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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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Orte beleuchtet (Nova acta Acad. C. L. C. Vol. XIII. Pars II. p. 739 -- 762.),
da aber die daselbst gemachten Bemerkungen, hier ihre Anwendung finden sollen,
überdiess jene Abhandlung in den Händen Weniger ist, so kann ich es nicht ver-
meiden, einen Auszug aus dem dort Gesagten voranzuschicken, um darauf wei-
ter bauen zu können.

Vor allen Dingen mache ich darauf aufmerksam, dass man den Grad der
Ausbildung des thierischen Körpers und den Typus der Organisation unterschei-
den muss. Der Grad der Ausbildung des thierischen Körpers besteht in einem grö-
ssern oder geringern Maasse der Heterogenität der Elementartheile und der einzel-
nen Abschnitte eines zusammengesetzten Apparates, mit einem Worte, in der grö-
ssern histologischen und morphologischen Sonderung.
Je gleichmässiger die ganze
Masse des Leibes ist, desto geringer die Stufe der Ausbildung. Eine höhere Stufe
ist es, wenn sich Nerv und Muskel, Blut und Zellstoff scharf sondern. Je ver-
schiedener sie sind, desto entwickelter das thierische Leben in seinen verschie-
denen Richtungen, oder richtiger umgekehrt, je mehr das thierische Leben in
seinen einzelnen Richtungen ausgebildet ist, desto heterogener sind die Elemen-
tartheile, die dieses Leben in die Erscheinung treten lassen sollen.

Dasselbe Verhältniss gilt für die einzelnen Abschnitte eines Apparates.
Höher ist die Organisation, wo die verschiedenen Abschnitte eines ganzen Syste-
mes oder Apparates unter sich ungleicher sind, und jeder Theil mehr Individua-
lität hat, als wo das Ganze mehr gleichmässig ist. Eine höhere Ausbildung also
ist es, wo der Unterschied zwischen Hirn und Rückenmark grösser ist, als wo
man die ursprüngliche Uebereinstimmung noch deutlich erkennt. Trennen wir
dieses Verhältniss der höhern Ausbildung bestimmt von dem Verhältnisse der Ty-
pen, so werden manche Schwierigkeiten, welche bei der immer noch mehr oder
weniger herrschenden Ansicht von einer einzigen fortlaufenden Reihe der Weiter-
bildung von der Monade bis zum Menschen entgegentreten, leicht besiegt. Wir
wählen die Fische als Beispiel. Weil sie ein Hirn und Rückenmark, nebst einem
innern Skelette haben und überall deutlich den Haupttypus der Wirbelthiere tra-
gen, setzt man sie über alle Wirbellosen und wundert sich, dass die Biene und
überhaupt die meisten Insecten mit Metamorphose uns mehr Kunstfertigkeit und
in jeder Hinsicht ein mannigfacheres Leben offenbaren. In der Biene aber sind
Nerv und Muskel viel differenter ausgebildet, als im Fische. Die einzelnen Ab-
schnitte eines Apparates oder eines organischen Systemes sind auch heterogener.
In den meisten Fischen ist der Magen wenig vom Darme und dieser wenig von den
Pförtneranhängen verschieden. Im Darme selbst ist oft der weite Darm vom en-
gen kaum zu unterscheiden. Im Nervensysteme zeigt uns der Fisch ein Hirn, wel-

Orte beleuchtet (Nova acta Acad. C. L. C. Vol. XIII. Pars II. p. 739 — 762.),
da aber die daselbst gemachten Bemerkungen, hier ihre Anwendung finden sollen,
überdieſs jene Abhandlung in den Händen Weniger ist, so kann ich es nicht ver-
meiden, einen Auszug aus dem dort Gesagten voranzuschicken, um darauf wei-
ter bauen zu können.

Vor allen Dingen mache ich darauf aufmerksam, daſs man den Grad der
Ausbildung des thierischen Körpers und den Typus der Organisation unterschei-
den muſs. Der Grad der Ausbildung des thierischen Körpers besteht in einem grö-
ſsern oder geringern Maaſse der Heterogenität der Elementartheile und der einzel-
nen Abschnitte eines zusammengesetzten Apparates, mit einem Worte, in der grö-
ſsern histologischen und morphologischen Sonderung.
Je gleichmäſsiger die ganze
Masse des Leibes ist, desto geringer die Stufe der Ausbildung. Eine höhere Stufe
ist es, wenn sich Nerv und Muskel, Blut und Zellstoff scharf sondern. Je ver-
schiedener sie sind, desto entwickelter das thierische Leben in seinen verschie-
denen Richtungen, oder richtiger umgekehrt, je mehr das thierische Leben in
seinen einzelnen Richtungen ausgebildet ist, desto heterogener sind die Elemen-
tartheile, die dieses Leben in die Erscheinung treten lassen sollen.

Dasselbe Verhältniſs gilt für die einzelnen Abschnitte eines Apparates.
Höher ist die Organisation, wo die verschiedenen Abschnitte eines ganzen Syste-
mes oder Apparates unter sich ungleicher sind, und jeder Theil mehr Individua-
lität hat, als wo das Ganze mehr gleichmäſsig ist. Eine höhere Ausbildung also
ist es, wo der Unterschied zwischen Hirn und Rückenmark gröſser ist, als wo
man die ursprüngliche Uebereinstimmung noch deutlich erkennt. Trennen wir
dieses Verhältniſs der höhern Ausbildung bestimmt von dem Verhältnisse der Ty-
pen, so werden manche Schwierigkeiten, welche bei der immer noch mehr oder
weniger herrschenden Ansicht von einer einzigen fortlaufenden Reihe der Weiter-
bildung von der Monade bis zum Menschen entgegentreten, leicht besiegt. Wir
wählen die Fische als Beispiel. Weil sie ein Hirn und Rückenmark, nebst einem
innern Skelette haben und überall deutlich den Haupttypus der Wirbelthiere tra-
gen, setzt man sie über alle Wirbellosen und wundert sich, daſs die Biene und
überhaupt die meisten Insecten mit Metamorphose uns mehr Kunstfertigkeit und
in jeder Hinsicht ein mannigfacheres Leben offenbaren. In der Biene aber sind
Nerv und Muskel viel differenter ausgebildet, als im Fische. Die einzelnen Ab-
schnitte eines Apparates oder eines organischen Systemes sind auch heterogener.
In den meisten Fischen ist der Magen wenig vom Darme und dieser wenig von den
Pförtneranhängen verschieden. Im Darme selbst ist oft der weite Darm vom en-
gen kaum zu unterscheiden. Im Nervensysteme zeigt uns der Fisch ein Hirn, wel-

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[207/0237] Orte beleuchtet (Nova acta Acad. C. L. C. Vol. XIII. Pars II. p. 739 — 762.), da aber die daselbst gemachten Bemerkungen, hier ihre Anwendung finden sollen, überdieſs jene Abhandlung in den Händen Weniger ist, so kann ich es nicht ver- meiden, einen Auszug aus dem dort Gesagten voranzuschicken, um darauf wei- ter bauen zu können. Vor allen Dingen mache ich darauf aufmerksam, daſs man den Grad der Ausbildung des thierischen Körpers und den Typus der Organisation unterschei- den muſs. Der Grad der Ausbildung des thierischen Körpers besteht in einem grö- ſsern oder geringern Maaſse der Heterogenität der Elementartheile und der einzel- nen Abschnitte eines zusammengesetzten Apparates, mit einem Worte, in der grö- ſsern histologischen und morphologischen Sonderung. Je gleichmäſsiger die ganze Masse des Leibes ist, desto geringer die Stufe der Ausbildung. Eine höhere Stufe ist es, wenn sich Nerv und Muskel, Blut und Zellstoff scharf sondern. Je ver- schiedener sie sind, desto entwickelter das thierische Leben in seinen verschie- denen Richtungen, oder richtiger umgekehrt, je mehr das thierische Leben in seinen einzelnen Richtungen ausgebildet ist, desto heterogener sind die Elemen- tartheile, die dieses Leben in die Erscheinung treten lassen sollen. Dasselbe Verhältniſs gilt für die einzelnen Abschnitte eines Apparates. Höher ist die Organisation, wo die verschiedenen Abschnitte eines ganzen Syste- mes oder Apparates unter sich ungleicher sind, und jeder Theil mehr Individua- lität hat, als wo das Ganze mehr gleichmäſsig ist. Eine höhere Ausbildung also ist es, wo der Unterschied zwischen Hirn und Rückenmark gröſser ist, als wo man die ursprüngliche Uebereinstimmung noch deutlich erkennt. Trennen wir dieses Verhältniſs der höhern Ausbildung bestimmt von dem Verhältnisse der Ty- pen, so werden manche Schwierigkeiten, welche bei der immer noch mehr oder weniger herrschenden Ansicht von einer einzigen fortlaufenden Reihe der Weiter- bildung von der Monade bis zum Menschen entgegentreten, leicht besiegt. Wir wählen die Fische als Beispiel. Weil sie ein Hirn und Rückenmark, nebst einem innern Skelette haben und überall deutlich den Haupttypus der Wirbelthiere tra- gen, setzt man sie über alle Wirbellosen und wundert sich, daſs die Biene und überhaupt die meisten Insecten mit Metamorphose uns mehr Kunstfertigkeit und in jeder Hinsicht ein mannigfacheres Leben offenbaren. In der Biene aber sind Nerv und Muskel viel differenter ausgebildet, als im Fische. Die einzelnen Ab- schnitte eines Apparates oder eines organischen Systemes sind auch heterogener. In den meisten Fischen ist der Magen wenig vom Darme und dieser wenig von den Pförtneranhängen verschieden. Im Darme selbst ist oft der weite Darm vom en- gen kaum zu unterscheiden. Im Nervensysteme zeigt uns der Fisch ein Hirn, wel-

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/237>, abgerufen am 28.04.2024.