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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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then Bemühungen von Stiebel, Carus und Pfeiffer doch über die Bildungs-
weise der einzelnen Theile fast nichts wissen. Stiebel dürfte etwas zu viel be-
richtet haben, und Carus ist so vorsichtig, dass er uns über die innere Entwicke-
lung nur wenig sagt.

Von der Sehnsucht getrieben, zu erfahren, ob das Entwickelungsschema
dieser Thierform von dem der andern Typen verschieden sey, musste ich mich
daher an eigene Versuche wagen, da ich für die Beantwortung dieser Frage kaum
Vermuthungen erhalten konnte. Zuerst wendete ich mich an die Muscheln, fand
aber ausser der Schwierigkeit, mir von irgend einer Art eine fortlaufende Reihe
von Embryonen zu verschaffen, in diesen selbst mehr Schwierigkeiten, als ich
erwartet hatte. In den kleinen Muscheln sind, wenn die Schaalen schon sehr
deutlich und von der merkwürdigen gleichschenkeligen Form sind, (welche Ja-
cobson
bewogen hat, neuerlich die ganz vernachlässigte Ansicht von Rathke
wieder aufzunehmen, dass diese Thierchen gar nicht die Brut der Muscheln, son-
dern Schmarotzer sind), wenn die beiden Muskeln schon deutlich erkennbar sind
und die Schaalen mit Kraft an einander ziehen, alle übrigen Theile noch so hell
und so wenig different, dass ich sie wenig von einander unterscheiden konnte.
Ich habe daher die Untersuchung der Entwickelung der Muscheln wieder aufgege-
ben und will nur aus dem spärlichen Inbegriffe meiner Ausbeute bemerken: 1) dass
die in den äussern Kiemen befindlichen, zweischaaligen Thierchen ganz gewiss
die Brut der Muschel sind und nicht Schmarotzer, denn die Kiemen sind gefüllt
wenn der Eierstock entleert ist, man sieht unter den Eihüllen den Embryo sich
bilden, sich bewegen und hervorbrechen; 2) dass die Entwickelung von der Seite
des Schlosses nach der entgegengesetzten fortzuschreiten scheint und zugleich von
vorn nach hinten, wodurch das hintere Ende erst später seine überwiegende Länge
erhält; 3) dass eben aus der oben erwähnten Durchsichtigkeit mit einiger Sicher-
heit sich folgern lässt, dass die Leber nicht so früh sich bilde, als man von den
Mollusken zu erwarten geneigt ist *).

An die Entwickelung der Schnecken mich wendend, fand ich auch hier
die Untersuchung überaus schwierig und meine abgebrochenen Versuche sind
durchaus nichts weniger als genügend. Man muss, weil der Embryo zu dick und
undurchsichtig ist, um seine innern Umgestaltungen ohne Zergliederung zu er-
kennen, ihn unter dem Microscope zerlegen. Eine Zerlegung kann aber bei der
Kleinheit und Zähigkeit der Theile ohne die bedeutendsten Quetschungen und Zer-

*) Carus wurde durch Untersuchung von jungen Ascidien sogar zu der Vermuthung einer unge-
mein späten Entwickelung der Leber geführt (Meckel's deutsches Archiv Bd. II.).

then Bemühungen von Stiebel, Carus und Pfeiffer doch über die Bildungs-
weise der einzelnen Theile fast nichts wissen. Stiebel dürfte etwas zu viel be-
richtet haben, und Carus ist so vorsichtig, daſs er uns über die innere Entwicke-
lung nur wenig sagt.

Von der Sehnsucht getrieben, zu erfahren, ob das Entwickelungsschema
dieser Thierform von dem der andern Typen verschieden sey, muſste ich mich
daher an eigene Versuche wagen, da ich für die Beantwortung dieser Frage kaum
Vermuthungen erhalten konnte. Zuerst wendete ich mich an die Muscheln, fand
aber auſser der Schwierigkeit, mir von irgend einer Art eine fortlaufende Reihe
von Embryonen zu verschaffen, in diesen selbst mehr Schwierigkeiten, als ich
erwartet hatte. In den kleinen Muscheln sind, wenn die Schaalen schon sehr
deutlich und von der merkwürdigen gleichschenkeligen Form sind, (welche Ja-
cobson
bewogen hat, neuerlich die ganz vernachlässigte Ansicht von Rathke
wieder aufzunehmen, daſs diese Thierchen gar nicht die Brut der Muscheln, son-
dern Schmarotzer sind), wenn die beiden Muskeln schon deutlich erkennbar sind
und die Schaalen mit Kraft an einander ziehen, alle übrigen Theile noch so hell
und so wenig different, daſs ich sie wenig von einander unterscheiden konnte.
Ich habe daher die Untersuchung der Entwickelung der Muscheln wieder aufgege-
ben und will nur aus dem spärlichen Inbegriffe meiner Ausbeute bemerken: 1) daſs
die in den äuſsern Kiemen befindlichen, zweischaaligen Thierchen ganz gewiſs
die Brut der Muschel sind und nicht Schmarotzer, denn die Kiemen sind gefüllt
wenn der Eierstock entleert ist, man sieht unter den Eihüllen den Embryo sich
bilden, sich bewegen und hervorbrechen; 2) daſs die Entwickelung von der Seite
des Schlosses nach der entgegengesetzten fortzuschreiten scheint und zugleich von
vorn nach hinten, wodurch das hintere Ende erst später seine überwiegende Länge
erhält; 3) daſs eben aus der oben erwähnten Durchsichtigkeit mit einiger Sicher-
heit sich folgern läſst, daſs die Leber nicht so früh sich bilde, als man von den
Mollusken zu erwarten geneigt ist *).

An die Entwickelung der Schnecken mich wendend, fand ich auch hier
die Untersuchung überaus schwierig und meine abgebrochenen Versuche sind
durchaus nichts weniger als genügend. Man muſs, weil der Embryo zu dick und
undurchsichtig ist, um seine innern Umgestaltungen ohne Zergliederung zu er-
kennen, ihn unter dem Microscope zerlegen. Eine Zerlegung kann aber bei der
Kleinheit und Zähigkeit der Theile ohne die bedeutendsten Quetschungen und Zer-

*) Carus wurde durch Untersuchung von jungen Ascidien sogar zu der Vermuthung einer unge-
mein späten Entwickelung der Leber geführt (Meckel’s deutsches Archiv Bd. II.).
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[252/0284] then Bemühungen von Stiebel, Carus und Pfeiffer doch über die Bildungs- weise der einzelnen Theile fast nichts wissen. Stiebel dürfte etwas zu viel be- richtet haben, und Carus ist so vorsichtig, daſs er uns über die innere Entwicke- lung nur wenig sagt. Von der Sehnsucht getrieben, zu erfahren, ob das Entwickelungsschema dieser Thierform von dem der andern Typen verschieden sey, muſste ich mich daher an eigene Versuche wagen, da ich für die Beantwortung dieser Frage kaum Vermuthungen erhalten konnte. Zuerst wendete ich mich an die Muscheln, fand aber auſser der Schwierigkeit, mir von irgend einer Art eine fortlaufende Reihe von Embryonen zu verschaffen, in diesen selbst mehr Schwierigkeiten, als ich erwartet hatte. In den kleinen Muscheln sind, wenn die Schaalen schon sehr deutlich und von der merkwürdigen gleichschenkeligen Form sind, (welche Ja- cobson bewogen hat, neuerlich die ganz vernachlässigte Ansicht von Rathke wieder aufzunehmen, daſs diese Thierchen gar nicht die Brut der Muscheln, son- dern Schmarotzer sind), wenn die beiden Muskeln schon deutlich erkennbar sind und die Schaalen mit Kraft an einander ziehen, alle übrigen Theile noch so hell und so wenig different, daſs ich sie wenig von einander unterscheiden konnte. Ich habe daher die Untersuchung der Entwickelung der Muscheln wieder aufgege- ben und will nur aus dem spärlichen Inbegriffe meiner Ausbeute bemerken: 1) daſs die in den äuſsern Kiemen befindlichen, zweischaaligen Thierchen ganz gewiſs die Brut der Muschel sind und nicht Schmarotzer, denn die Kiemen sind gefüllt wenn der Eierstock entleert ist, man sieht unter den Eihüllen den Embryo sich bilden, sich bewegen und hervorbrechen; 2) daſs die Entwickelung von der Seite des Schlosses nach der entgegengesetzten fortzuschreiten scheint und zugleich von vorn nach hinten, wodurch das hintere Ende erst später seine überwiegende Länge erhält; 3) daſs eben aus der oben erwähnten Durchsichtigkeit mit einiger Sicher- heit sich folgern läſst, daſs die Leber nicht so früh sich bilde, als man von den Mollusken zu erwarten geneigt ist *). An die Entwickelung der Schnecken mich wendend, fand ich auch hier die Untersuchung überaus schwierig und meine abgebrochenen Versuche sind durchaus nichts weniger als genügend. Man muſs, weil der Embryo zu dick und undurchsichtig ist, um seine innern Umgestaltungen ohne Zergliederung zu er- kennen, ihn unter dem Microscope zerlegen. Eine Zerlegung kann aber bei der Kleinheit und Zähigkeit der Theile ohne die bedeutendsten Quetschungen und Zer- *) Carus wurde durch Untersuchung von jungen Ascidien sogar zu der Vermuthung einer unge- mein späten Entwickelung der Leber geführt (Meckel’s deutsches Archiv Bd. II.).

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/284>, abgerufen am 26.11.2024.