Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

besinnen auf die christliche Tradition, ein immer tieferes
Erfassen und Ausgestalten hoher christlicher Werte. Ich
spreche nicht vom Parade-Katholizismus und Prokatholikentum
der Geister zweiter und dritter Ordnung. Ich spreche von
jenem mächtigen Kathedralenbau einer christlichen Apologie,
die Frankreich von Chateaubriand, De Maistre und Lammenais
bis zu Charles Peguy, Andre Suares und der Pascal-Schule
Boutroux's, unabhängig von der Kirche zu immer mensch-
licherer und tieferer Symbolik führte, zu stets luzideren
und umfassenderen Gebilden, und zuletzt zu einem nationalen
Jeanne d'Arc-Kult von zartester Sublimität 39).

Sollte Cardinal Mercier Gegenpapst werden und eine
Kirche der christlichen Intelligenz begründen: -- eine seiner
ersten Massnahmen müsste sein, ein der neuen Zeit ent-
sprechendes Uebersetzungskollegium de propaganda fide
einzusetzen, dessen Aufgabe darin bestünde, die Universalität
der christlichen Renaissance ad oculos zu demonstrieren
und die in Bereitschaft stehende orientalische Kirche mit
der occidentalen wieder zu vereinen 40). Die Zeiten sind
reif. Ein gemeinsamer Glaube lebt auf. Jene deutschen
Prokatholiken aber, die ihre Sympathien und Erwartungen
während des Krieges zum kompromittierten päpstlichen
Stuhle Benedikts wanden, werden unter dieser Aegide weder
die grosse Rupture zwischen Gut und Böse vollziehen, von
der Frau Annette Kolb so begeistert spricht 41), noch die
soziale Civitas dei, die den erwähltesten Geistern so innig
am Herzen liegt 42). Sie werden nur der Reaktion dienen
und jener Verwesung in Christo, die das Postament des
heutigen Papsttums bildet.

Und um auch davon zu sprechen: Jede Theodizee,
die die Bestialität dieses Krieges als "Grimm Gottes" zu
defaitistischen und fatalistischen Zwecken benützt und damit
einerseits die Rebellion verhindern, anderseits eine Philo-
sophie des Irrationalen glaubt begründen zu können, ist
Mystifikation, nicht Mystik; sie anerkennt den Antichristen,

besinnen auf die christliche Tradition, ein immer tieferes
Erfassen und Ausgestalten hoher christlicher Werte. Ich
spreche nicht vom Parade-Katholizismus und Prokatholikentum
der Geister zweiter und dritter Ordnung. Ich spreche von
jenem mächtigen Kathedralenbau einer christlichen Apologie,
die Frankreich von Chateaubriand, De Maistre und Lammenais
bis zu Charles Péguy, André Suarès und der Pascal-Schule
Boutroux's, unabhängig von der Kirche zu immer mensch-
licherer und tieferer Symbolik führte, zu stets luzideren
und umfassenderen Gebilden, und zuletzt zu einem nationalen
Jeanne d'Arc-Kult von zartester Sublimität 39).

Sollte Cardinal Mercier Gegenpapst werden und eine
Kirche der christlichen Intelligenz begründen: — eine seiner
ersten Massnahmen müsste sein, ein der neuen Zeit ent-
sprechendes Uebersetzungskollegium de propaganda fide
einzusetzen, dessen Aufgabe darin bestünde, die Universalität
der christlichen Renaissance ad oculos zu demonstrieren
und die in Bereitschaft stehende orientalische Kirche mit
der occidentalen wieder zu vereinen 40). Die Zeiten sind
reif. Ein gemeinsamer Glaube lebt auf. Jene deutschen
Prokatholiken aber, die ihre Sympathien und Erwartungen
während des Krieges zum kompromittierten päpstlichen
Stuhle Benedikts wanden, werden unter dieser Aegide weder
die grosse Rupture zwischen Gut und Böse vollziehen, von
der Frau Annette Kolb so begeistert spricht 41), noch die
soziale Civitas dei, die den erwähltesten Geistern so innig
am Herzen liegt 42). Sie werden nur der Reaktion dienen
und jener Verwesung in Christo, die das Postament des
heutigen Papsttums bildet.

Und um auch davon zu sprechen: Jede Theodizee,
die die Bestialität dieses Krieges als „Grimm Gottes“ zu
defaitistischen und fatalistischen Zwecken benützt und damit
einerseits die Rebellion verhindern, anderseits eine Philo-
sophie des Irrationalen glaubt begründen zu können, ist
Mystifikation, nicht Mystik; sie anerkennt den Antichristen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0152" n="144"/>
besinnen auf die christliche Tradition, ein immer tieferes<lb/>
Erfassen und Ausgestalten hoher christlicher Werte. Ich<lb/>
spreche nicht vom Parade-Katholizismus und Prokatholikentum<lb/>
der Geister zweiter und dritter Ordnung. Ich spreche von<lb/>
jenem mächtigen Kathedralenbau einer christlichen Apologie,<lb/>
die Frankreich von Chateaubriand, De Maistre und Lammenais<lb/>
bis zu Charles Péguy, André Suarès und der Pascal-Schule<lb/>
Boutroux's, unabhängig von der Kirche zu immer mensch-<lb/>
licherer und tieferer Symbolik führte, zu stets luzideren<lb/>
und umfassenderen Gebilden, und zuletzt zu einem nationalen<lb/>
Jeanne d'Arc-Kult von zartester Sublimität <note xml:id="id39c" next="id39c39c" place="end" n="39)"/>.</p><lb/>
          <p>Sollte Cardinal Mercier Gegenpapst werden und eine<lb/>
Kirche der christlichen Intelligenz begründen: &#x2014; eine seiner<lb/>
ersten Massnahmen müsste sein, ein der neuen Zeit ent-<lb/>
sprechendes Uebersetzungskollegium de propaganda fide<lb/>
einzusetzen, dessen Aufgabe darin bestünde, die Universalität<lb/>
der christlichen Renaissance ad oculos zu demonstrieren<lb/>
und die in Bereitschaft stehende orientalische Kirche mit<lb/>
der occidentalen wieder zu vereinen <note xml:id="id40c" next="id40c40c" place="end" n="40)"/>. Die Zeiten sind<lb/>
reif. Ein gemeinsamer Glaube lebt auf. Jene deutschen<lb/>
Prokatholiken aber, die ihre Sympathien und Erwartungen<lb/>
während des Krieges zum kompromittierten päpstlichen<lb/>
Stuhle Benedikts wanden, werden unter dieser Aegide weder<lb/>
die grosse Rupture zwischen Gut und Böse vollziehen, von<lb/>
der Frau Annette Kolb so begeistert spricht <note xml:id="id41c" next="id41c41c" place="end" n="41)"/>, noch die<lb/>
soziale Civitas dei, die den erwähltesten Geistern so innig<lb/>
am Herzen liegt <note xml:id="id42c" next="id42c42c" place="end" n="42)"/>. Sie werden nur der Reaktion dienen<lb/>
und jener Verwesung in Christo, die das Postament des<lb/>
heutigen Papsttums bildet.</p><lb/>
          <p>Und um auch davon zu sprechen: Jede Theodizee,<lb/>
die die Bestialität dieses Krieges als &#x201E;Grimm Gottes&#x201C; zu<lb/>
defaitistischen und fatalistischen Zwecken benützt und damit<lb/>
einerseits die Rebellion verhindern, anderseits eine Philo-<lb/>
sophie des Irrationalen glaubt begründen zu können, ist<lb/>
Mystifikation, nicht Mystik; sie anerkennt den Antichristen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0152] besinnen auf die christliche Tradition, ein immer tieferes Erfassen und Ausgestalten hoher christlicher Werte. Ich spreche nicht vom Parade-Katholizismus und Prokatholikentum der Geister zweiter und dritter Ordnung. Ich spreche von jenem mächtigen Kathedralenbau einer christlichen Apologie, die Frankreich von Chateaubriand, De Maistre und Lammenais bis zu Charles Péguy, André Suarès und der Pascal-Schule Boutroux's, unabhängig von der Kirche zu immer mensch- licherer und tieferer Symbolik führte, zu stets luzideren und umfassenderen Gebilden, und zuletzt zu einem nationalen Jeanne d'Arc-Kult von zartester Sublimität ³⁹⁾ . Sollte Cardinal Mercier Gegenpapst werden und eine Kirche der christlichen Intelligenz begründen: — eine seiner ersten Massnahmen müsste sein, ein der neuen Zeit ent- sprechendes Uebersetzungskollegium de propaganda fide einzusetzen, dessen Aufgabe darin bestünde, die Universalität der christlichen Renaissance ad oculos zu demonstrieren und die in Bereitschaft stehende orientalische Kirche mit der occidentalen wieder zu vereinen ⁴⁰⁾ . Die Zeiten sind reif. Ein gemeinsamer Glaube lebt auf. Jene deutschen Prokatholiken aber, die ihre Sympathien und Erwartungen während des Krieges zum kompromittierten päpstlichen Stuhle Benedikts wanden, werden unter dieser Aegide weder die grosse Rupture zwischen Gut und Böse vollziehen, von der Frau Annette Kolb so begeistert spricht ⁴¹⁾ , noch die soziale Civitas dei, die den erwähltesten Geistern so innig am Herzen liegt ⁴²⁾ . Sie werden nur der Reaktion dienen und jener Verwesung in Christo, die das Postament des heutigen Papsttums bildet. Und um auch davon zu sprechen: Jede Theodizee, die die Bestialität dieses Krieges als „Grimm Gottes“ zu defaitistischen und fatalistischen Zwecken benützt und damit einerseits die Rebellion verhindern, anderseits eine Philo- sophie des Irrationalen glaubt begründen zu können, ist Mystifikation, nicht Mystik; sie anerkennt den Antichristen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/152
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/152>, abgerufen am 21.11.2024.