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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762.

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Acht und dreyßigstes Capitel.
§. 2.

Gewisse Recitative, wobey der Baß, oder die übri-
gen darzu gesetzten Instrumente entweder ein gewisses Subject, oder
eine solche Bewegung in Noten haben, welche beständig fortdauret,
ohne sich an die Absätze der Singstimme zu kehren, müssen we-
gen der guten Ordnung strenge nach der Eintheilung des Tactes
ausgeführet werden. Die übrigen Recitative werden nach ihrem
Inhalte bald langsam, bald hurtig, ohne Rücksicht auf den Tact,
abgesungen, ob sie schon bey der Schreibart in den Tact eingetheilet
werden. Ein Accompagnist muß in beyden Fällen genau auf-
merksam seyn, besonders in dem letzteren. Er muß beständig auf
den Ausführer der Hauptstimme hören, und wenn das Recitativ
mit Action ist, auch sehen, damit er mit seinem Accompagne-
ment bey der Hand sey, und den Sänger niemals verlasse.

§. 3.

Declamirt der letztere hurtig, so muß die Harmonie
auf das bereiteste da seyn, besonders alsdenn, wenn sie bey den Absä-
tzen der Hauptstimme vorgeschlagen werden muß. Der Anschlag
einer neuen Harmonie muß auf das geschwindeste geschehen, so
bald die vorige Harmonie zu Ende ist. Hierdurch wird der Sän-
ger in seinem Affecte, und in dem daher nöthigen geschwinden Vor-
trage niemals gestöhret, weil er bey Zeiten die Modulation und Be-
schaffenheit der Harmonie beständig voraus weiß. Wenn man
unter zweyen Uebeln wählen müste, so würde hier das Eilen dem
Schleppen vorzuziehen seyn. Doch besser ist allezeit besser. Bey
der geschwinden Declamation muß sich der Accompagnist des Har-
peggirens enthalten, zumal wenn sich die Harmonie oft ändert.
Man hat hierzu keine Zeit, und wenn man sie auch hätte, so
würde der Clavierist selbst, der Sänger und die Zuhörer leicht da-
durch in eine Verwirrung gerathen. Dieses Harpeggiren ist auch
alsdenn unnöthig, weil es blos ausser diesem Falle, und bey lang-
samen Recitativen und lange daurender Harmonie gebrauchet wird,

um
Acht und dreyßigſtes Capitel.
§. 2.

Gewiſſe Recitative, wobey der Baß, oder die übri-
gen darzu geſetzten Inſtrumente entweder ein gewiſſes Subject, oder
eine ſolche Bewegung in Noten haben, welche beſtändig fortdauret,
ohne ſich an die Abſätze der Singſtimme zu kehren, müſſen we-
gen der guten Ordnung ſtrenge nach der Eintheilung des Tactes
ausgeführet werden. Die übrigen Recitative werden nach ihrem
Inhalte bald langſam, bald hurtig, ohne Rückſicht auf den Tact,
abgeſungen, ob ſie ſchon bey der Schreibart in den Tact eingetheilet
werden. Ein Accompagniſt muß in beyden Fällen genau auf-
merkſam ſeyn, beſonders in dem letzteren. Er muß beſtändig auf
den Ausführer der Hauptſtimme hören, und wenn das Recitativ
mit Action iſt, auch ſehen, damit er mit ſeinem Accompagne-
ment bey der Hand ſey, und den Sänger niemals verlaſſe.

§. 3.

Declamirt der letztere hurtig, ſo muß die Harmonie
auf das bereiteſte da ſeyn, beſonders alsdenn, wenn ſie bey den Abſä-
tzen der Hauptſtimme vorgeſchlagen werden muß. Der Anſchlag
einer neuen Harmonie muß auf das geſchwindeſte geſchehen, ſo
bald die vorige Harmonie zu Ende iſt. Hierdurch wird der Sän-
ger in ſeinem Affecte, und in dem daher nöthigen geſchwinden Vor-
trage niemals geſtöhret, weil er bey Zeiten die Modulation und Be-
ſchaffenheit der Harmonie beſtändig voraus weiß. Wenn man
unter zweyen Uebeln wählen müſte, ſo würde hier das Eilen dem
Schleppen vorzuziehen ſeyn. Doch beſſer iſt allezeit beſſer. Bey
der geſchwinden Declamation muß ſich der Accompagniſt des Har-
peggirens enthalten, zumal wenn ſich die Harmonie oft ändert.
Man hat hierzu keine Zeit, und wenn man ſie auch hätte, ſo
würde der Clavieriſt ſelbſt, der Sänger und die Zuhörer leicht da-
durch in eine Verwirrung gerathen. Dieſes Harpeggiren iſt auch
alsdenn unnöthig, weil es blos auſſer dieſem Falle, und bey lang-
ſamen Recitativen und lange daurender Harmonie gebrauchet wird,

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[314/0324] Acht und dreyßigſtes Capitel. §. 2. Gewiſſe Recitative, wobey der Baß, oder die übri- gen darzu geſetzten Inſtrumente entweder ein gewiſſes Subject, oder eine ſolche Bewegung in Noten haben, welche beſtändig fortdauret, ohne ſich an die Abſätze der Singſtimme zu kehren, müſſen we- gen der guten Ordnung ſtrenge nach der Eintheilung des Tactes ausgeführet werden. Die übrigen Recitative werden nach ihrem Inhalte bald langſam, bald hurtig, ohne Rückſicht auf den Tact, abgeſungen, ob ſie ſchon bey der Schreibart in den Tact eingetheilet werden. Ein Accompagniſt muß in beyden Fällen genau auf- merkſam ſeyn, beſonders in dem letzteren. Er muß beſtändig auf den Ausführer der Hauptſtimme hören, und wenn das Recitativ mit Action iſt, auch ſehen, damit er mit ſeinem Accompagne- ment bey der Hand ſey, und den Sänger niemals verlaſſe. §. 3. Declamirt der letztere hurtig, ſo muß die Harmonie auf das bereiteſte da ſeyn, beſonders alsdenn, wenn ſie bey den Abſä- tzen der Hauptſtimme vorgeſchlagen werden muß. Der Anſchlag einer neuen Harmonie muß auf das geſchwindeſte geſchehen, ſo bald die vorige Harmonie zu Ende iſt. Hierdurch wird der Sän- ger in ſeinem Affecte, und in dem daher nöthigen geſchwinden Vor- trage niemals geſtöhret, weil er bey Zeiten die Modulation und Be- ſchaffenheit der Harmonie beſtändig voraus weiß. Wenn man unter zweyen Uebeln wählen müſte, ſo würde hier das Eilen dem Schleppen vorzuziehen ſeyn. Doch beſſer iſt allezeit beſſer. Bey der geſchwinden Declamation muß ſich der Accompagniſt des Har- peggirens enthalten, zumal wenn ſich die Harmonie oft ändert. Man hat hierzu keine Zeit, und wenn man ſie auch hätte, ſo würde der Clavieriſt ſelbſt, der Sänger und die Zuhörer leicht da- durch in eine Verwirrung gerathen. Dieſes Harpeggiren iſt auch alsdenn unnöthig, weil es blos auſſer dieſem Falle, und bey lang- ſamen Recitativen und lange daurender Harmonie gebrauchet wird, um

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Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/324>, abgerufen am 24.11.2024.