geöffnetem Fötus der Rückenkanal blosse Flüssigkeit zu enthalten scheint. Lässt man den Embryo einige Stunden in kaltem Wasser liegen, so wird diese Körner- schicht weit deutlicher, und man erkennt nun, namentlich in den Hirnzellen, auch von aussen eine dunkle, körnige Bekleidung, die ganz das Ansehn von matt geschliffenem Glase hat.
Viel habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob diese erste Anlage des Centraltheils vom Nervensysteme aus zwei von einander gesonderten Blättern be- steht, welche erst später unter sich verwachsen, oder nicht. Ich muss mich ge- gen die gewöhnliche Meinung erklären. Oft habe ich nämlich aus Queerschnitten von Embryonen der 2ten Hälfte des zweiten Tages, und noch öster aus dreitägi- gen Embryonen das zarte Rückenmark herausgenommen, und wenn dieses ohne Quetschung und Zerreissung gelungen war, zeigte sich das Rückenmark immer als ein geschlossener, seitlich zusammengedrückter Kanal. Nach oben ist die Wandung des Kanals sehr dünne, eben so auch ursprünglich nach unten, wo sie jedoch bald an Dicke zunimmt. An den Seiten ist die Wand aber dicker, dunk- ler, körnerreicher, und diese vorherrschende Dicke der Seiten nimmt immer zu, so dass man allenfalls sagen könnte, der hohle Cylinder bestünde aus zwei ur- sprünglich vereinigten Hälften, die wir in Zukunft mit dem Namen der Blätter des Rückenmarks belegen werden. Die Marklage, welche die Hirnzellen im In- nern bekleidet, scheint bei erster Ansicht wirklich während des zweiten Tages nach oben getheilt zu seyn, weil die Wandung der Zellen, von oben angesehen, ganz durchsichtig ist; diese Ansicht gewinnt dadurch noch an Augenscheinlich- keit, dass in der Mittellinie der obern Wölbung ein zarter, dunkler Strich ver- läuft. Allein eine nähere Betrachtung zeigt, dass dieser Strich die noch nicht verwischte Naht der Rückenplatten ist, und wenn man den Embryo längere Zeit in Wasser liegen lässt, und die dunkelkörnige Lage, wie oben bemerkt wurde, deutlicher erscheint, sieht man bestimmt, dass die Hirnzellen auch von oben von ihr bekleidet sind, sogar die Gegend, wo später die vierte Hirnhöhle entstehen soll. Ich halte also auch das Hirn für eine in mehrere Zellen getheilte, oben völ- lig geschlossene Blase, und spreche diese Meinung nur nach sehr sorgfältigen, viel- fach wiederholten und nicht bloss im Vogeleie bestätigten Untersuchungen aus. In- dessen muss ein sehr wesentlicher Umstand ins Auge gefasst werden. Der Cen- traltheil des Nervensystems enthält am 2ten Tage nicht bloss das eigentliche Ner- venmark, sondern auch seine Hüllen in indifferenter Verbindung. Keinesweges aber kann ich beistimmen, wenn man behaupten wollte, was ich in der Mittel- linie des Körpers am 2ten Tage gesehen habe, sey bloss harte Hirnhaut, und aus oder an dieser bilde sich erst später Markmasse, vielmehr glaube ich, es sey,
geöffnetem Fötus der Rückenkanal bloſse Flüssigkeit zu enthalten scheint. Läſst man den Embryo einige Stunden in kaltem Wasser liegen, so wird diese Körner- schicht weit deutlicher, und man erkennt nun, namentlich in den Hirnzellen, auch von auſsen eine dunkle, körnige Bekleidung, die ganz das Ansehn von matt geschliffenem Glase hat.
Viel habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob diese erste Anlage des Centraltheils vom Nervensysteme aus zwei von einander gesonderten Blättern be- steht, welche erst später unter sich verwachsen, oder nicht. Ich muſs mich ge- gen die gewöhnliche Meinung erklären. Oft habe ich nämlich aus Queerschnitten von Embryonen der 2ten Hälfte des zweiten Tages, und noch öſter aus dreitägi- gen Embryonen das zarte Rückenmark herausgenommen, und wenn dieses ohne Quetschung und Zerreiſsung gelungen war, zeigte sich das Rückenmark immer als ein geschlossener, seitlich zusammengedrückter Kanal. Nach oben ist die Wandung des Kanals sehr dünne, eben so auch ursprünglich nach unten, wo sie jedoch bald an Dicke zunimmt. An den Seiten ist die Wand aber dicker, dunk- ler, körnerreicher, und diese vorherrschende Dicke der Seiten nimmt immer zu, so daſs man allenfalls sagen könnte, der hohle Cylinder bestünde aus zwei ur- sprünglich vereinigten Hälften, die wir in Zukunft mit dem Namen der Blätter des Rückenmarks belegen werden. Die Marklage, welche die Hirnzellen im In- nern bekleidet, scheint bei erster Ansicht wirklich während des zweiten Tages nach oben getheilt zu seyn, weil die Wandung der Zellen, von oben angesehen, ganz durchsichtig ist; diese Ansicht gewinnt dadurch noch an Augenscheinlich- keit, daſs in der Mittellinie der obern Wölbung ein zarter, dunkler Strich ver- läuft. Allein eine nähere Betrachtung zeigt, daſs dieser Strich die noch nicht verwischte Naht der Rückenplatten ist, und wenn man den Embryo längere Zeit in Wasser liegen läſst, und die dunkelkörnige Lage, wie oben bemerkt wurde, deutlicher erscheint, sieht man bestimmt, daſs die Hirnzellen auch von oben von ihr bekleidet sind, sogar die Gegend, wo später die vierte Hirnhöhle entstehen soll. Ich halte also auch das Hirn für eine in mehrere Zellen getheilte, oben völ- lig geschlossene Blase, und spreche diese Meinung nur nach sehr sorgfältigen, viel- fach wiederholten und nicht bloſs im Vogeleie bestätigten Untersuchungen aus. In- dessen muſs ein sehr wesentlicher Umstand ins Auge gefaſst werden. Der Cen- traltheil des Nervensystems enthält am 2ten Tage nicht bloſs das eigentliche Ner- venmark, sondern auch seine Hüllen in indifferenter Verbindung. Keinesweges aber kann ich beistimmen, wenn man behaupten wollte, was ich in der Mittel- linie des Körpers am 2ten Tage gesehen habe, sey bloſs harte Hirnhaut, und aus oder an dieser bilde sich erst später Markmasse, vielmehr glaube ich, es sey,
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[29/0059]
geöffnetem Fötus der Rückenkanal bloſse Flüssigkeit zu enthalten scheint. Läſst
man den Embryo einige Stunden in kaltem Wasser liegen, so wird diese Körner-
schicht weit deutlicher, und man erkennt nun, namentlich in den Hirnzellen,
auch von auſsen eine dunkle, körnige Bekleidung, die ganz das Ansehn von matt
geschliffenem Glase hat.
Viel habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob diese erste Anlage des
Centraltheils vom Nervensysteme aus zwei von einander gesonderten Blättern be-
steht, welche erst später unter sich verwachsen, oder nicht. Ich muſs mich ge-
gen die gewöhnliche Meinung erklären. Oft habe ich nämlich aus Queerschnitten
von Embryonen der 2ten Hälfte des zweiten Tages, und noch öſter aus dreitägi-
gen Embryonen das zarte Rückenmark herausgenommen, und wenn dieses ohne
Quetschung und Zerreiſsung gelungen war, zeigte sich das Rückenmark immer
als ein geschlossener, seitlich zusammengedrückter Kanal. Nach oben ist die
Wandung des Kanals sehr dünne, eben so auch ursprünglich nach unten, wo sie
jedoch bald an Dicke zunimmt. An den Seiten ist die Wand aber dicker, dunk-
ler, körnerreicher, und diese vorherrschende Dicke der Seiten nimmt immer zu,
so daſs man allenfalls sagen könnte, der hohle Cylinder bestünde aus zwei ur-
sprünglich vereinigten Hälften, die wir in Zukunft mit dem Namen der Blätter
des Rückenmarks belegen werden. Die Marklage, welche die Hirnzellen im In-
nern bekleidet, scheint bei erster Ansicht wirklich während des zweiten Tages
nach oben getheilt zu seyn, weil die Wandung der Zellen, von oben angesehen,
ganz durchsichtig ist; diese Ansicht gewinnt dadurch noch an Augenscheinlich-
keit, daſs in der Mittellinie der obern Wölbung ein zarter, dunkler Strich ver-
läuft. Allein eine nähere Betrachtung zeigt, daſs dieser Strich die noch nicht
verwischte Naht der Rückenplatten ist, und wenn man den Embryo längere Zeit
in Wasser liegen läſst, und die dunkelkörnige Lage, wie oben bemerkt wurde,
deutlicher erscheint, sieht man bestimmt, daſs die Hirnzellen auch von oben von
ihr bekleidet sind, sogar die Gegend, wo später die vierte Hirnhöhle entstehen
soll. Ich halte also auch das Hirn für eine in mehrere Zellen getheilte, oben völ-
lig geschlossene Blase, und spreche diese Meinung nur nach sehr sorgfältigen, viel-
fach wiederholten und nicht bloſs im Vogeleie bestätigten Untersuchungen aus. In-
dessen muſs ein sehr wesentlicher Umstand ins Auge gefaſst werden. Der Cen-
traltheil des Nervensystems enthält am 2ten Tage nicht bloſs das eigentliche Ner-
venmark, sondern auch seine Hüllen in indifferenter Verbindung. Keinesweges
aber kann ich beistimmen, wenn man behaupten wollte, was ich in der Mittel-
linie des Körpers am 2ten Tage gesehen habe, sey bloſs harte Hirnhaut, und aus
oder an dieser bilde sich erst später Markmasse, vielmehr glaube ich, es sey,
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/59>, abgerufen am 28.11.2024.
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