Ueberall waren die Vorrechte des Adels mit dem Auf- kommen des Bürgertums beschnitten worden, nur, dank Luther, in Deutschland und Preussen nicht. Die Bauern- kriege versanken im Blutbad. Drei weitere Revolutionen gingen spurlos vorüber. Der preussische Junker, der ver- wegenste von allen, sass und sitzt noch heute auf seinem Dominium wie ein König, mit dem Bewusstsein, sein Stammbaum ist ebenso alt, wenn nicht älter als der seines Dienstherrn. Die alten Begriffe von Lehensherrschaft und Vasallentum blieben bestehen. Die alten augsburgischen Begriffe von gottgewollter Abhängigkeit leben noch heute. In dem skurrilen Verhältnis Bismarcks zu Wilhelm I. genossen noch unsere Väter ein Beispiel davon. Bismarck: "Er kann nicht lügen, ohne dass man es merkt". Der König: "Mein grösstes Glück, mit Ihnen zu leben". Der Vasall beherrscht seinen Fürsten, setzt ihm zu, fasst ihn beim Porte-epee, macht ihn schamrot in einer Unterhaltung über Pietismus. Der König, eingeschüchtert, ist ihm verfallen wie die Taube dem Habicht. "Warum", fragt der Junker, "wenn es nicht Gottes Gebot ist, soll ich mich sonst diesen Hohenzollern unterordnen? Es ist eine schwäbische Familie und nicht besser als die meine" 84). Als 1848 die Truppen unter den Steinwürfen der Menge auf Königs Befehl zurückgehen müssen ohne zu feuern, rät er den Generalen ganz offen zur Insurrektion. Kadavergehorsam kennt er nicht. Oberster Kriegsherr? Zum Lachen! Nur vor der Kanaille gilt es Dekorum zu wahren.
In Preussen zeigt das Naturburschentum der Junker die rührigste Farbe. Mit einem "üppig wuchernden, zahl- reichen, scheusslichen Krautjunkergeschlecht" balgt sich der Grosse Kurfürst um die Kontribution für sein stehendes Heer 85). Die Junker sind pfiffig. Der Bauer muss schliesslich die Lasten tragen. Friedrich Wilhelm I., Be- gründer der preussischen Hausmacht, dekretiert im Jahre 1717, dass "die Junkers ihre Autorität wird ruinieret wer-
Ueberall waren die Vorrechte des Adels mit dem Auf- kommen des Bürgertums beschnitten worden, nur, dank Luther, in Deutschland und Preussen nicht. Die Bauern- kriege versanken im Blutbad. Drei weitere Revolutionen gingen spurlos vorüber. Der preussische Junker, der ver- wegenste von allen, sass und sitzt noch heute auf seinem Dominium wie ein König, mit dem Bewusstsein, sein Stammbaum ist ebenso alt, wenn nicht älter als der seines Dienstherrn. Die alten Begriffe von Lehensherrschaft und Vasallentum blieben bestehen. Die alten augsburgischen Begriffe von gottgewollter Abhängigkeit leben noch heute. In dem skurrilen Verhältnis Bismarcks zu Wilhelm I. genossen noch unsere Väter ein Beispiel davon. Bismarck: „Er kann nicht lügen, ohne dass man es merkt“. Der König: „Mein grösstes Glück, mit Ihnen zu leben“. Der Vasall beherrscht seinen Fürsten, setzt ihm zu, fasst ihn beim Porte-épée, macht ihn schamrot in einer Unterhaltung über Pietismus. Der König, eingeschüchtert, ist ihm verfallen wie die Taube dem Habicht. „Warum“, fragt der Junker, „wenn es nicht Gottes Gebot ist, soll ich mich sonst diesen Hohenzollern unterordnen? Es ist eine schwäbische Familie und nicht besser als die meine“ 84). Als 1848 die Truppen unter den Steinwürfen der Menge auf Königs Befehl zurückgehen müssen ohne zu feuern, rät er den Generalen ganz offen zur Insurrektion. Kadavergehorsam kennt er nicht. Oberster Kriegsherr? Zum Lachen! Nur vor der Kanaille gilt es Dekorum zu wahren.
In Preussen zeigt das Naturburschentum der Junker die rührigste Farbe. Mit einem „üppig wuchernden, zahl- reichen, scheusslichen Krautjunkergeschlecht“ balgt sich der Grosse Kurfürst um die Kontribution für sein stehendes Heer 85). Die Junker sind pfiffig. Der Bauer muss schliesslich die Lasten tragen. Friedrich Wilhelm I., Be- gründer der preussischen Hausmacht, dekretiert im Jahre 1717, dass „die Junkers ihre Autorität wird ruinieret wer-
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Ueberall waren die Vorrechte des Adels mit dem Auf-
kommen des Bürgertums beschnitten worden, nur, dank
Luther, in Deutschland und Preussen nicht. Die Bauern-
kriege versanken im Blutbad. Drei weitere Revolutionen
gingen spurlos vorüber. Der preussische Junker, der ver-
wegenste von allen, sass und sitzt noch heute auf seinem
Dominium wie ein König, mit dem Bewusstsein, sein
Stammbaum ist ebenso alt, wenn nicht älter als der seines
Dienstherrn. Die alten Begriffe von Lehensherrschaft und
Vasallentum blieben bestehen. Die alten augsburgischen
Begriffe von gottgewollter Abhängigkeit leben noch heute.
In dem skurrilen Verhältnis Bismarcks zu Wilhelm I. genossen
noch unsere Väter ein Beispiel davon. Bismarck: „Er kann
nicht lügen, ohne dass man es merkt“. Der König: „Mein
grösstes Glück, mit Ihnen zu leben“. Der Vasall beherrscht
seinen Fürsten, setzt ihm zu, fasst ihn beim Porte-épée,
macht ihn schamrot in einer Unterhaltung über Pietismus.
Der König, eingeschüchtert, ist ihm verfallen wie die Taube
dem Habicht. „Warum“, fragt der Junker, „wenn es nicht
Gottes Gebot ist, soll ich mich sonst diesen Hohenzollern
unterordnen? Es ist eine schwäbische Familie und nicht
besser als die meine“
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. Als 1848 die Truppen unter den
Steinwürfen der Menge auf Königs Befehl zurückgehen
müssen ohne zu feuern, rät er den Generalen ganz offen
zur Insurrektion. Kadavergehorsam kennt er nicht. Oberster
Kriegsherr? Zum Lachen! Nur vor der Kanaille gilt es
Dekorum zu wahren.
In Preussen zeigt das Naturburschentum der Junker
die rührigste Farbe. Mit einem „üppig wuchernden, zahl-
reichen, scheusslichen Krautjunkergeschlecht“ balgt sich
der Grosse Kurfürst um die Kontribution für sein
stehendes Heer
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. Die Junker sind pfiffig. Der Bauer muss
schliesslich die Lasten tragen. Friedrich Wilhelm I., Be-
gründer der preussischen Hausmacht, dekretiert im Jahre
1717, dass „die Junkers ihre Autorität wird ruinieret wer-
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/215>, abgerufen am 24.11.2024.
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