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Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912].

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Aber vielleicht ist diese Forderung des Wahlrechtes für alle
Frauen, so sehr die Verkörperung der absoluten, idealen Gerechtigkeit,
daß wir um ihretwillen selbst das Unmögliche versuchen, das scheinbar
Unerreichbare erstreben müssen?

Wie sieht es denn nun mit der vielgerühmten Gerechtigkeit des
allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, die von den
Verfechtern des § 3 immer als einer der Hauptgründe für die Bei-
behaltung der Forderung dieses Wahlrechts angeführt wird, in Wirklich-
keit aus? Für den Reichstag haben wir es ja und desto länger wir es
haben, desto mehr, glaube ich, kann man sich der Wahrheit nicht ver-
schließen, daß es weit davon entfernt ist, ein wirklich ideal gerechtes
Gesetz zu sein.

Gewiß, es ist ganz zweifellos besser als viele der anderen, und es
hat viel für sich, daß jeder Mann event. jede Frau, ausgenommen Ver-
brecher usw., seine Stimme abgeben darf; aber bei jeder Arbeit strebt
man heutzutage über ungelernte Quantitätsarbeit hinaus und hinauf zur
Qualitätsarbeit, aber bei diesem Wahlgesetz tritt nur die Quantität
in die Erscheinung.

Die Stimme jedes dummen, unreifen Burschen gilt genau so viel,
wie die des ernsten denkenden Mannes, jedes laffigen Gecken wie die des
self-made man, der sich durch eigene Tüchtigkeit emporgearbeitet hat!
Jeder Schreier hat fast noch mehr Macht, als der, der sein ganzes
Leben und Arbeiten vielleicht auf sozial-ökonomische Studien eingestellt
hat - der Tagelöhner, Handwerker, Kleinbürger, dessen Gesichtskreis
und Denken nicht hinausragt über die eigenen 4 Pfähle - sie haben
dasselbe Recht, wie z. B. der "königliche" Kaufmann, dessen Blick die
ganze Welt umspannt, dessen Wort den Weltmarkt beherrscht - heißt
das nicht ungerecht sein gegen den reifen, denkenden Vollmenschen?
Gewiß wird jeder die Worte des Pfarrers Fischer-Berlin unterschreiben:
"Bildung und Besitz geben niemals Rechte ohne größere Pflichten, die
an ihnen gewonnenen Kräfte umzusetzen in Werte für das Gesamt-
leben des Volkes
!"

Aber sollten nicht größere Pflichten auch größere Rechte im Gefolge
haben, wenn man ganz gerecht sein will?

Ferner hat man doch wieder bei den letzten Wahlen gesehen, daß
sehr große Minderheiten durch eine ganz kleine Mehrheit, die auch noch
das reine Zufallsergebnis sein kann - vollkommen lahm gelegt werden -
wo bleibt denn da die Gerechtigkeit gegen diese Minderheiten, die doch
zweifellos auch Wichtiges und Wertvolles zu bieten haben? Jst man
nicht auch dabei der Quantität gerecht geworden auf Kosten der

Aber vielleicht ist diese Forderung des Wahlrechtes für alle
Frauen, so sehr die Verkörperung der absoluten, idealen Gerechtigkeit,
daß wir um ihretwillen selbst das Unmögliche versuchen, das scheinbar
Unerreichbare erstreben müssen?

Wie sieht es denn nun mit der vielgerühmten Gerechtigkeit des
allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, die von den
Verfechtern des § 3 immer als einer der Hauptgründe für die Bei-
behaltung der Forderung dieses Wahlrechts angeführt wird, in Wirklich-
keit aus? Für den Reichstag haben wir es ja und desto länger wir es
haben, desto mehr, glaube ich, kann man sich der Wahrheit nicht ver-
schließen, daß es weit davon entfernt ist, ein wirklich ideal gerechtes
Gesetz zu sein.

Gewiß, es ist ganz zweifellos besser als viele der anderen, und es
hat viel für sich, daß jeder Mann event. jede Frau, ausgenommen Ver-
brecher usw., seine Stimme abgeben darf; aber bei jeder Arbeit strebt
man heutzutage über ungelernte Quantitätsarbeit hinaus und hinauf zur
Qualitätsarbeit, aber bei diesem Wahlgesetz tritt nur die Quantität
in die Erscheinung.

Die Stimme jedes dummen, unreifen Burschen gilt genau so viel,
wie die des ernsten denkenden Mannes, jedes laffigen Gecken wie die des
self-made man, der sich durch eigene Tüchtigkeit emporgearbeitet hat!
Jeder Schreier hat fast noch mehr Macht, als der, der sein ganzes
Leben und Arbeiten vielleicht auf sozial-ökonomische Studien eingestellt
hat – der Tagelöhner, Handwerker, Kleinbürger, dessen Gesichtskreis
und Denken nicht hinausragt über die eigenen 4 Pfähle – sie haben
dasselbe Recht, wie z. B. der „königliche“ Kaufmann, dessen Blick die
ganze Welt umspannt, dessen Wort den Weltmarkt beherrscht – heißt
das nicht ungerecht sein gegen den reifen, denkenden Vollmenschen?
Gewiß wird jeder die Worte des Pfarrers Fischer-Berlin unterschreiben:
„Bildung und Besitz geben niemals Rechte ohne größere Pflichten, die
an ihnen gewonnenen Kräfte umzusetzen in Werte für das Gesamt-
leben des Volkes
!“

Aber sollten nicht größere Pflichten auch größere Rechte im Gefolge
haben, wenn man ganz gerecht sein will?

Ferner hat man doch wieder bei den letzten Wahlen gesehen, daß
sehr große Minderheiten durch eine ganz kleine Mehrheit, die auch noch
das reine Zufallsergebnis sein kann – vollkommen lahm gelegt werden –
wo bleibt denn da die Gerechtigkeit gegen diese Minderheiten, die doch
zweifellos auch Wichtiges und Wertvolles zu bieten haben? Jst man
nicht auch dabei der Quantität gerecht geworden auf Kosten der

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[10/0009] Aber vielleicht ist diese Forderung des Wahlrechtes für alle Frauen, so sehr die Verkörperung der absoluten, idealen Gerechtigkeit, daß wir um ihretwillen selbst das Unmögliche versuchen, das scheinbar Unerreichbare erstreben müssen? Wie sieht es denn nun mit der vielgerühmten Gerechtigkeit des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, die von den Verfechtern des § 3 immer als einer der Hauptgründe für die Bei- behaltung der Forderung dieses Wahlrechts angeführt wird, in Wirklich- keit aus? Für den Reichstag haben wir es ja und desto länger wir es haben, desto mehr, glaube ich, kann man sich der Wahrheit nicht ver- schließen, daß es weit davon entfernt ist, ein wirklich ideal gerechtes Gesetz zu sein. Gewiß, es ist ganz zweifellos besser als viele der anderen, und es hat viel für sich, daß jeder Mann event. jede Frau, ausgenommen Ver- brecher usw., seine Stimme abgeben darf; aber bei jeder Arbeit strebt man heutzutage über ungelernte Quantitätsarbeit hinaus und hinauf zur Qualitätsarbeit, aber bei diesem Wahlgesetz tritt nur die Quantität in die Erscheinung. Die Stimme jedes dummen, unreifen Burschen gilt genau so viel, wie die des ernsten denkenden Mannes, jedes laffigen Gecken wie die des self-made man, der sich durch eigene Tüchtigkeit emporgearbeitet hat! Jeder Schreier hat fast noch mehr Macht, als der, der sein ganzes Leben und Arbeiten vielleicht auf sozial-ökonomische Studien eingestellt hat – der Tagelöhner, Handwerker, Kleinbürger, dessen Gesichtskreis und Denken nicht hinausragt über die eigenen 4 Pfähle – sie haben dasselbe Recht, wie z. B. der „königliche“ Kaufmann, dessen Blick die ganze Welt umspannt, dessen Wort den Weltmarkt beherrscht – heißt das nicht ungerecht sein gegen den reifen, denkenden Vollmenschen? Gewiß wird jeder die Worte des Pfarrers Fischer-Berlin unterschreiben: „Bildung und Besitz geben niemals Rechte ohne größere Pflichten, die an ihnen gewonnenen Kräfte umzusetzen in Werte für das Gesamt- leben des Volkes!“ Aber sollten nicht größere Pflichten auch größere Rechte im Gefolge haben, wenn man ganz gerecht sein will? Ferner hat man doch wieder bei den letzten Wahlen gesehen, daß sehr große Minderheiten durch eine ganz kleine Mehrheit, die auch noch das reine Zufallsergebnis sein kann – vollkommen lahm gelegt werden – wo bleibt denn da die Gerechtigkeit gegen diese Minderheiten, die doch zweifellos auch Wichtiges und Wertvolles zu bieten haben? Jst man nicht auch dabei der Quantität gerecht geworden auf Kosten der

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-05T18:44:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-05T18:44:52Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912], S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahnson_satzungen_1912/9>, abgerufen am 24.11.2024.