Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762.

Bild:
<< vorherige Seite

Vier und zwanzigstes Capitel.
mögliche contrapunktische Künste gerne in der Enge zusammen
zu bringen.

§. 3.

Diese Orgelpunkte können drey- und mehrstimmig
seyn. Die Harmonie darüber ist oft auch ohne den aushaltenden
Baß vollständig, doch giebet ihr der letztere alsdenn die gehörige
Gravität. Wenn man die hierbey vorkommenden Veränderungen
der Harmonie und besondere Zusammensetzung der Intervallen
recht deutlich übersehen und erklären will, so lässet man den
Baß weg. Die ungewöhnlichsten Signaturen werden alsdenn zu
ganz gewöhnlichen Aufgaben des Generalbasses.

§. 4.

Man beziffert die Orgelpunkte nicht leicht, sondern
fertiget sie mit dem tasto solo ab. Wer sie beziffert, muß sich
gefallen lassen, daß man sie dem ohngeacht tasto solo spielet.
Es ist hieran nicht allein eine sehr nöthige Bequemlichkeit,
sondern oft die Unmöglichkeit Schuld: und gesetzet, man könnte
alle Orgelpunkte mit der rechten Hand mit begleiten: so würde
doch der Dank dafür lange noch nicht so groß seyn, wie die Angst
und Mühe, die es manchem dabey kostet.

§. 5.

Bey dem t. s. in den Orgelpunkten hat das Auge
nicht nöthig, so viele übereinander gethürmte Ziffern und unge-
wöhnliche Aufgaben zu übersehen. Oft ist die Einrichtung der
Harmonie so beschaffen, daß eine Stimme die andere übersteiget,
welches eine Verwechslung der Stimmen im Generalbasse ver-
anlassen kann, die deswegen nicht erlaubet ist, weil man sonst
dadurch viele Fehler vertheidigen könnte, ohne daß dem ohngeacht
das Ohr zufrieden wäre; man müßte also bey diesem Falle,
wenn die rechte Hand nicht zu tief herunter kommen sollte, den
ganzen Orgelpunkt wegen der richtigen Vorbereitung und Auf-
lösung im getheilten Accompagnement mitspielen, welches nicht zu

for-

Vier und zwanzigſtes Capitel.
mögliche contrapunktiſche Künſte gerne in der Enge zuſammen
zu bringen.

§. 3.

Dieſe Orgelpunkte können drey- und mehrſtimmig
ſeyn. Die Harmonie darüber iſt oft auch ohne den aushaltenden
Baß vollſtändig, doch giebet ihr der letztere alsdenn die gehörige
Gravität. Wenn man die hierbey vorkommenden Veränderungen
der Harmonie und beſondere Zuſammenſetzung der Intervallen
recht deutlich überſehen und erklären will, ſo läſſet man den
Baß weg. Die ungewöhnlichſten Signaturen werden alsdenn zu
ganz gewöhnlichen Aufgaben des Generalbaſſes.

§. 4.

Man beziffert die Orgelpunkte nicht leicht, ſondern
fertiget ſie mit dem taſto ſolo ab. Wer ſie beziffert, muß ſich
gefallen laſſen, daß man ſie dem ohngeacht taſto ſolo ſpielet.
Es iſt hieran nicht allein eine ſehr nöthige Bequemlichkeit,
ſondern oft die Unmöglichkeit Schuld: und geſetzet, man könnte
alle Orgelpunkte mit der rechten Hand mit begleiten: ſo würde
doch der Dank dafür lange noch nicht ſo groß ſeyn, wie die Angſt
und Mühe, die es manchem dabey koſtet.

§. 5.

Bey dem t. ſ. in den Orgelpunkten hat das Auge
nicht nöthig, ſo viele übereinander gethürmte Ziffern und unge-
wöhnliche Aufgaben zu überſehen. Oft iſt die Einrichtung der
Harmonie ſo beſchaffen, daß eine Stimme die andere überſteiget,
welches eine Verwechslung der Stimmen im Generalbaſſe ver-
anlaſſen kann, die deswegen nicht erlaubet iſt, weil man ſonſt
dadurch viele Fehler vertheidigen könnte, ohne daß dem ohngeacht
das Ohr zufrieden wäre; man müßte alſo bey dieſem Falle,
wenn die rechte Hand nicht zu tief herunter kommen ſollte, den
ganzen Orgelpunkt wegen der richtigen Vorbereitung und Auf-
löſung im getheilten Accompagnement mitſpielen, welches nicht zu

for-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0192" n="182"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vier und zwanzig&#x017F;tes Capitel.</hi></fw><lb/>
mögliche contrapunkti&#x017F;che Kün&#x017F;te gerne in der Enge zu&#x017F;ammen<lb/>
zu bringen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 3.</head>
          <p>Die&#x017F;e Orgelpunkte können drey- und mehr&#x017F;timmig<lb/>
&#x017F;eyn. Die Harmonie darüber i&#x017F;t oft auch ohne den aushaltenden<lb/>
Baß voll&#x017F;tändig, doch giebet ihr der letztere alsdenn die gehörige<lb/>
Gravität. Wenn man die hierbey vorkommenden Veränderungen<lb/>
der Harmonie und be&#x017F;ondere Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung der Intervallen<lb/>
recht deutlich über&#x017F;ehen und erklären will, &#x017F;o lä&#x017F;&#x017F;et man den<lb/>
Baß weg. Die ungewöhnlich&#x017F;ten Signaturen werden alsdenn zu<lb/>
ganz gewöhnlichen Aufgaben des Generalba&#x017F;&#x017F;es.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 4.</head>
          <p>Man beziffert die Orgelpunkte nicht leicht, &#x017F;ondern<lb/>
fertiget &#x017F;ie mit dem <hi rendition="#aq">ta&#x017F;to &#x017F;olo</hi> ab. Wer &#x017F;ie beziffert, muß &#x017F;ich<lb/>
gefallen la&#x017F;&#x017F;en, daß man &#x017F;ie dem ohngeacht <hi rendition="#aq">ta&#x017F;to &#x017F;olo</hi> &#x017F;pielet.<lb/>
Es i&#x017F;t hieran nicht allein eine <hi rendition="#fr">&#x017F;ehr nöthige</hi> Bequemlichkeit,<lb/>
&#x017F;ondern oft die <hi rendition="#fr">Unmöglichkeit</hi> Schuld: und ge&#x017F;etzet, man könnte<lb/>
alle Orgelpunkte mit der rechten Hand mit begleiten: &#x017F;o würde<lb/>
doch der Dank dafür lange noch nicht &#x017F;o groß &#x017F;eyn, wie die Ang&#x017F;t<lb/>
und Mühe, die es manchem dabey ko&#x017F;tet.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 5.</head>
          <p>Bey dem <hi rendition="#aq">t. &#x017F;.</hi> in den Orgelpunkten hat das Auge<lb/>
nicht nöthig, &#x017F;o viele übereinander gethürmte Ziffern und unge-<lb/>
wöhnliche Aufgaben zu über&#x017F;ehen. Oft i&#x017F;t die Einrichtung der<lb/>
Harmonie &#x017F;o be&#x017F;chaffen, daß eine Stimme die andere über&#x017F;teiget,<lb/>
welches eine Verwechslung der Stimmen im Generalba&#x017F;&#x017F;e ver-<lb/>
anla&#x017F;&#x017F;en kann, die deswegen nicht erlaubet i&#x017F;t, weil man &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
dadurch viele Fehler vertheidigen könnte, ohne daß dem ohngeacht<lb/>
das Ohr zufrieden wäre; man müßte al&#x017F;o bey die&#x017F;em Falle,<lb/>
wenn die rechte Hand nicht zu tief herunter kommen &#x017F;ollte, den<lb/>
ganzen Orgelpunkt wegen der richtigen Vorbereitung und Auf-<lb/>&#x017F;ung im getheilten Accompagnement mit&#x017F;pielen, welches nicht zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">for-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0192] Vier und zwanzigſtes Capitel. mögliche contrapunktiſche Künſte gerne in der Enge zuſammen zu bringen. §. 3. Dieſe Orgelpunkte können drey- und mehrſtimmig ſeyn. Die Harmonie darüber iſt oft auch ohne den aushaltenden Baß vollſtändig, doch giebet ihr der letztere alsdenn die gehörige Gravität. Wenn man die hierbey vorkommenden Veränderungen der Harmonie und beſondere Zuſammenſetzung der Intervallen recht deutlich überſehen und erklären will, ſo läſſet man den Baß weg. Die ungewöhnlichſten Signaturen werden alsdenn zu ganz gewöhnlichen Aufgaben des Generalbaſſes. §. 4. Man beziffert die Orgelpunkte nicht leicht, ſondern fertiget ſie mit dem taſto ſolo ab. Wer ſie beziffert, muß ſich gefallen laſſen, daß man ſie dem ohngeacht taſto ſolo ſpielet. Es iſt hieran nicht allein eine ſehr nöthige Bequemlichkeit, ſondern oft die Unmöglichkeit Schuld: und geſetzet, man könnte alle Orgelpunkte mit der rechten Hand mit begleiten: ſo würde doch der Dank dafür lange noch nicht ſo groß ſeyn, wie die Angſt und Mühe, die es manchem dabey koſtet. §. 5. Bey dem t. ſ. in den Orgelpunkten hat das Auge nicht nöthig, ſo viele übereinander gethürmte Ziffern und unge- wöhnliche Aufgaben zu überſehen. Oft iſt die Einrichtung der Harmonie ſo beſchaffen, daß eine Stimme die andere überſteiget, welches eine Verwechslung der Stimmen im Generalbaſſe ver- anlaſſen kann, die deswegen nicht erlaubet iſt, weil man ſonſt dadurch viele Fehler vertheidigen könnte, ohne daß dem ohngeacht das Ohr zufrieden wäre; man müßte alſo bey dieſem Falle, wenn die rechte Hand nicht zu tief herunter kommen ſollte, den ganzen Orgelpunkt wegen der richtigen Vorbereitung und Auf- löſung im getheilten Accompagnement mitſpielen, welches nicht zu for-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/192
Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/192>, abgerufen am 21.11.2024.