Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.bei aller unmenschlichen Behandlung der Züchtlinge, von welcher Auf dieser classischen Stätte des Gaunerthums schrieb der 1) Nur eine dürre Skizze hier von dem grauenhaften Beispiele, welches Wagnitz a. a. O., S. 4 fg., aus dem nahen ansbacher Zuchthause ausführlich mittheilt. Eva Margaretha K --, 23 Jahre alt, wurde im Sept. 1755 wegen verschiedener Vergehen ins Zuchthaus gebracht. "Wie gewöhnlich" bekam sie als neuer Ankömmling nach den Statuten des Zuchthauses den "Willkomm", d. h. sie wurde mit entblößtem Oberkörper, aufwärts gestreckten und geschlosse- nen Händen hingestellt und "bekam 20 Streiche mit einer langen neuen Peitsche, welche vom Handgriff bis Oben ganz biegsam war". Ein Schlag traf die rechte Brust, welche eine furchtbare Contusion erlitt und "blau, schwarz, gelb und roth aufschwoll, wie die Brüste dann zu werden pflegen, wenn ein Kind davon entwöhnt wird". Vergeblich bat sie um ärztlichen Beistand, "sie wurde zur Geduld verwiesen". "Nach vierzehntägigen erschrecklichen Schmerzen brach die linke Brust auf" u. s. w. "Aus Furcht vor den Qualen und scharfen Schlägen -- so lauten die Worte der Elenden im spätern Verhör --, die sie noch wer weiß wie lange hätte ausstehen müssen, sei sie auf den Gedanken ge- kommen: Nehme ich mir mein Leben selbst, so ist meine Seele ewig verloren; wenn ich aber einen andern umbringe, und dann hingerichtet werde, so kann ich meine Sünde bereuen und Gott wird meine Seele zu Gnaden annehmen". Wirklich überredete sie eine blödsinnige Person, die Mederin, sich von ihr er- morden zu lassen. Die Blödsinnige streckte sich freiwillig auf eine Bank und die K. schnitt ihr "den vordern Hals mittelst eines ulmer Kreuzmessers ab". Die Mederin "empfing die tödtlichen Messerstreiche mit aller Gelassenheit, und starb nach einer Stunde an den empfangenen Wunden". -- Welche Aufgaben hat die strafende christliche Gerechtigkeit zu erfüllen! 2) Völlig unbegreiflich ist es, wie auch dies gewaltige scharfe Bild vor
den blöden Augen der Justiz und der Polizei so ganz unbeachtet vorübergehen, verschwinden und ganz vergessen werden konnte, gerade in jener Zeit, wo das Criminalrecht in seiner theoretischen Bearbeitung doch schon so weit vorgeschrit- ten und die von ihm im Stich gelassene Polizei so dringend angewiesen war, einen eigenen Boden zu gewinnen, auf welchem sie selbständig stehen könne. bei aller unmenſchlichen Behandlung der Züchtlinge, von welcher Auf dieſer claſſiſchen Stätte des Gaunerthums ſchrieb der 1) Nur eine dürre Skizze hier von dem grauenhaften Beiſpiele, welches Wagnitz a. a. O., S. 4 fg., aus dem nahen ansbacher Zuchthauſe ausführlich mittheilt. Eva Margaretha K —, 23 Jahre alt, wurde im Sept. 1755 wegen verſchiedener Vergehen ins Zuchthaus gebracht. „Wie gewöhnlich“ bekam ſie als neuer Ankömmling nach den Statuten des Zuchthauſes den „Willkomm“, d. h. ſie wurde mit entblößtem Oberkörper, aufwärts geſtreckten und geſchloſſe- nen Händen hingeſtellt und „bekam 20 Streiche mit einer langen neuen Peitſche, welche vom Handgriff bis Oben ganz biegſam war“. Ein Schlag traf die rechte Bruſt, welche eine furchtbare Contuſion erlitt und „blau, ſchwarz, gelb und roth aufſchwoll, wie die Brüſte dann zu werden pflegen, wenn ein Kind davon entwöhnt wird“. Vergeblich bat ſie um ärztlichen Beiſtand, „ſie wurde zur Geduld verwieſen“. „Nach vierzehntägigen erſchrecklichen Schmerzen brach die linke Bruſt auf“ u. ſ. w. „Aus Furcht vor den Qualen und ſcharfen Schlägen — ſo lauten die Worte der Elenden im ſpätern Verhör —, die ſie noch wer weiß wie lange hätte ausſtehen müſſen, ſei ſie auf den Gedanken ge- kommen: Nehme ich mir mein Leben ſelbſt, ſo iſt meine Seele ewig verloren; wenn ich aber einen andern umbringe, und dann hingerichtet werde, ſo kann ich meine Sünde bereuen und Gott wird meine Seele zu Gnaden annehmen“. Wirklich überredete ſie eine blödſinnige Perſon, die Mederin, ſich von ihr er- morden zu laſſen. Die Blödſinnige ſtreckte ſich freiwillig auf eine Bank und die K. ſchnitt ihr „den vordern Hals mittelſt eines ulmer Kreuzmeſſers ab“. Die Mederin „empfing die tödtlichen Meſſerſtreiche mit aller Gelaſſenheit, und ſtarb nach einer Stunde an den empfangenen Wunden“. — Welche Aufgaben hat die ſtrafende chriſtliche Gerechtigkeit zu erfüllen! 2) Völlig unbegreiflich iſt es, wie auch dies gewaltige ſcharfe Bild vor
den blöden Augen der Juſtiz und der Polizei ſo ganz unbeachtet vorübergehen, verſchwinden und ganz vergeſſen werden konnte, gerade in jener Zeit, wo das Criminalrecht in ſeiner theoretiſchen Bearbeitung doch ſchon ſo weit vorgeſchrit- ten und die von ihm im Stich gelaſſene Polizei ſo dringend angewieſen war, einen eigenen Boden zu gewinnen, auf welchem ſie ſelbſtändig ſtehen könne. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0142" n="130"/> bei aller unmenſchlichen Behandlung der Züchtlinge, von welcher<lb/> himmelſchreiende Beiſpiele vorliegen. <note place="foot" n="1)">Nur eine dürre Skizze hier von dem grauenhaften Beiſpiele, welches<lb/> Wagnitz a. a. O., S. 4 fg., aus dem nahen ansbacher Zuchthauſe ausführlich<lb/> mittheilt. Eva Margaretha K —, 23 Jahre alt, wurde im Sept. 1755 wegen<lb/> verſchiedener Vergehen ins Zuchthaus gebracht. „Wie gewöhnlich“ bekam ſie<lb/> als neuer Ankömmling nach den Statuten des Zuchthauſes den „Willkomm“,<lb/> d. h. ſie wurde mit entblößtem Oberkörper, aufwärts geſtreckten und geſchloſſe-<lb/> nen Händen hingeſtellt und „bekam 20 Streiche mit einer langen neuen Peitſche,<lb/> welche vom Handgriff bis Oben ganz biegſam war“. Ein Schlag traf die<lb/><hi rendition="#g">rechte</hi> Bruſt, welche eine furchtbare Contuſion erlitt und „blau, ſchwarz, gelb<lb/> und roth aufſchwoll, wie die Brüſte dann zu werden pflegen, wenn ein Kind<lb/> davon entwöhnt wird“. Vergeblich bat ſie um ärztlichen Beiſtand, „ſie wurde<lb/> zur Geduld verwieſen“. „Nach vierzehntägigen erſchrecklichen Schmerzen brach<lb/> die <hi rendition="#g">linke</hi> Bruſt auf“ u. ſ. w. „Aus Furcht vor den Qualen und ſcharfen<lb/> Schlägen — ſo lauten die Worte der Elenden im ſpätern Verhör —, die ſie<lb/> noch wer weiß wie lange hätte ausſtehen müſſen, ſei ſie auf den Gedanken ge-<lb/> kommen: Nehme ich mir mein Leben ſelbſt, ſo iſt meine Seele ewig verloren;<lb/> wenn ich aber einen andern umbringe, und dann hingerichtet werde, ſo kann<lb/> ich meine Sünde bereuen und Gott wird meine Seele zu Gnaden annehmen“.<lb/> Wirklich überredete ſie eine blödſinnige Perſon, die Mederin, ſich von ihr er-<lb/> morden zu laſſen. Die Blödſinnige ſtreckte ſich freiwillig auf eine Bank und<lb/> die K. ſchnitt ihr „den vordern Hals mittelſt eines ulmer Kreuzmeſſers ab“.<lb/> Die Mederin „empfing die tödtlichen Meſſerſtreiche mit aller Gelaſſenheit, und<lb/> ſtarb nach einer Stunde an den empfangenen Wunden“. — Welche Aufgaben<lb/> hat die ſtrafende chriſtliche Gerechtigkeit zu erfüllen!</note></p><lb/> <p>Auf dieſer claſſiſchen Stätte des Gaunerthums ſchrieb der<lb/> wackere Riedel ſein Wörterbuch wie ein akademiſches Programm<lb/> zum Gaunerthum, in deſſen ſpecifiſchen Mikrokosmus er mit ſeiner<lb/> Seelſorge gebannt war, deſſen Größe und Weite er aber doch<lb/> ahnte und für welches er auch ſchon im waldheimer Lexikon ein<lb/> Zeugniß gefunden hatte. Sein Wörterbuch iſt durch und durch<lb/> charakteriſtiſch: es iſt ein abſoluter Abſchluß für ſich und doch ein<lb/> vollkommener Ausdruck des geſammten Gaunerthums. <note xml:id="seg2pn_7_1" next="#seg2pn_7_2" place="foot" n="2)">Völlig unbegreiflich iſt es, wie auch dies gewaltige ſcharfe Bild vor<lb/> den blöden Augen der Juſtiz und der Polizei ſo ganz unbeachtet vorübergehen,<lb/> verſchwinden und ganz vergeſſen werden konnte, gerade in jener Zeit, wo das<lb/> Criminalrecht in ſeiner theoretiſchen Bearbeitung doch ſchon ſo weit vorgeſchrit-<lb/> ten und die von ihm im Stich gelaſſene Polizei ſo dringend angewieſen war,<lb/> einen eigenen Boden zu gewinnen, auf welchem ſie ſelbſtändig ſtehen könne.</note> Die ein-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0142]
bei aller unmenſchlichen Behandlung der Züchtlinge, von welcher
himmelſchreiende Beiſpiele vorliegen. 1)
Auf dieſer claſſiſchen Stätte des Gaunerthums ſchrieb der
wackere Riedel ſein Wörterbuch wie ein akademiſches Programm
zum Gaunerthum, in deſſen ſpecifiſchen Mikrokosmus er mit ſeiner
Seelſorge gebannt war, deſſen Größe und Weite er aber doch
ahnte und für welches er auch ſchon im waldheimer Lexikon ein
Zeugniß gefunden hatte. Sein Wörterbuch iſt durch und durch
charakteriſtiſch: es iſt ein abſoluter Abſchluß für ſich und doch ein
vollkommener Ausdruck des geſammten Gaunerthums. 2) Die ein-
1) Nur eine dürre Skizze hier von dem grauenhaften Beiſpiele, welches
Wagnitz a. a. O., S. 4 fg., aus dem nahen ansbacher Zuchthauſe ausführlich
mittheilt. Eva Margaretha K —, 23 Jahre alt, wurde im Sept. 1755 wegen
verſchiedener Vergehen ins Zuchthaus gebracht. „Wie gewöhnlich“ bekam ſie
als neuer Ankömmling nach den Statuten des Zuchthauſes den „Willkomm“,
d. h. ſie wurde mit entblößtem Oberkörper, aufwärts geſtreckten und geſchloſſe-
nen Händen hingeſtellt und „bekam 20 Streiche mit einer langen neuen Peitſche,
welche vom Handgriff bis Oben ganz biegſam war“. Ein Schlag traf die
rechte Bruſt, welche eine furchtbare Contuſion erlitt und „blau, ſchwarz, gelb
und roth aufſchwoll, wie die Brüſte dann zu werden pflegen, wenn ein Kind
davon entwöhnt wird“. Vergeblich bat ſie um ärztlichen Beiſtand, „ſie wurde
zur Geduld verwieſen“. „Nach vierzehntägigen erſchrecklichen Schmerzen brach
die linke Bruſt auf“ u. ſ. w. „Aus Furcht vor den Qualen und ſcharfen
Schlägen — ſo lauten die Worte der Elenden im ſpätern Verhör —, die ſie
noch wer weiß wie lange hätte ausſtehen müſſen, ſei ſie auf den Gedanken ge-
kommen: Nehme ich mir mein Leben ſelbſt, ſo iſt meine Seele ewig verloren;
wenn ich aber einen andern umbringe, und dann hingerichtet werde, ſo kann
ich meine Sünde bereuen und Gott wird meine Seele zu Gnaden annehmen“.
Wirklich überredete ſie eine blödſinnige Perſon, die Mederin, ſich von ihr er-
morden zu laſſen. Die Blödſinnige ſtreckte ſich freiwillig auf eine Bank und
die K. ſchnitt ihr „den vordern Hals mittelſt eines ulmer Kreuzmeſſers ab“.
Die Mederin „empfing die tödtlichen Meſſerſtreiche mit aller Gelaſſenheit, und
ſtarb nach einer Stunde an den empfangenen Wunden“. — Welche Aufgaben
hat die ſtrafende chriſtliche Gerechtigkeit zu erfüllen!
2) Völlig unbegreiflich iſt es, wie auch dies gewaltige ſcharfe Bild vor
den blöden Augen der Juſtiz und der Polizei ſo ganz unbeachtet vorübergehen,
verſchwinden und ganz vergeſſen werden konnte, gerade in jener Zeit, wo das
Criminalrecht in ſeiner theoretiſchen Bearbeitung doch ſchon ſo weit vorgeſchrit-
ten und die von ihm im Stich gelaſſene Polizei ſo dringend angewieſen war,
einen eigenen Boden zu gewinnen, auf welchem ſie ſelbſtändig ſtehen könne.
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