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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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mangelnden Kenntniß des innern Wesens und Lebens des Gau-
nerthums und seiner Sprache, wie das entschieden bei Francisque-
Michel der Fall ist, von den Gaunerlinguisten ein Uebermaß
des Volkssprachvorraths in die Gaunersprache hineingetragen und
somit derselben aus diesem Vorrath eine Bereicherung aufgedrun-
gen wurde, welche ihrem Wesen und Zweck durchaus fremd und
entlegen ist und ihre klare Auffassung trübt. Treffend bezeichnet
Pott ("Zigeuner", II, 2), welcher überhaupt hell und frisch in
die Gaunersprache hineingeblickt hat, dieselbe als eine "erfundene,
gemachte" Sprache. Die Gaunersprache ist durchaus eklektisch und
conventionell. Jhr Umfang ist von Geist und Kunst des Gauner-
thums begrenzt, ihre Typen nach dem Bedürfniß gewählt. Jhr
Kriterium ist die Abgeschlossenheit ihres Verständnisses und ihre
Lebensfähigkeit ist vom Geheimniß abhängig. So greift das
Gaunerthum keck und verwegen in den Volkssprachschatz hinein
und schafft mit Scharfsinn, Spott, Jronie, Laune, Witz, Humor
und Satire in absolutester, frivolster und tollster Weise Wörter
und Bilder, von denen kein einziges ohne sprudelndes Leben ist
und von denen viele einen wunderbar tiefen Blick nicht nur in
den ganzen Geist des Gaunerthums, sondern auch, trotz der ge-
waltsamen Entstellung, in das innerste Volksleben eröffnen.

Die deutsche Gaunersprache hat auch das mit andern Gau-
nersprachen gemein, daß sie, freilich aber auch wieder in nur ge-
ringem Maße, zu ihrem Wortvorrath aus fremden Sprachen,
besonders aus der Zigeunersprache, einen Vorrath hinzugeschlagen
hat, so viel die Zigeuner bei ihrem unstäten Umherschweifen hier
und da auf den Volkssprachboden haben fallen lassen. Sie hat
aber doch vor allen andern Gaunersprachen eine ganz besondere
Eigenthümlichkeit voraus: die überaus reiche Versetzung mit jüdisch-
deutschen Wörtern und sogar ganzen Redensarten. Trotz aller
schmählichen Bedrückung hat das jüdische Element überall, wo es
sich in seinen Jndividualitäten repräsentirte, tief und nachhaltig
in das Volksleben hineingewirkt. Diese Wirkung war so groß,
daß die jüdischen Sprachtypen, wenn auch vereinzelt, doch in
solche Sprachen eindringen konnten, deren Bau und Flexionsweise

mangelnden Kenntniß des innern Weſens und Lebens des Gau-
nerthums und ſeiner Sprache, wie das entſchieden bei Francisque-
Michel der Fall iſt, von den Gaunerlinguiſten ein Uebermaß
des Volksſprachvorraths in die Gaunerſprache hineingetragen und
ſomit derſelben aus dieſem Vorrath eine Bereicherung aufgedrun-
gen wurde, welche ihrem Weſen und Zweck durchaus fremd und
entlegen iſt und ihre klare Auffaſſung trübt. Treffend bezeichnet
Pott („Zigeuner“, II, 2), welcher überhaupt hell und friſch in
die Gaunerſprache hineingeblickt hat, dieſelbe als eine „erfundene,
gemachte“ Sprache. Die Gaunerſprache iſt durchaus eklektiſch und
conventionell. Jhr Umfang iſt von Geiſt und Kunſt des Gauner-
thums begrenzt, ihre Typen nach dem Bedürfniß gewählt. Jhr
Kriterium iſt die Abgeſchloſſenheit ihres Verſtändniſſes und ihre
Lebensfähigkeit iſt vom Geheimniß abhängig. So greift das
Gaunerthum keck und verwegen in den Volksſprachſchatz hinein
und ſchafft mit Scharfſinn, Spott, Jronie, Laune, Witz, Humor
und Satire in abſoluteſter, frivolſter und tollſter Weiſe Wörter
und Bilder, von denen kein einziges ohne ſprudelndes Leben iſt
und von denen viele einen wunderbar tiefen Blick nicht nur in
den ganzen Geiſt des Gaunerthums, ſondern auch, trotz der ge-
waltſamen Entſtellung, in das innerſte Volksleben eröffnen.

Die deutſche Gaunerſprache hat auch das mit andern Gau-
nerſprachen gemein, daß ſie, freilich aber auch wieder in nur ge-
ringem Maße, zu ihrem Wortvorrath aus fremden Sprachen,
beſonders aus der Zigeunerſprache, einen Vorrath hinzugeſchlagen
hat, ſo viel die Zigeuner bei ihrem unſtäten Umherſchweifen hier
und da auf den Volksſprachboden haben fallen laſſen. Sie hat
aber doch vor allen andern Gaunerſprachen eine ganz beſondere
Eigenthümlichkeit voraus: die überaus reiche Verſetzung mit jüdiſch-
deutſchen Wörtern und ſogar ganzen Redensarten. Trotz aller
ſchmählichen Bedrückung hat das jüdiſche Element überall, wo es
ſich in ſeinen Jndividualitäten repräſentirte, tief und nachhaltig
in das Volksleben hineingewirkt. Dieſe Wirkung war ſo groß,
daß die jüdiſchen Sprachtypen, wenn auch vereinzelt, doch in
ſolche Sprachen eindringen konnten, deren Bau und Flexionsweiſe

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[2/0014] mangelnden Kenntniß des innern Weſens und Lebens des Gau- nerthums und ſeiner Sprache, wie das entſchieden bei Francisque- Michel der Fall iſt, von den Gaunerlinguiſten ein Uebermaß des Volksſprachvorraths in die Gaunerſprache hineingetragen und ſomit derſelben aus dieſem Vorrath eine Bereicherung aufgedrun- gen wurde, welche ihrem Weſen und Zweck durchaus fremd und entlegen iſt und ihre klare Auffaſſung trübt. Treffend bezeichnet Pott („Zigeuner“, II, 2), welcher überhaupt hell und friſch in die Gaunerſprache hineingeblickt hat, dieſelbe als eine „erfundene, gemachte“ Sprache. Die Gaunerſprache iſt durchaus eklektiſch und conventionell. Jhr Umfang iſt von Geiſt und Kunſt des Gauner- thums begrenzt, ihre Typen nach dem Bedürfniß gewählt. Jhr Kriterium iſt die Abgeſchloſſenheit ihres Verſtändniſſes und ihre Lebensfähigkeit iſt vom Geheimniß abhängig. So greift das Gaunerthum keck und verwegen in den Volksſprachſchatz hinein und ſchafft mit Scharfſinn, Spott, Jronie, Laune, Witz, Humor und Satire in abſoluteſter, frivolſter und tollſter Weiſe Wörter und Bilder, von denen kein einziges ohne ſprudelndes Leben iſt und von denen viele einen wunderbar tiefen Blick nicht nur in den ganzen Geiſt des Gaunerthums, ſondern auch, trotz der ge- waltſamen Entſtellung, in das innerſte Volksleben eröffnen. Die deutſche Gaunerſprache hat auch das mit andern Gau- nerſprachen gemein, daß ſie, freilich aber auch wieder in nur ge- ringem Maße, zu ihrem Wortvorrath aus fremden Sprachen, beſonders aus der Zigeunerſprache, einen Vorrath hinzugeſchlagen hat, ſo viel die Zigeuner bei ihrem unſtäten Umherſchweifen hier und da auf den Volksſprachboden haben fallen laſſen. Sie hat aber doch vor allen andern Gaunerſprachen eine ganz beſondere Eigenthümlichkeit voraus: die überaus reiche Verſetzung mit jüdiſch- deutſchen Wörtern und ſogar ganzen Redensarten. Trotz aller ſchmählichen Bedrückung hat das jüdiſche Element überall, wo es ſich in ſeinen Jndividualitäten repräſentirte, tief und nachhaltig in das Volksleben hineingewirkt. Dieſe Wirkung war ſo groß, daß die jüdiſchen Sprachtypen, wenn auch vereinzelt, doch in ſolche Sprachen eindringen konnten, deren Bau und Flexionsweiſe

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/14>, abgerufen am 21.11.2024.