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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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Wer Säugethier-Embryonen in diesem Zustande, besonders von solchen
Thieren, deren Männchen eine sehr lange Ruthe erhalten sollen, wie die Huf-
thiere, mit ansehnlichem, hervorstehendem, hakenförmig gekrümmtem Gliede
sieht, wird, selbst wenn er darauf vorbereitet ist, sich kaum enthalten können,
sie alle für Männchen zu halten. Dennoch ist das Geschlecht noch nicht kennt-
lich und Sie errathen gewiss, dass in den Weibchen aus dem vorragenden Theile
der Kitzler wird. -- So ist es in der That. Das Glied richtet sich aus seiner
gekrümmen Stellung entweder immer mehr nach vorn und wird die Ruthe, oder
es richtet sich noch mehr nach hinten und wird der Kitzler. Diesen scharfen Ge-
gensatz sieht man freilich nun in Säugethieren, deren Ruthe im ausgebildeten Zu-
stande der Länge nach in einer Scheide unter dem Bauche liegt. Hier legt sich
das Glied allmählig ganz an den Bauch an und wird von beiden Seiten durch die
Haut überwachsen, wobei das Glied ausserordentlich rasch sich verlängert. Vor-
her aber verwachsen die beiden Falten, die die Harn- und Geschlechtsspalte bil-
den, mit einander, und aus der Spalte wird dadurch ein Kanal, der nur am Ende
offen bleibt. So kommt also die Harn- und Geschlechtsöffnung im männlichen
Geschlechte an die Spitze der Ruthe, und Sie sehen leicht, dass das Gefässge-
flecht der Harnröhre (das Corpus cavernosum urethrae) aus den beiden
Falten und deren Basis längs der Furche sich bildet, die beiden Gefässkörper der
Ruthe (Corpora cavernosa penis) dagegen schon in dem Gliede waren,
wie sie denn auch dem weiblichen Gliede nicht fehlen.

Die Bildung der Ruthe ist in andern Thieren im Wesentlichen dieselbe, nur
scheint sie in denjenigen Säugethieren, wo sie im ausgebildeten Zustande die
Spize nach hinten gerichtet hat, wie in sehr vielen Nagern, schon in der ge-
krümmten Stellung eine Scheide zu erhalten, und dann erst an die Bauchwand
sich anzulegen, wo dann eine mehr ausgebildete Hautdecke die Scheide mit ein-
schliessen würde *). Diess wäre um so mehr eine Art von Zurückbleiben in der-
jenigen Metamorphose, die wir an Hufthieren bemerken, als auch bei diesen,
wenn die Ruthe sich an den Bauch gelegt hat und von der Scheide umwachsen
ist, die Eichel noch lange herausragt und nach hinten gerichtet ist. Erst in der
letzten Zeit des Embryonenlebens zieht sich die Eichel zurück und verlängert sich
innerhalb der Scheide. Da die Scheide unterdessen schon ein ausgebildetes Ge-
webe erhalten hat und nicht mehr aus formlosem Bildungsstoffe besteht, so ver-
wächst sie nicht mehr mit dem vordern Ende der Ruthe, sondern diese zieht die

*) So scheint es mir wenigstens an Kaninchen. In Embryonen von 2 Zoll Länge ist die Ruthe
noch frei und mit einer Haut-Decke verschen.

Wer Säugethier-Embryonen in diesem Zustande, besonders von solchen
Thieren, deren Männchen eine sehr lange Ruthe erhalten sollen, wie die Huf-
thiere, mit ansehnlichem, hervorstehendem, hakenförmig gekrümmtem Gliede
sieht, wird, selbst wenn er darauf vorbereitet ist, sich kaum enthalten können,
sie alle für Männchen zu halten. Dennoch ist das Geschlecht noch nicht kennt-
lich und Sie errathen gewiſs, daſs in den Weibchen aus dem vorragenden Theile
der Kitzler wird. — So ist es in der That. Das Glied richtet sich aus seiner
gekrümmen Stellung entweder immer mehr nach vorn und wird die Ruthe, oder
es richtet sich noch mehr nach hinten und wird der Kitzler. Diesen scharfen Ge-
gensatz sieht man freilich nun in Säugethieren, deren Ruthe im ausgebildeten Zu-
stande der Länge nach in einer Scheide unter dem Bauche liegt. Hier legt sich
das Glied allmählig ganz an den Bauch an und wird von beiden Seiten durch die
Haut überwachsen, wobei das Glied auſserordentlich rasch sich verlängert. Vor-
her aber verwachsen die beiden Falten, die die Harn- und Geschlechtsspalte bil-
den, mit einander, und aus der Spalte wird dadurch ein Kanal, der nur am Ende
offen bleibt. So kommt also die Harn- und Geschlechtsöffnung im männlichen
Geschlechte an die Spitze der Ruthe, und Sie sehen leicht, daſs das Gefäſsge-
flecht der Harnröhre (das Corpus cavernosum urethrae) aus den beiden
Falten und deren Basis längs der Furche sich bildet, die beiden Gefäſskörper der
Ruthe (Corpora cavernosa penis) dagegen schon in dem Gliede waren,
wie sie denn auch dem weiblichen Gliede nicht fehlen.

Die Bildung der Ruthe ist in andern Thieren im Wesentlichen dieselbe, nur
scheint sie in denjenigen Säugethieren, wo sie im ausgebildeten Zustande die
Spize nach hinten gerichtet hat, wie in sehr vielen Nagern, schon in der ge-
krümmten Stellung eine Scheide zu erhalten, und dann erst an die Bauchwand
sich anzulegen, wo dann eine mehr ausgebildete Hautdecke die Scheide mit ein-
schlieſsen würde *). Dieſs wäre um so mehr eine Art von Zurückbleiben in der-
jenigen Metamorphose, die wir an Hufthieren bemerken, als auch bei diesen,
wenn die Ruthe sich an den Bauch gelegt hat und von der Scheide umwachsen
ist, die Eichel noch lange herausragt und nach hinten gerichtet ist. Erst in der
letzten Zeit des Embryonenlebens zieht sich die Eichel zurück und verlängert sich
innerhalb der Scheide. Da die Scheide unterdessen schon ein ausgebildetes Ge-
webe erhalten hat und nicht mehr aus formlosem Bildungsstoffe besteht, so ver-
wächst sie nicht mehr mit dem vordern Ende der Ruthe, sondern diese zieht die

*) So scheint es mir wenigstens an Kaninchen. In Embryonen von 2 Zoll Länge ist die Ruthe
noch frei und mit einer Haut-Decke verschen.
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[223/0233] Wer Säugethier-Embryonen in diesem Zustande, besonders von solchen Thieren, deren Männchen eine sehr lange Ruthe erhalten sollen, wie die Huf- thiere, mit ansehnlichem, hervorstehendem, hakenförmig gekrümmtem Gliede sieht, wird, selbst wenn er darauf vorbereitet ist, sich kaum enthalten können, sie alle für Männchen zu halten. Dennoch ist das Geschlecht noch nicht kennt- lich und Sie errathen gewiſs, daſs in den Weibchen aus dem vorragenden Theile der Kitzler wird. — So ist es in der That. Das Glied richtet sich aus seiner gekrümmen Stellung entweder immer mehr nach vorn und wird die Ruthe, oder es richtet sich noch mehr nach hinten und wird der Kitzler. Diesen scharfen Ge- gensatz sieht man freilich nun in Säugethieren, deren Ruthe im ausgebildeten Zu- stande der Länge nach in einer Scheide unter dem Bauche liegt. Hier legt sich das Glied allmählig ganz an den Bauch an und wird von beiden Seiten durch die Haut überwachsen, wobei das Glied auſserordentlich rasch sich verlängert. Vor- her aber verwachsen die beiden Falten, die die Harn- und Geschlechtsspalte bil- den, mit einander, und aus der Spalte wird dadurch ein Kanal, der nur am Ende offen bleibt. So kommt also die Harn- und Geschlechtsöffnung im männlichen Geschlechte an die Spitze der Ruthe, und Sie sehen leicht, daſs das Gefäſsge- flecht der Harnröhre (das Corpus cavernosum urethrae) aus den beiden Falten und deren Basis längs der Furche sich bildet, die beiden Gefäſskörper der Ruthe (Corpora cavernosa penis) dagegen schon in dem Gliede waren, wie sie denn auch dem weiblichen Gliede nicht fehlen. Die Bildung der Ruthe ist in andern Thieren im Wesentlichen dieselbe, nur scheint sie in denjenigen Säugethieren, wo sie im ausgebildeten Zustande die Spize nach hinten gerichtet hat, wie in sehr vielen Nagern, schon in der ge- krümmten Stellung eine Scheide zu erhalten, und dann erst an die Bauchwand sich anzulegen, wo dann eine mehr ausgebildete Hautdecke die Scheide mit ein- schlieſsen würde *). Dieſs wäre um so mehr eine Art von Zurückbleiben in der- jenigen Metamorphose, die wir an Hufthieren bemerken, als auch bei diesen, wenn die Ruthe sich an den Bauch gelegt hat und von der Scheide umwachsen ist, die Eichel noch lange herausragt und nach hinten gerichtet ist. Erst in der letzten Zeit des Embryonenlebens zieht sich die Eichel zurück und verlängert sich innerhalb der Scheide. Da die Scheide unterdessen schon ein ausgebildetes Ge- webe erhalten hat und nicht mehr aus formlosem Bildungsstoffe besteht, so ver- wächst sie nicht mehr mit dem vordern Ende der Ruthe, sondern diese zieht die *) So scheint es mir wenigstens an Kaninchen. In Embryonen von 2 Zoll Länge ist die Ruthe noch frei und mit einer Haut-Decke verschen.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/233>, abgerufen am 21.11.2024.