Eine Etappe im jüdischen Emanzipationskampf nannte ich die Gründung der deutschen Sozialdemokratie, und dieser Anschauung ist gerade auch Cohen. "Für den deutschen Arbeiter, für die Mehrheit des deutschen Volkes", schreibt er, "ist dadurch der geschichtliche Begriff des Juden von jener Beschimpfung erlöst, durch deren sprungweise Er- neuerung auch das Vaterland Lessings auf verhängnisvolle Abwege zeitweilig verlockt wurde" 103). Während aber Cohen das Verdienst der Marx und Lassalle in der Anerkennung und Stärkung der deutschen Staatsidee sieht, sehe ich keinen Anlass, über den damit für das Judentum errungenen Vor- teilen den Preis zu vergessen, den Europa dafür zahlte: die Auslieferung der sozialen Idee an den messianisch un- sozialen, preussisch-deutschen Gewalt- und Erfolgsstaat; die Ermöglichung des furchtbarsten aller Kriege, die Ver- nichtung von 20 Millionen Menschenleben und den Ruin Deutschlands. Denn, das sollte eigentlich keines Hinweises bedürfen, der Sozialismus verhält sich zur deutschen Sozial- demokratie, wie die Freiheit sich verhält zu ihrer Falle und zu jener "Freiheit im Gesetz", die Hegel und mit ihm die gesamte protestantische Philosophie postulierten.
Bakunin hat in seiner Schrift "Aux citoyens redacteurs du Reveil" (1869) die Frage aufgeworfen, wie weit jüdischen Naturen überhaupt der freie Sozialismus entsprechen konnte 104). "Ihre Geschichte hat ihnen lange vor der christlichen Aera schon eine wesentlich merkantile und bürgerliche Richtung gegeben, und daher kommt es, dass sie als Nation betrachtet vorzugsweise von der Arbeit der andern leben und eine natürliche Abneigung und Furcht vor Volksmassen haben, die sie im übrigen demonstrativ oder heimlich verachten. Die Gewohnheit, auszubeuten, entwickelte zwar hervorragend ihre Intelligenz, gab ihr aber zugleich eine bedauerliche Richtung zum Exklusiven, die sowohl den Interessen wie den Instinkten des Proletariats widerspricht. Ich weiss wohl, dass ich mich, indem ich so freimütig meine intimsten Ge-
Eine Etappe im jüdischen Emanzipationskampf nannte ich die Gründung der deutschen Sozialdemokratie, und dieser Anschauung ist gerade auch Cohen. „Für den deutschen Arbeiter, für die Mehrheit des deutschen Volkes“, schreibt er, „ist dadurch der geschichtliche Begriff des Juden von jener Beschimpfung erlöst, durch deren sprungweise Er- neuerung auch das Vaterland Lessings auf verhängnisvolle Abwege zeitweilig verlockt wurde“ 103). Während aber Cohen das Verdienst der Marx und Lassalle in der Anerkennung und Stärkung der deutschen Staatsidee sieht, sehe ich keinen Anlass, über den damit für das Judentum errungenen Vor- teilen den Preis zu vergessen, den Europa dafür zahlte: die Auslieferung der sozialen Idee an den messianisch un- sozialen, preussisch-deutschen Gewalt- und Erfolgsstaat; die Ermöglichung des furchtbarsten aller Kriege, die Ver- nichtung von 20 Millionen Menschenleben und den Ruin Deutschlands. Denn, das sollte eigentlich keines Hinweises bedürfen, der Sozialismus verhält sich zur deutschen Sozial- demokratie, wie die Freiheit sich verhält zu ihrer Falle und zu jener „Freiheit im Gesetz“, die Hegel und mit ihm die gesamte protestantische Philosophie postulierten.
Bakunin hat in seiner Schrift „Aux citoyens rédacteurs du Réveil“ (1869) die Frage aufgeworfen, wie weit jüdischen Naturen überhaupt der freie Sozialismus entsprechen konnte 104). „Ihre Geschichte hat ihnen lange vor der christlichen Aera schon eine wesentlich merkantile und bürgerliche Richtung gegeben, und daher kommt es, dass sie als Nation betrachtet vorzugsweise von der Arbeit der andern leben und eine natürliche Abneigung und Furcht vor Volksmassen haben, die sie im übrigen demonstrativ oder heimlich verachten. Die Gewohnheit, auszubeuten, entwickelte zwar hervorragend ihre Intelligenz, gab ihr aber zugleich eine bedauerliche Richtung zum Exklusiven, die sowohl den Interessen wie den Instinkten des Proletariats widerspricht. Ich weiss wohl, dass ich mich, indem ich so freimütig meine intimsten Ge-
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Eine Etappe im jüdischen Emanzipationskampf nannte
ich die Gründung der deutschen Sozialdemokratie, und dieser
Anschauung ist gerade auch Cohen. „Für den deutschen
Arbeiter, für die Mehrheit des deutschen Volkes“, schreibt
er, „ist dadurch der geschichtliche Begriff des Juden von
jener Beschimpfung erlöst, durch deren sprungweise Er-
neuerung auch das Vaterland Lessings auf verhängnisvolle
Abwege zeitweilig verlockt wurde“
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. Während aber Cohen
das Verdienst der Marx und Lassalle in der Anerkennung
und Stärkung der deutschen Staatsidee sieht, sehe ich keinen
Anlass, über den damit für das Judentum errungenen Vor-
teilen den Preis zu vergessen, den Europa dafür zahlte:
die Auslieferung der sozialen Idee an den messianisch un-
sozialen, preussisch-deutschen Gewalt- und Erfolgsstaat;
die Ermöglichung des furchtbarsten aller Kriege, die Ver-
nichtung von 20 Millionen Menschenleben und den Ruin
Deutschlands. Denn, das sollte eigentlich keines Hinweises
bedürfen, der Sozialismus verhält sich zur deutschen Sozial-
demokratie, wie die Freiheit sich verhält zu ihrer Falle und
zu jener „Freiheit im Gesetz“, die Hegel und mit ihm die
gesamte protestantische Philosophie postulierten.
Bakunin hat in seiner Schrift „Aux citoyens rédacteurs
du Réveil“ (1869) die Frage aufgeworfen, wie weit jüdischen
Naturen überhaupt der freie Sozialismus entsprechen konnte
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„Ihre Geschichte hat ihnen lange vor der christlichen Aera
schon eine wesentlich merkantile und bürgerliche Richtung
gegeben, und daher kommt es, dass sie als Nation betrachtet
vorzugsweise von der Arbeit der andern leben und eine
natürliche Abneigung und Furcht vor Volksmassen haben,
die sie im übrigen demonstrativ oder heimlich verachten.
Die Gewohnheit, auszubeuten, entwickelte zwar hervorragend
ihre Intelligenz, gab ihr aber zugleich eine bedauerliche
Richtung zum Exklusiven, die sowohl den Interessen wie
den Instinkten des Proletariats widerspricht. Ich weiss wohl,
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/176>, abgerufen am 21.11.2024.
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