Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Dass die Hirnwindungen nur ein Ausdruck des starken Wachsthums sind,
welchem der Schädel nicht rasch genug folgt, ist augenscheinlich. Daher sind
im Wasserkopfe die Windungen nicht als ausgeglättet durch das Wasser zu be-
trachten, sie sind vielmehr nie da gewesen und es kann sowohl zu grosse Anfül-
lung des Hirnes mit Flüssigkeit, als zu grosse Nachgiebigkeit der Hirndecken
daran Schuld seyn.

Durch die starke Einknickung scheint mir auch die Brücke zu entstehen.
Ich glaube nicht, dass, wie man gewöhnlich angiebt, Fasern von beiden Seiten
zusammenlaufen, um durch ihre Verwachsung diesen Theil zu bilden. Vielmehr
sah ich, dass in der Gegend, wo die Brücke werden soll, bei der ungemein
scharfen Einknickung zwischen dem Nachhirn und Hinterhirn (Medulla ob-
longata
und Cerebellum) Hirnsubstanz nach unten vorgedrängt wird, zu
einer Zeit wo man noch keine deutliche Faserung erkennt, und dass diese Faserung
erst allmählig entsteht, indem die vorgedrängte Substanz in die Faserung des klei-
nen Hirnes übergeht und also eine queere Richtung hat, über dieser Stelle aber
die Faserung der Rückenmarkstränge sich fortsetzt. Was die Bildung des Bal-
kens anlangt, so ist die gewöhnliche Angabe ganz richtig, dass er eine lange Zeit
sehr kurz ist und ganz vorn liegt, als ob bloss das vordere Knie da wäre, und
dass er seine Faserung erst erhält, wenn die Fasern der Seitenwand (des Stabkran-
zes) sich bilden, allein es wachsen nicht die Fasern von beiden Seiten zusam-
men. Bis dahin ist überhaupt der vordere Theil der Hemisphären sehr kurz.
Das nämlich ist noch eine Eigenthümlichkeit des Säugethierhirnes, dass von den
Hemisphären Anfangs der hintere Theil schneller wächst als der vordere und erst
später dieser stärker sich entwickelt; die höchste Hirnform, die des Menschen,
erhält ihren Vorzug eben durch die stärkere und länger ausdauernde Entwickelung
der vordern Region des Hirnes, welche die Gegend der Stirn einnimmt.

Um nun auf die Entstehung des Balkens zurückzukommen, so könnte man,
wie es nach meinen Untersuchungen schien, fast mit demselben Rechte ihn einen
ursprünglichen als einen später hinzugekommenen Theil nennen. Allerdings
nämlich ist die ursprüngliche mittlere Einsenkung die erste Veranlassung des
Balkens, allein ganz unmittelbar doch nur für das vorderste Ende, wo er vor
und unter dem vordern Knie durch den grauen Hügel an das Gewölbe sich an-
schliesst. Das Gewölbe nämlich halte ich unzweifelhaft für einen ursprünglichen
Theil, für die Grenze zwischen der Höhlung des Zwischenhirnes (dem dritten
Ventrikel) und den beiden Höhlungen des Vorderhirnes (den beiden Seitenven-
trikeln). Diese Grenze wird äusserlich jederseits durch eine gekrümmte Furche
und innerlich durch einen Vorsprung bezeichnet. Man sieht ihn am Hühnchen

II. E e

Daſs die Hirnwindungen nur ein Ausdruck des starken Wachsthums sind,
welchem der Schädel nicht rasch genug folgt, ist augenscheinlich. Daher sind
im Wasserkopfe die Windungen nicht als ausgeglättet durch das Wasser zu be-
trachten, sie sind vielmehr nie da gewesen und es kann sowohl zu groſse Anfül-
lung des Hirnes mit Flüssigkeit, als zu groſse Nachgiebigkeit der Hirndecken
daran Schuld seyn.

Durch die starke Einknickung scheint mir auch die Brücke zu entstehen.
Ich glaube nicht, daſs, wie man gewöhnlich angiebt, Fasern von beiden Seiten
zusammenlaufen, um durch ihre Verwachsung diesen Theil zu bilden. Vielmehr
sah ich, daſs in der Gegend, wo die Brücke werden soll, bei der ungemein
scharfen Einknickung zwischen dem Nachhirn und Hinterhirn (Medulla ob-
longata
und Cerebellum) Hirnsubstanz nach unten vorgedrängt wird, zu
einer Zeit wo man noch keine deutliche Faserung erkennt, und daſs diese Faserung
erst allmählig entsteht, indem die vorgedrängte Substanz in die Faserung des klei-
nen Hirnes übergeht und also eine queere Richtung hat, über dieser Stelle aber
die Faserung der Rückenmarkstränge sich fortsetzt. Was die Bildung des Bal-
kens anlangt, so ist die gewöhnliche Angabe ganz richtig, daſs er eine lange Zeit
sehr kurz ist und ganz vorn liegt, als ob bloſs das vordere Knie da wäre, und
daſs er seine Faserung erst erhält, wenn die Fasern der Seitenwand (des Stabkran-
zes) sich bilden, allein es wachsen nicht die Fasern von beiden Seiten zusam-
men. Bis dahin ist überhaupt der vordere Theil der Hemisphären sehr kurz.
Das nämlich ist noch eine Eigenthümlichkeit des Säugethierhirnes, daſs von den
Hemisphären Anfangs der hintere Theil schneller wächst als der vordere und erst
später dieser stärker sich entwickelt; die höchste Hirnform, die des Menschen,
erhält ihren Vorzug eben durch die stärkere und länger ausdauernde Entwickelung
der vordern Region des Hirnes, welche die Gegend der Stirn einnimmt.

Um nun auf die Entstehung des Balkens zurückzukommen, so könnte man,
wie es nach meinen Untersuchungen schien, fast mit demselben Rechte ihn einen
ursprünglichen als einen später hinzugekommenen Theil nennen. Allerdings
nämlich ist die ursprüngliche mittlere Einsenkung die erste Veranlassung des
Balkens, allein ganz unmittelbar doch nur für das vorderste Ende, wo er vor
und unter dem vordern Knie durch den grauen Hügel an das Gewölbe sich an-
schlieſst. Das Gewölbe nämlich halte ich unzweifelhaft für einen ursprünglichen
Theil, für die Grenze zwischen der Höhlung des Zwischenhirnes (dem dritten
Ventrikel) und den beiden Höhlungen des Vorderhirnes (den beiden Seitenven-
trikeln). Diese Grenze wird äuſserlich jederseits durch eine gekrümmte Furche
und innerlich durch einen Vorsprung bezeichnet. Man sieht ihn am Hühnchen

II. E e
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0227" n="217"/>
          <p>Da&#x017F;s die Hirnwindungen nur ein Ausdruck des starken Wachsthums sind,<lb/>
welchem der Schädel nicht rasch genug folgt, ist augenscheinlich. Daher sind<lb/>
im Wasserkopfe die Windungen nicht als ausgeglättet durch das Wasser zu be-<lb/>
trachten, sie sind vielmehr nie da gewesen und es kann sowohl zu gro&#x017F;se Anfül-<lb/>
lung des Hirnes mit Flüssigkeit, als zu gro&#x017F;se Nachgiebigkeit der Hirndecken<lb/>
daran Schuld seyn.</p><lb/>
          <p>Durch die starke Einknickung scheint mir auch die Brücke zu entstehen.<lb/>
Ich glaube nicht, da&#x017F;s, wie man gewöhnlich angiebt, Fasern von beiden Seiten<lb/>
zusammenlaufen, um durch ihre Verwachsung diesen Theil zu bilden. Vielmehr<lb/>
sah ich, da&#x017F;s in der Gegend, wo die Brücke werden soll, bei der ungemein<lb/>
scharfen Einknickung zwischen dem Nachhirn und Hinterhirn (<hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Medulla ob-<lb/>
longata</hi></hi> und <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Cerebellum</hi></hi>) Hirnsubstanz nach unten vorgedrängt wird, zu<lb/>
einer Zeit wo man noch keine deutliche Faserung erkennt, und da&#x017F;s diese Faserung<lb/>
erst allmählig entsteht, indem die vorgedrängte Substanz in die Faserung des klei-<lb/>
nen Hirnes übergeht und also eine queere Richtung hat, über dieser Stelle aber<lb/>
die Faserung der Rückenmarkstränge sich fortsetzt. Was die Bildung des Bal-<lb/>
kens anlangt, so ist die gewöhnliche Angabe ganz richtig, da&#x017F;s er eine lange Zeit<lb/>
sehr kurz ist und ganz vorn liegt, als ob blo&#x017F;s das vordere Knie da wäre, und<lb/>
da&#x017F;s er seine Faserung erst erhält, wenn die Fasern der Seitenwand (des Stabkran-<lb/>
zes) sich bilden, allein es wachsen nicht die Fasern von beiden Seiten zusam-<lb/>
men. Bis dahin ist überhaupt der vordere Theil der Hemisphären sehr kurz.<lb/>
Das nämlich ist noch eine Eigenthümlichkeit des Säugethierhirnes, da&#x017F;s von den<lb/>
Hemisphären Anfangs der hintere Theil schneller wächst als der vordere und erst<lb/>
später dieser stärker sich entwickelt; die höchste Hirnform, die des Menschen,<lb/>
erhält ihren Vorzug eben durch die stärkere und länger ausdauernde Entwickelung<lb/>
der vordern Region des Hirnes, welche die Gegend der Stirn einnimmt.</p><lb/>
          <p>Um nun auf die Entstehung des Balkens zurückzukommen, so könnte man,<lb/>
wie es nach meinen Untersuchungen schien, fast mit demselben Rechte ihn einen<lb/>
ursprünglichen als einen später hinzugekommenen Theil nennen. Allerdings<lb/>
nämlich ist die ursprüngliche mittlere Einsenkung die erste Veranlassung des<lb/>
Balkens, allein ganz unmittelbar doch nur für das vorderste Ende, wo er vor<lb/>
und unter dem vordern Knie durch den grauen Hügel an das Gewölbe sich an-<lb/>
schlie&#x017F;st. Das Gewölbe nämlich halte ich unzweifelhaft für einen ursprünglichen<lb/>
Theil, für die Grenze zwischen der Höhlung des Zwischenhirnes (dem dritten<lb/>
Ventrikel) und den beiden Höhlungen des Vorderhirnes (den beiden Seitenven-<lb/>
trikeln). Diese Grenze wird äu&#x017F;serlich jederseits durch eine gekrümmte Furche<lb/>
und innerlich durch einen Vorsprung bezeichnet. Man sieht ihn am Hühnchen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i">II.</hi> E e</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0227] Daſs die Hirnwindungen nur ein Ausdruck des starken Wachsthums sind, welchem der Schädel nicht rasch genug folgt, ist augenscheinlich. Daher sind im Wasserkopfe die Windungen nicht als ausgeglättet durch das Wasser zu be- trachten, sie sind vielmehr nie da gewesen und es kann sowohl zu groſse Anfül- lung des Hirnes mit Flüssigkeit, als zu groſse Nachgiebigkeit der Hirndecken daran Schuld seyn. Durch die starke Einknickung scheint mir auch die Brücke zu entstehen. Ich glaube nicht, daſs, wie man gewöhnlich angiebt, Fasern von beiden Seiten zusammenlaufen, um durch ihre Verwachsung diesen Theil zu bilden. Vielmehr sah ich, daſs in der Gegend, wo die Brücke werden soll, bei der ungemein scharfen Einknickung zwischen dem Nachhirn und Hinterhirn (Medulla ob- longata und Cerebellum) Hirnsubstanz nach unten vorgedrängt wird, zu einer Zeit wo man noch keine deutliche Faserung erkennt, und daſs diese Faserung erst allmählig entsteht, indem die vorgedrängte Substanz in die Faserung des klei- nen Hirnes übergeht und also eine queere Richtung hat, über dieser Stelle aber die Faserung der Rückenmarkstränge sich fortsetzt. Was die Bildung des Bal- kens anlangt, so ist die gewöhnliche Angabe ganz richtig, daſs er eine lange Zeit sehr kurz ist und ganz vorn liegt, als ob bloſs das vordere Knie da wäre, und daſs er seine Faserung erst erhält, wenn die Fasern der Seitenwand (des Stabkran- zes) sich bilden, allein es wachsen nicht die Fasern von beiden Seiten zusam- men. Bis dahin ist überhaupt der vordere Theil der Hemisphären sehr kurz. Das nämlich ist noch eine Eigenthümlichkeit des Säugethierhirnes, daſs von den Hemisphären Anfangs der hintere Theil schneller wächst als der vordere und erst später dieser stärker sich entwickelt; die höchste Hirnform, die des Menschen, erhält ihren Vorzug eben durch die stärkere und länger ausdauernde Entwickelung der vordern Region des Hirnes, welche die Gegend der Stirn einnimmt. Um nun auf die Entstehung des Balkens zurückzukommen, so könnte man, wie es nach meinen Untersuchungen schien, fast mit demselben Rechte ihn einen ursprünglichen als einen später hinzugekommenen Theil nennen. Allerdings nämlich ist die ursprüngliche mittlere Einsenkung die erste Veranlassung des Balkens, allein ganz unmittelbar doch nur für das vorderste Ende, wo er vor und unter dem vordern Knie durch den grauen Hügel an das Gewölbe sich an- schlieſst. Das Gewölbe nämlich halte ich unzweifelhaft für einen ursprünglichen Theil, für die Grenze zwischen der Höhlung des Zwischenhirnes (dem dritten Ventrikel) und den beiden Höhlungen des Vorderhirnes (den beiden Seitenven- trikeln). Diese Grenze wird äuſserlich jederseits durch eine gekrümmte Furche und innerlich durch einen Vorsprung bezeichnet. Man sieht ihn am Hühnchen II. E e

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/227
Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/227>, abgerufen am 24.11.2024.