Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

lehre seiner platten Servilität war er Lutheraner und Napo-
leonist, ohne Ahnung des Göttlichen, das er verhöhnte.

Macchiavellisten wurden sie alle. Friedrich II. war
Macchiavellist, und Fichte "legte sich auf das Studium
Macchiavells" 36). Hegel wollte "gleichsam der Macchiavell
Deutschlands" werden. Treitschke und Bismarck haben den
Macchiavellismus "erweitert". Nietzsche war Macchiavellist,
und Macchiavellist ist heute Herr Rathenau. Oberster
Grundsatz ist der individuelle und Staatsvorteil als Direk-
tive der Moral. Das Philosophie- und Kulturideal hält
zum Staate, indem es eine Idee als Abstraktum aufstellt
oder verhängt und Subordination verlangt. Der Staat wird
auf der lüsternen Willfährigkeit der Untertanen errichtet.
Der Wille zur Macht, der im Grunde nur identisch mit
der Ohnmacht ist, bedient sich der Lüge, der Hinterlist
und jeder Methode der Treulosigkeit, um zu Erfolg und
zum Ziel zu gelangen. Das ist die macchiavellistische Kon-
spiration der preussisch-deutschen Philosophie von Kant
bis zu Nietzsche. Alle zusammen aber sind theoretische
Epigonen der Renaissance, jener Epoche glanzvollen Rück-
falls ins Heidentum; alle zusammen arbeiten sie der
Despotie in die Hände, begünstigen sie das Reich des
verschlagenen apokalyptischen Tieres, mögen sie im Wappen
selbst die Freiheit und Emanzipation, die Revolte und das
Uebermenschentum auf den Fahnen tragen.

Noch Solovjew und Lecky sprechen von der "Ueber-
legenheit der Deutschen" auf dem Gebiete der rationalen
Philosophie. Solovjew im Kampfe gegen den slawophilen
Chauvinismus, den er zu demütigen hoffte 37). Lecky in
seiner "Geschichte der Aufklärung", die im übrigen eines
der schönsten Dokumente christlicher Gesinnung ist. Was
ist das aber für eine traurige Ueberlegenheit, die Gott zum
Menschen erniedrigt, um sich selbst zu erhöhen; die überall
zur Enttäuschung und Katastrophe führt, weil sie ihr Mass
verkennt, und die deshalb überall in die Bevormundung,

lehre seiner platten Servilität war er Lutheraner und Napo-
leonist, ohne Ahnung des Göttlichen, das er verhöhnte.

Macchiavellisten wurden sie alle. Friedrich II. war
Macchiavellist, und Fichte „legte sich auf das Studium
Macchiavells“ 36). Hegel wollte „gleichsam der Macchiavell
Deutschlands“ werden. Treitschke und Bismarck haben den
Macchiavellismus „erweitert“. Nietzsche war Macchiavellist,
und Macchiavellist ist heute Herr Rathenau. Oberster
Grundsatz ist der individuelle und Staatsvorteil als Direk-
tive der Moral. Das Philosophie- und Kulturideal hält
zum Staate, indem es eine Idee als Abstraktum aufstellt
oder verhängt und Subordination verlangt. Der Staat wird
auf der lüsternen Willfährigkeit der Untertanen errichtet.
Der Wille zur Macht, der im Grunde nur identisch mit
der Ohnmacht ist, bedient sich der Lüge, der Hinterlist
und jeder Methode der Treulosigkeit, um zu Erfolg und
zum Ziel zu gelangen. Das ist die macchiavellistische Kon-
spiration der preussisch-deutschen Philosophie von Kant
bis zu Nietzsche. Alle zusammen aber sind theoretische
Epigonen der Renaissance, jener Epoche glanzvollen Rück-
falls ins Heidentum; alle zusammen arbeiten sie der
Despotie in die Hände, begünstigen sie das Reich des
verschlagenen apokalyptischen Tieres, mögen sie im Wappen
selbst die Freiheit und Emanzipation, die Revolte und das
Uebermenschentum auf den Fahnen tragen.

Noch Solovjew und Lecky sprechen von der „Ueber-
legenheit der Deutschen“ auf dem Gebiete der rationalen
Philosophie. Solovjew im Kampfe gegen den slawophilen
Chauvinismus, den er zu demütigen hoffte 37). Lecky in
seiner „Geschichte der Aufklärung“, die im übrigen eines
der schönsten Dokumente christlicher Gesinnung ist. Was
ist das aber für eine traurige Ueberlegenheit, die Gott zum
Menschen erniedrigt, um sich selbst zu erhöhen; die überall
zur Enttäuschung und Katastrophe führt, weil sie ihr Mass
verkennt, und die deshalb überall in die Bevormundung,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0150" n="142"/>
lehre seiner platten Servilität war er Lutheraner und Napo-<lb/>
leonist, ohne Ahnung des Göttlichen, das er verhöhnte.</p><lb/>
          <p>Macchiavellisten wurden sie alle. Friedrich II. war<lb/>
Macchiavellist, und Fichte &#x201E;legte sich auf das Studium<lb/>
Macchiavells&#x201C; <note xml:id="id36c" next="id36c36c" place="end" n="36)"/>. Hegel wollte &#x201E;gleichsam der Macchiavell<lb/>
Deutschlands&#x201C; werden. Treitschke und Bismarck haben den<lb/>
Macchiavellismus &#x201E;erweitert&#x201C;. Nietzsche war Macchiavellist,<lb/>
und Macchiavellist ist heute Herr Rathenau. Oberster<lb/>
Grundsatz ist der individuelle und Staatsvorteil als Direk-<lb/>
tive der Moral. Das Philosophie- und Kulturideal hält<lb/>
zum Staate, indem es eine Idee als Abstraktum aufstellt<lb/>
oder verhängt und Subordination verlangt. Der Staat wird<lb/>
auf der lüsternen Willfährigkeit der Untertanen errichtet.<lb/>
Der Wille zur Macht, der im Grunde nur identisch mit<lb/>
der Ohnmacht ist, bedient sich der Lüge, der Hinterlist<lb/>
und jeder Methode der Treulosigkeit, um zu Erfolg und<lb/>
zum Ziel zu gelangen. Das ist die macchiavellistische Kon-<lb/>
spiration der preussisch-deutschen Philosophie von Kant<lb/>
bis zu Nietzsche. Alle zusammen aber sind theoretische<lb/>
Epigonen der Renaissance, jener Epoche glanzvollen Rück-<lb/>
falls ins Heidentum; alle zusammen arbeiten sie der<lb/>
Despotie in die Hände, begünstigen sie das Reich des<lb/>
verschlagenen apokalyptischen Tieres, mögen sie im Wappen<lb/>
selbst die Freiheit und Emanzipation, die Revolte und das<lb/>
Uebermenschentum auf den Fahnen tragen.</p><lb/>
          <p>Noch Solovjew und Lecky sprechen von der &#x201E;Ueber-<lb/>
legenheit der Deutschen&#x201C; auf dem Gebiete der rationalen<lb/>
Philosophie. Solovjew im Kampfe gegen den slawophilen<lb/>
Chauvinismus, den er zu demütigen hoffte <note xml:id="id37c" next="id37c37c" place="end" n="37)"/>. Lecky in<lb/>
seiner &#x201E;Geschichte der Aufklärung&#x201C;, die im übrigen eines<lb/>
der schönsten Dokumente christlicher Gesinnung ist. Was<lb/>
ist das aber für eine traurige Ueberlegenheit, die Gott zum<lb/>
Menschen erniedrigt, um sich selbst zu erhöhen; die überall<lb/>
zur Enttäuschung und Katastrophe führt, weil sie ihr Mass<lb/>
verkennt, und die deshalb überall in die Bevormundung,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0150] lehre seiner platten Servilität war er Lutheraner und Napo- leonist, ohne Ahnung des Göttlichen, das er verhöhnte. Macchiavellisten wurden sie alle. Friedrich II. war Macchiavellist, und Fichte „legte sich auf das Studium Macchiavells“ ³⁶⁾ . Hegel wollte „gleichsam der Macchiavell Deutschlands“ werden. Treitschke und Bismarck haben den Macchiavellismus „erweitert“. Nietzsche war Macchiavellist, und Macchiavellist ist heute Herr Rathenau. Oberster Grundsatz ist der individuelle und Staatsvorteil als Direk- tive der Moral. Das Philosophie- und Kulturideal hält zum Staate, indem es eine Idee als Abstraktum aufstellt oder verhängt und Subordination verlangt. Der Staat wird auf der lüsternen Willfährigkeit der Untertanen errichtet. Der Wille zur Macht, der im Grunde nur identisch mit der Ohnmacht ist, bedient sich der Lüge, der Hinterlist und jeder Methode der Treulosigkeit, um zu Erfolg und zum Ziel zu gelangen. Das ist die macchiavellistische Kon- spiration der preussisch-deutschen Philosophie von Kant bis zu Nietzsche. Alle zusammen aber sind theoretische Epigonen der Renaissance, jener Epoche glanzvollen Rück- falls ins Heidentum; alle zusammen arbeiten sie der Despotie in die Hände, begünstigen sie das Reich des verschlagenen apokalyptischen Tieres, mögen sie im Wappen selbst die Freiheit und Emanzipation, die Revolte und das Uebermenschentum auf den Fahnen tragen. Noch Solovjew und Lecky sprechen von der „Ueber- legenheit der Deutschen“ auf dem Gebiete der rationalen Philosophie. Solovjew im Kampfe gegen den slawophilen Chauvinismus, den er zu demütigen hoffte ³⁷⁾ . Lecky in seiner „Geschichte der Aufklärung“, die im übrigen eines der schönsten Dokumente christlicher Gesinnung ist. Was ist das aber für eine traurige Ueberlegenheit, die Gott zum Menschen erniedrigt, um sich selbst zu erhöhen; die überall zur Enttäuschung und Katastrophe führt, weil sie ihr Mass verkennt, und die deshalb überall in die Bevormundung,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/150
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/150>, abgerufen am 27.11.2024.