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Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.

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Justine (ärgerlich). Komm mir nicht wieder mit
deinem Fatalismus!
Fidelis. Du möchtest bloß auf einen Knopf drücken
können, um das Schicksal zu haben, genau wie du's
befiehlst. Der ist aber noch nicht erfunden.
Justine (heftig). Ich bin bloß nicht so schlapp
wie du!
Fidelis. Du nennst schlapp, wenn man nicht gegen
das Leben schwimmt. Stromaufwärts sieht's freilich
heroischer aus. Stromabwärts aber kommt man weiter.
Justine (heftig). Es handelt sich doch darum, wohin
man will!
Fidelis. Darauf lege ich nicht so viel Gewicht. Es
ist schließlich überall ganz schön! Und Titanide bin
ich keiner.
Justine. Was ist das eigentlich, ein Titanide?
Fidelis (lustig). Das was du bist. Mit Kohlen-
großgrundbesitz und zehn Pfennigen Rente bei jedem
Atemzug.
Luz (noch draußen unsichtbar; aufgeregt rufend). Fidl,
denk dir nur -- (Reißt die Türe links vom Glasschrank
auf und stürzt herein; einundzwanzig Jahre; groß, noch schlank,
wenn man ihr auch ansieht, daß sie bald stark werden wird;
Blondine, blasses, unregelmäßiges, lebhaft bewegtes Gesicht,
mit großen erschrockenen blauen Augen, einer kurzen, schmalen,
zitterigen Nase und einem kleinen runden Mund, der immer
offen und meistens unbeweglich bleibt; mit wirklicher, aber eher
einer amerikanischen Eleganz gekleidet; sie kommt jetzt aus
dem Auto wie eine fliegende Wolke von wehenden Schleiern,
aus denen sie sich erst allmählich herauswickelt; atemlos.)

Juſtine (aͤrgerlich). Komm mir nicht wieder mit
deinem Fatalismus!
Fidelis. Du möchteſt bloß auf einen Knopf drücken
können, um das Schickſal zu haben, genau wie du's
befiehlſt. Der iſt aber noch nicht erfunden.
Juſtine (heftig). Ich bin bloß nicht ſo ſchlapp
wie du!
Fidelis. Du nennſt ſchlapp, wenn man nicht gegen
das Leben ſchwimmt. Stromaufwärts ſieht's freilich
heroiſcher aus. Stromabwärts aber kommt man weiter.
Juſtine (heftig). Es handelt ſich doch darum, wohin
man will!
Fidelis. Darauf lege ich nicht ſo viel Gewicht. Es
iſt ſchließlich überall ganz ſchön! Und Titanide bin
ich keiner.
Juſtine. Was iſt das eigentlich, ein Titanide?
Fidelis (luſtig). Das was du biſt. Mit Kohlen-
großgrundbeſitz und zehn Pfennigen Rente bei jedem
Atemzug.
Luz (noch draußen unſichtbar; aufgeregt rufend). Fidl,
denk dir nur — (Reißt die Tuͤre links vom Glasſchrank
auf und ſtuͤrzt herein; einundzwanzig Jahre; groß, noch ſchlank,
wenn man ihr auch anſieht, daß ſie bald ſtark werden wird;
Blondine, blaſſes, unregelmaͤßiges, lebhaft bewegtes Geſicht,
mit großen erſchrockenen blauen Augen, einer kurzen, ſchmalen,
zitterigen Naſe und einem kleinen runden Mund, der immer
offen und meiſtens unbeweglich bleibt; mit wirklicher, aber eher
einer amerikaniſchen Eleganz gekleidet; ſie kommt jetzt aus
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aus denen ſie ſich erſt allmaͤhlich herauswickelt; atemlos.)

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[38/0041] Juſtine (aͤrgerlich). Komm mir nicht wieder mit deinem Fatalismus! Fidelis. Du möchteſt bloß auf einen Knopf drücken können, um das Schickſal zu haben, genau wie du's befiehlſt. Der iſt aber noch nicht erfunden. Juſtine (heftig). Ich bin bloß nicht ſo ſchlapp wie du! Fidelis. Du nennſt ſchlapp, wenn man nicht gegen das Leben ſchwimmt. Stromaufwärts ſieht's freilich heroiſcher aus. Stromabwärts aber kommt man weiter. Juſtine (heftig). Es handelt ſich doch darum, wohin man will! Fidelis. Darauf lege ich nicht ſo viel Gewicht. Es iſt ſchließlich überall ganz ſchön! Und Titanide bin ich keiner. Juſtine. Was iſt das eigentlich, ein Titanide? Fidelis (luſtig). Das was du biſt. Mit Kohlen- großgrundbeſitz und zehn Pfennigen Rente bei jedem Atemzug. Luz (noch draußen unſichtbar; aufgeregt rufend). Fidl, denk dir nur — (Reißt die Tuͤre links vom Glasſchrank auf und ſtuͤrzt herein; einundzwanzig Jahre; groß, noch ſchlank, wenn man ihr auch anſieht, daß ſie bald ſtark werden wird; Blondine, blaſſes, unregelmaͤßiges, lebhaft bewegtes Geſicht, mit großen erſchrockenen blauen Augen, einer kurzen, ſchmalen, zitterigen Naſe und einem kleinen runden Mund, der immer offen und meiſtens unbeweglich bleibt; mit wirklicher, aber eher einer amerikaniſchen Eleganz gekleidet; ſie kommt jetzt aus dem Auto wie eine fliegende Wolke von wehenden Schleiern, aus denen ſie ſich erſt allmaͤhlich herauswickelt; atemlos.)

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Zitationshilfe: Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/41>, abgerufen am 29.03.2024.