zu Magdeburg. Er war ein Schneider und wanderte sieben Jahre lang kreuz und quer durch Deutschland. 1830 soll er sich mit satirischen Versen an den sächsischen Tumulten beteiligt haben. Dann kam er nach Paris und lebte dort bis 1841. Seine "Garantien der Harmonie und Freiheit" (1842) enthalten die erste theoretische Begründung des deutschen Kommunismus und sind eines der hervorragendsten Dokumente der sozialistischen Literatur; sein "Evangelium der armen Sünder" (1845) eines der schönsten und rührend- sten Zeugnisse deutschen Geistes. Durch Wilhelm Weitling wurden Karl Marx sowohl wie Michael Bakunin mit dem Kommunismus bekannt, und Weitlings Name wird unver- gessen bleiben als edler Beweis dafür, dass der Sozialismus auch in seinen deutschen Anfängen keineswegs eine Interessen- politik, sondern ein hohes geistiges Ideal war.
Marx war noch Redaktor der "Rheinischen Zeitung", als er die Sätze schrieb: "Wo hätte die Bourgeoisie, ihre Philosophen und Schriftgelehrten eingerechnet, ein ähnliches Werk wie Weitlings "Garantien der Harmonie und Freiheit" in bezug auf die Emanzipation, die politische Emanzipation, aufzuweisen. Vergleicht man die nüchterne, kleinlaute Mittel- mässigkeit der deutschen Literatur mit diesem masslosen und brillanten literarischen Debut der deutschen Arbeiter; vergleicht man diese riesenhaften Kinderschuhe des Pro- letariats mit der Zwerghaftigkeit der ausgetretenen politischen Schuhe der Bourgeoisie, so muss man dem deutschen Aschenbrödel eine Athletengestalt prophezeien" 73). Friedrich Engels nannte Weitling den "einzigen deutschen Sozialisten, der wirklich etwas getan habe", und Bakunin schrieb, als er 1843 mit Herwegh nach Zürich kam, wo er nicht nur die "Garantien", sondern den eben aus Lausanne ein- getroffenen Weitling auch persönlich kennen lernte: "Man muss sich hüten, den Kosmopolitismus der Kommunisten mit dem des vorigen Jahrhunderts zu verwechseln. Der theoretische Kosmopolitismus des vorigen Jahrhunderts war
zu Magdeburg. Er war ein Schneider und wanderte sieben Jahre lang kreuz und quer durch Deutschland. 1830 soll er sich mit satirischen Versen an den sächsischen Tumulten beteiligt haben. Dann kam er nach Paris und lebte dort bis 1841. Seine „Garantien der Harmonie und Freiheit“ (1842) enthalten die erste theoretische Begründung des deutschen Kommunismus und sind eines der hervorragendsten Dokumente der sozialistischen Literatur; sein „Evangelium der armen Sünder“ (1845) eines der schönsten und rührend- sten Zeugnisse deutschen Geistes. Durch Wilhelm Weitling wurden Karl Marx sowohl wie Michael Bakunin mit dem Kommunismus bekannt, und Weitlings Name wird unver- gessen bleiben als edler Beweis dafür, dass der Sozialismus auch in seinen deutschen Anfängen keineswegs eine Interessen- politik, sondern ein hohes geistiges Ideal war.
Marx war noch Redaktor der „Rheinischen Zeitung“, als er die Sätze schrieb: „Wo hätte die Bourgeoisie, ihre Philosophen und Schriftgelehrten eingerechnet, ein ähnliches Werk wie Weitlings „Garantien der Harmonie und Freiheit“ in bezug auf die Emanzipation, die politische Emanzipation, aufzuweisen. Vergleicht man die nüchterne, kleinlaute Mittel- mässigkeit der deutschen Literatur mit diesem masslosen und brillanten literarischen Debut der deutschen Arbeiter; vergleicht man diese riesenhaften Kinderschuhe des Pro- letariats mit der Zwerghaftigkeit der ausgetretenen politischen Schuhe der Bourgeoisie, so muss man dem deutschen Aschenbrödel eine Athletengestalt prophezeien“ 73). Friedrich Engels nannte Weitling den „einzigen deutschen Sozialisten, der wirklich etwas getan habe“, und Bakunin schrieb, als er 1843 mit Herwegh nach Zürich kam, wo er nicht nur die „Garantien“, sondern den eben aus Lausanne ein- getroffenen Weitling auch persönlich kennen lernte: „Man muss sich hüten, den Kosmopolitismus der Kommunisten mit dem des vorigen Jahrhunderts zu verwechseln. Der theoretische Kosmopolitismus des vorigen Jahrhunderts war
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zu Magdeburg. Er war ein Schneider und wanderte sieben
Jahre lang kreuz und quer durch Deutschland. 1830 soll
er sich mit satirischen Versen an den sächsischen Tumulten
beteiligt haben. Dann kam er nach Paris und lebte dort
bis 1841. Seine „Garantien der Harmonie und Freiheit“
(1842) enthalten die erste theoretische Begründung des
deutschen Kommunismus und sind eines der hervorragendsten
Dokumente der sozialistischen Literatur; sein „Evangelium
der armen Sünder“ (1845) eines der schönsten und rührend-
sten Zeugnisse deutschen Geistes. Durch Wilhelm Weitling
wurden Karl Marx sowohl wie Michael Bakunin mit dem
Kommunismus bekannt, und Weitlings Name wird unver-
gessen bleiben als edler Beweis dafür, dass der Sozialismus
auch in seinen deutschen Anfängen keineswegs eine Interessen-
politik, sondern ein hohes geistiges Ideal war.
Marx war noch Redaktor der „Rheinischen Zeitung“,
als er die Sätze schrieb: „Wo hätte die Bourgeoisie, ihre
Philosophen und Schriftgelehrten eingerechnet, ein ähnliches
Werk wie Weitlings „Garantien der Harmonie und Freiheit“
in bezug auf die Emanzipation, die politische Emanzipation,
aufzuweisen. Vergleicht man die nüchterne, kleinlaute Mittel-
mässigkeit der deutschen Literatur mit diesem masslosen
und brillanten literarischen Debut der deutschen Arbeiter;
vergleicht man diese riesenhaften Kinderschuhe des Pro-
letariats mit der Zwerghaftigkeit der ausgetretenen politischen
Schuhe der Bourgeoisie, so muss man dem deutschen
Aschenbrödel eine Athletengestalt prophezeien“
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. Friedrich
Engels nannte Weitling den „einzigen deutschen Sozialisten,
der wirklich etwas getan habe“, und Bakunin schrieb,
als er 1843 mit Herwegh nach Zürich kam, wo er nicht
nur die „Garantien“, sondern den eben aus Lausanne ein-
getroffenen Weitling auch persönlich kennen lernte: „Man
muss sich hüten, den Kosmopolitismus der Kommunisten
mit dem des vorigen Jahrhunderts zu verwechseln. Der
theoretische Kosmopolitismus des vorigen Jahrhunderts war
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/164>, abgerufen am 24.11.2024.
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