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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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Beispiel für viele hervor. Wenn ich die Ueberzeugung habe, dass die geglieder-
ten Thiere in Eine Reihe fortgehender Ausbildung zu stellen sind, und sie nach
der Ausbildung im Gefässsysteme ordne, so kann ich sie so auf einander folgen
lassen: Wahre Insecten, Myriapoden, Arachniden, Anneliden. Dann sind die
Augen durch die ganze Reihe zurückschreitend. Ordne ich sie nach den Sinnes-
organen und insbesondere nach den Augen, so sind umgekehrt die Gefässe rück-
schreitend. Von den Athmungsorganen und dem Gefässsysteme versteht es sich
ohnehin von selbst, dass das eine gegen das andere zurückschreitend scheint, da
diese Systeme sich antagonistich bedingen. Betrachte ich sie als Modificationen
eines Grundtypus, in welchen bald dieses bald jenes System mehr aus der ein-
fachen Grundform umgebildet ist, so fallen alle Rückschritte weg.

Was ich hier von den gegliederten Thieren gesagt habe, um ein anschau-d. Die Va-
riationen
sind in ver-
schiedenen
Systemen
verschieden.

liches Beispiel für sie zu wählen, gilt durchaus nicht für sie allein, auch nicht
bloss für das antagonistische Verhältniss von Athmungsorganen und Gefässsystem.
Es zeigt sich überall, wo überhaupt die Variation mannigfaltig ist. Ueberblicken
wir die verschiedenen Formen der Säugethiere, so finden wir für eine Reihe von
Organen andre Verwandtschaften, als für eine andere. Nehmen wir auf die
Bildung des animalischen Theiles Rücksicht, die wir am Skelette am deutlichsten
abmessen, so sind die Fledermäuse von allen eigentlichen Vierfüssern gar sehr
verschieden. Wir müssen in ihnen die am meisten abweichende Ordnung bilden.
In Hinsicht der Verdauungsorgane sind sie den Insectenfressern gleich. Pallas,
der in der Zoographia rosso-asiatica die Fledermäuse mit dem Maulwurfe eng
verbindet, scheint mir daher eben so viel Recht zu haben, als Tiedemann,
der ungefähr gleichzeitig sie in seiner Zoologic weit von einander trennt. Aus
denselben Gründen verbindet Tiedemann den Seehund mit dem Dugong, die
bei Pallas weit aus einander stehen. Dieser hat die Extremitäten, jener die
Zähne gelten lassen. Was lehren solche Beispiele anders, als dass die verschie-
denen organischen Systeme verschieden variiren. Maulwurf und Fledermaus
suchen dieselbe Beute, jener in der Erde, diese in der Luft. Ihre Bewegungs-
organe sind daher verschieden nach dem Aufenthaltsorte. Der Dugong und der
Seehund sind beide im Wasser, haben flossenartige Extremitäten, aber was sie
im Wasser suchen, ist ganz verschieden. So ihr Gebiss und ihr Magen.

Giebt unter solchen Verhältnissen eine Annäherung an den Menschen nicht
immer für jedes organische System eine verschiedene Thierreihe, und wenn das
ist, sind die Rückschritte nicht sinnlos? Es ist überhaupt der Mensch wohl nur
in Hinsicht seines Nervensystems und dem, was zunächst damit verbunden ist, die
höchste Form der Thiere. Der aufrechte Gang ist nur Folge der höhern Ent-

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Beispiel für viele hervor. Wenn ich die Ueberzeugung habe, daſs die geglieder-
ten Thiere in Eine Reihe fortgehender Ausbildung zu stellen sind, und sie nach
der Ausbildung im Gefäſssysteme ordne, so kann ich sie so auf einander folgen
lassen: Wahre Insecten, Myriapoden, Arachniden, Anneliden. Dann sind die
Augen durch die ganze Reihe zurückschreitend. Ordne ich sie nach den Sinnes-
organen und insbesondere nach den Augen, so sind umgekehrt die Gefäſse rück-
schreitend. Von den Athmungsorganen und dem Gefäſssysteme versteht es sich
ohnehin von selbst, daſs das eine gegen das andere zurückschreitend scheint, da
diese Systeme sich antagonistich bedingen. Betrachte ich sie als Modificationen
eines Grundtypus, in welchen bald dieses bald jenes System mehr aus der ein-
fachen Grundform umgebildet ist, so fallen alle Rückschritte weg.

Was ich hier von den gegliederten Thieren gesagt habe, um ein anschau-d. Die Va-
riationen
sind in ver-
schiedenen
Systemen
verschieden.

liches Beispiel für sie zu wählen, gilt durchaus nicht für sie allein, auch nicht
bloſs für das antagonistische Verhältniſs von Athmungsorganen und Gefäſssystem.
Es zeigt sich überall, wo überhaupt die Variation mannigfaltig ist. Ueberblicken
wir die verschiedenen Formen der Säugethiere, so finden wir für eine Reihe von
Organen andre Verwandtschaften, als für eine andere. Nehmen wir auf die
Bildung des animalischen Theiles Rücksicht, die wir am Skelette am deutlichsten
abmessen, so sind die Fledermäuse von allen eigentlichen Vierfüſsern gar sehr
verschieden. Wir müssen in ihnen die am meisten abweichende Ordnung bilden.
In Hinsicht der Verdauungsorgane sind sie den Insectenfressern gleich. Pallas,
der in der Zoographia rosso-asiatica die Fledermäuse mit dem Maulwurfe eng
verbindet, scheint mir daher eben so viel Recht zu haben, als Tiedemann,
der ungefähr gleichzeitig sie in seiner Zoologic weit von einander trennt. Aus
denselben Gründen verbindet Tiedemann den Seehund mit dem Dugong, die
bei Pallas weit aus einander stehen. Dieser hat die Extremitäten, jener die
Zähne gelten lassen. Was lehren solche Beispiele anders, als daſs die verschie-
denen organischen Systeme verschieden variiren. Maulwurf und Fledermaus
suchen dieselbe Beute, jener in der Erde, diese in der Luft. Ihre Bewegungs-
organe sind daher verschieden nach dem Aufenthaltsorte. Der Dugong und der
Seehund sind beide im Wasser, haben flossenartige Extremitäten, aber was sie
im Wasser suchen, ist ganz verschieden. So ihr Gebiſs und ihr Magen.

Giebt unter solchen Verhältnissen eine Annäherung an den Menschen nicht
immer für jedes organische System eine verschiedene Thierreihe, und wenn das
ist, sind die Rückschritte nicht sinnlos? Es ist überhaupt der Mensch wohl nur
in Hinsicht seines Nervensystems und dem, was zunächst damit verbunden ist, die
höchste Form der Thiere. Der aufrechte Gang ist nur Folge der höhern Ent-

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[241/0273] Beispiel für viele hervor. Wenn ich die Ueberzeugung habe, daſs die geglieder- ten Thiere in Eine Reihe fortgehender Ausbildung zu stellen sind, und sie nach der Ausbildung im Gefäſssysteme ordne, so kann ich sie so auf einander folgen lassen: Wahre Insecten, Myriapoden, Arachniden, Anneliden. Dann sind die Augen durch die ganze Reihe zurückschreitend. Ordne ich sie nach den Sinnes- organen und insbesondere nach den Augen, so sind umgekehrt die Gefäſse rück- schreitend. Von den Athmungsorganen und dem Gefäſssysteme versteht es sich ohnehin von selbst, daſs das eine gegen das andere zurückschreitend scheint, da diese Systeme sich antagonistich bedingen. Betrachte ich sie als Modificationen eines Grundtypus, in welchen bald dieses bald jenes System mehr aus der ein- fachen Grundform umgebildet ist, so fallen alle Rückschritte weg. Was ich hier von den gegliederten Thieren gesagt habe, um ein anschau- liches Beispiel für sie zu wählen, gilt durchaus nicht für sie allein, auch nicht bloſs für das antagonistische Verhältniſs von Athmungsorganen und Gefäſssystem. Es zeigt sich überall, wo überhaupt die Variation mannigfaltig ist. Ueberblicken wir die verschiedenen Formen der Säugethiere, so finden wir für eine Reihe von Organen andre Verwandtschaften, als für eine andere. Nehmen wir auf die Bildung des animalischen Theiles Rücksicht, die wir am Skelette am deutlichsten abmessen, so sind die Fledermäuse von allen eigentlichen Vierfüſsern gar sehr verschieden. Wir müssen in ihnen die am meisten abweichende Ordnung bilden. In Hinsicht der Verdauungsorgane sind sie den Insectenfressern gleich. Pallas, der in der Zoographia rosso-asiatica die Fledermäuse mit dem Maulwurfe eng verbindet, scheint mir daher eben so viel Recht zu haben, als Tiedemann, der ungefähr gleichzeitig sie in seiner Zoologic weit von einander trennt. Aus denselben Gründen verbindet Tiedemann den Seehund mit dem Dugong, die bei Pallas weit aus einander stehen. Dieser hat die Extremitäten, jener die Zähne gelten lassen. Was lehren solche Beispiele anders, als daſs die verschie- denen organischen Systeme verschieden variiren. Maulwurf und Fledermaus suchen dieselbe Beute, jener in der Erde, diese in der Luft. Ihre Bewegungs- organe sind daher verschieden nach dem Aufenthaltsorte. Der Dugong und der Seehund sind beide im Wasser, haben flossenartige Extremitäten, aber was sie im Wasser suchen, ist ganz verschieden. So ihr Gebiſs und ihr Magen. d. Die Va- riationen sind in ver- schiedenen Systemen verschieden. Giebt unter solchen Verhältnissen eine Annäherung an den Menschen nicht immer für jedes organische System eine verschiedene Thierreihe, und wenn das ist, sind die Rückschritte nicht sinnlos? Es ist überhaupt der Mensch wohl nur in Hinsicht seines Nervensystems und dem, was zunächst damit verbunden ist, die höchste Form der Thiere. Der aufrechte Gang ist nur Folge der höhern Ent- H h

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/273>, abgerufen am 24.11.2024.