Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

so ist es natürlich, dass ein so zartes Fädchen aus ganz weicher Masse bestehend
und dabei wenig gefärbt und dünner als ein Haar keine Spur zurücklässt. Dass
die Sinnesnerven offenbar aus dem Hirne hervorwachsen, beweist nicht, dass die
andern Nerven auf dieselbe Weise entstehen, denn die Sinnesorgane werden eben
erst durch die Hervorstülpungen des Hirnes erzeugt. Die Bauchplatten und Rük-
kenplatten bilden sich aber unabhängig vom Rückenmarke. Dass die Nerven aus
den sich bildenden Muskeln oder andern Theilen in den Ceutraltheil hineinwach-
sen, ist mir wenigstens eben so unwahrscheinlich, als das Entgegengesetzte, da
eine solche Entwickelung irgend eines Theils von einem Ende zum andern fort,
so dass das Eine Ende neuen Ansatz bekommt, mir sonst nirgends vorgekommen
ist. Vielmehr scheint jeder Theil gleich ganz da zu seyn, und nur aus sich eine
Entwickelung zu erfahren. Hiernach ist es wahrscheinlich, dass, sobald eine
hinlängliche Differenzirung in den Bauchplatten oder andern Theilen da ist, um
Nervenmasse von anderer Masse, sey es auch nur auf der untersten Stufe der Dif-
ferenzirung, zu scheiden, der Nerve seiner Ausdehnung nach immer ganz da ist
und beide Enden hat, das centrale wie das peripherische.

g. Muskeln
und Verknö-
cherung.

Bald nachdem sich die Knorpeln gebildet haben, sieht man auch Fase-
rungen in dem anliegenden Bildungsgewebe, -- die werdenden Muskeln nämlich.
Ihre Sehnen sind ununterbrochene Fortsetzungen der Knochenhaut. In der Stufe
der Bildung, die wir hier darstellen, sind schon ziemlich alle Muskeln der Extre-
mitäten kennbar, besonders aber die auf dem Hüftbeine und dem Schulterblatte
liegenden, welche man, nach Entfernung der Haut, schon mit unbewaffnetem Auge
sehr deutlich unterscheiden und mit dem Messer trennen kann. Mehr eingesenkt
in das allgemeine Bildungsgewebe und weniger von ihm geschieden sind die Mus-
kelbäuche am Vorderarm und Unterschenkel. In der hintern Extremität zeigt
sich auch am frühesten Verknöcherung. Der erste Verknöcherungspunkt findet
sich im Schienbein am Anfange des neunten oder am Ende des achten Ta-
ges. Er ist am Ende des neunten Tages schon ansehnlich und hart. Um diese
Zeit tritt Verknöcherung im Oberschenkel und in den ersten Gliedern der Ze-
hen ein.

h. Lage der
Eingeweide
in der Bauch-
höhle. Ma-
gen.

In der Bauchhöhle ist durch das vollständige Hineintreten des Herzens die
Lage der enthaltenen Eingeweide sehr verändert. Leber und Magen sind nämlich
sehr zurückgedrängt. Da sich zugleich die Leber sehr vergrössert, steht der Bo-
den des Magens nicht weit von der hintern Wand der Bauchhöhle ab. Eben da-
durch hat der Bauch so bedeutend an Höhe gewonnen, indem der Darm, der sich
merklich vergrössert hat, nach unten geschoben ist. Der Vormagen ist sehr deut-
lich und selbstständig ausgebildet. Das blinde Ende des Magens ragt weit über

so ist es natürlich, daſs ein so zartes Fädchen aus ganz weicher Masse bestehend
und dabei wenig gefärbt und dünner als ein Haar keine Spur zurückläſst. Daſs
die Sinnesnerven offenbar aus dem Hirne hervorwachsen, beweist nicht, daſs die
andern Nerven auf dieselbe Weise entstehen, denn die Sinnesorgane werden eben
erst durch die Hervorstülpungen des Hirnes erzeugt. Die Bauchplatten und Rük-
kenplatten bilden sich aber unabhängig vom Rückenmarke. Daſs die Nerven aus
den sich bildenden Muskeln oder andern Theilen in den Ceutraltheil hineinwach-
sen, ist mir wenigstens eben so unwahrscheinlich, als das Entgegengesetzte, da
eine solche Entwickelung irgend eines Theils von einem Ende zum andern fort,
so daſs das Eine Ende neuen Ansatz bekommt, mir sonst nirgends vorgekommen
ist. Vielmehr scheint jeder Theil gleich ganz da zu seyn, und nur aus sich eine
Entwickelung zu erfahren. Hiernach ist es wahrscheinlich, daſs, sobald eine
hinlängliche Differenzirung in den Bauchplatten oder andern Theilen da ist, um
Nervenmasse von anderer Masse, sey es auch nur auf der untersten Stufe der Dif-
ferenzirung, zu scheiden, der Nerve seiner Ausdehnung nach immer ganz da ist
und beide Enden hat, das centrale wie das peripherische.

g. Muskeln
und Verknö-
cherung.

Bald nachdem sich die Knorpeln gebildet haben, sieht man auch Fase-
rungen in dem anliegenden Bildungsgewebe, — die werdenden Muskeln nämlich.
Ihre Sehnen sind ununterbrochene Fortsetzungen der Knochenhaut. In der Stufe
der Bildung, die wir hier darstellen, sind schon ziemlich alle Muskeln der Extre-
mitäten kennbar, besonders aber die auf dem Hüftbeine und dem Schulterblatte
liegenden, welche man, nach Entfernung der Haut, schon mit unbewaffnetem Auge
sehr deutlich unterscheiden und mit dem Messer trennen kann. Mehr eingesenkt
in das allgemeine Bildungsgewebe und weniger von ihm geschieden sind die Mus-
kelbäuche am Vorderarm und Unterschenkel. In der hintern Extremität zeigt
sich auch am frühesten Verknöcherung. Der erste Verknöcherungspunkt findet
sich im Schienbein am Anfange des neunten oder am Ende des achten Ta-
ges. Er ist am Ende des neunten Tages schon ansehnlich und hart. Um diese
Zeit tritt Verknöcherung im Oberschenkel und in den ersten Gliedern der Ze-
hen ein.

h. Lage der
Eingeweide
in der Bauch-
höhle. Ma-
gen.

In der Bauchhöhle ist durch das vollständige Hineintreten des Herzens die
Lage der enthaltenen Eingeweide sehr verändert. Leber und Magen sind nämlich
sehr zurückgedrängt. Da sich zugleich die Leber sehr vergröſsert, steht der Bo-
den des Magens nicht weit von der hintern Wand der Bauchhöhle ab. Eben da-
durch hat der Bauch so bedeutend an Höhe gewonnen, indem der Darm, der sich
merklich vergröſsert hat, nach unten geschoben ist. Der Vormagen ist sehr deut-
lich und selbstständig ausgebildet. Das blinde Ende des Magens ragt weit über

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0140" n="110"/>
so ist es natürlich, da&#x017F;s ein so zartes Fädchen aus ganz weicher Masse bestehend<lb/>
und dabei wenig gefärbt und dünner als ein Haar keine Spur zurücklä&#x017F;st. Da&#x017F;s<lb/>
die Sinnesnerven offenbar aus dem Hirne hervorwachsen, beweist nicht, da&#x017F;s die<lb/>
andern Nerven auf dieselbe Weise entstehen, denn die Sinnesorgane werden eben<lb/>
erst durch die Hervorstülpungen des Hirnes erzeugt. Die Bauchplatten und Rük-<lb/>
kenplatten bilden sich aber unabhängig vom Rückenmarke. Da&#x017F;s die Nerven aus<lb/>
den sich bildenden Muskeln oder andern Theilen in den Ceutraltheil hineinwach-<lb/>
sen, ist mir wenigstens eben so unwahrscheinlich, als das Entgegengesetzte, da<lb/>
eine solche Entwickelung irgend eines Theils von einem Ende zum andern fort,<lb/>
so da&#x017F;s das Eine Ende neuen Ansatz bekommt, mir sonst nirgends vorgekommen<lb/>
ist. Vielmehr scheint jeder Theil gleich ganz da zu seyn, und nur aus sich eine<lb/>
Entwickelung zu erfahren. Hiernach ist es wahrscheinlich, da&#x017F;s, sobald eine<lb/>
hinlängliche Differenzirung in den Bauchplatten oder andern Theilen da ist, um<lb/>
Nervenmasse von anderer Masse, sey es auch nur auf der untersten Stufe der Dif-<lb/>
ferenzirung, zu scheiden, der Nerve seiner Ausdehnung nach immer ganz da ist<lb/>
und beide Enden hat, das centrale wie das peripherische.</p><lb/>
            <note place="left"><hi rendition="#i">g.</hi> Muskeln<lb/>
und Verknö-<lb/>
cherung.</note>
            <p>Bald nachdem sich die Knorpeln gebildet haben, sieht man auch Fase-<lb/>
rungen in dem anliegenden Bildungsgewebe, &#x2014; die werdenden Muskeln nämlich.<lb/>
Ihre Sehnen sind ununterbrochene Fortsetzungen der Knochenhaut. In der Stufe<lb/>
der Bildung, die wir hier darstellen, sind schon ziemlich alle Muskeln der Extre-<lb/>
mitäten kennbar, besonders aber die auf dem Hüftbeine und dem Schulterblatte<lb/>
liegenden, welche man, nach Entfernung der Haut, schon mit unbewaffnetem Auge<lb/>
sehr deutlich unterscheiden und mit dem Messer trennen kann. Mehr eingesenkt<lb/>
in das allgemeine Bildungsgewebe und weniger von ihm geschieden sind die Mus-<lb/>
kelbäuche am Vorderarm und Unterschenkel. In der hintern Extremität zeigt<lb/>
sich auch am frühesten Verknöcherung. Der erste Verknöcherungspunkt findet<lb/>
sich im Schienbein am Anfange des neunten oder am Ende des achten Ta-<lb/>
ges. Er ist am Ende des neunten Tages schon ansehnlich und hart. Um diese<lb/>
Zeit tritt Verknöcherung im Oberschenkel und in den ersten Gliedern der Ze-<lb/>
hen ein.</p><lb/>
            <note place="left"><hi rendition="#i">h.</hi> Lage der<lb/>
Eingeweide<lb/>
in der Bauch-<lb/>
höhle. Ma-<lb/>
gen.</note>
            <p>In der Bauchhöhle ist durch das vollständige Hineintreten des Herzens die<lb/>
Lage der enthaltenen Eingeweide sehr verändert. Leber und Magen sind nämlich<lb/>
sehr zurückgedrängt. Da sich zugleich die Leber sehr vergrö&#x017F;sert, steht der Bo-<lb/>
den des Magens nicht weit von der hintern Wand der Bauchhöhle ab. Eben da-<lb/>
durch hat der Bauch so bedeutend an Höhe gewonnen, indem der Darm, der sich<lb/>
merklich vergrö&#x017F;sert hat, nach unten geschoben ist. Der Vormagen ist sehr deut-<lb/>
lich und selbstständig ausgebildet. Das blinde Ende des Magens ragt weit über<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0140] so ist es natürlich, daſs ein so zartes Fädchen aus ganz weicher Masse bestehend und dabei wenig gefärbt und dünner als ein Haar keine Spur zurückläſst. Daſs die Sinnesnerven offenbar aus dem Hirne hervorwachsen, beweist nicht, daſs die andern Nerven auf dieselbe Weise entstehen, denn die Sinnesorgane werden eben erst durch die Hervorstülpungen des Hirnes erzeugt. Die Bauchplatten und Rük- kenplatten bilden sich aber unabhängig vom Rückenmarke. Daſs die Nerven aus den sich bildenden Muskeln oder andern Theilen in den Ceutraltheil hineinwach- sen, ist mir wenigstens eben so unwahrscheinlich, als das Entgegengesetzte, da eine solche Entwickelung irgend eines Theils von einem Ende zum andern fort, so daſs das Eine Ende neuen Ansatz bekommt, mir sonst nirgends vorgekommen ist. Vielmehr scheint jeder Theil gleich ganz da zu seyn, und nur aus sich eine Entwickelung zu erfahren. Hiernach ist es wahrscheinlich, daſs, sobald eine hinlängliche Differenzirung in den Bauchplatten oder andern Theilen da ist, um Nervenmasse von anderer Masse, sey es auch nur auf der untersten Stufe der Dif- ferenzirung, zu scheiden, der Nerve seiner Ausdehnung nach immer ganz da ist und beide Enden hat, das centrale wie das peripherische. Bald nachdem sich die Knorpeln gebildet haben, sieht man auch Fase- rungen in dem anliegenden Bildungsgewebe, — die werdenden Muskeln nämlich. Ihre Sehnen sind ununterbrochene Fortsetzungen der Knochenhaut. In der Stufe der Bildung, die wir hier darstellen, sind schon ziemlich alle Muskeln der Extre- mitäten kennbar, besonders aber die auf dem Hüftbeine und dem Schulterblatte liegenden, welche man, nach Entfernung der Haut, schon mit unbewaffnetem Auge sehr deutlich unterscheiden und mit dem Messer trennen kann. Mehr eingesenkt in das allgemeine Bildungsgewebe und weniger von ihm geschieden sind die Mus- kelbäuche am Vorderarm und Unterschenkel. In der hintern Extremität zeigt sich auch am frühesten Verknöcherung. Der erste Verknöcherungspunkt findet sich im Schienbein am Anfange des neunten oder am Ende des achten Ta- ges. Er ist am Ende des neunten Tages schon ansehnlich und hart. Um diese Zeit tritt Verknöcherung im Oberschenkel und in den ersten Gliedern der Ze- hen ein. In der Bauchhöhle ist durch das vollständige Hineintreten des Herzens die Lage der enthaltenen Eingeweide sehr verändert. Leber und Magen sind nämlich sehr zurückgedrängt. Da sich zugleich die Leber sehr vergröſsert, steht der Bo- den des Magens nicht weit von der hintern Wand der Bauchhöhle ab. Eben da- durch hat der Bauch so bedeutend an Höhe gewonnen, indem der Darm, der sich merklich vergröſsert hat, nach unten geschoben ist. Der Vormagen ist sehr deut- lich und selbstständig ausgebildet. Das blinde Ende des Magens ragt weit über

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/140
Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/140>, abgerufen am 06.05.2024.