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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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neue Thier erkennbar und schon im Wachsen begriffen. Vorher war aber doch
schon etwas, das zwar nock kein eigenes Leben besass, der ersten Form des wer-
denden Thieres oder der Pflanze aber doch ähnlich war, und nur als Umbildung
dieses Theiles zeigte sich der selbstständige organische Körper.

Man musste daher auf den Gedanken kommen, der Anfang falle vielleichtd. Ob die
Nachkom-
men schon
in den Ael-
tern lebten?

nicht mit der Befruchtung zusammen, sondern die Frucht sey schon vorher in den
Aeltern vorhanden und gelange jetzt nur in Verhältnisse, in welchen sie rascher
fortwachse. In diesem Falle konnte man ihr Daseyn entweder im mütterlichen
oder im väterlichen Körper suchen. Im mütterlichen Körper höherer Thiere sind
allerdings in bestimmten Organen, den Eierstöcken, Theile enthalten, in wel-
chen nach der Zeugung die neuen Individuen sich finden und die man in ihnen
sich vorgebildet dachte. Diese Theile heissen überhaupt Eier. -- Sie lassen vor
der Befruchtung kein eigenes Leben erkennen. -- Im männlichen Zeugungs-
stoffe der Thiere hatte man hingegen nach der Erfindung der Vergrösserungsgläser
eine überaus grosse Menge kleiner, offenbar selbstständig beweglicher, also leben-
diger Körperchen entdeckt, eine Beobachtung, die für diejenigen Naturforscher,
welche nach einer Praeformation suchten, sehr willkommen war. Diese Thier-
chen sollten die augenscheinliche Brut der grösseren Thiere seyn, in deren Zeu-
gungsorganen sie sich finden. Allein nun blieb wieder die Zeugungsgeschichte
dieser Thiere zu enträthseln. Hatte man sich einmal am Wunderbaren erhitzt,
so wurden alle Schwierigkeiten, wenn auch auf Kosten des gesunden Menschen-
verstandes, leicht überwunden. -- Man warf von entgegengesetzter Seite die
ungeheure Anzahl der Thierchen des männlichen Zeugungsstoffes ein; allein die
Vertheidiger erwiderten, es wäre sehr glaublich, dass im Augenblicke der Be-
fruchtung Millionen derselben sich mörderisch herumbissen, bis ein Uebrigblei-
bender in das Bläschen des weiblichen Eierstockes als glücklicher Sieger einzöge.
Schade nur, dass die Cercarien, so nannten die Zoologen die Thierchen im
männlichen Zeugungsstoffe, gar keine Organe zum Beissen und überhaupt nicht
die entfernteste Aehnlichkeit mit den höheren Thieren haben, sondern aus einem
kleinen vordern Knöpfchen und einem langen zugespitzten Anhange bestehen,
ohne alle weitere Gliedmassen. Nach kurzem Flor wurde diese Hypothese daher
auch vergessen und ruhte über ein halbes Jahrhundert, als in neuester Zeit zwei
sehr genaue Beobachter, Prevost und Dumas, sie modificirt wieder ins Leben
riefen, nach langen und sorgfältigen Untersuchungen der Saamenthierchen.
"Nicht das ganze Huhn, oder das Rind wird aus der Cercarie gebildet", sagten
sie, "sondern nur das Nervensystem, das Uebrige wächst dann aus dem weib-
lichen Zeugungsstoffe hinzu." In der That hat das Rückenmark, vereint mit dem

neue Thier erkennbar und schon im Wachsen begriffen. Vorher war aber doch
schon etwas, das zwar nock kein eigenes Leben besaſs, der ersten Form des wer-
denden Thieres oder der Pflanze aber doch ähnlich war, und nur als Umbildung
dieses Theiles zeigte sich der selbstständige organische Körper.

Man muſste daher auf den Gedanken kommen, der Anfang falle vielleichtd. Ob die
Nachkom-
men schon
in den Ael-
tern lebten?

nicht mit der Befruchtung zusammen, sondern die Frucht sey schon vorher in den
Aeltern vorhanden und gelange jetzt nur in Verhältnisse, in welchen sie rascher
fortwachse. In diesem Falle konnte man ihr Daseyn entweder im mütterlichen
oder im väterlichen Körper suchen. Im mütterlichen Körper höherer Thiere sind
allerdings in bestimmten Organen, den Eierstöcken, Theile enthalten, in wel-
chen nach der Zeugung die neuen Individuen sich finden und die man in ihnen
sich vorgebildet dachte. Diese Theile heiſsen überhaupt Eier. — Sie lassen vor
der Befruchtung kein eigenes Leben erkennen. — Im männlichen Zeugungs-
stoffe der Thiere hatte man hingegen nach der Erfindung der Vergröſserungsgläser
eine überaus groſse Menge kleiner, offenbar selbstständig beweglicher, also leben-
diger Körperchen entdeckt, eine Beobachtung, die für diejenigen Naturforscher,
welche nach einer Praeformation suchten, sehr willkommen war. Diese Thier-
chen sollten die augenscheinliche Brut der gröſseren Thiere seyn, in deren Zeu-
gungsorganen sie sich finden. Allein nun blieb wieder die Zeugungsgeschichte
dieser Thiere zu enträthseln. Hatte man sich einmal am Wunderbaren erhitzt,
so wurden alle Schwierigkeiten, wenn auch auf Kosten des gesunden Menschen-
verstandes, leicht überwunden. — Man warf von entgegengesetzter Seite die
ungeheure Anzahl der Thierchen des männlichen Zeugungsstoffes ein; allein die
Vertheidiger erwiderten, es wäre sehr glaublich, daſs im Augenblicke der Be-
fruchtung Millionen derselben sich mörderisch herumbissen, bis ein Uebrigblei-
bender in das Bläschen des weiblichen Eierstockes als glücklicher Sieger einzöge.
Schade nur, daſs die Cercarien, so nannten die Zoologen die Thierchen im
männlichen Zeugungsstoffe, gar keine Organe zum Beiſsen und überhaupt nicht
die entfernteste Aehnlichkeit mit den höheren Thieren haben, sondern aus einem
kleinen vordern Knöpfchen und einem langen zugespitzten Anhange bestehen,
ohne alle weitere Gliedmaſsen. Nach kurzem Flor wurde diese Hypothese daher
auch vergessen und ruhte über ein halbes Jahrhundert, als in neuester Zeit zwei
sehr genaue Beobachter, Prévost und Dumas, sie modificirt wieder ins Leben
riefen, nach langen und sorgfältigen Untersuchungen der Saamenthierchen.
„Nicht das ganze Huhn, oder das Rind wird aus der Cercarie gebildet”, sagten
sie, „sondern nur das Nervensystem, das Uebrige wächst dann aus dem weib-
lichen Zeugungsstoffe hinzu.” In der That hat das Rückenmark, vereint mit dem

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[5/0015] neue Thier erkennbar und schon im Wachsen begriffen. Vorher war aber doch schon etwas, das zwar nock kein eigenes Leben besaſs, der ersten Form des wer- denden Thieres oder der Pflanze aber doch ähnlich war, und nur als Umbildung dieses Theiles zeigte sich der selbstständige organische Körper. Man muſste daher auf den Gedanken kommen, der Anfang falle vielleicht nicht mit der Befruchtung zusammen, sondern die Frucht sey schon vorher in den Aeltern vorhanden und gelange jetzt nur in Verhältnisse, in welchen sie rascher fortwachse. In diesem Falle konnte man ihr Daseyn entweder im mütterlichen oder im väterlichen Körper suchen. Im mütterlichen Körper höherer Thiere sind allerdings in bestimmten Organen, den Eierstöcken, Theile enthalten, in wel- chen nach der Zeugung die neuen Individuen sich finden und die man in ihnen sich vorgebildet dachte. Diese Theile heiſsen überhaupt Eier. — Sie lassen vor der Befruchtung kein eigenes Leben erkennen. — Im männlichen Zeugungs- stoffe der Thiere hatte man hingegen nach der Erfindung der Vergröſserungsgläser eine überaus groſse Menge kleiner, offenbar selbstständig beweglicher, also leben- diger Körperchen entdeckt, eine Beobachtung, die für diejenigen Naturforscher, welche nach einer Praeformation suchten, sehr willkommen war. Diese Thier- chen sollten die augenscheinliche Brut der gröſseren Thiere seyn, in deren Zeu- gungsorganen sie sich finden. Allein nun blieb wieder die Zeugungsgeschichte dieser Thiere zu enträthseln. Hatte man sich einmal am Wunderbaren erhitzt, so wurden alle Schwierigkeiten, wenn auch auf Kosten des gesunden Menschen- verstandes, leicht überwunden. — Man warf von entgegengesetzter Seite die ungeheure Anzahl der Thierchen des männlichen Zeugungsstoffes ein; allein die Vertheidiger erwiderten, es wäre sehr glaublich, daſs im Augenblicke der Be- fruchtung Millionen derselben sich mörderisch herumbissen, bis ein Uebrigblei- bender in das Bläschen des weiblichen Eierstockes als glücklicher Sieger einzöge. Schade nur, daſs die Cercarien, so nannten die Zoologen die Thierchen im männlichen Zeugungsstoffe, gar keine Organe zum Beiſsen und überhaupt nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit den höheren Thieren haben, sondern aus einem kleinen vordern Knöpfchen und einem langen zugespitzten Anhange bestehen, ohne alle weitere Gliedmaſsen. Nach kurzem Flor wurde diese Hypothese daher auch vergessen und ruhte über ein halbes Jahrhundert, als in neuester Zeit zwei sehr genaue Beobachter, Prévost und Dumas, sie modificirt wieder ins Leben riefen, nach langen und sorgfältigen Untersuchungen der Saamenthierchen. „Nicht das ganze Huhn, oder das Rind wird aus der Cercarie gebildet”, sagten sie, „sondern nur das Nervensystem, das Uebrige wächst dann aus dem weib- lichen Zeugungsstoffe hinzu.” In der That hat das Rückenmark, vereint mit dem d. Ob die Nachkom- men schon in den Ael- tern lebten?

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/15>, abgerufen am 21.11.2024.