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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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sehr gross und hohl sey und die Sehnerven deutlich aus ihnen entsprängen *).
Ihnen folgten Serres, Desmoulins und überhaupt die meisten neuern Zooto-
men Deutschlands und Frankreichs. Erst ganz neuerlich haben Cuvier und
Gottsche die ältere Hallersche Ansicht verfochten, nach welcher dieser Theil
das grosse Hirn wäre, wobei sie mit Recht darauf aufmerksam machten, dass
zwischen dem was sie grosses Hirn nennen, und dem kleinen, noch ein Theil, von
ersterem überdeckt, liege, der für die Vierhügelmasse gehalten zu werden ver-
diene **).

Seit einer Reihe von Jahren, seitdem ich nämlich die entschiedene Selbst-
ständigkeit der dritten Hirnhöhle (des Zwischenhirnes) im Embryo des Hühn-
chens gesehen und seine Ueberdeckung durch das Vorderhirn verfolgt habe,
konnte ich nicht umhin, jene Abtheilung im Fischhirne für das nicht unter-
drückte, sondern zur Entwickelung gekommene Zwischenhirn anzusehen, die
Riechganglien aber für das Vorderhirn, den überdeckten Theil für den Vierhü-
gel oder das Zwischenhirn. Wenn man nämlich die Hirnhaut zwischen dem
kleinen Hirn und der fraglichen mittlern Anschwellung abtrennt, so lässt sich
die letztere ohne alle Verletzung nach vorn zurückschlagen und man sieht nun
einen verdeckten Abschnitt zwischen beiden, der in den meisten Fischen sogar
vier Anschwellungen zeigt, wie der Vierhügel anderer Thiere. Auch liegen die
Anschwellungen nicht unmittelbar auf den untern Strängen des Rückenmarkes
auf, sondern sie bilden ein Gewölbe, unter welchem die Höhlung des kleinen
Hirnes mit der Höhlung der zurückgeschlagenen Hirnmasse, die wir der dritten
Hirnhöhle anderer Thiere gleichsetzen, communicirt. Dieser Gang wäre also
in jeder Hinsicht mit der Sylvischen Wasserleitung übereinstimmend. In der zu-
rückgeschlagenen Abtheilung finden wir zwei etwas gewundene Ganglien. Ca-
rus
und seine Nachfolger erklären sie für Ganglien des Vierhügels, weil dessen
Decke sich hier so stark entwickelt habe, Cuvier für die Streifenhügel. Allein

*) Der Ursprung der Sehnerven spricht mehr noch für meine Ansicht, da er ursprünglich in kei-
nem Thiere mit dem Mittelhirne Gemeinschaft hat. Dass man die erste Bildungsweise der Seh-
nerven nicht kannte, hat auf alle Arbeiten über das Hirn seit Gall einen unberechenbaren
Einfluss gehabt.
**) Ich habe im ersten Bande nachdrücklich auf die Selbstständigkeit und ursprüngliche Voll-
ständigkeit dieser Abtheilung aufmerksam gemacht. Man scheint aber noch gar nicht erkannt
zu haben, welcher Einfluss dieses Verhältniss auf die Theorie des Hirnbaues haben muss. Des-
wegen habe ich es jetzt vorgezogen, gleich die morphologischen Elemente des Hirnes mit eige-
nen Namen zu belegen, wie ich sie seit zehn Jahren in Vorträgen gebraucht habe. Der Aus-
druck gewinnt durch dieselbe hoffentlich an Bestimmtheit und Verständlichkeit.
II. Q q

sehr groſs und hohl sey und die Sehnerven deutlich aus ihnen entsprängen *).
Ihnen folgten Serres, Desmoulins und überhaupt die meisten neuern Zooto-
men Deutschlands und Frankreichs. Erst ganz neuerlich haben Cuvier und
Gottsche die ältere Hallersche Ansicht verfochten, nach welcher dieser Theil
das groſse Hirn wäre, wobei sie mit Recht darauf aufmerksam machten, daſs
zwischen dem was sie groſses Hirn nennen, und dem kleinen, noch ein Theil, von
ersterem überdeckt, liege, der für die Vierhügelmasse gehalten zu werden ver-
diene **).

Seit einer Reihe von Jahren, seitdem ich nämlich die entschiedene Selbst-
ständigkeit der dritten Hirnhöhle (des Zwischenhirnes) im Embryo des Hühn-
chens gesehen und seine Ueberdeckung durch das Vorderhirn verfolgt habe,
konnte ich nicht umhin, jene Abtheilung im Fischhirne für das nicht unter-
drückte, sondern zur Entwickelung gekommene Zwischenhirn anzusehen, die
Riechganglien aber für das Vorderhirn, den überdeckten Theil für den Vierhü-
gel oder das Zwischenhirn. Wenn man nämlich die Hirnhaut zwischen dem
kleinen Hirn und der fraglichen mittlern Anschwellung abtrennt, so läſst sich
die letztere ohne alle Verletzung nach vorn zurückschlagen und man sieht nun
einen verdeckten Abschnitt zwischen beiden, der in den meisten Fischen sogar
vier Anschwellungen zeigt, wie der Vierhügel anderer Thiere. Auch liegen die
Anschwellungen nicht unmittelbar auf den untern Strängen des Rückenmarkes
auf, sondern sie bilden ein Gewölbe, unter welchem die Höhlung des kleinen
Hirnes mit der Höhlung der zurückgeschlagenen Hirnmasse, die wir der dritten
Hirnhöhle anderer Thiere gleichsetzen, communicirt. Dieser Gang wäre also
in jeder Hinsicht mit der Sylvischen Wasserleitung übereinstimmend. In der zu-
rückgeschlagenen Abtheilung finden wir zwei etwas gewundene Ganglien. Ca-
rus
und seine Nachfolger erklären sie für Ganglien des Vierhügels, weil dessen
Decke sich hier so stark entwickelt habe, Cuvier für die Streifenhügel. Allein

*) Der Ursprung der Sehnerven spricht mehr noch für meine Ansicht, da er ursprünglich in kei-
nem Thiere mit dem Mittelhirne Gemeinschaft hat. Daſs man die erste Bildungsweise der Seh-
nerven nicht kannte, hat auf alle Arbeiten über das Hirn seit Gall einen unberechenbaren
Einfluſs gehabt.
**) Ich habe im ersten Bande nachdrücklich auf die Selbstständigkeit und ursprüngliche Voll-
ständigkeit dieser Abtheilung aufmerksam gemacht. Man scheint aber noch gar nicht erkannt
zu haben, welcher Einfluſs dieses Verhältniſs auf die Theorie des Hirnbaues haben muſs. Des-
wegen habe ich es jetzt vorgezogen, gleich die morphologischen Elemente des Hirnes mit eige-
nen Namen zu belegen, wie ich sie seit zehn Jahren in Vorträgen gebraucht habe. Der Aus-
druck gewinnt durch dieselbe hoffentlich an Bestimmtheit und Verständlichkeit.
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[305/0315] sehr groſs und hohl sey und die Sehnerven deutlich aus ihnen entsprängen *). Ihnen folgten Serres, Desmoulins und überhaupt die meisten neuern Zooto- men Deutschlands und Frankreichs. Erst ganz neuerlich haben Cuvier und Gottsche die ältere Hallersche Ansicht verfochten, nach welcher dieser Theil das groſse Hirn wäre, wobei sie mit Recht darauf aufmerksam machten, daſs zwischen dem was sie groſses Hirn nennen, und dem kleinen, noch ein Theil, von ersterem überdeckt, liege, der für die Vierhügelmasse gehalten zu werden ver- diene **). Seit einer Reihe von Jahren, seitdem ich nämlich die entschiedene Selbst- ständigkeit der dritten Hirnhöhle (des Zwischenhirnes) im Embryo des Hühn- chens gesehen und seine Ueberdeckung durch das Vorderhirn verfolgt habe, konnte ich nicht umhin, jene Abtheilung im Fischhirne für das nicht unter- drückte, sondern zur Entwickelung gekommene Zwischenhirn anzusehen, die Riechganglien aber für das Vorderhirn, den überdeckten Theil für den Vierhü- gel oder das Zwischenhirn. Wenn man nämlich die Hirnhaut zwischen dem kleinen Hirn und der fraglichen mittlern Anschwellung abtrennt, so läſst sich die letztere ohne alle Verletzung nach vorn zurückschlagen und man sieht nun einen verdeckten Abschnitt zwischen beiden, der in den meisten Fischen sogar vier Anschwellungen zeigt, wie der Vierhügel anderer Thiere. Auch liegen die Anschwellungen nicht unmittelbar auf den untern Strängen des Rückenmarkes auf, sondern sie bilden ein Gewölbe, unter welchem die Höhlung des kleinen Hirnes mit der Höhlung der zurückgeschlagenen Hirnmasse, die wir der dritten Hirnhöhle anderer Thiere gleichsetzen, communicirt. Dieser Gang wäre also in jeder Hinsicht mit der Sylvischen Wasserleitung übereinstimmend. In der zu- rückgeschlagenen Abtheilung finden wir zwei etwas gewundene Ganglien. Ca- rus und seine Nachfolger erklären sie für Ganglien des Vierhügels, weil dessen Decke sich hier so stark entwickelt habe, Cuvier für die Streifenhügel. Allein *) Der Ursprung der Sehnerven spricht mehr noch für meine Ansicht, da er ursprünglich in kei- nem Thiere mit dem Mittelhirne Gemeinschaft hat. Daſs man die erste Bildungsweise der Seh- nerven nicht kannte, hat auf alle Arbeiten über das Hirn seit Gall einen unberechenbaren Einfluſs gehabt. **) Ich habe im ersten Bande nachdrücklich auf die Selbstständigkeit und ursprüngliche Voll- ständigkeit dieser Abtheilung aufmerksam gemacht. Man scheint aber noch gar nicht erkannt zu haben, welcher Einfluſs dieses Verhältniſs auf die Theorie des Hirnbaues haben muſs. Des- wegen habe ich es jetzt vorgezogen, gleich die morphologischen Elemente des Hirnes mit eige- nen Namen zu belegen, wie ich sie seit zehn Jahren in Vorträgen gebraucht habe. Der Aus- druck gewinnt durch dieselbe hoffentlich an Bestimmtheit und Verständlichkeit. II. Q q

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/315>, abgerufen am 22.11.2024.