der eine materielle und geistige Katastrophe die ganze Nation bedroht; wo der Arbeiter aus Interesse ebenso schuldig wurde wie jeder andere Bürger, und aus den Betroffenen jeder Klasse ein neues Proletariat sich bildet, ein neues Verbrechertum und ein neuer Elendsabgrund. Was aber Weitling 1843 vom Evangelium der Kleriker sagte, gilt heute ebenso vom Sozialismus der Marxisten: "Wohl, ihr Herren, ihr habt es bewiesen, ihr habt ein Evangelium der Tyrannei, der Bedrückung und der Täuschung daraus gemacht, ich wollte eines der Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft, des Wissens, der Hoffnung und der Liebe daraus machen. Wenn jene sich irrten, so geschah es aus persönlichem Interesse; wenn ich mich irre, so ge- schieht es aus Liebe für die Menschheit. Meine Absicht ist bekannt und die Stellen, aus denen ich schöpfe, ange- merkt. Der Leser mag nun lesen, prüfen, urteilen und glauben, was er will" 93).
Aus dem zentralen Punkte der Bergpredigt kommen diese Sätze. Sie handeln vom "radikalen, revolutionären Christus", von der christlichen Republik 94). Vor dem Essäertum zerstäuben Nützlichkeit, Interesse, Staat, Despotie; zerstäuben Rassenhass und patriotische Lüge, "die den wütendsten Feinden des Fortschritts und der Freiheit aller zum letzten Notanker ihrer Irrtümer, zum Rettungsbalken ihrer Vorrechte dient". Für Deutschland ist es geschrieben, wenn Weitling sagt: "Welche Liebe kann heute wohl der zum sogenannten Vaterlande haben, der nichts darin zu verlieren hat, was er nicht in allen fremden Ländern wieder zu finden imstande ist"? Und ein deutsches Versprechen ist es, wenn Weitling seinen französischen Freunden in Aus- sicht stellt: "Ihr werdet in der Folge sehen, dass uns die Idee, aus der Welt ein Zuchthaus oder eine Kaserne machen zu wollen, anekelt. Ihr werdet sehen, dass wir nicht die persönliche Freiheit der allgemeinen Gleichheit zum Opfer bringen wollen, da es gerade dieser natürliche Freiheitstrieb
der eine materielle und geistige Katastrophe die ganze Nation bedroht; wo der Arbeiter aus Interesse ebenso schuldig wurde wie jeder andere Bürger, und aus den Betroffenen jeder Klasse ein neues Proletariat sich bildet, ein neues Verbrechertum und ein neuer Elendsabgrund. Was aber Weitling 1843 vom Evangelium der Kleriker sagte, gilt heute ebenso vom Sozialismus der Marxisten: „Wohl, ihr Herren, ihr habt es bewiesen, ihr habt ein Evangelium der Tyrannei, der Bedrückung und der Täuschung daraus gemacht, ich wollte eines der Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft, des Wissens, der Hoffnung und der Liebe daraus machen. Wenn jene sich irrten, so geschah es aus persönlichem Interesse; wenn ich mich irre, so ge- schieht es aus Liebe für die Menschheit. Meine Absicht ist bekannt und die Stellen, aus denen ich schöpfe, ange- merkt. Der Leser mag nun lesen, prüfen, urteilen und glauben, was er will“ 93).
Aus dem zentralen Punkte der Bergpredigt kommen diese Sätze. Sie handeln vom „radikalen, revolutionären Christus“, von der christlichen Republik 94). Vor dem Essäertum zerstäuben Nützlichkeit, Interesse, Staat, Despotie; zerstäuben Rassenhass und patriotische Lüge, „die den wütendsten Feinden des Fortschritts und der Freiheit aller zum letzten Notanker ihrer Irrtümer, zum Rettungsbalken ihrer Vorrechte dient“. Für Deutschland ist es geschrieben, wenn Weitling sagt: „Welche Liebe kann heute wohl der zum sogenannten Vaterlande haben, der nichts darin zu verlieren hat, was er nicht in allen fremden Ländern wieder zu finden imstande ist“? Und ein deutsches Versprechen ist es, wenn Weitling seinen französischen Freunden in Aus- sicht stellt: „Ihr werdet in der Folge sehen, dass uns die Idee, aus der Welt ein Zuchthaus oder eine Kaserne machen zu wollen, anekelt. Ihr werdet sehen, dass wir nicht die persönliche Freiheit der allgemeinen Gleichheit zum Opfer bringen wollen, da es gerade dieser natürliche Freiheitstrieb
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0171"n="163"/><lb/>
der eine materielle und geistige Katastrophe die ganze<lb/>
Nation bedroht; wo der Arbeiter aus Interesse ebenso<lb/>
schuldig wurde wie jeder andere Bürger, und aus den<lb/>
Betroffenen <hirendition="#i">jeder</hi> Klasse ein neues Proletariat sich bildet,<lb/>
ein neues Verbrechertum und ein neuer Elendsabgrund.<lb/>
Was aber Weitling 1843 vom Evangelium der Kleriker<lb/>
sagte, gilt heute ebenso vom Sozialismus der Marxisten:<lb/>„Wohl, ihr Herren, ihr habt es bewiesen, ihr habt ein<lb/>
Evangelium der Tyrannei, der Bedrückung und der Täuschung<lb/>
daraus gemacht, ich wollte eines der Freiheit, Gleichheit<lb/>
und Gemeinschaft, des Wissens, der Hoffnung und der<lb/>
Liebe daraus machen. Wenn jene sich irrten, so geschah<lb/>
es aus persönlichem Interesse; wenn ich mich irre, so ge-<lb/>
schieht es aus Liebe für die Menschheit. Meine Absicht<lb/>
ist bekannt und die Stellen, aus denen ich schöpfe, ange-<lb/>
merkt. Der Leser mag nun lesen, prüfen, urteilen und<lb/>
glauben, was er will“<notexml:id="id93c"next="id93c93c"place="end"n="93)"/>.</p><lb/><p>Aus dem zentralen Punkte der Bergpredigt kommen<lb/>
diese Sätze. Sie handeln vom „radikalen, revolutionären<lb/>
Christus“, von der christlichen Republik <notexml:id="id94c"next="id94c94c"place="end"n="94)"/>. Vor dem<lb/>
Essäertum zerstäuben Nützlichkeit, Interesse, Staat, Despotie;<lb/>
zerstäuben Rassenhass und patriotische Lüge, „die den<lb/>
wütendsten Feinden des Fortschritts und der Freiheit <hirendition="#i">aller</hi><lb/>
zum letzten Notanker ihrer Irrtümer, zum Rettungsbalken<lb/>
ihrer Vorrechte dient“. Für Deutschland ist es geschrieben,<lb/>
wenn Weitling sagt: „Welche Liebe kann heute wohl der<lb/>
zum sogenannten Vaterlande haben, der nichts darin zu<lb/>
verlieren hat, was er nicht in allen fremden Ländern wieder<lb/>
zu finden imstande ist“? Und ein deutsches Versprechen<lb/>
ist es, wenn Weitling seinen französischen Freunden in Aus-<lb/>
sicht stellt: „Ihr werdet in der Folge sehen, dass uns die<lb/>
Idee, aus der Welt ein Zuchthaus oder eine Kaserne machen<lb/>
zu wollen, anekelt. Ihr werdet sehen, dass wir nicht die<lb/>
persönliche Freiheit der allgemeinen Gleichheit zum Opfer<lb/>
bringen wollen, da es gerade dieser natürliche Freiheitstrieb<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[163/0171]
der eine materielle und geistige Katastrophe die ganze
Nation bedroht; wo der Arbeiter aus Interesse ebenso
schuldig wurde wie jeder andere Bürger, und aus den
Betroffenen jeder Klasse ein neues Proletariat sich bildet,
ein neues Verbrechertum und ein neuer Elendsabgrund.
Was aber Weitling 1843 vom Evangelium der Kleriker
sagte, gilt heute ebenso vom Sozialismus der Marxisten:
„Wohl, ihr Herren, ihr habt es bewiesen, ihr habt ein
Evangelium der Tyrannei, der Bedrückung und der Täuschung
daraus gemacht, ich wollte eines der Freiheit, Gleichheit
und Gemeinschaft, des Wissens, der Hoffnung und der
Liebe daraus machen. Wenn jene sich irrten, so geschah
es aus persönlichem Interesse; wenn ich mich irre, so ge-
schieht es aus Liebe für die Menschheit. Meine Absicht
ist bekannt und die Stellen, aus denen ich schöpfe, ange-
merkt. Der Leser mag nun lesen, prüfen, urteilen und
glauben, was er will“
⁹³⁾
.
Aus dem zentralen Punkte der Bergpredigt kommen
diese Sätze. Sie handeln vom „radikalen, revolutionären
Christus“, von der christlichen Republik
⁹⁴⁾
. Vor dem
Essäertum zerstäuben Nützlichkeit, Interesse, Staat, Despotie;
zerstäuben Rassenhass und patriotische Lüge, „die den
wütendsten Feinden des Fortschritts und der Freiheit aller
zum letzten Notanker ihrer Irrtümer, zum Rettungsbalken
ihrer Vorrechte dient“. Für Deutschland ist es geschrieben,
wenn Weitling sagt: „Welche Liebe kann heute wohl der
zum sogenannten Vaterlande haben, der nichts darin zu
verlieren hat, was er nicht in allen fremden Ländern wieder
zu finden imstande ist“? Und ein deutsches Versprechen
ist es, wenn Weitling seinen französischen Freunden in Aus-
sicht stellt: „Ihr werdet in der Folge sehen, dass uns die
Idee, aus der Welt ein Zuchthaus oder eine Kaserne machen
zu wollen, anekelt. Ihr werdet sehen, dass wir nicht die
persönliche Freiheit der allgemeinen Gleichheit zum Opfer
bringen wollen, da es gerade dieser natürliche Freiheitstrieb
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/171>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.