trat zutage, die Potsdam mit Weimar und Weimar mit Potsdam in rührender Hysterie zu entschuldigen suchte. Das ewig Papierene wurde Ereignis. Dreiundneunzig In- tellektuelle bewiesen durch ein bombastisches Manifest, dass sie als Intellektuelle nicht mehr zu zählen sind. Die "Hannele"-Dichter kamen an den Tag und in die Hetz- presse. "So wie des Deutschen Vogel, der Aar, hoch über allem Getier dieser Erde schwebt, so soll der Deutsche sich erhaben fühlen über alles Gevölk, das ihn umgibt und das er unter sich in grenzenloser Tiefe erblickt" 1). Mentalitätler aller Gauen bemühten sich, der Weltlage gerecht zu werden. Leider, die Weltlage bekam ihnen schlecht. Nur mit ver- renkten Knochen und verdrehten Augen standen sie auf vom Prokrustesbett. Philistin- und Papierexistenzen gingen zu Dutzenden auf in Rauch und grotesker Spirale. Ich will hier nicht mit Zitaten aufwarten, die jedermann im Notiz- buch trägt. Es ist nicht die Zeit mehr, die Zeit auszu- schneiden. Wir wissen Bescheid. Es ist an der Zeit, Kon- sequenzen zu ziehen. Wen überrascht es noch, dass die Pastoren dem Blutrausch verfielen? Tanzten sie nicht von je um die Golgathastätten, auf denen die Menschheit ge- opfert wurde? Wen überrascht es noch, dass der deutsche Gelehrte in seinem Dünkel und Grössenwahn sich gedrun- gen fühlte, auch dort zu votieren, wo er nichts mehr ver- stand? Wenn man über die Balkanvölker zu sagen weiss, dass dort vor Zeiten Poseidon als Hengst und Bacchus als Bock spazierten 2): löst man damit die serbische Frage?
Dies Buch handelt von der deutschen Intelligenz, nicht von der deutschen Schildbürgerei. Es kann mir nicht daran gelegen sein, alle Entgleisungen, Ueberhebungen und Lächerlichkeiten meiner Landsleute aufzuzählen. Gewiss, deren Charakterologie wäre ein dankbares Thema. Auch die All- und Eintäglichkeit hat ihren geistigen Kontrapunkt. Karl Kraus, der apokalyptische Feind der "Journaille" hat ihn bewältigt 3). Man lese, ist man Oesterreicher oder
trat zutage, die Potsdam mit Weimar und Weimar mit Potsdam in rührender Hysterie zu entschuldigen suchte. Das ewig Papierene wurde Ereignis. Dreiundneunzig In- tellektuelle bewiesen durch ein bombastisches Manifest, dass sie als Intellektuelle nicht mehr zu zählen sind. Die „Hannele“-Dichter kamen an den Tag und in die Hetz- presse. „So wie des Deutschen Vogel, der Aar, hoch über allem Getier dieser Erde schwebt, so soll der Deutsche sich erhaben fühlen über alles Gevölk, das ihn umgibt und das er unter sich in grenzenloser Tiefe erblickt“ 1). Mentalitätler aller Gauen bemühten sich, der Weltlage gerecht zu werden. Leider, die Weltlage bekam ihnen schlecht. Nur mit ver- renkten Knochen und verdrehten Augen standen sie auf vom Prokrustesbett. Philistin- und Papierexistenzen gingen zu Dutzenden auf in Rauch und grotesker Spirale. Ich will hier nicht mit Zitaten aufwarten, die jedermann im Notiz- buch trägt. Es ist nicht die Zeit mehr, die Zeit auszu- schneiden. Wir wissen Bescheid. Es ist an der Zeit, Kon- sequenzen zu ziehen. Wen überrascht es noch, dass die Pastoren dem Blutrausch verfielen? Tanzten sie nicht von je um die Golgathastätten, auf denen die Menschheit ge- opfert wurde? Wen überrascht es noch, dass der deutsche Gelehrte in seinem Dünkel und Grössenwahn sich gedrun- gen fühlte, auch dort zu votieren, wo er nichts mehr ver- stand? Wenn man über die Balkanvölker zu sagen weiss, dass dort vor Zeiten Poseidon als Hengst und Bacchus als Bock spazierten 2): löst man damit die serbische Frage?
Dies Buch handelt von der deutschen Intelligenz, nicht von der deutschen Schildbürgerei. Es kann mir nicht daran gelegen sein, alle Entgleisungen, Ueberhebungen und Lächerlichkeiten meiner Landsleute aufzuzählen. Gewiss, deren Charakterologie wäre ein dankbares Thema. Auch die All- und Eintäglichkeit hat ihren geistigen Kontrapunkt. Karl Kraus, der apokalyptische Feind der „Journaille“ hat ihn bewältigt 3). Man lese, ist man Oesterreicher oder
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Das ewig Papierene wurde Ereignis. Dreiundneunzig In-
tellektuelle bewiesen durch ein bombastisches Manifest, dass
sie als Intellektuelle nicht mehr zu zählen sind. Die
„Hannele“-Dichter kamen an den Tag und in die Hetz-
presse. „So wie des Deutschen Vogel, der Aar, hoch über
allem Getier dieser Erde schwebt, so soll der Deutsche sich
erhaben fühlen über alles Gevölk, das ihn umgibt und das
er unter sich in grenzenloser Tiefe erblickt“
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. Mentalitätler
aller Gauen bemühten sich, der Weltlage gerecht zu werden.
Leider, die Weltlage bekam ihnen schlecht. Nur mit ver-
renkten Knochen und verdrehten Augen standen sie auf
vom Prokrustesbett. Philistin- und Papierexistenzen gingen
zu Dutzenden auf in Rauch und grotesker Spirale. Ich will
hier nicht mit Zitaten aufwarten, die jedermann im Notiz-
buch trägt. Es ist nicht die Zeit mehr, die Zeit auszu-
schneiden. Wir wissen Bescheid. Es ist an der Zeit, Kon-
sequenzen zu ziehen. Wen überrascht es noch, dass die
Pastoren dem Blutrausch verfielen? Tanzten sie nicht von
je um die Golgathastätten, auf denen die Menschheit ge-
opfert wurde? Wen überrascht es noch, dass der deutsche
Gelehrte in seinem Dünkel und Grössenwahn sich gedrun-
gen fühlte, auch dort zu votieren, wo er nichts mehr ver-
stand? Wenn man über die Balkanvölker zu sagen weiss,
dass dort vor Zeiten Poseidon als Hengst und Bacchus als
Bock spazierten
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: löst man damit die serbische Frage?
Dies Buch handelt von der deutschen Intelligenz, nicht
von der deutschen Schildbürgerei. Es kann mir nicht daran
gelegen sein, alle Entgleisungen, Ueberhebungen und
Lächerlichkeiten meiner Landsleute aufzuzählen. Gewiss,
deren Charakterologie wäre ein dankbares Thema. Auch
die All- und Eintäglichkeit hat ihren geistigen Kontrapunkt.
Karl Kraus, der apokalyptische Feind der „Journaille“ hat
ihn bewältigt
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. Man lese, ist man Oesterreicher oder
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/11>, abgerufen am 21.11.2024.
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