als ihre Mutterſprache aus dem langen Exil mit. Dazu machte das Samaritaniſche 1) als urſprünglich aramäiſcher Dialekt mit dem Syriſchen (da die Juden ja auch durch Syrien weit verbreitet waren) ſich geltend, und ſomit ver- floß das Hebräiſche allmählich zum hebräiſch gefärbten aramäiſchen Dialekt bis zum gänzlichen Ausſterben der heiligen Sprache als Volksſprache im 4. Jahrhundert n. Chr., ſodaß fortan den Gemein- den der vorgeleſene Urtext der heiligen Bücher von einem eigenen Ueberſetzer versweiſe aramäiſch überſetzt werden mußte. Noch früher war der heiligen Sprache im Occident der Un- tergang durch die Herrſchaft der griechiſchen Sprache bereitet wor- den, welche, von den jüdiſchen Gelehrten in Paläſtina hochgeachtet, ſelbſt in das Hebräiſche eingedrungen und ſogar Mutterſprache der (helleniſtiſchen) Juden in den griechiſchen Städten Paläſtinas, in Aegypten, Cyrene, im aſiatiſchen und europäiſchen Griechenland geworden war. 2) Sehr merkwürdig iſt die Novelle 146 Juſti- nian’s 3) vom Jahre 541: ut liceat Hebraeis secundum traditam legem sacras scripturas Latine vel Graece vel alia lingua le- gere u. ſ. w., weil ſie ein lebendiges Zeugniß davon iſt, wie weit ſich die Juden auch ſchon im Occident verbreitet und wie tief ſie ſich überall eingebürgert hatten, ſodaß die Sprache ihres 1) Zunz, a. a. O. Sehr merkwürdig iſt die Bezeichnung _ , ἰδιῶται, im Sanhedrin für die aramäiſch redenden Samaritaner, und _ , die aramäiſche Volksſprache, ſowie _ , das aramäiſche Sprichwort, Gleichniß. 2) Zunz, S. 10. 3) Nov. 146, cap. 1: Sancimus igitur licentiam esse volentibus He- braeis per synagogas suas, in quocunque Hebraei omnino loco sunt, per graecam vocem sacros libros legere convenientibus, vel etiam patria forte (Italica hac dicimus lingua) vel etiam aliorum simpliciter, una scilicet cum locis etiam lingua commutata, et per ipsorum lectionem per quam clara sunt quae dicuntur convenientibus omnibus deinceps, et secundum haec vivere et conversari. Am Schluß des Kapitels wird für die griechiſche Leſung die LXX empfohlen, „quae omnibus certior est et prae aliis me- lior judicata“ etc.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/96>, abgerufen am 23.11.2024.