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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Naturbegriff des Genies: das Inkommensurable der Kunst 135).
Im Attachement an die Natur der fünf Sinne fand er die
physischen und sittlichen Urphänomene und deren Durch-
dringung; fand er das Licht und die Farbenlehre und jene
unio mystica mit der Sonne, die sich in seinem Todeswort
ausprägt: Mehr Licht.

Von hier kam die Romantik. Ein hieratisches Pandä-
monium von Liebe, Verehrung und Brüderbewusstsein. Zur
Dombauhütte des dritten Reiches ward die Romantik. Von
heiligem Geiste erfüllt schrieb Novalis den "Ofterdingen",
schrieb Beethoven den Satz: "Mir ist das geistige Reich
die oberste aller geistlichen und weltlichen Monarchien" 136) und an Cherubini das jubelnde Wort: "L'art unit tout
le monde" 137). Seine völkerverbindenden Rhythmen schwingen
sich auf gegen Gott zum Streit für die Verwahrlosten, Armen.
Gegen Gestirne und Schicksal tagt in extatischem Drängen
die christliche Revolution. Gut ist der Mensch, trotz allem.
Beethoven fordert das Paradies zurück für die Aermsten, an
denen gesündigt ist 138).

Novalis enthält eine ganze Renaissance des Christentums.
1799 erscheint im "Athenäum" der Brüder Schlegel sein
Essay "Die Christenheit oder Europa". Er weiss: "Luther
behandelte das Christentum willkürlich, verkannte seinen
Geist und führte einen anderen Buchstaben und eine andere
Religion ein. Höchst merkwürdig ist diese Geschichte des
modernen Unglaubens und gibt den Schlüssel zu allen un-
geheuren Phänomen der neueren Zeit. Wie, wem auch hier
wie in den Wissenschaften eine nähere und mannigfaltigere
Konnexion und Berührung der europäischen Staaten ...
eine neue Regung des bisher schlummernden Europa ins
Spiel käme, wenn Europa wieder erwachen wollte?" 139).
Eine Extase sublimierter Leidensfreude ist seine Religion.
Er liest "Wilhelm Meisters Lehrjahre" und findet verstimmt
das Vorbild Voltaires. "Es ist ein Candide, gegen die Poesie
gerichtet", schreibt er, "ein nobilitierter Roman. Das Wunder-

Naturbegriff des Genies: das Inkommensurable der Kunst 135).
Im Attachement an die Natur der fünf Sinne fand er die
physischen und sittlichen Urphänomene und deren Durch-
dringung; fand er das Licht und die Farbenlehre und jene
unio mystica mit der Sonne, die sich in seinem Todeswort
ausprägt: Mehr Licht.

Von hier kam die Romantik. Ein hieratisches Pandä-
monium von Liebe, Verehrung und Brüderbewusstsein. Zur
Dombauhütte des dritten Reiches ward die Romantik. Von
heiligem Geiste erfüllt schrieb Novalis den „Ofterdingen“,
schrieb Beethoven den Satz: „Mir ist das geistige Reich
die oberste aller geistlichen und weltlichen Monarchien“ 136) und an Cherubini das jubelnde Wort: „L'art unit tout
le monde“ 137). Seine völkerverbindenden Rhythmen schwingen
sich auf gegen Gott zum Streit für die Verwahrlosten, Armen.
Gegen Gestirne und Schicksal tagt in extatischem Drängen
die christliche Revolution. Gut ist der Mensch, trotz allem.
Beethoven fordert das Paradies zurück für die Aermsten, an
denen gesündigt ist 138).

Novalis enthält eine ganze Renaissance des Christentums.
1799 erscheint im „Athenäum“ der Brüder Schlegel sein
Essay „Die Christenheit oder Europa“. Er weiss: „Luther
behandelte das Christentum willkürlich, verkannte seinen
Geist und führte einen anderen Buchstaben und eine andere
Religion ein. Höchst merkwürdig ist diese Geschichte des
modernen Unglaubens und gibt den Schlüssel zu allen un-
geheuren Phänomen der neueren Zeit. Wie, wem auch hier
wie in den Wissenschaften eine nähere und mannigfaltigere
Konnexion und Berührung der europäischen Staaten ...
eine neue Regung des bisher schlummernden Europa ins
Spiel käme, wenn Europa wieder erwachen wollte?“ 139).
Eine Extase sublimierter Leidensfreude ist seine Religion.
Er liest „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und findet verstimmt
das Vorbild Voltaires. „Es ist ein Candide, gegen die Poesie
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[102/0110] Naturbegriff des Genies: das Inkommensurable der Kunst ¹³⁵⁾ . Im Attachement an die Natur der fünf Sinne fand er die physischen und sittlichen Urphänomene und deren Durch- dringung; fand er das Licht und die Farbenlehre und jene unio mystica mit der Sonne, die sich in seinem Todeswort ausprägt: Mehr Licht. Von hier kam die Romantik. Ein hieratisches Pandä- monium von Liebe, Verehrung und Brüderbewusstsein. Zur Dombauhütte des dritten Reiches ward die Romantik. Von heiligem Geiste erfüllt schrieb Novalis den „Ofterdingen“, schrieb Beethoven den Satz: „Mir ist das geistige Reich die oberste aller geistlichen und weltlichen Monarchien“ ¹³⁶⁾ und an Cherubini das jubelnde Wort: „L'art unit tout le monde“ ¹³⁷⁾ . Seine völkerverbindenden Rhythmen schwingen sich auf gegen Gott zum Streit für die Verwahrlosten, Armen. Gegen Gestirne und Schicksal tagt in extatischem Drängen die christliche Revolution. Gut ist der Mensch, trotz allem. Beethoven fordert das Paradies zurück für die Aermsten, an denen gesündigt ist ¹³⁸⁾ . Novalis enthält eine ganze Renaissance des Christentums. 1799 erscheint im „Athenäum“ der Brüder Schlegel sein Essay „Die Christenheit oder Europa“. Er weiss: „Luther behandelte das Christentum willkürlich, verkannte seinen Geist und führte einen anderen Buchstaben und eine andere Religion ein. Höchst merkwürdig ist diese Geschichte des modernen Unglaubens und gibt den Schlüssel zu allen un- geheuren Phänomen der neueren Zeit. Wie, wem auch hier wie in den Wissenschaften eine nähere und mannigfaltigere Konnexion und Berührung der europäischen Staaten ... eine neue Regung des bisher schlummernden Europa ins Spiel käme, wenn Europa wieder erwachen wollte?“ ¹³⁹⁾ . Eine Extase sublimierter Leidensfreude ist seine Religion. Er liest „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und findet verstimmt das Vorbild Voltaires. „Es ist ein Candide, gegen die Poesie gerichtet“, schreibt er, „ein nobilitierter Roman. Das Wunder-

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/110>, abgerufen am 23.11.2024.