Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite
Luz (heftig, aber nicht laut). Wozu? Du kannst mir
nichts sagen, was ich mir nicht alles schon selbst ge-
sagt hätte. Das weiß ich alles selbst! Das bringt uns
nicht weiter, das hilft mir alles nichts, mir ist nicht
mehr zu helfen! (Geht zum ersten Fenster links; nach einer
kleinen Pause, ruhig.)
Oder kannst du dir vorstellen, daß
ein Mensch etwas tut, was durch sein ganzes Wesen
völlig ausgeschlossen ist?
Fidelis. Das kommt alle Tage vor.
Luz (den Ton wechselnd; leicht gereizt, ungeduldig). Fidl,
ich bitte dich! Sei jetzt nicht, sei nicht überlegen und
(sie betont das nächste Wort mit großer Bitterkeit) philo-
sophisch! Denn wenn du mir jetzt nicht hilfst, dann, dann
-- (sie nimmt ihr Taschentuch, steckt es in den Mund und
beißt daran, um nicht zu weinen; als sie soweit ist, daß sie
wieder sprechen kann, hat ihre Stimme einen fast trotzigen
und höhnischen Ton)
dann ist's eben aus, das wird
ja vielleicht das Beste sein, ich wünsche mir nur, es wär
schon so weit! (Jetzt mit ganz ruhiger klarer Stimme.) Es
gab Stunden in diesen letzten Tagen, da war ich bereit,
ein Ende zu machen. (Bitter.) Vielleicht findest du
wieder, daß auch das alle Tage vorkommt. (Den Ton
wechselnd; langsamer, ganz leise.)
Und wenn ich es nicht
tat, das war nicht Feigheit. Es gehörte vielleicht mehr
Mut dazu, es nicht zu tun. Und nur (mit ganz leiser, in
Tränen erstickender Stimme)
nur deinetwegen! Du hast
mir so leid getan! (Wendet sich ab und tritt ganz dicht
an das erste Fenster, still weinend.)
Fidelis (nach einer Pause, in der er sie still weinen läßt;
leise vor sich hin, innig).
Arme kleine Luz!
Luz (heftig, aber nicht laut). Wozu? Du kannſt mir
nichts ſagen, was ich mir nicht alles ſchon ſelbſt ge-
ſagt hätte. Das weiß ich alles ſelbſt! Das bringt uns
nicht weiter, das hilft mir alles nichts, mir iſt nicht
mehr zu helfen! (Geht zum erſten Fenſter links; nach einer
kleinen Pauſe, ruhig.)
Oder kannſt du dir vorſtellen, daß
ein Menſch etwas tut, was durch ſein ganzes Weſen
völlig ausgeſchloſſen iſt?
Fidelis. Das kommt alle Tage vor.
Luz (den Ton wechſelnd; leicht gereizt, ungeduldig). Fidl,
ich bitte dich! Sei jetzt nicht, ſei nicht überlegen und
(ſie betont das naͤchſte Wort mit großer Bitterkeit) philo-
ſophiſch! Denn wenn du mir jetzt nicht hilfſt, dann, dann
(ſie nimmt ihr Taſchentuch, ſteckt es in den Mund und
beißt daran, um nicht zu weinen; als ſie ſoweit iſt, daß ſie
wieder ſprechen kann, hat ihre Stimme einen faſt trotzigen
und hoͤhniſchen Ton)
dann iſt's eben aus, das wird
ja vielleicht das Beſte ſein, ich wünſche mir nur, es wär
ſchon ſo weit! (Jetzt mit ganz ruhiger klarer Stimme.) Es
gab Stunden in dieſen letzten Tagen, da war ich bereit,
ein Ende zu machen. (Bitter.) Vielleicht findeſt du
wieder, daß auch das alle Tage vorkommt. (Den Ton
wechſelnd; langſamer, ganz leiſe.)
Und wenn ich es nicht
tat, das war nicht Feigheit. Es gehörte vielleicht mehr
Mut dazu, es nicht zu tun. Und nur (mit ganz leiſer, in
Traͤnen erſtickender Stimme)
nur deinetwegen! Du haſt
mir ſo leid getan! (Wendet ſich ab und tritt ganz dicht
an das erſte Fenſter, ſtill weinend.)
Fidelis (nach einer Pauſe, in der er ſie ſtill weinen laͤßt;
leiſe vor ſich hin, innig).
Arme kleine Luz!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="act">
        <pb facs="#f0045" n="42"/>
        <sp who="#LUZ">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Luz</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(heftig, aber nicht laut).</stage>
          <p>Wozu? Du kann&#x017F;t mir<lb/>
nichts &#x017F;agen, was ich mir nicht alles &#x017F;chon &#x017F;elb&#x017F;t ge-<lb/>
&#x017F;agt hätte. Das weiß ich alles &#x017F;elb&#x017F;t! Das bringt uns<lb/>
nicht weiter, das hilft mir alles nichts, mir i&#x017F;t nicht<lb/>
mehr zu helfen! <stage>(Geht zum er&#x017F;ten Fen&#x017F;ter links; nach einer<lb/>
kleinen Pau&#x017F;e, ruhig.)</stage> Oder kann&#x017F;t du dir vor&#x017F;tellen, daß<lb/>
ein Men&#x017F;ch etwas tut, was durch &#x017F;ein ganzes We&#x017F;en<lb/>
völlig ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Das kommt alle Tage vor.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LUZ">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Luz</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(den Ton wech&#x017F;elnd; leicht gereizt, ungeduldig).</stage>
          <p>Fidl,<lb/>
ich bitte dich! Sei jetzt nicht, &#x017F;ei nicht überlegen und<lb/><stage>(&#x017F;ie betont das na&#x0364;ch&#x017F;te Wort mit großer Bitterkeit)</stage> philo-<lb/>
&#x017F;ophi&#x017F;ch! Denn wenn du mir jetzt nicht hilf&#x017F;t, dann, dann<lb/>
&#x2014; <stage>(&#x017F;ie nimmt ihr Ta&#x017F;chentuch, &#x017F;teckt es in den Mund und<lb/>
beißt daran, um nicht zu weinen; als &#x017F;ie &#x017F;oweit i&#x017F;t, daß &#x017F;ie<lb/>
wieder &#x017F;prechen kann, hat ihre Stimme einen fa&#x017F;t trotzigen<lb/>
und ho&#x0364;hni&#x017F;chen Ton)</stage> dann i&#x017F;t's eben aus, das wird<lb/>
ja vielleicht das Be&#x017F;te &#x017F;ein, ich wün&#x017F;che mir nur, es wär<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;o weit! <stage>(Jetzt mit ganz ruhiger klarer Stimme.)</stage> Es<lb/>
gab Stunden in die&#x017F;en letzten Tagen, da war ich bereit,<lb/>
ein Ende zu machen. <stage>(Bitter.)</stage> Vielleicht finde&#x017F;t du<lb/>
wieder, daß auch das alle Tage vorkommt. <stage>(Den Ton<lb/>
wech&#x017F;elnd; lang&#x017F;amer, ganz lei&#x017F;e.)</stage> Und wenn ich es nicht<lb/>
tat, das war nicht Feigheit. Es gehörte vielleicht mehr<lb/>
Mut dazu, es nicht zu tun. Und nur <stage>(mit ganz lei&#x017F;er, in<lb/>
Tra&#x0364;nen er&#x017F;tickender Stimme)</stage> nur deinetwegen! Du ha&#x017F;t<lb/>
mir &#x017F;o leid getan! <stage>(Wendet &#x017F;ich ab und tritt ganz dicht<lb/>
an das er&#x017F;te Fen&#x017F;ter, &#x017F;till weinend.)</stage></p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(nach einer Pau&#x017F;e, in der er &#x017F;ie &#x017F;till weinen la&#x0364;ßt;<lb/>
lei&#x017F;e vor &#x017F;ich hin, innig).</stage>
          <p>Arme kleine Luz!</p>
        </sp><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0045] Luz (heftig, aber nicht laut). Wozu? Du kannſt mir nichts ſagen, was ich mir nicht alles ſchon ſelbſt ge- ſagt hätte. Das weiß ich alles ſelbſt! Das bringt uns nicht weiter, das hilft mir alles nichts, mir iſt nicht mehr zu helfen! (Geht zum erſten Fenſter links; nach einer kleinen Pauſe, ruhig.) Oder kannſt du dir vorſtellen, daß ein Menſch etwas tut, was durch ſein ganzes Weſen völlig ausgeſchloſſen iſt? Fidelis. Das kommt alle Tage vor. Luz (den Ton wechſelnd; leicht gereizt, ungeduldig). Fidl, ich bitte dich! Sei jetzt nicht, ſei nicht überlegen und (ſie betont das naͤchſte Wort mit großer Bitterkeit) philo- ſophiſch! Denn wenn du mir jetzt nicht hilfſt, dann, dann — (ſie nimmt ihr Taſchentuch, ſteckt es in den Mund und beißt daran, um nicht zu weinen; als ſie ſoweit iſt, daß ſie wieder ſprechen kann, hat ihre Stimme einen faſt trotzigen und hoͤhniſchen Ton) dann iſt's eben aus, das wird ja vielleicht das Beſte ſein, ich wünſche mir nur, es wär ſchon ſo weit! (Jetzt mit ganz ruhiger klarer Stimme.) Es gab Stunden in dieſen letzten Tagen, da war ich bereit, ein Ende zu machen. (Bitter.) Vielleicht findeſt du wieder, daß auch das alle Tage vorkommt. (Den Ton wechſelnd; langſamer, ganz leiſe.) Und wenn ich es nicht tat, das war nicht Feigheit. Es gehörte vielleicht mehr Mut dazu, es nicht zu tun. Und nur (mit ganz leiſer, in Traͤnen erſtickender Stimme) nur deinetwegen! Du haſt mir ſo leid getan! (Wendet ſich ab und tritt ganz dicht an das erſte Fenſter, ſtill weinend.) Fidelis (nach einer Pauſe, in der er ſie ſtill weinen laͤßt; leiſe vor ſich hin, innig). Arme kleine Luz!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/45
Zitationshilfe: Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/45>, abgerufen am 03.12.2024.