Nach diesen sehr bedenklichen Erfahrungen sollte kein Jnqui- rent, selbst wenn er die Gaunersprache auf das genaueste durch- forscht hat, sich hinreißen lassen, überhaupt gaunersprachliche Aus- drücke im Verhör zur Geltung zu bringen, ehe sie vom Gauner selbst zuerst gebraucht sind. Und auch dabei ist die höchste Vor- sicht anzuwenden. Mit dem Schein der Zufälligkeit und Unbe- fangenheit wirft der raffinirte Gauner hier und da im Verhör einen Sprachbrocken hin, um die Schwäche und Eitelkeit des Jn- quirenten zu ködern. Der hastige Jnquirent ist leicht schon beim ersten gefaßten Brocken verloren. Der verschmitzte Gauner wird "verklärt und gemüthlich" und wirft noch mehr Brocken aus, an denen der Jnquirent mit seiner ganzen Aufgabe sicherlich erstickt. Ganz ein Anderes aber ist es, wenn der Jnquirent ohne alles Aufsehen das vom Gauner hingeworfene Wort gleichgültig wie einen sich von selbst verstehenden bekannten Ausdruck hinnimmt und in der Folge auf die Bedeutung desselben, ohne ihn selbst kunst- sprachlich zu gebrauchen oder zu markiren, weiter geht und dieselbe Weise bei den ihm sicherlich noch ferner hingeworfenen Brocken beobachtet. Das ist der treffliche Rath, den Pfister, I, 210, gibt: "Der Richter darf durchaus nicht mehr thun, als die Gauner merken lassen, daß er ihre Sprache verstehe!"
So gern ich, der Uebung wegen, jede Gelegenheit ergriffen habe, jüdischdeutsch zu sprechen und zu correspondiren und vor allem in der Gaunersprache weiter vorwärts zu dringen, so wenig habe ich jemals in Verhören meiner linguistischen Lust nachzugehen ge- wagt, sondern stets nur außerhalb der Verhöre und wenn die Re- sultate der Untersuchung gesichert waren, die dargebotene unver- fängliche Gelegenheit benutzt. Aber auch dann und namentlich bei neuen Bekanntschaften bedurfte es oft der rügenden Kritik meiner- seits, um dem immer lockenden Versuche einer absichtlichen Täuschung entgegenzutreten. Denn es bleibt dem Gauner immer widerwärtig, die Kenntniß seiner Kunst und Sprache aus profanem Laienmund zu vernehmen. "Haolom soll ja unterhulchen", wenn die Laien die Sprache verstehen und reden!
Nach dieſen ſehr bedenklichen Erfahrungen ſollte kein Jnqui- rent, ſelbſt wenn er die Gaunerſprache auf das genaueſte durch- forſcht hat, ſich hinreißen laſſen, überhaupt gaunerſprachliche Aus- drücke im Verhör zur Geltung zu bringen, ehe ſie vom Gauner ſelbſt zuerſt gebraucht ſind. Und auch dabei iſt die höchſte Vor- ſicht anzuwenden. Mit dem Schein der Zufälligkeit und Unbe- fangenheit wirft der raffinirte Gauner hier und da im Verhör einen Sprachbrocken hin, um die Schwäche und Eitelkeit des Jn- quirenten zu ködern. Der haſtige Jnquirent iſt leicht ſchon beim erſten gefaßten Brocken verloren. Der verſchmitzte Gauner wird „verklärt und gemüthlich“ und wirft noch mehr Brocken aus, an denen der Jnquirent mit ſeiner ganzen Aufgabe ſicherlich erſtickt. Ganz ein Anderes aber iſt es, wenn der Jnquirent ohne alles Aufſehen das vom Gauner hingeworfene Wort gleichgültig wie einen ſich von ſelbſt verſtehenden bekannten Ausdruck hinnimmt und in der Folge auf die Bedeutung deſſelben, ohne ihn ſelbſt kunſt- ſprachlich zu gebrauchen oder zu markiren, weiter geht und dieſelbe Weiſe bei den ihm ſicherlich noch ferner hingeworfenen Brocken beobachtet. Das iſt der treffliche Rath, den Pfiſter, I, 210, gibt: „Der Richter darf durchaus nicht mehr thun, als die Gauner merken laſſen, daß er ihre Sprache verſtehe!“
So gern ich, der Uebung wegen, jede Gelegenheit ergriffen habe, jüdiſchdeutſch zu ſprechen und zu correſpondiren und vor allem in der Gaunerſprache weiter vorwärts zu dringen, ſo wenig habe ich jemals in Verhören meiner linguiſtiſchen Luſt nachzugehen ge- wagt, ſondern ſtets nur außerhalb der Verhöre und wenn die Re- ſultate der Unterſuchung geſichert waren, die dargebotene unver- fängliche Gelegenheit benutzt. Aber auch dann und namentlich bei neuen Bekanntſchaften bedurfte es oft der rügenden Kritik meiner- ſeits, um dem immer lockenden Verſuche einer abſichtlichen Täuſchung entgegenzutreten. Denn es bleibt dem Gauner immer widerwärtig, die Kenntniß ſeiner Kunſt und Sprache aus profanem Laienmund zu vernehmen. „Haolom ſoll ja unterhulchen“, wenn die Laien die Sprache verſtehen und reden!
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Nach dieſen ſehr bedenklichen Erfahrungen ſollte kein Jnqui-
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drücke im Verhör zur Geltung zu bringen, ehe ſie vom Gauner
ſelbſt zuerſt gebraucht ſind. Und auch dabei iſt die höchſte Vor-
ſicht anzuwenden. Mit dem Schein der Zufälligkeit und Unbe-
fangenheit wirft der raffinirte Gauner hier und da im Verhör
einen Sprachbrocken hin, um die Schwäche und Eitelkeit des Jn-
quirenten zu ködern. Der haſtige Jnquirent iſt leicht ſchon beim
erſten gefaßten Brocken verloren. Der verſchmitzte Gauner wird
„verklärt und gemüthlich“ und wirft noch mehr Brocken aus, an
denen der Jnquirent mit ſeiner ganzen Aufgabe ſicherlich erſtickt.
Ganz ein Anderes aber iſt es, wenn der Jnquirent ohne alles
Aufſehen das vom Gauner hingeworfene Wort gleichgültig wie
einen ſich von ſelbſt verſtehenden bekannten Ausdruck hinnimmt und
in der Folge auf die Bedeutung deſſelben, ohne ihn ſelbſt kunſt-
ſprachlich zu gebrauchen oder zu markiren, weiter geht und dieſelbe
Weiſe bei den ihm ſicherlich noch ferner hingeworfenen Brocken
beobachtet. Das iſt der treffliche Rath, den Pfiſter, I, 210, gibt:
„Der Richter darf durchaus nicht mehr thun, als die
Gauner merken laſſen, daß er ihre Sprache verſtehe!“
So gern ich, der Uebung wegen, jede Gelegenheit ergriffen
habe, jüdiſchdeutſch zu ſprechen und zu correſpondiren und vor allem
in der Gaunerſprache weiter vorwärts zu dringen, ſo wenig habe
ich jemals in Verhören meiner linguiſtiſchen Luſt nachzugehen ge-
wagt, ſondern ſtets nur außerhalb der Verhöre und wenn die Re-
ſultate der Unterſuchung geſichert waren, die dargebotene unver-
fängliche Gelegenheit benutzt. Aber auch dann und namentlich bei
neuen Bekanntſchaften bedurfte es oft der rügenden Kritik meiner-
ſeits, um dem immer lockenden Verſuche einer abſichtlichen Täuſchung
entgegenzutreten. Denn es bleibt dem Gauner immer widerwärtig,
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zu vernehmen. „Haolom ſoll ja unterhulchen“, wenn die Laien
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/329>, abgerufen am 24.11.2024.
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